Schmerzforschung: Die psychische Seite chronischer Schmerzen
Jeder Mensch, der jemals Schmerzen empfunden hat, hat seine eigene Geschichte, und ich habe meine. Als ich vor mehr als zehn Jahren, während meines Medizinstudiums, auf der Hantelbank trainierte, hörte ich plötzlich ein lautes Klacken. Ich spürte, wie mein ganzer Körper schlaff wurde, und sah, wie die Gewichte auf mich herabfielen. Der Schmerz packte meinen gesamten Körper, als wäre ich in einen Schraubstock geklemmt. Ich wurde in die Notaufnahme gefahren, wo ich sofort intravenös Schmerzmittel bekam. Man sagte mir, dass der Schmerz irgendwann von selbst verschwinden würde.
Aber das tat er nicht. Und was ich seitdem über Schmerzen gelernt habe, lässt mich ernsthaft hinterfragen, wie die Medizin diese diagnostiziert und behandelt. Ich bin inzwischen selbst Arzt, und während ich für ein Buch über Schmerzen recherchierte, begann ich immer mehr zu verstehen: Der Grund dafür, dass der akute Schmerz meiner Rückenverletzung zu einem unaufhörlichen chronischen Schmerz wurde, liegt wahrscheinlich in meinem Gehirn. Um zu verstehen, weshalb vorübergehende Schmerzen in dauerhafte Qualen übergehen, braucht es nicht nur die Anatomie, sondern auch die Psychologie. Unsere Wahrnehmung von Schmerz – und unsere Angst davor – kann eine große Rolle für den Erfolg oder Misserfolg einer Therapie spielen. Diese Erkenntnis bagatellisiert die Erfahrungen der Menschen keineswegs, sondern öffnet die Tür zu Behandlungen, die nun endlich (und dauerhaft) den Millionen Menschen helfen könnten, die von anhaltenden Qualen gepeinigt werden.
Schmerzen müssen nicht äußerlich sichtbar sein
Der traditionelle Ansatz der Medizin ist es, mechanische und anatomische Erklärungen für chronische Schmerzen zu finden. Die Kernspintomografie meines Rückens zeigte, dass ich Anomalien hatte, die für einen jungen Menschen (ich war gerade 20 Jahre alt) so tief greifend waren, dass ich zum gefürchteten »interessanten Fall« wurde, der in der wöchentlichen Konferenz der radiologischen Abteilung diskutiert wurde. Meine Knochen waren degeneriert und mehrere der Bandscheiben meiner Wirbelsäule beschädigt. Die MRT-Scans offenbarten also, ohne dass es sichtbare Narben oder äußerlich erkennbare Verformungen gegeben hätte, wie genau meine Verletzung zu einer nicht enden wollenden Qual führte.
Chronische Schmerzen werden in der Regel als Schmerzen definiert, die eine Person drei Monate oder länger immer wieder beeinträchtigen. Bei mir war dieser Zeitraum um viele Jahre überschritten. Ich nahm nur ungern Schmerzmittel und konzentrierte mich ganz auf die Physiotherapie. Die Schmerzen haben sich im Lauf der Zeit gebessert, aber die Geschichte ihrer Entstehung – meine Verletzung und die daraus resultierenden Anomalien, die auf dem MRT zu sehen waren – hatte wenig mit den Schmerzen zu tun, die ich noch Jahre später spürte. »Die klassische Vorstellung ist, dass die Verletzung, wenn sie schlimm genug ist, bestehen bleibt«, sagte mir Vania Apkarian, einer der weltweit führenden Schmerzforscher. »Dabei hat die Verletzung selbst oft keine Bedeutung.«
MRTs können zwar Verletzungen zuverlässig erkennen, Schmerzen jedoch nicht. Eine Auswertung anatomischer Studien, bei denen die MRT-Bilder von etwa 3000 Personen ohne Rückenschmerzen geprüft wurden, ergab, dass bei 20-Jährigen ohne Rückenschmerzen 37 Prozent eine Bandscheibendegeneration und 30 Prozent eine Bandscheibenvorwölbung aufwiesen. Solche Veränderungen sollten eigentlich Schmerzen verursachen, aber bei diesen Menschen war dem nicht so. Jene Anomalien, die sich in medizinischen Scans zeigen, nehmen mit dem Alter zu: 96 Prozent der 80-Jährigen zeigten eine Bandscheibendegeneration und 84 Prozent hatten Vorwölbungen. Doch selbst bei Menschen, deren Rücken schmerzt, kam es vor, dass MRT-Anomalien absolut keinen Zusammenhang mit ihren Schmerzen zeigten – mit anderen Worten, ein MRT hilft uns nicht herauszufinden, was schmerzt und was nicht. Diese Daten haben meine Sicht auf die Schmerzmedizin auf den Kopf gestellt.
Das ist eine wirklich große Sache: Allein in den USA werden Millionen Menschen wegen Rückenschmerzen – immerhin die weltweit häufigste Ursache für Behinderungen – mittels MRT und CT untersucht. Die meisten der Untersuchungen sind ungeeignet, und auch in den Leitlinien wird inzwischen von der routinemäßigen Anwendung bildgebender Verfahren bei Menschen mit Rückenschmerzen abgeraten. Eine kürzlich durchgeführte Studie hat gezeigt, dass nur fünf Prozent der MRT-Untersuchungen, die von Ärzten bei Rückenschmerzen angeordnet wurden, angemessen waren. Außerdem erhielten 65 Prozent von denjenigen, die mittels MRT untersucht wurden, anschließend potenziell schädliche Ratschläge, die auf jenen Untersuchungen basierten – einschließlich der Forderung einer Rückenoperation.
»Eine Wirbelsäule, die von einem Chirurgen angefasst wurde, ist nie wieder dieselbe«Ather Enam, Chirurg
Wirbelsäulenoperationen gehören in den Vereinigten Staaten und weltweit zu den am häufigsten durchgeführten Eingriffen. Sie können allerdings verheerende Auswirkungen haben: In einer Studie mit Menschen, die an chronischen Rückenschmerzen leiden, kehrten von den Personen, die sich etwa einer Wirbelsäulenversteifungsoperation unterzogen, nur 26 Prozent wieder an ihren Arbeitsplatz zurück, verglichen mit 67 Prozent der Personen, die sich keinem chirurgischen Eingriff unterzogen hatten. Für diejenigen, die sich für eine Operation entschieden hatten, ergab sich ein höheres Risiko, Komplikationen und dauerhafte Behinderungen zu entwickeln, als für diejenigen, die sich nicht operieren ließen. Ich hätte einer dieser Menschen sein können: Als ich meine MRT-Aufnahmen zu Ather Enam, einem renommierten Chirurgen, brachte, sagte er mir jedoch, dass eine Operation meine Rückenprobleme möglicherweise eher verschlimmern würde. »Ich könnte die Operation durchführen, aber eine Wirbelsäule, die von einem Chirurgen angefasst wurde, ist nie wieder dieselbe«, sagte er.
Wenn die Anatomie also nicht erklären kann, weswegen Schmerzen chronisch werden, was kann es dann? Es stellte sich heraus, dass zumindest ein Teil der Ursache in meinem Kopf zu finden ist.
Angst erhöht Wahrscheinlichkeit von Schmerzen
Einer der Hauptgründe, warum Schmerzen in unserem Körper chronisch werden, ist die Art und Weise, wie wir uns mit ihnen fühlen. Bei Menschen, die sich vor Schmerzen fürchten oder Angst vor ihnen haben, ist die Wahrscheinlichkeit, nach einer Operation chronische Schmerzen zu entwickeln, bis zu doppelt so hoch. In einer im April 2022 veröffentlichten Studie aus Finnland zeigten die Autoren: Psychische Belastungen haben einen erheblichen Einfluss auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Rückenschmerzen bei Menschen mit degenerierter Wirbelsäule. Eine kleinere Untersuchung belegte sogar, dass frühere traumatische Ereignisse wie Raub, Mobbing oder sexuelle Übergriffe bei den 84 Studienteilnehmern am ehesten für bleibende Rückenschmerzen sorgten. Selbst die anfängliche Angst vor chronischen Schmerzen wird zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
In der klinischen Medizin und im gesellschaftlichen Diskurs werden Geist und Körper, Wahrnehmung und Emotion, Biologie und Psychologie oft getrennt betrachtet, obwohl die menschliche Natur dem widerspricht. Tatsächlich fällt diese getrennte Sichtweise am dramatischsten in sich zusammen, wenn es um Schmerzen geht. Verwandeln sich akute Schmerzen in chronische, werden nach Apkarians Forschungsergebnissen Teile des Gehirns aktiviert, die eher für Emotionen als für körperliche Empfindungen zuständig sind.
Eine im Herbst 2021 im »Journal of the American Medical Association: Psychiatry« erschienene klinische Studie weist auf die Wirksamkeit von Therapien hin, die darauf abzielen, wie wir uns bei Schmerzen fühlen. In der Studie unter der Leitung von Yoni Ashar und Tor Wager, den Wissenschaftlern, die die neurologische Signatur des Schmerzes im Gehirn entdeckt haben, erhielten manche Patienten mit chronischen Kreuzschmerzen die übliche Behandlung mit Schmerzmitteln und Physiotherapie. Weitere Probanden bekamen Spritzen, von denen sie wussten, dass sie nur ein Placebolösung enthielten (was bei Rückenschmerzen recht wirksam sein kann). Eine dritte Gruppe von Betroffenen wiederum absolvierte eine Schmerzverarbeitungstherapie. In dieser wurde ihnen beigebracht, dass das Gehirn chronische Schmerzen aktiv konstruiert, auch wenn keine aktive Verletzung vorliegt. Sie lernten, dass eine einfache Umdeutung der Bedrohung, die der Schmerz darstellt, diesen verringern oder beseitigen kann. Eine solche Therapie entzieht dem chronischen Schmerz seine schärfste Waffe – die Angst.
Die Ergebnisse waren bemerkenswert: Von den Patienten, die einen Monat lang zweimal wöchentlich eine Schmerzverarbeitungstherapie absolvierten, waren nach einem Jahr 52 Prozent schmerzfrei, verglichen mit 27 Prozent der Patienten, die wissentlich ein Placebo bekamen, und 16 Prozent, die auf übliche Weise behandelt wurden.
Wenn man also die Komplexität von Schmerzen anerkennt, insbesondere diejenige von chronischen Schmerzen, tun sich neue und innovative Wege auf. Behandlungen wie die Schmerzverarbeitungstherapie machen den Schmerz zu dem, was er nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ist – mindestens ebenso sehr ein emotionales und traumatisches Konstrukt wie eine körperliche Empfindung. Diese ganzheitliche Betrachtung der Natur des Schmerzes sollte uns nicht davon abhalten, diesen ernst zu nehmen. Im Gegenteil: Sie sollte uns sogar noch mehr anspornen, dafür zu sorgen, dass jede Person mit chronischen Schmerzen ernstgenommen wird und mehr als nur Pillen und chirurgische Eingriffe angeboten bekommt.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.