News: Die Kontrolle des Unkontrollierbaren
Chaotische Systeme beschreibt man üblicherweise durch sogenannte Phasenraum-Diagramme. Um zum Beispiel das Verhalten eines Stromkreises mit zwei Spannungsausgängen zu verfolgen, trägt man den einen Spannungsverlauf gegen den anderen auf. Der einfachste zeitliche Verlauf stellt sich dann als ein geschlossener Kreis im Phasenraumdiagramm dar: Das System legt pro Zyklus einmal diesen Kreis zurück und bleibt stets auf demselben Pfad. Verhält sich das System dagegen chaotisch, dann ändert es stets seine Route und legt jedes Mal eine andere Kreisbahn zurück. Allmählich füllt es so ein ganzes Band an möglichen Phasenraumbahnen aus.
Bereits 1990 konnte gezeigt werden, daß chaotische Systeme auch periodische Wege durchlaufen, durch die Fluktuationen jedoch stets aus den sich wiederholenden Bahnen herausgetragen werden. Damals schlugen die Wissenschaftler eine Methode vor, mit der den diesen Schwankungen durch gezielte Eingriffe begegnet und das System auf eine periodische Bahn gezwungen werden konnte. Für einen chaotischen Stromkreis besteht die Lösung darin, einen Spannungspuls während jedes Umlaufs anzulegen, wobei dessen Amplitude von den Details der chaotischen Bewegung abhängt. Diese Amplitude zu berechnen beschert jedoch einem Computer einiges an Kopfzerbrechen, und so haben andere Forscher einfachere Strategien entwickelt für eine schnellere Kontrolle von chaotischen Systemen entwickelt.
Myneni berichtet, daß das Kontrollsystem, das er und seine Kollegen entwickelt haben, wesentlich einfacher und schneller als bisher konstruierte arbeitet. Mit einer Frequenz von 200 Megahertz ist es bislang etwa hundertmal schneller. Der zugrundeliegende Algorithmus legt jedesmal einen konstanten Spannungspuls an, wenn der Zustand des chaotischen Stromkreises innerhalb eines kleinen, vorherbestimmten rechteckigen "Fensters" innerhalb des Phasenraums befindet. Dieses Fenster und der angelegte Spannungspuls werden sorgfältig so gewählt, daß der Systemzustand mit jedem Umlauf ein bißchen näher in die Ecke des Fensters gestoßen wird, das sich am nächsten zum Zentrum des Orbit befindet. Dabei ist die Ecke so gewählt, daß sie mit einem periodischen Umlauf zusammenfällt. In jeder der aufeinanderfolgenden Runden nähert sich der Zustand dieser Ecke und verbringt immer weniger Zeit mit dem Durchlaufen des Kästchens, was wiederum die Dauer des Pulses reduziert.
Die Arbeitsgruppe war in der Lage, ihre Strategie an zwei chaotischen Stromkreisen zu demonstrieren: der eine Kreis mit einer Frequenz von einem Kilohertz, der andere mit 19 Megahertz. Letzterer stellte das schnellste chaotische System dar, welches die Wissenschaftler finden konnten – knapp am sehr schnellen Bereich des Laserchaos. Earle Hunt von der Ohio University in Athens ist davon überzeugt, daß das neue Kontrollsystem auch bei einem Gigahertz oder sogar mehr arbeiten könnte, wenn das Team die elektronischen Komponenten weiter verbessern kann. Dann wäre es reaktionsschnell genug, um mit dem Laserchaos fertigzuwerden. William Ditto vom Georgia Institute of Technology in Atlanta meint, daß Chaos auch von positiven Nutzen sein könnte, wenn es bei hohen Geschwindigkeiten kontrolliert werden kann: "Diese Arbeit öffnet die Türen für den Entwurf von optischen, Kommunikations- und elektronischen Systemen mit hohen Geschwindigkeiten, welche die vielen natürlichen Periodizitäten in chaotischen Systemen ausnutzen."
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 15.6.1998
"Mehr Chaos – mehr Licht"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum der Wissenschaft 11/93, Seite 46
"Das Chaos meistern"
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich)
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