Exoplaneten: Die Jagd nach Leben ist eröffnet
Nachdem sich bereits Routine unter den Planetologen breitgemacht hatte, war die Freude dieses Mal wieder besonders groß: ein Exoplanet direkt vor der Haustür – im Orbit von Alpha Centauri B, einem nur 4,4 Lichtjahre entfernen Nachbarstern der Sonne. Kein Wunder, dass sich letzten Dienstag Dutzende Journalisten in die geheime Online-Pressekonferenz der Europäischen Südsternwarte (ESO) einloggten. Und kein Wunder, dass ein Kroate den Fund bereits in die Welt posaunte, noch ehe die Pressesperrfrist aufgehoben wurde. Alpha Centauri ist ein Synonym für die Sehnsucht nach außerirdischem Leben, spätestens seit James Cameron dort blauhäutige Aliens von Baum zu Baum hüpfen ließ.
Kurz nach der Ankündigung von "Avatar" im Januar 2008 hatten US-amerikanische Astronomen mehrere Gesteinsplaneten um Alpha Centauri B vorhergesagt; noch im selben Jahr wurden rund um den Globus die Teleskope auf dieses System ausgerichtet. Nun zeigt sich: Die Schweizer waren die Schnellsten. Die Gruppe von der Universität Genf um Michel Mayor hat 1995 schon den ersten Exoplaneten um einen Stern nachgewiesen. Mit Hilfe des Harps-Spektrografen der Europäischen Südsternwarte im chilenischen La Silla ist ihnen nun ein weiterer prestigeträchtiger Fund gelungen.
Für Sciencefiction-Fans ist "Alpha Centauri Bb" jedoch zunächst einmal eine Enttäuschung. Der Planet umrundet sein orangerotes Muttergestirn auf einer zehnmal engeren Umlaufbahn als die des Merkurs im Sonnensystem. Seine Oberfläche dürfte einem Meer aus Lava gleichen. Aber selbst das ist noch unsicher. "Wir haben eine Masse und einen Orbit – alles andere ist Spekulation", sagte Gregory Laughlin von der University of California in Santa Cruz auf der Pressekonferenz. Andere Forscher zweifeln noch daran, ob der Planet überhaupt existiert: "Da das Signal sehr schwach ist, sollte man noch eine unabhängige Beobachtung durchführen", erwidert Sara Seager vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge. Die Genfer Astronomen haben daher bereits Beobachtungszeit beim Weltraumteleskop Hubble beantragt, und auch die Amerikaner wollen das verrauschte Planetensignal überprüfen. Dabei ist Eile geboten: Das Doppelsternpaar in Alpha Centauri bewegt sich aktuell aufeinander zu. 2016 werden die beiden von der Erde aus gesehen ihren kleinsten Abstand erreichen. Bis dahin wächst bei der Beobachtung von Alpha Centauri B die Fehleranfälligkeit, da der hellere Schwesterstern ins Bild drängt.
Derweil wird die fremde Welt gleich mit zwei Superlativen durch die Medien gejagt: Alpha Centauri Bb wäre der erdnächste und mit bestenfalls 1,1 Erdmassen der leichteste bisher entdeckte Exoplanet um einen sonnenähnlichen Stern. Tatsächlich markiert die Entdeckung eine wichtige Wegmarke bei der Exoplanetensuche: Die Instrumente der Forscher haben mittlerweile eine Genauigkeit erreicht, mit der sich auch kleinere Gesteinsplaneten aufspüren lassen. Das Team von Michel Mayor beispielsweise kann heute mit 16-mal höherer Präzision auf Planetenjagd gehen als noch 1995.
Sind wir nicht allein?
Damit rückt die Auflösung der Gretchenfrage der Astronomie immer näher: Haben sich auch in anderen Sternsystemen Planeten gebildet, auf denen Leben gedeihen könnte? Oder ist die Erde ein Exot im All? Bisher haben Forscher erst vier Exoplaneten entdeckt, auf denen Wasser fließen könnte – sie liegen also in der "habitablen" Zone ihres Sterns. Allerdings sind Gliese 581d, HD 85512b, Gliese 667Cc und Kepler-22b allesamt ein gutes Stück größer als die Erde. Es könnte sich bei manchen von ihnen im ungünstigsten Fall auch um einen kleinen Neptun handeln. Oder aber sie kreisen um Sterne, die immer wieder sterilisierende Röntgenstrahlung ins All schleudern.
Mit etwas Fantasie kann man sich auf ihrer Oberfläche trotzdem ein Ökosystem vorstellen. Ein wissenschaftlich stichhaltiges Indiz für außerirdisches Leben wäre jedoch erst ein erdgroßer Planet, der im selben Abstand wie die Erde einen Stern wie die Sonne umkreist. Ob es solche Zwillingserden außerhalb unseres Sonnensystems gibt, könnten Astronomen schon in ein oder zwei Jahren beantworten. Der NASA-Satellit Kepler unternimmt dieser Tage die größte Planeteninventur der Geschichte. Seit über dreieinhalb Jahren späht das Weltraumteleskop auf einen kleinen Himmelsausschnitt im Sternbild Schwan, in dem die Forscher 100 000 Sterne auf einmal im Blick haben. Zieht ein Planet vor einem von ihnen vorbei, verdunkelt sich der jeweilige Stern minimal.
Vier Jahre sind die magische Grenze für Kepler: Nach dieser Zeitspanne können die Forscher sagen, ob einige der Sternfinsternisse von einem Zwilling der Erde hervorgerufen werden. Um einen Planeten nachzuweisen, muss er dreimal seinen Stern verdunkelt haben; für einen erdähnlichen Himmelskörper, der wie wir innerhalb eines Jahres einen Stern wie die Sonne einmal umrundet, müssen die Forscher also vier Jahre lang Beobachtungsdaten auswerten. Vermutlich haben sie bereits eine recht gute Ahnung davon, ob sich eine Zwillingserde in ihren Daten versteckt.
Bisher verging jedoch stets mindestens ein Jahr zwischen Beobachtung und Veröffentlichung der Ergebnisse, jüngst waren es sogar fast zwei – 2014 könnte also als goldenes Jahr der Astronomie in die Geschichtsbücher eingehen. Insbesondere, wenn Kepler mehr als eine zweite Erde findet. Maximal um 30 der sonnenähnlichen Sterne vom Typ G2V könnten die Instrumente an Bord von Kepler eine Zwillingserde nachweisen, schätzen die Wissenschaftler in der Missionsbeschreibung. Von allen anderen Sternsystemen kommt entweder zu wenig Licht an, oder die Bahnebene der Planeten ist relativ zur Erde gekippt, so dass sie ihren Mutterstern aus Keplers Perspektive nicht verdunkeln.
Vielversprechendes von Kepler
Sollte Kepler mehr als eine Zwillingserde aufspüren, wäre die Botschaft revolutionär: Hochgerechnet auf die gesamte Galaxie hießen auch zehn Zwillingserden noch, dass es vermutlich Millionen von Erden in der Milchstraße gibt. Allerdings ist ebenso das krasse Gegenteil denkbar: Findet Kepler keine Hinweise auf eine zweite Erde, ist unser Planet vermutlich ein Exot im All.
Die Frage nach Leben kann Kepler allerdings nicht beantworten: Die Sonde ermittelt den Durchmesser eines Planeten, eine Nachbeobachtung mit einem Teleskop samt Spektrografen liefert dann dessen Masse. Ein Ökosystem auf der Oberfläche lässt sich auf diese Weise nicht nachweisen – so wahrscheinlich es aus der Ferne auch sein mag. Erst mit einem Blick in die Atmosphäre eines Exoplaneten ließen sich außerirdische Organismen andeutungsweise nachweisen. Dazu müssen aber jene extrem schwachen Lichtspuren aufgefangen werden, die von den Exoatmosphären gestreut werden. Anhand des Spektrums der Strahlen könnten Forscher dann überprüfen, ob sich in einer Atmosphäre Wasserdampf, Sauerstoff oder Methan befinden – untrügliche Spuren für biologische Aktivität.
Aber wie lässt sich das Leuchten von Planeten beobachten, wo doch der Mutterstern so viel heller strahlt? Die NASA verweist auf den Hubble-Nachfolger, das James-Webb-Weltraumteleskop (JWST). Es soll immer einen Stern ins Blickfeld nehmen, wenn gerade einer seiner Planeten vor ihm vorüberzieht. Die Atmosphäre des Planeten würde dann das Sternenlicht filtern. Schwache Absorptionslinien könnten das Vorhandensein von den Gasen in der Atmosphäre belegen. Allerdings ist das Flaggschiff der NASA trotz Kosten von 8,7 Milliarden US-Dollar für die Planetenanalyse nur unzureichend gewappnet. Das Mammutteleskop mit seinem 6,5 Meter großen Hauptspiegel wurde in den 1990er Jahren geplant, als man noch nichts von der anstehenden Planetenschwemme ahnte. Seine Erbauer optimierten das größte Weltraumteleskop aller Zeiten für die Beobachtung des frühen Universums. Daher kann JWST nur Infrarotlicht auffangen – und nicht optische Wellenlängen, die für eine zweifelsfreie Charakterisierung der Atmosphären nötig wären.
Aus heutiger Sicht macht es aber vor allem ein anderes Manko unbrauchbar für die Aliensuche: Keiner der vier bisher bekannten Exoplaneten in einer habitablen Zone zieht von der Erde aus betrachtet vor seinem Stern vorüber. Daher fordern Astronomen schon länger, dass eine weitere, keplerähnliche Mission gestartet wird, die gezielt nach habitablen Planeten sucht, die zeitweise ihr Gestirn verdunkeln und so mit JWST studiert werden könnten. Anders als die von Kepler entdeckten Sternsysteme, die hunderte oder tausende Lichtjahre entfernt sind, soll der "Transiting Exoplanet Survey Satellite" (T.E.S.S.) in der galaktischen Nachbarschaft nach geeigneten Kandidaten suchen. Ob das Projekt realisiert wird, will die NASA im Februar 2013 entscheiden.
Aber auch dann bleibt fraglich, ob die Planetenjäger allzu viel Zeit mit dem JWST verbringen dürfen: Nach bisheriger Planung werde das Mammutprojekt 80 bis 85 Prozent der Zeit für andere Zwecke eingesetzt, argumentieren europäische Forscher in dem Entwurf eines Exoatmosphärenteleskops der ESA. Mit einem 1,5 Meter großen Spiegel will das "Exoplanet Characterisation Observatory" (EChO) vom Weltraum aus Supererden um besonders helle Sterne ins Blickfeld nehmen. Damit wolle man mit dem Paradigma brechen, dass nur Zwillingserden um Zwillingssonnen zur Wiege des Lebens werden können, schreiben die Forscher. Um diese Gelegenheit zu bekommen, muss sich das Projekt jedoch noch gegen drei andere Weltraummissionen durchsetzen; darunter ein Projekt, das eine Probe von einem Asteroiden zur Erde bringen will.
Liefert erst ein neuer Beobachter die Antwort?
Die Atmosphären von Zwillingserden in den Tiefen des Alls könnte in der Tat erst ein noch ambitionierteres Projekt charakterisieren. An Ideen mangelt es nicht: Das europäische Projekt "Darwin" sollte aus bis zu neun zusammengeschalteten Weltraumteleskopen bestehen. Nur so könnte es nach Einschätzung der Astronomen gelingen, die extrem schwachen, von Zwillingserden reflektierten Lichtspuren nachzuweisen. Nicht weniger ambitioniert war der Terrestrial Planet Finder der NASA, der ebenfalls aus einer kleinen Teleskopflotte aufgebaut sein sollte. Allerdings wurden beide Projekte auf Eis gelegt – sehr zum Missfallen der Planetenforscher. Ohne derartige Projekte sei man dazu verdammt, auf ewig Planeten zu zählen, schimpfte der berühmte Planetenjäger Geoff Marcy von der University of California in Berkeley letztes Jahr auf einem Symposium der amerikanischen Exoplaneten-Forschergemeinde.
Mittlerweile hoffen die Forscher auf ein anderes Projekt. Der New Worlds Observer soll einen 50 Meter breiten Schutzschirm mitbringen, der 80 000 Kilometer vor der Linse des Weltraumteleskops platziert wird. So soll es gelingen, das störende Licht eines Sterns auszublenden und gezielt die schwachen Lichtspuren von seinen Trabanten aufzufangen. Noch hat sich die NASA nicht entschieden, ob sie den New Worlds Observer bis Ende des Jahrzehnts tatsächlich bauen will. Billig dürfte er nicht werden: Mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit werde der Observer weniger als 3,7 Milliarden US-Dollar kosten, heißt es im Projektvorschlag. Ob ein weiteres Weltraumteleskop von der Größenordnung von "James Webb" dem amerikanischen Steuerzahler schmackhaft gemacht werden kann, wird die Zeit zeigen. Ohne das Projekt würden die Exoplanetenforscher wohl allerdings in die Röhre gucken. Die Frage nach außerirdischem Leben bliebe bis auf Weiteres unbeantwortet.
Es sei denn, Alpha Centauri meint es gut mit ihnen: In dem Sternsystem könnte sich noch ein anderer Planet gebildet haben, mutmaßen Astronomen. Schließlich legen andere Doppelsternsysteme den Schluss nahe, dass sich im Schwerefeld zweier Sterne – wenn überhaupt – gleich mehrere Planeten bilden. "Um einen Planeten mit der gleichen Masse wie Alpha Centauri Bb in der habitablen Zone des Sterns nachzuweisen, müsste man über acht weitere Jahre Daten von derselben Qualität sammeln", sagt Sara Seager. Bis dahin hätte man immerhin ein Teleskop, das den Planeten direkt beobachten könnte. Das European Extremely Large Telescope der ESO in Chile soll bis Ende des Jahrzehnts fertig gestellt werden. Es kann zwar nur eine Hand voll Exoplaneten in der unmittelbaren Nachbarschaft beobachten, heißt es in der Konzeptstudie. Dazu könnte jedoch auch eine Zwillingserde um Alpha Centauri B gehören, mutmaßen die Forscher. Vielleicht steckt ja doch ein Körnchen Wahrheit in James Camerons fantastischem Weltraumepos.
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