News: Die Regeneration eines Mäuseschwanzes
Heber-Katz beschrieb, wie ihr Forschungsteam die Regenerationsfähigkeit des Mäusestammes eher durch Zufall entdeckte. Zur Identifizierung individueller Versuchsmäuse wurden ihnen kleine Lochmuster in die Ohren gestochen. Diese Löcher heilen gewöhnlich nicht und bieten somit ein permanentes Markierungsmuster. Diesmal waren die Löcher in den Ohren jedoch nach drei Wochen vollständig zugewachsen.
Zuerst glaubten die Forscher, sie hätten einen Stamm entdeckt, der außergewöhnliche Wundheileigenschaften besitzt. Bei genauerem Hinsehen aber bemerkten sie, daß es überhaupt kein Narbengewebe gab – das Loch war mit voll differenziertem Oberhaut-, Haut- und Knorpelgewebe aufgefüllt. Bei normaler Heilung bildet sich über der Wunde eine Proteinmatrix, die dann die Narbe erzeugt. Bei diesen Mäusen war die Matrix zusammengebrochen und durch differenziertes Gewebe ersetzt worden. Heber-Katz erkannte, daß dies eher eine amphibienartige Regeneration als eine Heilung war.
Selbstverständlich konnten die Forscher nicht einfach die Beine der Mäuse entfernen, um zu sehen, ob Gliedmaßen nachwachsen würden; sie testeten jedoch, was geschehen würde, wenn die Spitze des Schwanzes gekappt würde. Nachdem ungefähr ein Zentimeter des Schwanzes abgetrennt worden war, wuchs die Spitze auf ungefähr drei Viertel der ursprünglichen Länge nach. Das Gewebe regenerierte sich perfekt – sogar der Pelz wuchs nach. Lebergewebe in diesen Mäusen wurde ebenfalls regeniert, so daß die korrekte Masse erreicht wurde. Bei normalen Tieren wächst zwar Lebergewebe nach, das Wachstum ist jedoch langsamer und neigt dazu, über die korrekte Masse hinauszuschießen und dann langsam auf Normalgröße zurückzuschrumpfen.
Wurde der Mäuseschwanz stärker verletzt, verhinderte lediglich die Stärke der Blutung ein erfolgreiches Nachwachsen. Als die Wunde ausgebrannt oder abgebunden werden mußte, heilte sie genau wie bei normalen Mäusen mit Narben. Heber-Katz vermutete, daß dies das größte Hindernis sein könnte, das der Regeneration bei Menschen im Wege steht.
Normale Säugetiere scheinen die Fähigkeit, Gewebe zu regenerieren, gegen ein hochentwickeltes Immunsystem eingetauscht zu haben, das aktiv das Wachstum des neuen Gewebes verhindert und so als Schutz gegen die Bildung von Tumoren dient. Heber-Katz zieht Parallelen zwischen den Mäusen und der Fähigkeit eines Embryos, ohne Narbenbildung zu heilen: "Die fötale Wundheilung verläuft ohne Narben und findet vor der Entwicklung der T-Zellen des Immunsystems statt." Die regenerierenden Mäuse besitzen ein ungewöhnliches Immunsystem und möglicherweise fehlt ihnen zumindest im späteren Leben eine bestimmte Population von T-Zellen. Die Forscher haben sieben ungewöhnliche chromosomale Stellen und ein potentielles Gen identifiziert, das die Reaktion steuert. Der beteiligte Mechanismus ist jedoch immer noch ein Rätsel.
Heber-Katz glaubt, daß wir vielleicht eines Tages in der Lage sein werden, Gene am Ort der Verwundung zu aktivieren. Dies würde es "letzten Endes möglich machen, den Organaustausch zu unterstützen, sowie die Heilung chronischer Wunden, Verbrennungen und Rückenmarksverletzungen zu verbessern", obwohl viele Hürden zu überwinden sind, um auch nur die Narbenbildung zu vermeiden.
Die Idee ein neues Gliedmaß wachsen zu lassen, komplett mit Knochen, Muskeln, funktionierenden Nerven und perfekter Haut, gehört immer noch in das Reich der Science Fiction.
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