Paläoforensik: Die Mordakte Neandertaler
Ein verletzter Rippenknochen und zwei Schweinehälften liefern neue Hinweise auf die alte Frage: Haben Neandertaler und moderner Mensch den Feuerstein gegeneinander erhoben?
Entdeckt wurde Shanidar 3, der betagte Neandertalermann, Ende der 1950er Jahre im heutigen Irak. Der kleine, scharfkantige Ritzer in seiner linken Rippe fiel sofort auf. Hatte ihm ein Artgenosse diese letztendlich tödliche Verletzung beigebracht? Gab es einen Unfall beim Jagen? Oder war es ein kriegerischer Homo sapiens, der damals in der gleichen Gegend lebte?
Realistischerweise kommen für den Tathergang nur vier Szenarien in Frage: a) eine Messerattacke, die keine Rückschlüsse auf die Spezies des Angreifers zulässt, b) der gezielte Angriff oder versehentliche Stoß mit einer Neandertalerlanze, c) der Treffer aus einer Speerschleuder, wie sie nur anatomisch moderne Menschen verwendeten, und d) sonstiges.
Alle Möglichkeiten außer der letzten wollen Churchill und Kollegen jetzt in einem einigermaßen lebensnahen Experiment abgedeckt haben. Sie besorgten sich im Schlachthaus Schweinehälften, bauten drei verschiedene Feuersteinspitzen nach Neandertaler- und Sapiens-Art und feuerten diese dann mittels einer Schussvorrichtung auf die Rippen der Tiere. Anschließend verglichen sie die freipräparierten Schweineknochen mit denen von Shanidar 3.
"Wir glauben, dass eine Projektilwaffe die beste Erklärung für diese Verletzung liefert", fasst Churchill zusammen. "Und wenn man sich jetzt einmal anschaut, wer damals solche Teile hatte und wer nicht, dann spricht alles dafür, dass es mindestens einen Fall von Aggression zwischen den beiden Menschenarten gab."
Als entscheidend erwies sich die Wucht, mit der die Projektile auf den Kadaver trafen. Die wiederum hängt stark von der jeweiligen Angriffstechnik ab. So geht man heute davon aus, dass der jagende Neandertaler seinen recht klobigen Speer nicht schleuderte, sondern wie einen Spieß in das Wild rammte. Die dabei entstehenden Absplitterungen und Brüche fanden sich an der Shanidar-Rippe allerdings nicht. Außerdem wurden in solchen Fällen beim Experiment immer mindestens zwei der Schweinerippen in Mitleidenschaft gezogen.
Auch eine Messerattacke wäre nach Ansicht der Forscher mit mehr kinetischer Energie geführt worden, als auf Grund der Rippenverletzung anzunehmen sei. Zu einem Angriff mit dem Feuersteindolch hätte immerhin der am Skelett ablesbare Eintrittswinkel von 45 Grad gepasst. Dass die Klinge den Neandertaler von oben herab traf, spricht im Übrigen auch gegen einen Unfall mit dem eigenen Speer.
Das passt aber tatsächlich ganz wunderbar zu der von Churchill und Kollegen favorisierten Theorie: ein Homo-sapiens-Projektil, dessen ballistische Flugbahn in Rippe 9L des Neandertalers endete. Vom Menschen nehmen Wissenschaftler an, dass er zu Lebzeiten des Opfers bereits über Speerschleudern verfügte. Mit den meist etwa unterarmlangen Wurfvorrichtungen lassen sich kleine Speere oder – je nach Sichtweise – große Pfeile verschießen, deren Aufprallenergie allerdings trotzdem unter der einer Stoßlanze oder eines Messers liegt. Das hatten vorhergehende Versuche ergeben. Und nur die eleganten kleinen Spitzen der Schleuderpfeile hinterließen in den Schweinehälften Verletzungen, die denen des Neandertalers ähneln, sagt Churchill.
Über das Einzelschicksal hinaus interessiert an der Akte Shanidar natürlich, was sie über das Zusammenleben der Menschenarten verrät. Angesichts der insgesamt eher dünnen Besiedlung gehen die meisten Wissenschaftler davon aus, dass beide Arten sich selten zu Gesicht bekamen. Die These, dass unsere Vorfahren beim Aussterben der Neandertaler sogar nachhalfen, ist schon lange vom Tisch.
"Wir wollen auch keineswegs behaupten, dass die modernen Menschen in einer Art Blitzkrieg durch die Lande zogen und Neandertaler hinrichteten", betont der Forscher. Konflikte könnte es trotzdem gegeben haben, und bei der technischen Überlegenheit des Homo sapiens endeten einige vielleicht tödlich.
Den Fall als gelöst anzusehen und alle anderen Verletzungsursachen auszuschließen, so weit will Churchill dann aber letztlich doch nicht gehen. Irgendwie lasse sich die Verletzung mit allen Waffen in Einklang bringen. Denn bei alldem bleibt in Szenario d noch viel Platz für Spekulationen: Vielleicht war ja der alte Neandertaler – nicht mehr ganz so sicher auf den Beinen und dick mit Fellen gepolstert – einfach in den Speer seines Verwandten gestolpert.
50 Jahre Diskussion später, und die Forscher sind noch kein Stück weiser, urteilt der Anthropologe Steven Churchill von der Duke University im US-amerikanischen Durham. Denn: Es fehlt an harten Fakten. Die Tatwaffe wurde leider nicht mitbeerdigt, und welche Spuren die damals in Gebrauch befindlichen Klingen an menschlichen Knochen hinterlassen, ist bis auf wenige Ausnahmen unbekannt. Aber nur über die Mordwaffe lässt sich dieser nun rund 50 000 Jahre alte Fall aufklären.
Realistischerweise kommen für den Tathergang nur vier Szenarien in Frage: a) eine Messerattacke, die keine Rückschlüsse auf die Spezies des Angreifers zulässt, b) der gezielte Angriff oder versehentliche Stoß mit einer Neandertalerlanze, c) der Treffer aus einer Speerschleuder, wie sie nur anatomisch moderne Menschen verwendeten, und d) sonstiges.
Alle Möglichkeiten außer der letzten wollen Churchill und Kollegen jetzt in einem einigermaßen lebensnahen Experiment abgedeckt haben. Sie besorgten sich im Schlachthaus Schweinehälften, bauten drei verschiedene Feuersteinspitzen nach Neandertaler- und Sapiens-Art und feuerten diese dann mittels einer Schussvorrichtung auf die Rippen der Tiere. Anschließend verglichen sie die freipräparierten Schweineknochen mit denen von Shanidar 3.
"Wir glauben, dass eine Projektilwaffe die beste Erklärung für diese Verletzung liefert", fasst Churchill zusammen. "Und wenn man sich jetzt einmal anschaut, wer damals solche Teile hatte und wer nicht, dann spricht alles dafür, dass es mindestens einen Fall von Aggression zwischen den beiden Menschenarten gab."
Als entscheidend erwies sich die Wucht, mit der die Projektile auf den Kadaver trafen. Die wiederum hängt stark von der jeweiligen Angriffstechnik ab. So geht man heute davon aus, dass der jagende Neandertaler seinen recht klobigen Speer nicht schleuderte, sondern wie einen Spieß in das Wild rammte. Die dabei entstehenden Absplitterungen und Brüche fanden sich an der Shanidar-Rippe allerdings nicht. Außerdem wurden in solchen Fällen beim Experiment immer mindestens zwei der Schweinerippen in Mitleidenschaft gezogen.
Auch eine Messerattacke wäre nach Ansicht der Forscher mit mehr kinetischer Energie geführt worden, als auf Grund der Rippenverletzung anzunehmen sei. Zu einem Angriff mit dem Feuersteindolch hätte immerhin der am Skelett ablesbare Eintrittswinkel von 45 Grad gepasst. Dass die Klinge den Neandertaler von oben herab traf, spricht im Übrigen auch gegen einen Unfall mit dem eigenen Speer.
Das passt aber tatsächlich ganz wunderbar zu der von Churchill und Kollegen favorisierten Theorie: ein Homo-sapiens-Projektil, dessen ballistische Flugbahn in Rippe 9L des Neandertalers endete. Vom Menschen nehmen Wissenschaftler an, dass er zu Lebzeiten des Opfers bereits über Speerschleudern verfügte. Mit den meist etwa unterarmlangen Wurfvorrichtungen lassen sich kleine Speere oder – je nach Sichtweise – große Pfeile verschießen, deren Aufprallenergie allerdings trotzdem unter der einer Stoßlanze oder eines Messers liegt. Das hatten vorhergehende Versuche ergeben. Und nur die eleganten kleinen Spitzen der Schleuderpfeile hinterließen in den Schweinehälften Verletzungen, die denen des Neandertalers ähneln, sagt Churchill.
Über das Einzelschicksal hinaus interessiert an der Akte Shanidar natürlich, was sie über das Zusammenleben der Menschenarten verrät. Angesichts der insgesamt eher dünnen Besiedlung gehen die meisten Wissenschaftler davon aus, dass beide Arten sich selten zu Gesicht bekamen. Die These, dass unsere Vorfahren beim Aussterben der Neandertaler sogar nachhalfen, ist schon lange vom Tisch.
"Wir wollen auch keineswegs behaupten, dass die modernen Menschen in einer Art Blitzkrieg durch die Lande zogen und Neandertaler hinrichteten", betont der Forscher. Konflikte könnte es trotzdem gegeben haben, und bei der technischen Überlegenheit des Homo sapiens endeten einige vielleicht tödlich.
Den Fall als gelöst anzusehen und alle anderen Verletzungsursachen auszuschließen, so weit will Churchill dann aber letztlich doch nicht gehen. Irgendwie lasse sich die Verletzung mit allen Waffen in Einklang bringen. Denn bei alldem bleibt in Szenario d noch viel Platz für Spekulationen: Vielleicht war ja der alte Neandertaler – nicht mehr ganz so sicher auf den Beinen und dick mit Fellen gepolstert – einfach in den Speer seines Verwandten gestolpert.
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