Algebraische Geometrie: Die Mordell-Vermutung treibt auch nach 100 Jahren Mathematiker um
1983 bewies der deutsche Mathematiker Gerd Faltings die Mordell-Vermutung – und die Nachwirkungen dieser Arbeit sind bis heute spürbar. Die Vermutung dreht sich um die Frage, wann bestimmte Gleichungen nur endliche viele rationale Lösungen besitzen; bei denen sich das Ergebnis also als Bruchzahl schreiben lässt. Faltings Beweis beantwortete damit eine Frage, die seit den frühen 1900er Jahren offen war, und wurde mit der Fields-Medaille belohnt, eine der höchsten Auszeichnungen des Fachs. Darüber hinaus eröffnete er Möglichkeiten, um weitere Rätsel rund um Gleichungen zu lösen, von denen viele noch heute erforscht werden.
Die Mordell-Vermutung dreht sich um polynomiale Gleichungen mit zwei Variablen, wie x2 + y4 = 4. Eine solche Polynomgleichung definiert eine gekrümmte Kurve. Wenn der Punkt (x, y) auf der Kurve liegt und sich sowohl x als auch y als Bruchzahl schreiben lassen, dann ist (x, y) eine rationale Lösung der dazugehörigen Gleichung. Das ist zum Beispiel für (2, 0) der Fall, während (√3, 1) keine rationale Lösung darstellt.
Die Mordell-Vermutung verbindet die Topologie der Kurve mit der Anzahl der rationalen Punkte, die sie durchläuft. Die topologische Eigenschaft, um die es dabei geht – eine Größe namens Geschlecht – hängt mit dem höchsten Exponenten in der Polynomgleichung zusammen. Wie alle topologischen Eigenschaften bleibt das Geschlecht einer Kurve stets gleich, auch wenn sie auf bestimmte Art und Weise verformt wird. Faltings konnte zeigen, dass eine Gleichung bloß endlich viele rationale Lösungen besitzt, wenn die dazugehörige Kurve ein Geschlecht von zwei oder mehr hat. Für Kurven mit Geschlecht null oder eins kann es hingegen unendlich viele rationale Lösungen geben.
»Wenn das Geschlecht ausreichend groß ist, ist die Kurve irgendwie geometrisch kompliziert«Holly Krieger, Mathematikerin
»Vor etwas mehr als 100 Jahren stellte Mordell die Vermutung auf, dass das Geschlecht die Endlichkeit oder Unendlichkeit der rationalen Punkte auf einer Kurve bestimmt«, sagt die Mathematikerin Holly Krieger von der University of Cambridge. Sie hielt 2024 einen Vortrag über die Geschichte der Mordell-Vermutung bei der Konferenz Joint Mathematics Meetings. »Wenn das Geschlecht ausreichend groß ist, ist die Kurve irgendwie geometrisch kompliziert«, erklärt sie.
Neue Wege beschreiten
Faltings Beweis eröffnete Möglichkeiten, um weitere Fragen rund um die Mordell-Vermutung zu erforschen. Eine ist die Uniform-Mordell-Lang-Vermutung, die Barry Mazur von der Harvard University 1986 formulierte. 25 Jahre später wurde sie durch mehrere Arbeiten von vier Mathematikern bewiesen: Vesselin Dimitrov vom California Institute of Technology, Ziyang Gao von der University of California in Los Angeles und Philipp Habegger von der Universität Basel, die gemeinsam daran arbeiteten, sowie von Lars Kühne vom University College Dublin, der seine Forschung allein verfolgte.
Die Uniform-Mordell-Lang-Vermutung weitet die ursprüngliche mathematische Diskussion auf höherdimensionale Objekte aus. Was lässt sich über die Beziehung zwischen dem Geschlecht und der Anzahl der rationalen Lösungen für hochdimensionale Strukturen wie Flächen oder Mannigfaltigkeiten sagen? Wie die vier Forscher zeigen konnten, hängt in diesem Fall die Obergrenze der rationalen Punkte ausschließlich vom Geschlecht des Objekts ab. Bei Oberflächen entspricht das Geschlecht der Anzahl an Löchern, zum Beispiel hat ein Donut Geschlecht eins.
»Es ist ein kleines Wunder, dass sie überhaupt existieren«Vesselin Dimitrov, Mathematiker
Laut Dimitrov, Gao und Habegger gibt es dabei jedoch eine wichtige Einschränkung: »Die geometrischen Objekte müssen in einer ganz besonderen Art von Umgebungsraum enthalten sein, einer so genannten abelschen Varietät«, betonen sie. Dabei handelt es sich um geometrische Objekte, die durch Polynomgleichungen definiert sind; sie verfügen aber zudem über eine bestimmte Gruppenstruktur. »Abelsche Varietäten haben viele überraschende Eigenschaften, und es ist ein kleines Wunder, dass sie überhaupt existieren«, schreiben die drei Forscher.
Eine der grundlegendsten Fragen des Fachs
»Der Beweis der Uniform-Mordell-Lang-Vermutung löst nicht nur ein Problem, das seit vielen Jahren offen ist«, sagt Krieger. »Er berührt den Kern der grundlegendsten Fragen der Mathematik.« Eines der wichtigsten Probleme der Algebra und der Zahlentheorie besteht darin, die rationalen Lösungen von Polynomgleichungen zu bestimmen. Solche »diophantischen Probleme« beschäftigen Fachleute seit Jahrtausenden.
»Die Mordell-Vermutung ist ein Beispiel dafür, dass die Geometrie die Arithmetik bestimmt«, erklärt Habegger. »Der Beweis der Uniform-Mordell-Lang-Vermutung zeigt, dass die Anzahl der rationalen Punkte im Wesentlichen durch die Geometrie begrenzt ist.« Allerdings liefert der Beweis keine genauen Angabe darüber, wie viele rationale Lösungen genau existieren – er schränkt die Anzahl bloß ein. »Angenommen, man weiß, dass die Anzahl der rationalen Lösungen höchstens eine Million beträgt. Wenn man aber nur zwei Lösungen findet, wird man nie wissen, ob es noch mehr davon gibt«, sagt Habegger.
»Das Schöne an der Mordell-Vermutung ist, dass sie eine Welt weiterer Fragen eröffnet«Barry Mazur, Mathematiker
Mit dem 2021 veröffentlichten Beweis ist die Forschung rund um die Mordell-Vermutung also noch lange nicht beendet. »Das Schöne an ihr ist, dass sie eine Welt weiterer Fragen eröffnet«, sagt Mazur. Laut Habegger besteht die wichtigste Aufgabe darin, das »Effective-Mordell-Problem« zu lösen – ein Ableger der ursprünglichen Vermutung. Mit diesem ließe sich exakt bestimmen, wie viele rationale Lösungen eine Gleichung besitzt. Damit würden Mathematiker ihrem Traum, mit Hilfe eines Algorithmus alle rationalen Lösungen einer Gleichung zu finden, ein gutes Stück näherkommen.
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