Google Lunar X-Prize: Die private Mondlandung wird zur Preisfrage
Altgediente Raumfahrtingenieure können bei dieser Aufgabe nur mitleidsvoll lächeln: zum Mond fliegen, ein unbemanntes Gefährt absetzen, 500 Meter im Mondstaub zurücklegen, ein paar Bilder zur Erde funken. Bereits Anfang der 1970er Jahre, genau 24 Monate nach der ersten Mondlandung im Juli 1969, war all das längst erledigt. Die Amerikaner steuerten zu jener Zeit ihr erstes Auto – komplett mit Fahrer und Beifahrer – über den Erdtrabanten. Die Russen hatten kurz zuvor zwei unbemannte "Lunochod"-Rover auf dem Mond abgesetzt – unförmige Gefährte mit acht Rädern und den Abmessungen einer Badewanne. Die Chinesen zogen schließlich im Dezember vergangenen Jahres nach und ließen ihren "Jadehasen" durch den lunaren Staub rollen.
Und jetzt soll es wieder losgehen. Dieses Mal wollen sich allerdings keine milliardenschweren Regierungsprogramme der Aufgabe annehmen, sondern private Initiativen: Mindestens 20 Millionen Dollar (etwa 15 Millionen Euro) warten auf das Team, das als erstes ohne allzu große staatliche Hilfe einen halben Kilometer auf dem Mond zurücklegt. Der Betrag kommt aus den Kassen des Internetkonzerns Google, bereitgestellt im Rahmen eines internationalen Wettbewerbs, Lunar X-Prize genannt. 18 Teams konkurrieren aktuell um Geld und Ehre. Viel Zeit bleibt ihnen allerdings nicht mehr: Spätestens Ende 2015 müssen sie die historische Aufgabe bewältigt haben.
Preis mit langer Tradition
Die Idee für den X-Prize reicht weit zurück, bis ins Jahr 1919. Damals stellte der Hotelier Raymond Orteig 25 000 Dollar für den ersten Nonstopflug von New York nach Paris in Aussicht. Sechs Piloten starben, bevor Charles Lindbergh 1927 den Preis entgegennehmen konnte. Erst durch seinen Flug, so geht die Geschichte, gewann die Passagierluftfahrt an Schwung. Inzwischen ist sie aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.
Im Jahr 1996 übertrug die X-Prize-Stiftung den Ansatz von Orteig auf die heutige Zeit und organisierte bis heute insgesamt neun Ausschreibungen. Am bekanntesten ist der Ansari X-Prize: Zehn Millionen Dollar sollte das erste Unternehmen bekommen, das ein privat finanziertes Raumschiff innerhalb von 14 Tagen zweimal in mindestens 100 Kilometer Höhe katapultieren konnte. Im Oktober 2004 gelang dies dem Team Scaled Composites, finanziert von Microsoft-Mitbegründer Paul Allen. Zehn Jahre später lässt der versprochene Durchbruch beim suborbitalen Weltraumtourismus allerdings noch immer auf sich warten. Die ersten kommerziellen Flüge des Nachfolgemodells "SpaceShipTwo" müssen ein ums andere Mal verschoben werden.
Auch der Google Lunar X-Prize (GLXP) tut sich schwer. Im September 2007 ist er ins Leben gerufen worden mit dem Ziel, eine private Infrastruktur für Flüge zum Mond zu schaffen. 33 Teams hatten sich offiziell eingeschrieben. 18 Bewerber sind heute übrig geblieben – darunter ein einziges Team aus Deutschland, die Part-Time Scientists. Wie die meisten Konkurrenten hat auch die 70-köpfige Truppe hauptsächlich Geldsorgen: "Viele Teams tun sich schwer, Investoren zu finden", sagt Robert Böhme, der die Part-Time Scientists im Jahr 2009 gegründet hat. "Vor allem die Finanzierung des Missionsstarts ist und bleibt der große Knackpunkt."
Rover nähern sich der Einsatzreife
Technisch kommen die Teams dagegen voran. "Asimov", der Rover der Part-Time Scientists, hat mittlerweile viele Entwicklungsstufen durchlaufen. Er war im Fernsehen, ist über Messen gerollt und erinnert mit seinen vier Rädern, dem flachen, von Solarzellen überzogenen Körper und dem Mast mit den zwei Kameraaugen an eine Miniaturausgabe der bewährten Marsrover. Andere Teams wollen dagegen über den Mond hüpfen, wie eine Spinne krabbeln oder – angetrieben von einer Feder – rollen. Ganz im Sinne der X-Prize-Stiftung, die neuen, unkonventionellen, vor allem aber kostengünstigen Ideen zum Durchbruch verhelfen will.
Teuer wird dagegen der Weg zum Mond. Viele amerikanische Teams favorisieren einen Flug mit der Falcon-9-Rakete des US-Unternehmens SpaceX. Deren Einsatz kostet allerdings, solange sich die Teams den Start nicht mit anderen Nutzlasten teilen, mindestens 50 Millionen Dollar. Die Part-Time Scientists haben deshalb ein Auge auf die "Dnjepr" geworfen, eine umgebaute sowjetische Atomrakete vom Typ SS-18. Mehr als 20 Millionen Euro verlangen die Betreiber dafür; der Preis ist aber, wie so oft in Russland, Verhandlungssache. "Sobald wir die Möglichkeit haben, das komplett zu bezahlen, würden wir es machen", sagt Robert Böhme.
Mit klassischen Sponsoren oder Investoren wird das allerdings schwer. Für Crowdfunding ist die Summe zu hoch. Und Mäzene, wie sie das israelische Team SpaceIL aufgetan hat, sind rar: Die Tüftler aus Tel Aviv konnten im April verkünden, vom amerikanischen Casinomagnaten Sheldon Adelson (laut "Forbes" der zehntreichste Mann der Welt) 16,4 Millionen Dollar erhalten zu haben – knapp die Hälfte des geplanten Budgets.
Milestone-Preise sollen Schwierigkeiten überbrücken
Damit der Wettbewerb nicht scheitert, hat Google bereits vor einiger Zeit die Frist für die Landung um drei Jahre auf Ende 2015 verschoben. Im vergangenen November öffnete der Konzern zudem noch einmal den Geldbeutel: "Die globale Wirtschaftskrise hat die zuvor schon kleine Zahl von Investoren, die Risiken in neuen Märkten eingehen wollen, weiter reduziert", schreibt die ehemalige GLXP-Direktorin Alexandra Hall im Blog des Preises. "Wir mussten daher einen Weg finden, um Teams zu unterstützen, die substanzielle Fortschritte machen."
"Wir mussten einen Weg finden, um Teams zu unterstützen, die substanzielle Fortschritte machen"Alexandra Hall
Die Lösung nennt sich Milestone Prizes, Interimspreise: Wer als Team eine neunköpfige Jury davon überzeugen kann, auf einem guten Weg zu sein, bekommt einen Vorschuss: eine Million Dollar für eine viel versprechende Landefähre, eine halbe Million für einen Rover, Krabbler oder Hüpfer, eine viertel Million für das Kamerasystem, das nach der Landung zwei acht Minuten lange Videos in HD-Qualität vom Mond liefern soll.
Sechs Millionen Dollar stellt Google dafür zur Verfügung. Die Beträge sollen, sofern eines der ausgezeichneten Teams später gewinnt, auf das Preisgeld angerechnet werden. Andernfalls sind sie ein Trostpreis, eine Aufmunterung, ein Gütesiegel für die Sponsorensuche.
"Wenn wir einen dieser Interimspreise gewinnen könnten, würde uns das sehr weiterhelfen – allein schon, um damit die Kosten für unser Flugmodell zu decken", sagt Robert Böhme. In zwei Kategorien, beim Rover und beim Kamerasystem, sind die Deutschen in die Endrunde gekommen. Mitte August wollen sie die GLXP-Juroren von ihrem Fortschritt überzeugen. Mehrere Tage lang soll dann in einer österreichischen Eisenerzmine die komplette Landung simuliert werden.
Woher kommt noch Geld?
Interimspreise sind nicht die einzige Hilfe für die Wettbewerber: Bereits 2010 hat die amerikanische Raumfahrtagentur NASA mehr als 30 Millionen Dollar ausgeschüttet – allerdings nur an US-Teams. Mit dem Geld sollten, so die damalige Begründung, Erfahrungswerte aus der Entwicklung neuartiger Mondmissionen eingekauft werden. Offiziell dürfen die privaten Teams zwar nur zehn Prozent ihres Budgets von Regierungen erhalten. Sobald staatliche Institutionen allerdings, wie im Fall der NASA, als Kunden auftreten, ist die Klausel hinfällig. "Wenn man einen guten Buchhalter hat, kann man alles so hindrehen, dass es im Rahmen des Wettbewerbs bleibt", klagt Robert Böhme. "Schön ist das allerdings nicht."
Andere Teams, wie die Penn State Lunar Lions, rekrutieren ihre Mitarbeiter zum großen Teil aus den Reihen einer staatlichen Universität, die sich zusätzlich mit acht Millionen Dollar am Team beteiligen will. Oder sie bedienen sich, wie das Start-up Moon Express aus dem Silicon Valley, direkt bei der NASA: Das Team, das vom Sohn des Mondfahrers Buzz Aldrin geleitet wird, verwendet für seine Landefähre eine Technik, die die US-Raumfahrtagentur zuvor mit Steuergeldern entwickelt hat.
Böhme sieht das kritisch, genauso wie die Budgets, mit denen einige der großen Teams planen: Von 100 oder gar 200 Millionen Dollar ist da die Rede – für ein Preisgeld von gut 20 Millionen Dollar. Die Ausgaben würden damit Regionen erreichen, in denen auch günstige Regierungsmissionen machbar scheinen. Vor allem aber können die Teams die Beträge nur mit großen einmaligen Investitionen aufbringen – durch Sponsoren oder Medienpartner.
Mit der ursprünglichen Idee des X-Prize, eine günstige und nachhaltige Infrastruktur für Mondflüge zu etablieren, hätte dies dann allerdings nur noch wenig zu tun. "Das wäre genau das", sagt Robert Böhme, "was niemandem etwas bringen würde."
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