Lebensmittel: Wie gesund ist klimafreundliche Ernährung?
Ein ungewöhnlicher Diätplan hat im Februar 2019 für Aufsehen gesorgt und wird bis heute diskutiert: Eine Komission aus 19 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, unter anderem von der Harvard University und des Stockholm Resilience Center, die so genannte EAT-Lancet-Comission, hatte ausgerechnet, wie ein weltweit gültiger Speiseplan aussehen müsste, damit dieser gesund und gleichzeitig Ressourcen schonend ist. Bei dieser Planetary Health Diet müssten 35 Prozent der Kalorienzufuhr aus Vollkornprodukten und Knollen stammen, dazu gäbe es reichlich Eiweiß aus Hülsenfrüchten und Nüssen. 500 Gramm Obst und Gemüse und 250 Gramm Milchprodukte, aber nur 14 Gramm rotes Fleisch, dafür 29 Gramm Geflügel, und 13 Gramm Eier sowie 28 Gramm Fisch sind für jeden Tag vorgesehen. Würde der Ernährungsvorschlag weltweit umgesetzt, so rechnen die Autoren vor, gäbe es keine Mangelernährung mehr, und man könnte rund 11 Millionen vorzeitige Todesfälle etwa durch Herzkrankheiten pro Jahr verhindern.
Seither wird die Studie vielfach zitiert, meist in Zusammenhang mit der Forderung, Menschen sollten weniger Fleisch essen, da es schlecht für das Klima und für die Gesundheit sei. Kräftig zugreifen solle man dagegen bei pflanzlichen Lebensmitteln. Parallel dazu haben sich Gegner vor allem in den sozialen Netzwerken formiert. Der Account @yes2meat propagiert beispielsweise auf Twitter seither eine fleischreiche Ernährung. Wie Wissenschaftler des Stockholm Resilience Center Ende 2019 gezeigt haben, überstieg die Anzahl dieser Tweets zeitweise diejenigen, die sich positiv über den grünen Speiseplan äußerten.
Ein Einwand dagegen lautet etwa: Wer weniger Fleisch esse, könne damit nicht so viel an seinem ökologischen Fußabdruck verändern. So argumentierte beispielsweise Johannes Scholl, Präsident der Deutschen Akademie für Präventivmedizin in einem Artikel im »Ärzteblatt«. Als Beleg zitierte er Frank Mitloehner, Agrarwissenschaftler an der University of California in Davis, der allerdings in der Wissenschaftsgemeinde umstritten ist. Er behauptete etwa, die Emissionen der US-Tierfarmen würden nur rund vier Prozent der Treibhausgasmenge in den USA ausmachen (pdf). Wissenschaftler der Johns Hopkins University hielten ihm daraufhin in einer Erwiderung entgegen, dass er nur die direkten Emissionen berücksichtige, aber etwa die Emissionen, die zur Produktion des Futters durch Dünger oder Pestizide anfielen, weglasse. Auch den Energieverbrauch beim Transport der Tiere zum Schlachthaus beziehe er in seine Rechnungen nicht ein.
Die Unterschiede zwischen den Schätzungen sind groß
Wissenschaftler sind sich einig, dass man tatsächlich noch nicht alles über die Klimagasemissionen der Lebensmittelproduktion weiß und diese auch teilweise für ein Produkt stark variieren. Das liegt unter anderem daran, dass manche Ökobilanzen nicht den ganzen Wertschöpfungsprozess mitkalkulieren. Je nachdem, wie man die Systemgrenzen setzt, kommt man etwa für Rindfleisch auf Werte zwischen 11 und 110 Kilogramm CO2-Äquivalente pro Kilogramm Fleisch, wie ein britisch-australisches Forscherteam im Jahr 2016 gezeigt hat.
Vor allem so genannte Landnutzungseffekte werden erst seit zehn Jahren systematisch in Ökobilanzen einbezogen. »Das heißt, man berücksichtigt, inwiefern für den Anbau von Futterpflanzen Primärwälder gerodet oder Weiden umgebrochen wurden«, sagt Toni Meier, Agrar- und Ernährungswissenschaftler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dies ist wichtig, weil Moore, Urwälder und Wiesen als Klimasenken gelten, also Treibhausgase speichern.
Eine 2018 erschienene Studie der University of Oxford zeigte, dass die Haltung von Rindern auf abgeholzten Flächen zwölfmal mehr Treibhausgase emittiere und 50-mal mehr Fläche als die Haltung auf natürlichem Weideland benötige. Weltweit sind 70 Prozent der Agrarflächen Weideland. Insgesamt sind 37 Prozent der eisfreien Flächen Agrarflächen, während 29 Prozent aus Wäldern bestehen. Laut der Umweltorganisation WWF importiert jedoch allein Deutschland landwirtschaftliche Erzeugnisse von 55 000 Quadratkilometern einst bewaldeter Flächen, insbesondere Soja als Futtermittel in der Fleischerzeugung.
Die Klimabilanz der meisten Lebensmittel ist bekannt
Trotz der teilweise großen Schwankungen in den Ökobilanzen halten die meisten Wissenschaftler die Daten für ausreichend, um eine klare Tendenz zu erkennen. Unstrittig ist, dass Getreide, Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst und Nüsse einen kleineren Klimafußabdruck hinterlassen als tierische Produkte. Guido Reinhardt vom IFEU-Institut in Heidelberg hat kürzlich etwa für in Deutschland erhältliche Lebensmittel berechnet (pdf), dass ein Apfel rund 0,3 Kilogramm CO2-Äquivalente verursacht pro Kilogramm Lebensmittel, Haferflocken 0,6, Kichererbsen aus der Dose 1,3, Schweinefleisch 4,6, Käse 5,7 und Rindfleisch 13,6. »Vor allem für die meisten hiesigen Grundnahrungsmittel gibt es genügend Daten«, sagt auch Toni Meier. »Es gibt allerdings noch Datenlücken, etwa für bestimmte Regionen oder für bestimmte eher exotische Lebensmittel wie tropisches Obst, so genannte Superfoods wie Gojibeeren oder Cranberries, Insekten oder neue Lebensmittelzusatzstoffe.«
Insgesamt geht der Weltklimarat davon aus, dass 21 bis 37 Prozent der weltweiten Treibhausgase auf das Konto der Lebensmittelproduktion gehen (pdf). Wer weniger Fleisch isst, kann also durchaus seinen ökologischen Fußabdruck verringern. So zeigte kürzlich eine Studie im Magazin »Science«, dass ohne eine Neuausrichtung der Lebensmittelproduktion die Pariser Klimaziele nicht erreicht werden können. Dennoch verbraucht ein einziger transatlantischer Flug mit 1600 Kilogramm CO2-Äquivalenten weit mehr als ein nicht optimaler Speiseplan. Es gibt also viele Schrauben, an denen man drehen kann.
Eine weitere Kritik an den umweltfreundlichen Ernährungsempfehlungen: Sie lieferten nicht ausreichend Nährstoffe oder verursachten etwa Übergewicht und Folgekrankheiten, weil sie mehr als 50 Prozent Kohlenhydrate und wenig tierisches Protein vorsehen. Dass Fleisch gar nicht so ungesund sei, das meint auch Johannes Scholl. Er schreibt, Beobachtungsstudien zeigten zwar Risikoerhöhungen etwa für Herzkrankheiten bei steigendem Fleischkonsum, allerdings sehr geringe, die damit vernachlässigbar seien. Zumal Beobachtungsstudien fehleranfällig seien.
Aussagekraft von Ernährungsstudien auf dem Prüfstand
Richtig ist in der Tat, dass Studien zur Ernährung keine 100-prozentige Evidenz liefern können und Ernährungsempfehlungen daher nicht auf eindeutig belegbaren Kausalitäten beruhen, sondern meist auf Korrelationen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) und auch die Weltgesundheitsorganisation haben aber Systeme entwickelt, bei dem zahlreiche Studien ausgewertet werden.
»Es ist schwer vorzustellen, dass durch die Planetary Health Diet Nährstoffmangel entsteht«
Toni Meier
Derzeit wird aber auch diskutiert, was man methodisch noch verbessern kann. Lukas Schwingshackl, Epidemiologe am Institut für Evidenz in der Medizin der Universität Freiburg schreibt etwa, dass auch so genannte nichtrandomisierte Studien wie prospektive Kohortenstudien in systematischen Reviews zu Ernährungsfragen berücksichtigt werden sollten, um die Vertrauenswürdigkeit zu verbessern. Die DGE hält ihre Empfehlungen und die der Planetary Health Diet für gut übereinstimmend. »Die Ergebnisse der EAT-Lancet-Kommission bestätigen neben weiteren internationalen Bewertungen erneut, dass die Umsetzung von Ernährungsempfehlungen nachweislich die Gesundheit fördert und die Umwelt schont«, sagt Antje Gahl von der DGE. Dennoch ist die Fachgesellschaft derzeit dabei, ihre Empfehlungen noch mehr in Richtung Ökologie anzupassen. Nüsse und Hülsenfrüchte könnten etwa bald expliziter empfohlen werden.
Allerdings gab es auch Kritik, dass die »Planetary Health Diet« nicht genügend Nährstoffe liefere. Denn die Diät geht von 2500 Kilokalorien pro Tag aus. Frauen äßen jedoch nur rund 2000 Kilokalorien und dann könne es laut Zoe Harcombe, einer britischen Ernährungsexpertin, zu einer Unterversorgung mit Vitamin A, Vitamin D, Natrium, Magnesium, Kalzium und Eisen kommen. »Es ist schwer vorzustellen, dass durch die Planetary Health Diet Nährstoffmangel entsteht, da die empfohlenen Mengen an Nüssen, Hülsenfrüchten, grünem Blattgemüse et cetera sehr nährstoffreich sind und tierische Lebensmittel ja nicht gänzlich ausgespart werden«, sagt hingegen Toni Meier. »Es ist allerdings entscheidend, auf die richtige Zubereitung zu achten, zum Beispiel indem man Hülsenfrüchte vor dem Verzehr fermentiert oder keimen lässt, da nur dann wichtige Nährstoffe für den Körper verfügbar werden.«
Sicher ist, dass die EAT-Lancet-Empfehlungen nur als Richtwerte fungieren können. Die einzelnen Länder müssten diese nun für sich anpassen. In den USA müsste sich etwa der Fleischverzehr um mehr als 85 Prozent verringern. In afrikanischen Ländern dagegen wird derzeit ein Siebenfaches der empfohlenen Menge an stärkereichen Pflanzen wie Maniok konsumiert. In vielen Ländern müssten die Menschen ihre Ernährungsgewohnheiten also radikal verändern, um den Vorgaben der Planetary Health Diet zu entsprechen. Zudem bräuchte es ökonomische Veränderungen, damit sich die Menschen in Entwicklungsländern den Speiseplan auch leisten könnten.
Hier zu Lande wollen sich immer mehr Menschen fleischarm ernähren, sei es aus Umwelt-, Gesundheits- oder Tierwohlgründen, das hat der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beobachtet. Laut einem kürzlich publizierten Gutachten müsste allerdings in den Markt eingegriffen werden – etwa mit einer Klimaumlage oder mit einer Kennzeichnung für klimafreundliche Lebensmittel, um den Verbrauchern eine nachhaltigere Wahl zu erleichtern. Momentan sei die Verantwortung stark auf das Individuum verlagert, und das sei nicht zielführend.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.