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Wasser: Wie Erdbeeren einen Nationalpark vernichten

Mit seinen Lagunen und Feuchtgebieten strotzt der andalusische Nationalpark Coto de Doñana vor Artenreichtum. Umgeben ist er von Erdbeerplantagen – die ihm illegalerweise das Wasser abgraben.
Grasendes Pferd im Nationalpark Coto de Doñana an der Costa de la Luz in Andalusien.

Hinter menschenleeren Küsten rücken Wanderdünen Jahr für Jahr zwei Meter vor und begraben unerbittlich Kiefern und Wacholder. In Pinien- und Korkeichenwäldern nisten seltene spanische Kaiseradler und gewaltige Mönchsgeier. Doch das Aushängeschild des Coto de Doñana sind die »marismas« – sumpfiges Marschland, durchzogen von Lagunen und Flussarmen. Sie alle strömen dem Guadalquivir zu, der als ausgedehntes Ästuar in das Mittelmeer mündet.

Der andalusische Nationalpark gilt als Perle des Naturschutzes und eines der wichtigsten Feuchtgebiete Europas. Jordi Figuerola, stellvertretender Leiter der Forschungsstation Estación Biológica de Doñana, beschreibt eine einmalige landschaftliche Schönheit von hoher ökologischer Relevanz: »Hier ist ein absoluter Hotspot der Artenvielfalt. Jedes Jahr fliegen hunderttausende Zugvögel aus Nordeuropa und Russland ein, um zu überwintern.«

»Hier ist ein absoluter Hotspot der Artenvielfalt. Jedes Jahr fliegen hunderttausende Zugvögel aus Nordeuropa und Russland ein, um zu überwintern«
Jordi Figuerola

Weitere sechs Millionen Vögel rasten hier, um Kräfte für den Weg über die Straße von Gibraltar zu sammeln. Und viele gefährdete Arten leben ganzjährig im Nationalpark. Löffler, Ibis und Stelzenläufer, Flamingo und Graugans, das Purpurhuhn und die gefährdete Marmelente: Sie alle sind auf den Coto de Doñana angewiesen. Durch das Dickicht streift eine der seltensten Katzen weltweit, der Iberische Luchs. »Und es gibt eine große Vielfalt an Amphibien, wirbellosen Tieren und Pflanzen«, betont der Biologe.

Über 50 000 Hektar zählt der Nationalpark, umgeben von einer etwa halb so großen Pufferzone. Die Doñana wird er kurz genannt und kann doch klangvolle Titel vorweisen – Ramsar- und Natura-2000-Schutzgebiet, UNESCO-Biosphärenreservat und UNESCO-Weltnaturerbe. Aber all diese Auszeichnungen scheinen zurzeit machtlos gegen die Bedrohung außerhalb der Parkgrenzen: »Die Landwirtschaft gräbt der Doñana das Grundwasser ab«, schildert Figuerola. Im Jahr 1992 stellte eine Kommission offiziell fest, dass die Wasserressourcen der Doñana übernutzt werden. Seither sei es nur schlimmer geworden, stellt Figuerola fest: »Die Doñana ist umgeben von einer Unmenge illegaler Brunnen. Das ist schlichtweg Diebstahl – als würde ich die Stromleitung anzapfen, ohne zu bezahlen.«

Die Landwirtschaft gräbt der Natur das Wasser ab

Sie werden in Spanien »pozos luneros« genannt, Mondscheinbrunnen – Wasserlöcher, die ohne Genehmigung der Behörden gebohrt werden. Anfang 2019 geriet das Problem auf tragische Weise in die internationalen Schlagzeilen, als ein zweijähriger Junge in einen Schacht fiel und zu Tode kam. Nach offiziellen Schätzungen existieren etwa 500 000 dieser Bohrlöcher in Spanien, laut Naturschutzorganisationen doppelt so viele. Sie sind eine Gefahr für Spaziergänger und spielende Kinder und bringen einen unkontrollierbaren Umgang mit Wasser mit sich – in Regionen, die ohnehin von Trockenheit geprägt sind.

Felipe Fuentelsaz vom WWF Spanien kämpft seit zehn Jahren gegen die illegalen Brunnen um den Coto de Doñana. »Der Wasserbedarf in der Region steigt immer stärker«, erläutert der Agrarwissenschaftler: »Insgesamt werden mindestens 60 Prozent des Wassers, das früher in die Doñana floss, für wirtschaftliche Zwecke abgezwackt.« Zum Teil fließt es in die Touristenzentren an der Küste. Vor allem im benachbarten Matalascañas explodieren im Sommer die Besucherzahlen: »Doch die weitaus größere Menge benötigt die intensive Landwirtschaft. Sie hat sich seit den 1990er Jahren extrem entwickelt.«

Eine Badewanne Wasser für eine Schale Erdbeeren

Baumwolle, Reis und vor allem Beeren dominieren weite Ebenen rund um den Nationalpark. Die spanischen Himbeeren, Blaubeeren oder Goji-Beeren in den Regalen deutscher Supermärkte kommen teilweise aus dieser Region: »Und vor allem wachsen hier rund 70 Prozent aller spanischen Erdbeeren«, berichtet Fuentelsaz. Für eine Schale der Früchte benötigt ein Landwirt knapp eine Badewanne voll Wasser. Und diese zahllosen Badewannen stammen zu einem erheblichen Teil aus illegalen Bohrlöchern und Speicherbecken. »Wenn wir uns lediglich auf den Anbau von Beeren beschränken, haben wir 11 000 Hektar Anbaufläche«, erklärt Fuentelsaz: »Aber davon werden nur 5000 Hektar legal bewässert.«

Feuchtwald in der Doñana | Die Grundwasserentnahme sorgt dafür, dass viele Biotope in der Doñana austrocknen – dadurch werden auch Sumpfwälder wie dieser zerstört.

Die Werte ermitteln Fuentelsaz und seine Mitarbeiter, indem sie Satellitenbilder mit Nutzungskarten der Region vergleichen. »Die Karten zeigen, welche Gebiete bewässert oder überhaupt bewirtschaftet werden dürfen«, führt der Aktivist aus: »Es ist ganz klar zu sehen, ob Plantagen auf landwirtschaftlichen Nutzflächen liegen oder beispielsweise auf offiziellem Waldgebiet. Manchmal handelt es sich um ganze Betriebe.« Seit mehr als zehn Jahren schickt die Organisation eine Liste aller rechtswidrig arbeitenden Höfe an Lokalpolitiker, Regierung, EU-Institutionen und Großhändler: »Einige Marktketten richten sich danach – in Deutschland bislang lediglich Edeka.« Die Behörden kontrollieren nur selten einen Betrieb: »Und dann dauert es noch fünf bis sechs Jahre, bis er geschlossen wird. In der Zwischenzeit verdient der Landwirt weit mehr, als er an Strafe zahlen muss – und zapft der Doñana das Wasser ab.«

Auch legal wirtschaftende Bauern monieren die Ungerechtigkeit, weiß Fuentelsaz: »Der eine zahlt jährlich 60 000 Euro Gebühren pro Hektar, sein Nachbar dagegen keinen Cent. Und sie liefern die gleichen Früchte zum selben Preis.« Daher einigten sich bereits vor fünf Jahren Behörden, Naturschutzorganisationen und Landwirte auf einen Flächennutzungsplan, der illegales Wirtschaften unterbinden sollte: »Aber passiert ist seitdem nichts.« Denn der Agrarsektor ist ein starker Wirtschaftsfaktor. Allein der Erdbeerexport bringt Spanien 400 Millionen Euro jährlich ein – der kulturelle und touristische Wert der Doñana wird mit 74 Millionen beziffert. »Die Wasserbehörde erklärt nun die Grundwasserschicht offiziell für übernutzt – was schon vor 20 Jahren hätte geschehen können«, klagt der Aktivist.

Klimawandel verschärft Wasserproblem

Das bestätigt Figuerola: »Der Grundwasserhorizont sinkt durch die Nutzung auf 30 Meter Tiefe, so dass die Tiere ihn nicht mehr erreichen können.« Durch den Klimawandel geht die Menge des Niederschlags in Spanien ohnehin zurück: »Das verschärft die Situation zusätzlich.« Die meisten der zahllosen Teiche der Doñana sind temporär – je nach Menge des Niederschlags und Höhe des Grundwasserpegels fallen sie früher oder später im Jahr trocken. »Aber die Anzahl der Tage, in denen die Teiche Wasser führen, ist über die letzten Jahrzehnte erheblich zurückgegangen«, weiß Figuerola. Er schildert dramatische Folgen für viele Tiere: »Die Marmelente beispielsweise galt früher als charakteristisch für die Region. Heute ist sie eine bedrohte Art.« Im Sommer 2016 zählten die Forscher lediglich sechs Brutpaare in der Doñana. Für die Aufzucht der Jungen benötigt die Ente im Juni und Juli seichte Gewässer: »Diese Möglichkeiten gibt es hier kaum noch«, verdeutlicht der Biologe.

Erdbeeranbau in Andalusien | Die Region um Huelva im Süden Andalusiens gehört zu den bedeutendsten Anbaugebieten für Erdbeeren in Spanien. Um die Pflanzen zu bewässern, werden in großem Stil illegale Brunnen gebohrt. Damit wird dem Nationalpark das Wasser entzogen.

Der Nachwuchs der Amphibien vertrocknet immer häufiger auf zersprungenen Erdkrusten. Und Libellen können ihre Eier seltener ablegen: »Viele Arten konnten wir schon über Jahre nicht mehr nachweisen«, berichtet Figuerola. Über Satellitenbilder verfolgen die Forscher, wie die Teiche der Doñana schrumpfen. »Doch in der Umgebung sehen wir, wie sich die Reservoirs für die Landwirtschaft vergrößern.« Das verbleibende Wasser in den »marismas« ist stark mit Pestiziden und Nährstoffen angereichert: Dadurch kommt es zu giftigen Algenblüten, die Massensterben unter Fischen und Wasservögeln verursachen. Zudem wachsen die Beeren unter Unmengen von Plastikplanen, die nach Gebrauch teilweise in den abgewirtschafteten Boden gepflügt werden – oder auch in der Natur landen.

»Einige Betriebe wirtschaften bis in das Wasser der Flüsse hinein. So verliert das Wild seine Wandermöglichkeiten, und die Doñana wird zu einer Insel auf dem Land«
Felipe Fuentelsaz

Die expandierenden Plastikmeere schneiden die Doñana zunehmend von der Außenwelt ab. Deshalb fordert Fuentelsaz, ökologische Korridore zu schaffen: »Einige Betriebe wirtschaften bis in das Wasser der Flüsse hinein. So verliert das Wild seine Wandermöglichkeiten, und die Doñana wird zu einer Insel auf dem Land.« Das betrifft auch den Iberischen Luchs: Seine Hauptnahrung, die Kaninchen, starben in den letzten Jahrzehnten massenweise an der aus Südamerika eingebrachten Myxomatose. Die etwa 300 verbliebenen Raubkatzen verteilen sich auf wenige Refugien und werden allzu oft Opfer des Straßenverkehrs.

Der Luchs gilt als Leitart der Region. Die Bestände können sich nur erholen, wenn sein Lebensraum geschützt wird, und das hilft zahlreichen weiteren Tierarten und sogar vielen Menschen vor Ort. Denn durch ihre Ursprünglichkeit und Vielfalt zieht die Doñana Vogelkundler und Naturliebhaber aus ganz Europa an: »Der Ökotourismus ist für die Region eine sehr wichtige Einnahmequelle«, betont Fuentelsaz. Zudem regulieren die Feuchtgebiete das Klima und verbessern die Luftqualität: »Und an den Küsten und im Ästuar des Guadalquivir arbeiten viele kleine Fischerbetriebe.«

Erdgasförderung und Touristen bedrohen die Natur

Doch auch die stromaufwärts gelegene Stadt Sevilla möchte ihren Nutzen aus dem Guadalquivir ziehen. Seit fast 20 Jahren streiten Behörden und Naturschützer um eine geplante Ausbaggerung, die Sevillas Hafen für Fracht- und Kreuzfahrtschiffe öffnen soll. »Dadurch würde mehr Salzwasser in das Ästuar gelangen und das Ökosystem verändern«, kritisiert Fuentelsaz. »Und auch die Reisbauern und Fischer hätten Probleme.« Die UNESCO drohte, den Nationalpark auf die Liste des bedrohten Naturerbes zu setzen, und so entschied der spanische Oberste Gerichtshof dagegen. »Das Projekt ist ausgesetzt, aber nicht offiziell eingestellt«, gibt der Aktivist zu bedenken. »Es könnte jederzeit wieder aufgenommen werden.«

Ein weiteres riskantes Projekt steht ebenfalls auf dem Prüfstand. Unter den Marschen und Lagunen lagern bedeutende Vorkommen an Erdgas, das der spanische Energieversorger Gas Natural Fenosa zu Tage bringen will. Neben Bohrlöchern plant er riesige unterirdische Speicher. »Die Förderung kann das Grundwasser vergiften und die Speicherung Erdbeben verursachen – oder Explosionen, wenn Lecks auftreten«, mahnt Fuentelsaz. Momentan steht die Justiz auf Seiten der Naturschützer. Denn der Konzern teilte das Vorhaben in vier Unterprojekte und ließ sie separat auf ihre Umweltverträglichkeit bewerten: »Das ist nicht zulässig. Daher hat die Europäische Kommission eine Gesamtbewertung angefordert.«

Pferde im Nationalpark Coto de Doñana

Umstritten ist auch die Öffnung der Blei- und Zinkmine in Aznalcóllar – einem Ort, der für die bisher größte Umweltkatastrophe Spaniens steht. In einer Nacht im April 1998 brach die Staumauer des Abwasserbeckens und setzte fünf bis sieben Millionen Kubikmeter mit Arsen und Schwermetallen versetzten Schlamm frei. Wie ein Lavastrom wälzten sich die schwarzbraunen Fluten einen Zufluss des Guadalquivir herunter und vernichteten auf ihrem Weg sämtliches Leben im Flussbett und in weiten Uferbereichen. Mit Notdämmen konnte der Nationalpark größtenteils geschützt werden. Nun hat die andalusische Regierung die Schürfrechte neu vergeben. »Im Moment warten wir auf das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung«, schildert Fuentelsaz: »Es ist nicht genug Wasser vorhanden, um die Mine zu betreiben. Das fließt in die Landwirtschaft.«

»Die Landwirte werden die Grundwasserader zerstören, die für die Doñana und auch für sie selbst so wichtig ist. Wir verlieren die Henne, die für uns die goldenen Eier legt«
Felipe Fuentelsaz

Einen Erfolg können die Naturschützer verbuchen: Der Plan, eine Pipeline von der Extremadura zur Hafenstadt Huelva zu legen, ist offiziell verworfen. Das Öl wäre in direkter Nachbarschaft zur Doñana transportiert und verschifft worden. Auch im Fall der illegalen Brunnen bewegt sich etwas – allerdings in äußerst moderatem Tempo: Vor mittlerweile neun Jahren reichte der WWF eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein. Diese erklärte Anfang 2019, Spanien vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen. Derweil plant die andalusische Regierung, zwei Drittel der illegalen Brunnen zu genehmigen – ein Schritt, der den Biologen Figuerola fassungslos macht: »Es kann nicht die Lösung sein, einen Diebstahl zu legalisieren. Wenn wir den Status quo beibehalten, werden wir die Doñana nicht bewahren können.«

Seit zehn Jahren stellt der WWF Landwirten effiziente Bewässerungstechnologien mit Wasser sparenden Sensoren zur Verfügung. Die so zertifizierten Erdbeeren vermittelt die Organisation an Supermärkte: »Und auch das andalusische Agrarinstitut IFAPA arbeitet nun mit diesen Methoden. Sie müssten als Standard vorgeschrieben werden.« Doch entscheidend ist für Fuentelsaz die Schließung der illegalen Brunnen: »Wenn das nicht passiert, werden die Landwirte die Grundwasserader zerstören, die für die Doñana und auch für sie selbst so wichtig ist. Wir verlieren die Henne, die für uns die goldenen Eier legt.« Und Figuerola bilanziert: »Noch können wir die Doñana wiederherstellen. Aber niemand weiß, ab welchem Zeitpunkt es kein Zurück mehr gibt.«

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