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Quagga-Muschel: Invasion im Bodensee

Eine unscheinbare Muschel macht sich Deutschlands größten See untertan. Der Einwanderer verändert nicht nur das Ökosystem, sondern macht auch den Menschen Probleme.
Ein Bündel Quaggamuscheln in einer Hand.

Stefan Riebel zieht ein Netz aus dem Wasser. Ein paar Felchen zappeln darin, aber es klackert auch, als er es auf das schaukelnde Boot wirft. »Da sind die ersten Exemplare heute«, sagt der Berufsfischer von der Halbinsel Reichenau, greift mit der Hand hinein und zieht einen Pulk an kleinen, scharfkantigen Muscheln, die sich aufeinander abgesetzt haben, aus dem Netz. Die Quagga-Muschel (Dreissena rostriformis), die seit ein paar Jahren das Ökosystem im Bodensee bevölkert, ist unauffällig – klein und braun gestreift. Aber sie macht Probleme. Nicht nur für Fischer Riebel, der die Netze nach Feierabend von den Muscheln befreien muss, ehe er sie wieder auswirft. Das invasive Weichtier wirkt sich auf das komplette Ökosystem und die Wasserversorgung aus.

Das Phänomen einer sich rasant verbreitenden Muschel ist in dem größten Binnensee Deutschlands nicht unbekannt. Die Zebramuschel (Dreissena polymorpha) siedelte sich Ende der 1960er Jahre im Bodensee an, die Quagga-Muschel folgte 2016. Die beiden fremden Arten sind verwandt, stammen aus dem Schwarzmeerraum und kommen mittlerweile in großen Teilen Europas und Nordamerikas vor. Beide Muscheln können sich in kürzester Zeit stark vermehren, ausbreiten und neue Lebensräume besiedeln. Dass sie so erfolgreich sind, verdanken sie ihren Larven. Die entwickeln sich schwimmend im freien Gewässer und brauchen keinen Zwischenwirt. Als ausgewachsene Muscheln leben sie am Boden von Seen, langsam fließenden Flüssen und deren Mündungsgebieten. Die Organismen sind außerdem sehr effiziente Filtrierer, die ihre Nahrung direkt aus dem Wasser ziehen.

Die Quagga-Muschel verändert das gesamte Ökosystem

Doch es gibt auch entscheidende Unterschiede. »Die Quagga-Muschel hat viel mehr Möglichkeiten als die Dreikantmuschel«, erklärt Petra Teiber-Sießegger. Die Biologin arbeitet am Institut für Seenforschung, das seinen Sitz in Langenargen am Obersee hat. Sie fährt fort: »Während die Dreikantmuschel Hartsubstrat wie Steine braucht, um sich anzusiedeln, kommt die Quagga-Muschel auch auf Feinsubstrat wie Sand vor und ist im See in Tiefen bis 240 Metern zu finden.« Zudem ist sie an etwas niedrigere Temperaturen angepasst und kann sich im Gegensatz zu ihrer Artgenossin das ganze Jahr über vermehren.

Unscheinbarer Beifang | Seit 2016 verbreitet sich die Quagga-Muschel im Bodensee. Nicht nur in Fischernetzen taucht sie seither regelmäßig auf, sondern sie überwuchert auch Schiffe und technische Anlagen und verstopft Rohrleitungen der Wasserversorgung.

Die stärkere Konkurrenzfähigkeit führt dazu, dass die Quagga-Muschel in der Lage ist, die Zebramuschel zu verdrängen. »Von 2016 bis 2019 ist das in der Uferzone bereits weitgehend geschehen«, sagt Teiber-Sießegger. Entsprechende Erhebungen führte SeeWandel, ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, an dem das Institut für Seenforschung beteiligt ist, bereits durch. SeeWandel untersucht die Resilienz des Ökosystems Bodensee, seiner Biodiversität und Funktionsweise vor dem Hintergrund von Nährstoffrückgang, Klimawandel und invasiver Arten. Außerdem führen sie ein Monitoring der Quagga-Muschel durch, um ihre Verbreitung zu verstehen und bereits im Frühstadium zu erkennen.

Die Biologin läuft durchs Labor und zieht einen Stein, an dem eine beachtliche Muschelkolonie klebt, aus einem Eimer mit Wasser, entfernt ein paar Exemplare und legt sie in eine weiße, ebenfalls mit Wasser gefüllte Schale, die sie unter ein Mikroskop schiebt. Eine vergrößerte Quagga-Muschel wird auf den angeschlossenen Bildschirm projiziert. Sie ist veralgt, und ein paar flinke Flohkrebse schwimmen um das Weichtier. »Hier sieht man die Byssusfäden, mit denen sie sich anheftet«, erklärt Teiber-Sießegger und deutet auf einige Härchen, die seitlich aus der Muschel wachsen. Nach einer Weile öffnet sich die Muschelschale und ein kleiner Rüssel schiebt sich nach draußen. »In der Schale sitzen ihre Kiemen, mit denen sie flirrt und einen Strom erzeugt«, erklärt Teiber-Sießegger: »Mit ihnen filtriert sie den Plankton aus dem Atemwasser.«

Aber was bedeuten die Filtrierung und Verbreitung für das Nahrungsnetz, die Biodiversität und Funktionsweise des Sees? Gesicherte Ergebnisse zu den ökologischen Veränderungen bei einem Massenvorkommen der Quagga-Muschel im Bodensee gibt es aktuell noch nicht. Doch ein Blick nach Nordamerika gibt Hinweise zu möglichen Folgen. Vor über zwei Jahrzehnten siedelte sich die invasive Art in den »Great Lakes«, einer Gruppe von fünf zusammenhängenden Süßwasserseen in Nordamerika, an. Der Michigansee ist bis heute am stärksten betroffen. Er ist zwar um ein 100-Faches größer als der Bodensee, verfügt jedoch über eine ähnliche Tiefe und Nährstoffkonzentration, ist also durchaus vergleichbar.

Viele Folgen für das Ökosystem

Dadurch, dass die Muscheln das Wasser filtrieren und am Boden und in Ufernähe Reststoffe ausscheiden, erhöht sich in diesen Bereichen der Phosphorgehalt, was Wasserpflanzen wie Fadenalgen, die viele Nährstoffe brauchen, fördert. In uferfernen Bereichen nehmen Phosphor und Produktivität jedoch ab. Die höhere Konzentration von organischem Material am Seegrund kann dazu führen, dass das Wasser dort weniger Sauerstoff enthält. Für bodennahe Organismen wie Würmer ist das ein Problem. Es wird sich also die Zusammensetzung der Arten im Ökosystem verändern, »denn die Quagga-Muschel strukturiert den Seeboden ganz neu«, erklärt Teiber-Sießegger. Besonders in Ufernähe entstehen durch Muschelbänke und Schalendepots zu neue Lebensräume für Organismen, die bisher nicht vorkommen. Dafür verschwinden aber andere Typen von Lebensräumen.

Dass die Muscheln den Lebensraum dominieren und dadurch große Mengen Wasser filtern, lässt auch das Phytoplankton zurückgehen, das die wichtigste Nahrungsquelle der Muscheln ist. Sie machen Zooplanktonarten wie Kleinkrebsen und Wasserflöhen, die sich von Phytoplankton ernähren, Konkurrenz, so dass deren Dichte und Biomasse ebenfalls zurückgeht. Das Zooplankton ist wiederum Nahrungsgrundlage für viele Fischarten, wie beispielsweise der erwähnte Bodenseefelchen. Die Sorge ist, dass mit dem Rückgang der Nahrungsquellen auch bestimmte Fischbestände weiter schrumpfen.

Am Ufer des Bodensees | Das klare Wasser mag Badende erfreuen, doch es ist auch Zeichen der enormen ökologischen Veränderungen, verursacht durch die Filterleistung der invasiven Muschel.

Für Fischer Riebel und seine Berufskollegen wäre das eine dramatische Entwicklung, kämpfen sie doch schon seit Jahren mit dem Rückgang der Fischbestände. Manchmal habe er das Gefühl, die letzten Felchen aus dem See zu ziehen, sagt Riebel und schaut ratlos auf seinen Ertrag. Das Problem ist vielschichtig, denn seit einigen Jahren gibt es neben der Quagga-Muschel weitere Arten wie Stichling oder Kormoran, die in direkter Nahrungskonkurrenz zu den Fischen stehen. Auch der ohnehin schon niedrige Nährstoffgehalt im Bodensee, der durch die Aufbereitung der Kläranlagen gesunken ist, ist Teil des Fischproblems.

»Aus Sicht des Naturschutzes verfolgen wir die Entwicklung der Quagga-Muschel ebenso mit Sorge, weil es eine Situation ist, die durch menschliches Handeln entstanden ist und nun eine Gefahr für bestimmte Tierarten darstellt«, sagt Dominic Hahn vom BUND Baden-Württemberg. Doch es gebe durchaus positive Effekte. »Karpfenartige Fische wie Rotauge, Schleie, aber auch Sandfelchen nehmen die Quagga-Muschel sehr gut als Nahrung an.« Auch Blässhühner, Reiher-, Kolb- und Tauchenten profitieren von ihr. Bereits mit der Ausbreitung der Zebramuschel in den 1970er Jahren habe man festgestellt, dass die Zahl der überwinternden Wasservögel erheblich zugenommen habe, auf Grund des erweiterten Nahrungsangebots. Bei der Quagga-Muschel potenziere sich der Effekt.

Wie geht es weiter?

Aber wie ist der kleine Störenfried aus dem Schwarzmeerraum überhaupt in deutsche Gewässer gekommen? Man geht davon aus, dass sie als blinder Passagier im Ballastwasser von Frachtschiffen nach Deutschland gelangte, wo sie 2005 das erste Mal nachgewiesen wurde und schließlich über den Rhein im Bodensee landete. »Das ist wahrscheinlich durch den Überlandtransport von Sportbooten passiert«, erklärt Franz Schöll von der Bundesanstalt für Gewässerkunde, »die Quagga-Muschel kann eine Zeit lang am Schiff außerhalb des Wassers überleben.«

Abgesehen von den ökologischen Folgen bedeutet die explosionsartige Entwicklung des Weichtiers im Bodensee einen erhöhten Wartungsaufwand und hohe wirtschaftliche Kosten. Denn sie bewächst nicht nur Schiffe, Freizeitboote und Fischernetze, sondern kann über ihre Larven in die Aufbereitungsanlagen und Rohre der Wasserversorgung gelangen und dort heranwachsen, was einen enormen Reinigungsaufwand verursacht.

Stefan Riebel beim Fischen im Bodensee | Für den Berufsfischer sind die Muscheln mehr als nur lästig. Sie verändern das gesamte Ökosystem und machen damit den Speisefischen das Leben schwer. Manchmal habe er das Gefühl, die letzten Felchen aus dem See zu ziehen, sagt er.

»Am Bodensee ist die Verbreitung der Quagga-Muschel nicht mehr aufzuhalten«, ist sich Petra Teiber-Sießegger sicher. Das Projekt SeeWandel setzt sich dafür ein, dass Gewässer, die bisher noch nicht betroffen sind, bestmöglich von der Einwanderung invasiver Arten geschützt werden. »Die Menschen müssen für das Thema sensibilisiert werden«, erklärt sie. Empfehlenswert wäre eine regelmäßige Reinigung sämtlicher Boote, aber auch der Surfboards, Luftmatratzen oder Stehpaddel-Bretter. Manchmal geht die Biologin am Ufer spazieren und versucht, den Menschen die Problemlage zu erklären, aber das Thema sei schwer vermittelbar.

»Man übersieht schnell, dass wir Menschen unsere Lebensräume so stark verändert haben, dass sie nicht mehr widerstandsfähig sind und invasive Arten überhaupt erst auftauchen«, gibt Hahn zu bedenken. Man spreche zum Beispiel gern von der Gefährdung heimischer Großmuscheln durch die Quagga-Muschel, »die Unterhaltung von Wasserstraßen, Bautätigkeiten, die Ausräumung von Flüssen und Kanälen gefährden Großmuscheln aber deutlich mehr«. In Deutschland habe man nahezu alle Gewässer stark verändert und sei weit entfernt von natürlichen Zuständen. »Wir müssen uns überlegen, welche Wasserstraßen wir auch in Zukunft schiffbar halten wollen», sagt er. Durch eine Renaturierung von Wasserstraßen könne man zu einer Stabilisierung von Ökosystemen beitragen.

Schöll sieht die Situation eher pragmatisch. Zwar plädiert auch er dafür, die Bevölkerung zu sensibilisieren und Maßnahmen zu ergreifen, setzt aber ebenso auf eine natürliche Regulierung durch die Ökosysteme. Man dürfe nicht vergessen, dass diese sich immer verändern. »Man muss die Vorgänge über viel längere Zeiträume beobachten«, fügt er an: »Die Zebramuschel ist zum Beispiel seit fast 200 Jahren im Rhein. Ist das noch ein Neubewohner des Flusses oder gehört sie nicht schon zu den heimischen Organismen?« Wenn Neozoen einmal da sind, sei es quasi unmöglich, sie wieder loszuwerden. Die Ausbreitung lasse sich bestenfalls minimieren.

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