Biokraftstoff: Volle Biokraft voraus
Ab Ende 2015 sollen alle British-Airways-Flüge vom Flughafen London City mit Abfall betrieben werden – mit Altpapier, Lebensmittelresten, Gartenabfällen und sonstigem organischen Müll, den die Bewohner der Stadt produzieren.
Bevor der Abfall allerdings in Flugzeugen landet, wird er bei GreenSky London verarbeitet: einer im Bau befindlichen Biokraftstoffanlage im östlichen Teil der Stadt. Jedes Jahr soll die Anlage rund 500 000 Tonnen an Hausmüll schlucken und die organischen Bestandteile darin in 60 000 Tonnen Flugzeugtreibstoff, eine ähnliche Menge an Dieselkraftstoff zusammen mit benzinähnlichem Naphtha und 40 Megawatt an Energie umwandeln.
In konventionellen Erdölraffinerien würden solche Erträge kaum auffallen, denn hier erzeugt man vergleichbare Mengen üblicherweise in nur einer Woche. Doch "genügend Biomasse zu sammeln, um eine Raffinerie in einem solchen Maßstab zu betreiben, ist fast undenkbar", sagt Nathanael Greene als Leiter des Bereichs "Politik für erneuerbare Energien" des Natural Resources Defense Council in New York City. GreenSky London ist typisch für Biokraftstoffreaktoren der zweiten Generation, die nicht nur gewissermaßen Allesfresser sind – sie können mit Maisstroh, Holzspänen und anderen landwirtschaftlichen Abfällen gefüttert werden ebenso wie mit Hausmüll –, sondern auch verhältnismäßig klein. Man hofft, dass mit ihnen Transportkosten drastisch reduziert werden, da man die Reaktoren zur Biomasse bringt statt anders herum.
Befürworter argumentieren, dass neue katalytische Verfahren sowie kompakte Designs die Biokraftstoffanlagen der zweiten Generation nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch rentabel genug machen, um auch ohne Subventionen mit erdölbasierten Kraftstoffen konkurrieren zu können. Wie realistisch diese Aussicht ist, bleibt allerdings fraglich. Zumindest einige geben den neuen Bioraffinerien eine Chance – weltweit entstehen derzeit entsprechende Anlagen, in Finnland ebenso wie in Mississippi oder Alaska.
Setzen sich diese Anlagen der zweiten Generation durch, so Greene, bieten sie gegenüber ihren Vorgängern zumindest einen entscheidenden Vorteil: Der Kraftstoff eignet sich – ohne viel zusätzlichen Kohlenstoff freizusetzten ,- auch für bestehende Fahrzeuge.
Die eingeschränkte Verträglichkeit für Motoren war ein zentrales Problem von Biokraftstoffanlagen der ersten Generation. Diese basieren auf einer über Jahrtausende entwickelten Technik, mit der man für gewöhnlich Bier, Wein und Spirituosen herstellt: Die Anlagen zermahlen Nahrungsmittel wie Mais oder Zuckerrohr, fügen Wasser und Hefe hinzu und lassen die Zutaten gären. Das Ergebnis ist reichlich Ethylalkohol, ein ausgezeichneter Brennstoff, der auch mit Benzin vermischt werden kann.
Doch Kraftstoffe aus Nahrung herzustellen, ist in einer Welt mit wachsender Bevölkerung und begrenzten Anbauflächen keine wirklich gute Idee. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet die Biokraftstoffindustrie deshalb an wirtschaftlichen Verfahren, um Maisstroh, Holzspäne und andere Nebenprodukte zu nutzen, die derzeit in den Müll wandern. Für den Fermentationsansatz stellen diese Materialien eine Herausforderung dar, denn sie enthalten stabile, langkettige Moleküle wie Zellulose und Lignin, die Hefen nicht einfach zersetzen können. In den vergangenen fünf bis zehn Jahren ließ sich dieses Hindernis teilweise überwinden, indem man die Materialien zuvor mit Säuren und Enzymen behandelte. Gewerbliche Anlagen zur Produktion von Zelluloseethanol entstehen derzeit in Iowa und Kansas.
Bis an die Grenzen
Doch auch diesen Anlagen haftet noch der größte Nachteil des Fermentationsansatzes an: die so genannte Beimischungsgrenze. Denn mischt man zu viel Ethanol in Benzin, kann Korrosion in Kraftstoffleitungen und Automotoren auftreten. Für die aktuellen Typen liegt diese Grenze bei rund 10 bis 15 Prozent – und die Fermentationsanlagen der ersten Generation produzieren bereits mehr als genug Ethanol, um diesen Bedarf zu decken. Tatsächlich stehen mehrere Ethanolraffinerien in den USA, obwohl erst in den vergangenen zehn Jahren gebaut, bereits still – Leidtragende von dürrebedingten Preissteigerungen und Marktsättigung.
Diese Umstände sowie historisch hohe Ölpreise – der Preis pro Barrel liegt derzeit bei rund 100 US-Dollar und bewegte sich auch in den vergangenen neun Jahren auf beträchtlichem Niveau – ließ die Branche intensiv an einem neuen Ansatz forschen: In thermochemischen Reaktoren wird Biomasse mit Hilfe von Wärme und Katalysatoren direkt in verschiedene Kraftstoffe umgewandelt.
Das am weitesten verbreitete thermochemische Verfahren ist die Vergasung: Kohlenstoffreiche Materialien wie Kohle, Holzspäne oder Hausmüll werden erhitzt und auf diese Weise Synthesegas erzeugt – ein Gemisch hauptsächlich aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid mit Spuren von Kohlendioxid und anderen Gasen (siehe Infografik). In den Anlagen von GreenSky London sollen ein oder mehrere von der Firma Solena Fuels in Washington DC eigens entwickelte Vergasereinheiten diesen Schritt erledigen, indem sie die Abfälle mit gebündelten Strahlen aus ionisiertem Plasma auf gut 3500 Grad Celsius aufheizen und so verdampfen. Diese Plasmajets verbrauchen mehr Energie als andere Vergasungsverfahren, in denen man die Biomasse auf Sand oder einem anderem Material ablegt und von unten erhitzt. GreenSky London entschied sich dennoch für die energieintensivere Variante, da die Bestandteile von Siedlungsabfällen erheblich variieren können. Die Temperatur der Plasmajets lässt sich aber so einstellen, dass die Zusammensetzung des Synthesegases stets gleich ausfällt.
Diese Konstanz ist wichtig für den zweiten Schritt des Verfahrens. Das Synthesegas wird hierbei in einen chemischen Reaktor geleitet, der im Fall von GreenSky von der Firma Velocys in Plain City, US-Bundesstaat Ohio, hergestellt wird. Im Reaktor durchläuft das Gas die so genannte Fischer-Tropsch-Synthese, bei der Wasserstoff und Kohlenmonoxid zu langkettigen Kohlenwasserstoffen umgesetzt werden. Velocys gestaltete sein System erstaunlich kompakt, indem es kobalthaltige Katalysatorpartikel mit Durchmessern im Nanometerbereich einsetzt und diese entlang einer Reihe von Mikrokanälen anordnet, durch die das Synthesegas strömt. Die Reaktionsflächen entsprechen dadurch der effektiven Fläche einer deutlich größeren Anlage.
Die Anlagen wurden zudem so modular wie möglich gebaut, so dass die einzelnen Komponenten in einer Fabrik gefertigt und dann vor Ort zusammengesteckt werden können. "Man muss die Wirtschaftlichkeit nicht durch die Größe, sondern durch die Bauart erzielen", sagt Neville Hargreaves, bei Velocys für die Geschäftsentwicklung verantwortlich.
Ein anderes kompaktes System ist der Vergaser BioMax – entwickelt von der Community Power Corporation in Englewood, Colorado. Dem Unternehmen zufolge sei diese Anlage ebenfalls modular aufgebaut und Platz sparend genug, um vier davon in einem handelsüblichen Schiffscontainer zu verstauen. Ferner könne die Anlage nahezu jede Form von zerkleinerter Biomasse verwerten, von Essensresten über Pappe bis hin zu Holzabfällen. Das erzeugte Synthesegas kann dann an Stelle von Erdgas zum Heizen, Kühlen oder zur Stromerzeugung verwendet werden. Eine typische Anlage erzeugt etwa 150 Kilowatt – genug, um zwischen 25 und 50 Haushalte mit Energie zu versorgen, drei Supermärkte zu betreiben oder lebenserhaltende Geräte in einem Krankenhaus am Laufen zu halten. Und in naher Zukunft sollen sich die BioMax-Systeme auch um einen Fischer-Tropsch-Reaktor erweitern lassen, so dass man damit auch Biodiesel herstellen kann.
2011 wurde Community Power von der Afognak Native Corporation gekauft, die den Ureinwohnern auf Afognak Island in Alaska gehört. Sie wollen die Anlagen in Alaska und Nordkanada verkaufen, wo Strom und Treibstoff teuer sind.
Saubere Verbrennung
Eines der stärksten Argumente für das zweistufige Verfahren: Fast das gesamte Synthesegas wird in Kohlenwasserstoffe ohne Doppelbindungen oder Ringstrukturen umgewandelt. Die so hergestellten Biokraftstoffe verbrennen sauber und vollständig. Doch dieser Vorteil hielt Forscher nicht davon ab, auch einstufige Alternativen zu erforschen. Im so genannten Pyrolyseansatz erhitzt man die Biomasse ohne zusätzlich zugeführten Sauerstoff auf etwa 500 Grad Celsius und setzt sie direkt in organische Flüssigkeiten um. Mit üblicher Technik lassen sich diese Flüssigkeiten dann zu Kraftstoffen weiterverarbeiten. Verglichen mit der Vergasung ist die Pyrolyse noch relativ unausgereift, berichtet Mark Nimlos vom National Renewable Energy Laboratory in Boulder, Colorado. Aber das kann man auch als Vorzug ansehen, fügt der leitende Wissenschaftler hinzu. "Es gibt viel Potenzial zur Verbesserung."
Mehrere Unternehmen prüfen bereits die Wirtschaftlichkeit dieser Technik. Zum Beispiel hat sich UOP aus Des Plaines, Illinois – eine Tochter des Mischkonzerns Honeywell International mit Sitz in New Jersey – mit Ensyn Technologies aus Ottawa zusammengeschlossen, um die von Ensyn gebauten Anlagen zur schnellen thermischen Bearbeitung (Rapid Thermal Processing, RTP) zu vermarkten. Die Firmen planen diese Anlagen neben Sägewerken zu betreiben, wo aus den Holzabfällen jedes Jahr jeweils rund 76 Millionen Liter Pyrolyseöl entstehen könnten. Würde dieser Ertrag direkt als Heizöl verbrannt, ließen sich damit 31 000 Haushalte heizen; alternativ könnte man das Pyrolyseöl auch zu Benzin weiterverarbeiten und den Tank von 35 000 typischen US-Autos füllen.
Das Bioraffinerieunternehmen Green Fuel Nordic im finnischen Kuopio will mindestens eine RTP-Anlage in der Stadt Iisalmi aufstellen – Abfälle aus der umfangreichen Forstindustrie des Landes ließen sich hier verwerten. Zusammen mit der Europäischen Kommission erarbeitet die Firma eine Reihe von Qualitätsstandards für Pyrolysebrennstoffe. Ein Inhaltsstoff, der Sorgen bereitet, ist Teer. Der klebrige Rückstand aus langkettigen Molekülen lässt sich nur schwer raffinieren. Eine weitere Herausforderung stellt Sauerstoff dar, der in Biomasse reichlich vorhanden ist und mit dem Pyrolyseöl reagiert. Die dabei entstehenden organischen Säuren greifen dann Teile der Raffinerieanlage an. Wissenschaftler suchen bereits nach Wegen, mit diesen beiden Problemstoffen umzugehen. Will man den Sauerstoff loswerden, besteht derzeit der einfachste Weg darin, aus Erdgas gewonnenen molekularen Wasserstoff in den Prozess zu geben. Doch das würde nicht nur den klimafreundlichen Aspekt von Pyrolyseöl untergraben, sondern auch die Kosten nach oben treiben.
Die Wirtschaftlichkeit von Biokraftstoffanlagen zweiter Generation ist bislang noch nicht bewiesen – egal um welchen Ansatz es sich handelt. Das zeigt auch die Geschichte einer der weltweit modernsten Pyrolyse-Bioraffinerien in Columbus, Mississippi. Die 225 Millionen Dollar teure Anlage gehört der Firma KiOR mit Sitz in Pasadena, Texas, und erzeugte 2013 rund 3,5 Millionen Liter an Benzin und Dieselkraftstoff aus Holzabfällen. Konventionelle Erdölraffinerien erzeugen zwar eine ähnliche Menge an einem Tag, dennoch war die technische Realisierbarkeit damit belegt. Im Januar schaltete KiOR die Columbus-Raffinerie ab, um Upgrades durchzuführen. Doch schon Ende August werden der Firma die Betriebsmittel ausgehen – und bis dahin reicht das Geld auch nur, weil KiOR sich Anfang April ein Darlehen in Höhe von 25 Millionen Dollar sicherte. Kreditgeber ist Risikokapitalinvestor und Milliardär Vinod Khosla, dessen Unternehmen – Khosla Ventures – das Projekt ursprünglich finanzierte.
Auch im Fall von GreenSky London bleibt fraglich, wie es um die Wirtschaftlichkeit steht. Die Betreiber – Velocys, Solena und British Airways – sind jedenfalls zuversichtlich. Zwar haben sie die Kosten der Anlage bislang nicht offengelegt, doch sieht keiner von ihnen Geld als zentrales Thema an. British Airways verspricht sich von dem Betrieb vor allem zwei positive Effekte: Einerseits lassen sich die von der Europäischen Union verordneten Ziele bei der Kohlendioxidemission leichter erreichen und andererseits ist eine zuverlässige Versorgung mit Flugzeugtreibstoff gewährleistet – ohne dabei den Preisschwankungen des Ölmarkts unterworfen zu sein. Solena und Velocys hoffen dagegen, dass nach GreenSky London viele solcher Anlagen rund um die Welt entstehen und Flughäfen mit Treibstoff beliefern.
Jedes Feld, jeder Wald und jede Deponie stellt eine potenzielle Energiequelle für diese Anlagen dar, so Hargreaves. Und der Bedarf an flüssigen Brennstoffen wird nie vollständig nachlassen. "In 50 Jahren wird der Verkehr auf dem Land vielleicht komplett auf elektrischen Antrieben beruhen", erzählt der Wissenschaftler. Aber Flugzeuge verlangen nach einer Energiedichte, die Batterien schlicht nicht bereitstellen können. Flüssiger Brennstoff, fährt er fort, "lässt sich eben nur sehr schwer ersetzen."
Der Artikel ist im Original als "Renewable energy: Biofuels heat up" in Nature erschienen.
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