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Astronomie: Die Milchstraße ist erfüllt von Dunkler Materie

Die besten Geschwindigkeitsmessungen in unserer Galaxie zeigen: Es muss reichlich Dunkle Materie in unserer Nachbarschaft geben. Kann das die letzten Zweifler überzeugen?
Die Milchstraße von oben

Es müssen nicht immer brandneue Messwerte oder kreative Gipfelstürme sein, um in der Wissenschaft einen Sprung nach vorne zu tun. Manchmal genügen auch Verstand und Fleiß. Eine solche Fleißarbeit dreier Astrophysiker zeigt nun erstmals, dass es wohl auch in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, von Dunkler Materie wimmelt. Jenem Stoff also, der 85 Prozent der Masse des Universums ausmachen soll, ohne dass ihn je ein Mensch zu Gesicht bekommen hat.

Das internationale Wissenschaftlerteam um Fabio Iocco vom ICTP South American Institute for Fundamental Research in São Paulo hat in einer aufwändigen Sammelaktion eine große Zahl der aktuellsten verfügbaren Daten über die Rotationsgeschwindigkeiten verschiedener interstellarer Objekte wie Gaswolken und Sternhaufen zusammengetragen und aus diesen Daten eine so genannte Rotationskurve für das Innere der Milchstraße erstellt. Unsere Galaxie sei keine feste Scheibe, erklärt Iocco gegenüber der "Los Angeles Times". "Man muss sie sich eher wie aus mehreren Zwiebelringen zusammengesetzt vorstellen, und jeder Ring dreht sich mit einer anderen Geschwindigkeit." Wie schnell sich welche Teile bewegen, gibt die Rotationskurve an, die nun für die Milchstraße dank der Ergebnisse von Iocco und Kollegen weitaus detaillierter und umfangreicher bekannt ist als bisher.

Das Zentrum der Milchstraße | Auch unsere Galaxie ist von der ominösen Dunklen Materie erfüllt, wie aktuelle Berechnungen zeigen. Bei den dunklen Flecken, die sich in der dramatischen Aufnahme der Milchstraße über dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) der Europäischen Südsternwarte zeigen, handelt es sich allerdings um Staubwolken.

Zusätzlich berechneten die Forscher anhand von Modellen die Rotationskurven, die sich ergeben, wenn man allein die bekannte Verteilung sichtbarer Materie berücksichtigt. Als sie beide Kurven verglichen, fanden sie eine Abweichung – eine Lücke zwischen den Rotationskurven aus den Messdaten und denen aus ihren Computermodellen. Und schließlich ermittelten die Forscher, wie sich die Dunkle Materie nach gängigen Simulationen in das Bild fügen würde. "Interessanterweise wird die gefundene Abweichung genau durch die aus den Simulationen erwartete Verteilung der Dunklen Materie gedeckt, wobei man betonen muss, dass die Autoren ihre neuen Daten zu der Lücke in keiner Weise als Annahme hineinstecken", sagt Volker Springel, Astrophysiker am Heidelberger Institut für Theoretische Studien H-ITS und der Universität Heidelberg. Springel hat den Kode für die Illustris-Simulation entwickelt, der bislang großräumigsten Berechnung der Entstehung von Galaxien.

Dunkle Materie kann die Ergebnisse am besten erklären

Die Studie von Iocco und Kollegen, an der Springel selbst nicht beteiligt war, werde großen Einfluss auf zukünftige Modelle der Milchstraße haben, schätzt der Forscher. Möglich wurde sie, weil sich die Datenlage für die Milchstraße in den letzten Jahren erheblich verbessert hat. Schon früher fand man mit vergleichbaren Analysen Hinweise auf Dunkle Materie in anderen Galaxien. Doch die Messungen in unserer eigenen Galaxie waren mit zu großen Unsicherheiten behaftet, um verlässliche Rotationskurven zu bestimmen. "Offenbar hat sich das jetzt geändert", sagt Springel, es habe sich nur jemand die Mühe machen müssen, alles zusammenzutragen. "Als wir begannen, daran zu arbeiten, waren wir etwas überrascht, dass die Berechnungen noch niemand angestellt hatte", gesteht Iocco.

Für die überwältigende Mehrheit der Astronomen kann die Dunkle Materie die Entstehung großräumiger Strukturen im Universum und die beobachtete Bewegung der Galaxien am besten erklären. Denn geht man nur von sichtbarer Materie aus, müssten sich beispielsweise Galaxien langsamer drehen, als das Messungen zufolge der Fall ist. Die zusätzliche Beschleunigung lässt sich mit einem Mehr an Materie begründen. Diese entzieht sich aber bislang jeglichem direktem Nachweis. Hier bietet die Dunkle Materie eine Lösung: Der Theorie nach besitzen ihre Partikel zwar eine Masse, sie treten aber nicht mit elektromagnetischer Strahlung in Wechselwirkung, ganz im Gegensatz zu der bekannten sichtbaren Materie.

Ausschnitt aus der Illustris-Simulation des Universums | In diesem von Supercomputern berechneten Bild wird die Verteilung der Dunklen Materie in Blautönen und die Geschwindigkeit der Gase aus normaler Materie in Rot dargestellt.

Doch eine kleine Minderheit von Forschern lehnt diesen Ausweg ab. Einer ihrer prominentesten Vertreter ist Pavel Kroupa vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn. Er und seine Mitstreiter bevorzugen einen anderen Ansatz, um die Beobachtungen zu erklären. Sie wollen stattdessen dem newtonschen Gravitationsgesetz zu Leibe rücken. Wenn man dieses geringfügig anpasste, so glauben Kroupa und Co., ließe sich das Verhalten der Galaxien im Universum auch ohne eine neue Materieform erklären. Diese Idee firmiert unter dem Namen MOND-Hypothese, MOND steht für "Modifizierte newtonsche Dynamik". Folglich hält Kroupa das Paper von Iocco und Kollegen für falsch. "Es ist nicht richtig, dass sie Evidenz für Dunkle-Materie-Teilchen gefunden haben."

Licht ins Dunkel der Materie

Wenn man die Milchstraße mit "newtonschen Augen" beobachte, finde man im inneren Bereich zwar eine erhöhte Dichte an Materie. Dieses sei aber keine echte Dunkle Materie, sondern nur eine falsche "geisterhafte Dunkle Materie". Um genaue Aussagen treffen zu können, müsse man die gesamte Milchstraße in hoher Auflösung mit der korrekten Verteilung der normalen Materie nach der MOND-Hypothese berechnen. "Das hat bisher noch keiner gemacht, und ein Antrag von mir bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit dem Ziel, dieses zu bewerkstelligen, wurde abgelehnt", beklagt Kroupa.

Eine "Krise der Dunklen Materie", wie sie Kroupa sieht, kann auch Gianfranco Bertone, einer der drei Autoren der aktuellen Studie, nicht erkennen. Im Gegenteil. Gegenüber der "Neuen Zürcher Zeitung" erläutert er, dass die MOND-Hypothese im Fall der Milchstraße nicht weiterführe. Die Unterschiede in den Rotationskurven zeigten sich bereits in den inneren Bereichen der Milchstraße. Hier verhalte sich die Gravitation in der populärsten Version der MOND-Hypothese aber genau so, wie es nach den klassischen newtonschen Formeln zu erwarten wäre. Eine demnächst erscheinende Publikation werde das zeigen.

Die Autoren hoffen, dass sich mit Hilfe der Ergebnisse die Kenntnis vom Aufbau und der Entwicklung unserer Galaxie verfeinern lässt. Die Arbeit eröffne außerdem vielfältige Möglichkeiten, bei der Suche nach der Dunklen Materie voranzukommen. "Sie wird zuverlässigere Vorhersagen für die vielen Experimente ermöglichen, die weltweit nach Dunkle-Materie-Teilchen suchen", so der dritte Autor der Studie, Miguel Pato von der Universität Stockholm.

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