Verhütung: Für immer Frauensache?
Bereits die bloße Vorstellung ist lusttötend: vor dem Sex einen Tierdarm über den Penis ziehen. Anfang des 19. Jahrhunderts – und gemäß unbestätigten Quellen schon viele hundert Jahre früher – war dies die einzig verfügbare Verhütungsmethode, sieht man einmal von der Kalendermethode ab. Schwangerschaftsverhütung reine Männersache? Das klingt heutzutage ungewohnt. Gut, die Anwendung dieser leicht befremdlichen Methode war vermutlich eher die Ausnahme als die Regel.
Angenehmer gestaltete sich die Verhütung mittels Schutzüberzug nach der Erfindung des Kondoms. Ab 1870 wurde es serienmäßig produziert (anfangs übrigens zwei Millimeter dick, heute in der Regel nur noch weniger als 0,1 Millimeter) und erfüllte fortan seinen Zweck. Bis Anfang der 1960er Jahre musste eine Frau ohne Babywunsch also darauf vertrauen, ihre fruchtbaren Tage genau zu kennen, oder das Bett mit einem verantwortungsbewussten Mann teilen, der einen solchen elastischen Überzieher stets griffbereit hatte.
Für die sexuelle Selbstbestimmung der Frau war die Erfindung der Antibabypille deshalb ein Segen. Bereits kurz nach ihrer Marktzulassung im Jahr 1960 avancierte sie in den Industrienationen zu dem am häufigsten verwendeten Verhütungsmittel. Heutzutage ist es vor allem für viele junge Frauen üblich, eine Schwangerschaft mittels der Antibabypille zu verhindern, und in vielen Partnerschaften gilt: Empfängnisverhütung? Frauensache. Denn Geschlechtsverkehr mit Schutzüberzug – auch wenn mittlerweile hauchdünn – fühlt sich doch nicht ganz so an wie ohne. Alternativen? Keine. Obwohl Wissenschaftler bereits seit etlichen Jahrzehnten danach suchen.
Antibabypille für den Mann
Womöglich könnte sich das aber bald ändern (wobei man hinzufügen muss, dass man das bereits des Öfteren dachte). Eine Variante, den Samen daran zu hindern, die Eizelle zu befruchten, beruht auf einem ähnlichen Prinzip wie die Wirkung der Antibabypille: Hormone können die Spermienbildung so stark drosseln, dass der Mann vorübergehend unfruchtbar wird. Nach Absetzen des Präparats wird die zelluläre Munition wieder scharf.
Doch im Vergleich zu Frauen ist dieser Ansatz bei Männern schwieriger zu realisieren: Dem weiblichen Körper lässt sich mit einer sehr niedrigen Dosis von Hormonen recht einfach vortäuschen, er sei schwanger. Als Folge stoppt der Eisprung. Bei Männern hingegen gibt es keinen natürlichen Zustand, in dem die Spermienproduktion aufhört. Deshalb können in der Regel nur hohe Hormonmengen zuverlässig verhindern, dass Samenzellen gebildet werden. Dieser physiologische Umstand erschwert die Entwicklung einer hormonellen Verhütung für den Mann.
Dennoch gibt es diesbezüglich immer wieder Anstrengungen, die teilweise viel versprechend waren oder sind: Aktuellste Testergebnisse über eine hormonelle Verhütungsmethode für den Mann stellten Forscher im März 2018 auf der Jahresversammlung der amerikanischen Endocrine Society vor: Die Teilnehmer ihrer Studie schluckten für ungefähr einen Monat täglich eine neue Prototyppille mit dem Wirkstoff Dimethandrolonundecanoat, kurz DMAU. Vorangehende Versuche hatten bereits gezeigt, dass das Mittel die Produktion von Spermien erheblich reduziert, indem es die Menge an bestimmten Hormonen im Körper senkt, darunter auch Testosteron. Was für männliche Ohren zunächst äußerst bedrohlich klingt, hatte laut dem Forscherteam jedoch keine beunruhigenden Nebenwirkungen. Manche der insgesamt 83 Teilnehmer, welche die Studien beendeten, nahmen etwas an Gewicht zu, und ihr Cholesterinspiegel ging leicht zurück. Die sexuelle Funktion veränderte sich nicht, jedoch berichteten neun Männer (einer davon hatte nur ein Placebo erhalten) über ein gemindertes sexuelles Lustempfinden. Manch ein Mann hat wohl jetzt schon genug gehört.
Vieles kann schiefgehen
Die klinische Studie war eine Phase-I-Studie. Erst wenn das Präparat in diesem Prüfabschnitt seine Verträglichkeit unter Beweis stellen kann, muss es erfolgreich zwei weitere, ausgiebigere Testphasen absolvieren, bevor es schließlich als medizinisches Mittel zugelassen wird. Und die Erfahrung zeigt, dass dabei noch viel schiefgehen kann. Im Jahr 2011 untersuchte beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation WHO in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Forschungsorganisation CONRAD (Contraceptive Research and Development Program) in einer internationalen Phase-II-Studie eine Verhütungsmethode, bei der die Männer alle acht Wochen eine Hormoninjektion erhielten.
Die beteiligten Wissenschaftler setzten große Hoffnungen auf das Präparat, hatte es doch bereits in Phase-I-Studien bewiesen, dass es die Spermienproduktion effizient verhindert, und dies ohne nennenswerte Nebenwirkungen. Das sollte sich nun aber ändern: Zwar hatte man unerwünschte Effekte wie Gewichtszunahme, Akne und Stimmungsschwankungen erwartet. Doch zusätzlich klagten einige der insgesamt 320 Teilnehmer über Depressionen und eine gesteigerte Libido – und zwar deutlich mehr, als die Studienleiter angenommen hatten.
Professor Michael Zitzmann, Oberarzt am Zentrum für Reproduktionsmedizin an der Universitätsklinik Münster, leitete damals den deutschen Teil der Studie. Er berichtete der »Apotheken Umschau«, dass bei 96 Prozent der Männer die Wirkung so gut gewesen wäre, dass es die Spritze mit der Pille hätte aufnehmen können. Innerhalb eines Jahres wurden insgesamt vier Frauen schwanger, was einem Anteil von 1,57 Prozent entspricht. Damit ist diese Verhütungsvariante zwar noch nicht so sicher wie die Pille für die Frau (0,3 bis 0,8 Prozent), allerdings gibt es, wie auch bei der Pille einst, sicherlich weiteres Optimierungspotenzial.
Die Pille wäre heute wohl nie zugelassen worden
Doch Ärzte könnten Patienten nicht weiterbehandeln, wenn sie sich schlecht fühlten und aufhören möchten, so Zitzmann. Wegen der übermäßigen Nebenwirkungen brachen die Verantwortlichen die Studie schließlich ab, und die hormonelle Empfängnisverhütung für den Mann wurde bis auf Weiteres vertagt. Frauen mögen jetzt einwenden, dass sie genau die gleichen unerwünschten Nebeneffekte an sich beobachten können – und das vollkommen zu Recht. Der Experte Zitzmann ist gar der Meinung, dass unter heutigen Bedingungen auch die Antibabypille auf Grund ihrer Nebenwirkungen wohl niemals zugelassen worden wäre. In den 1960er Jahren waren die Regularien aber nicht so streng wie heute.
Eine Alternative ohne oder zumindest mit weniger Nebenwirkungen kommt aus Indonesien: Justicia gendarussa, eine Heilpflanze, die unter anderem gegen Grippe, Hautkrankheiten oder Arthritis eingesetzt wird. Die verhütende Wirkung des Gewächses nutzen männliche Bewohner der Provinz Papua offenbar schon lange. Dazu brauen sie einen Tee aus den Blättern der Pflanze und trinken ihn täglich. In den letzten Jahren haben indonesische Wissenschaftler an der Airlangga University in Jakarta Pillen aus J. gendarussa an Hunderten von männlichen Probanden getestet. Das Präparat wirke in über 99 Prozent der Fälle, wie Bambang Prajogo, ein beteiligter Wissenschaftler, in einem Interview gegenüber »USA Today« im Jahr 2014 erzählte. Somit wäre die Effizienz des Pflanzenextrakts mit der hormonellen Geburtenkontrolle vergleichbar.
Laut dem Forscher setze die Wirkung bereits eine Stunde nach der Einnahme ein. 30 Tage nach Absetzen der pflanzlichen Antibabypille erlangten die Männer wieder ihre ursprüngliche Fruchtbarkeit zurück. Nebenwirkungen könnten leichte Gewichtszunahme und gesteigerte sexuelle Lust sein. Der Grund für die verhütende Wirkung der Blätter sei ein darin enthaltenes Enzym, welches die Spermien unbeweglich mache. So könnten sie nicht in die Eizelle eindringen und diese befruchten. In einer Mitteilung der Airlangga University im März 2017 heißt es, das Mittel gehe nun in Massenproduktion und werde in anderthalb Jahren kommerziell erhältlich sein. Das wird aber zunächst nur für Indonesien der Fall sein. Ob auch andere Länder die pflanzliche Verhütung zulassen, hängt von den nationalen Prüfkomitees ab.
»Entschärftes« Sperma
Auf Grund der etlichen Rückschläge bei hormonellen Verhütungsmethoden setzen manche Mediziner Hoffnung auf andere Ansätze. Zu den vielversprechendsten zählt einer mit der Abkürzung RISUG (reversible inhibition of sperm under guidance). Ein indischer Professor für Medizintechnik hat die Methode bereits in den 1970er Jahren ersonnen. Seither wurde sie stetig weiterentwickelt und bereits vielfach an Tieren und Menschen getestet.
Der Mann bekommt dazu ein Kunststoffgel in den Samenleiter injiziert. Innerhalb weniger Minuten härtet das Polymer aus und beschichtet die Wände des Samenleiters, wo es vorbeifließende Spermien beschädigt. Letztere sind nun gewissermaßen »entschärft« und nicht mehr im Stande, eine weibliche Eizelle zu befruchten. Wie diese Beschädigung allerdings im Detail funktioniert, ist immer noch nicht vollständig geklärt. Immerhin weiß man, dass sich das ausgehärtete Gel durch einen anderen Stoff wieder ablösen lässt und die Fruchtbarkeit anschließend wiederhergestellt ist. Experimentell belegt ist dies allerdings bislang nur bei Tieren.
Die erste klinische Phase-I-Studie mit RISUG mit 17 Freiwilligen fand bereits im Jahr 1993 statt – mit sehr positivem Ausgang: Es gab keine Nebenwirkungen und keine fruchtbaren Samenzellen. Es folgten erfolgreiche Phase-II-Studien und bereits im Jahr 2002 die erste Phase-III-Studie. Der damalige indische Gesundheitsminister verkündete zu diesem Zeitpunkt bereits, dass das Präparat innerhalb der nächsten sechs Monate auf den Markt kommen werde. Doch dann beschlichen die Mitglieder des Indian Council of Medical Research (ICMR) Zweifel. Womöglich sei das Präparat doch giftig. Die Zulassung wurde vertagt.
Mittlerweile ist eine weitere Phase-III-Studie fast abgeschlossen: Im Jahr 2016 sagte der Leiter des ICMR, R. S. Sharma, gegenüber der amerikanischen Zeitschrift »The Wire«, dass bereits Tests an 282 Freiwilligen in fünf Zentren in ganz Indien beendet wären – ohne Nebenwirkungen oder andere Schwierigkeiten zu beobachten. Sobald die Marke von 300 Testpersonen erreicht würde, möchte er das Präparat der indischen Zulassungsbehörde vorlegen, so Sharma damals. Gemäß einem Bericht in der Zeitung »The Hindu« im Februar 2018 ist es laut Sharma nun wahrscheinlich, dass das Präparat innerhalb der nächsten fünf Jahre auf den Markt kommen wird.
Samen heraussieben oder Samenleiter temporär abdichten
Die amerikanische Parsemus Foundation, eine medizinische Forschungsstiftung, erwarb 2010 die Rechte zur Herstellung von RISUG, in den USA unter dem Namen »Vasalgel«. Dieses Präparat hat jedoch eine leicht andere Zusammensetzung als das indische Pendant. Vasalgel arbeitet wie ein Sieb: Flüssigkeiten können passieren, die Samenzellen bleiben aber an der künstlichen Barriere zurück. Der Körper baut sie anschließend nach und nach ab. Bei Tests mit Affen waren die Ergebnisse bereits viel versprechend: keine Schwangerschaften der weiblichen und kaum Nebenwirkungen bei den männlichen Tieren. Anfangs hoffte man, dass Tests an Menschen bis Ende 2013 beginnen könnten. Momentan ist jedoch noch nicht absehbar, wann es tatsächlich so weit ist.
Im Vergleich zum Vasalgel ist die Methode des Tischlers Clemens Bimek bereits einen Schritt weiter. Denn immerhin wird sie schon am Menschen getestet, wenn auch nur an einem, nämlich dem Erfinder selbst. Bimek kam Ende der 1990er Jahre die Idee, dass man in die beiden Samenleiter im Hodensack einfach ein schließbares Ventil einbringen könne – eine durchaus nachvollziehbare Herangehensweise für einen Handwerker. Nach jahrelangem Grübeln entwickelte er im Jahr 2006 den ersten Prototyp. Insgesamt viermal musste ein Urologe Bimek operieren, bis das Ventil perfekt saß. Jetzt störe es ihn nicht einmal beim Fahrradfahren, wie Bimek gegenüber dem »Spiegel« äußerte.
Auch gebe es keinerlei Nebenwirkungen. Mittels des Implantats lassen sich die Samenleiter einfach temporär abdichten, so dass im Ejakulat keine Spermien enthalten sind. Durch den Hodensack kann Bimek das Ventil per Hand ertasten und über einen kleinen Schalter in die gewünschte Stellung bringen – offen oder zu, je nachdem, ob gegenwärtig ein Kinderwunsch besteht oder eben nicht.
Noch sind sich Experten uneins, ob die Barriere tatsächlich völlig risikofrei ist. Manche geben zu bedenken, dass es zu Abstoßungsreaktionen oder zu unerwünschten Narbenbildung im Samenleiter kommen könnte. Bimek ist jedoch von seinem Produkt felsenfest überzeugt. Mit einem Video macht er Interessierte und insbesondere potenzielle Investoren auf sein Produkt aufmerksam. Denn laut einem Statement zum »aktuellen Status des Projekts« stoße man zwar auf reges Medieninteresse, und auch freiwillige Testpersonen gäbe es genug, allerdings konnte man noch »nicht genügend finanzielle Mittel generieren, um die Herstellung, Reinraummontage, Verpackung, Sterilisation und Validierung der Prüfprodukte in Auftrag geben zu können«.
Männliche Verhütung nicht erwünscht?
Fehlende Geldmittel spielen bei Verhütungsmethoden für den Mann offenbar häufig eine Rolle – was einer rascheren Entwicklung und Marktzulassung im Weg steht. Manche behaupten, das liege an mangelndem Interesse der Pharmaindustrie. Sie hätte bereits ein äußerst erfolgreiches Produkt in diesem Marktsegment: die Pille für die Frau. Weshalb dann eine Alternative auf den Markt bringen? Für die Entwicklung und den Zulassungsprozess wären umfangreiche Investitionen notwendig. Und zudem ist ungewiss, ob die Männer ein solches Präparat überhaupt annehmen würden.
Hinweise, die solche Behauptungen untermauern, findet man durchaus: Die groß angelegte Studie zur hormonellen Verhütung beim Mann der WHO unterstützte etwa die gemeinnützige Forschungsorganisation CONRAD und nicht etwa eine Pharmafirma. CONRAD fördert die Entwicklung von bezahlbaren Medikamenten zu Verhütung und Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Ähnliches bei Vasalgel: Das Präparat wird von der Parsemus Foundation weiterentwickelt und getestet. Ziel dieser Stiftung ist es laut eigener Aussage auf der Internetseite, kostengünstige, evidenzbasierte Arzneimittel zu fördern, deren Entwicklung von der Pharmaindustrie nicht verfolgt wird.
Auch der indische Professor und Erfinder der RISUG-Methode Sujoy Kumar Guha bläst gegenüber dem amerikanischen Magazin »The Wire« ins selbe Horn: »I guess RISUG is a bad business proposition: inexpensive, single-use and it does not require major surgery.« Er vermutet also, RISUG sei eine schlechte Geschäftsidee: kostengünstig, nur einmal notwendig, und es seien keine Operationen zur Anwendung nötig. Laut ihm ist der Gegner der Methode nicht die indische Regierung, sondern die Pharmalobby. Bereits im Jahr 2002 habe ihm der damalige indische Präsident versichert, dass der Abbruch der Phase-III-Studie nicht aus wissenschaftlichen Gründen erfolgte, und habe hinzugefügt, Guha müsse das auf anderem Weg lösen.
Welcher das sein soll, bleibt ungesagt. Mann und Frau können aber dennoch hoffen, dass die mitunter sehr beharrlichen Versuche Einzelner fruchtbar sein werden und die Verhütung eines Tages wieder auch zur Männersache werden lassen.
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