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Arzneimittelforschung: Die Ribosom-Pipeline

Neue Antibiotika wird man in Zukunft am Fließband produzieren, hofft der Nobelpreisträger Thomas A. Steitz. Die Strukturaufklärung des Ribosoms liefert die Basis für viele neue Wirkstoffe.
Ribosom
Jahrzehntelang taten sich Bakterien schwer, gegen den Wirkstoff Colistin resistent zu werden, der deswegen bisher ein zuverlässiges Reserve-Antibiotikum gegen ansonsten multiresistente Keime war. Doch das ist vorbei, seit in Pittsburgh ein ganzer Cluster von colistinresistenten Klebsiella pneumoniae auftauchte. Damit steht fest: Auch dieser Fluchtpunkt ist nicht mehr sicher. Mit jeder derartigen Nachricht wird die Luft für Ärzte und Patienten dünner, das Angebot an antimikrobiellen Substanzen kleiner. "Dieses Problem wird uns erhalten bleiben", prophezeit auch der Nobelpreisträger Thomas A. Steitz in einem Interview auf der Lindauer Nobelpreisträgertagung. "Ich sehe keinen Weg, ein Antibiotikum zu erschaffen, gegen das ein Organismus keine Resistenz evolvieren kann."

Doch der Chemie-Nobelpreisträger sieht darin auch eine Chance. Denn das größte Hindernis bei der Entwicklung von Antibiotika war lange Zeit ein ökonomisches: Antibiotika galten als zu wenig profitabel. "Ein Antibiotikum nimmt der Patient zwei Wochen lang, dann ist er gesund und braucht das Medikament nicht mehr zu kaufen", erläutert Steitz. Medikamente, die der Patient dauerhaft einnehmen muss, seien deutlich gewinnträchtiger – mit dem Ergebnis, dass seit Jahrzehnten kaum neue Wirkstoffe entwickelt wurden.

Thomas Steitz | Der US-Amerikaner Thomas Steitz, geboren 1940, erhielt im Jahr 2009 den Chemie-Nobelpreis. Mit ihm gemeinsam sind auch Venkatraman Ramakrishnan und Ada Jonath für ihren Beitrag zur Erforschung der Ribosomen ausgezeichnet worden.
Die Entschlüsselung der Struktur des Ribosoms, an der er entscheidend beteiligt war und für die er den Nobelpreis erhielt, legt, so meint Steitz, die Grundlage für ein anderes Geschäftsmodell – eines, in dem immer neue Wirkstoffe nach bekanntem Rezept mit etablierten Methoden entwickelt werden, kalkulierbar und möglicherweise sogar billiger. Denn das Ribosom ist die ideale Zielstruktur; schon jetzt richten sich etwa 40 Prozent aller heute verwendeten Antibiotikaklassen gegen die Proteinfabrik der Zelle. Sie unterscheidet sich bei Bakterien deutlich von ihrem eukaryotischen Äquivalent, ist aber für beide überlebenswichtig.

Das permanente Damoklesschwert der Resistenzbildung hängt über allen Antibiotika, doch mit ständig neu entwickelten Wirkstoffen lässt es sich möglicherweise entschärfen. Die Instrumente stehen jetzt zur Verfügung – die gleichen Verfahren, die einen tiefen Blick in die Funktion des Ribosoms ermöglicht haben, machen es nun möglich, neue Wirkorte und Wirkstoffe wesentlich schneller aufzuspüren.

Andockstelle für Antibiotika | Die Struktur dieses bakteriellen Ribosoms wurde dank röntgenkristallografischer Verfahren aufgeklärt. Das rRNA-Molekül ist orange eingefärbt, die Untereinheiten des Proteins sind grün und blau. Ein Antibiotikum (rot) ist in die kleine Untereinheit (blau) eingebettet. Wissenschaftler untersuchen solche Strukturen, um neue und effektivere Antibiotika zu finden.
Bisher ist vieles noch Theorie, doch die ersten Schritte sind gemacht. Herzstück der neuen Strategie ist die Röntgenstrukturanalyse. Sie zeigt das Ribosom in nahezu atomarer Auflösung – und auch, wie bekannte Antibiotika und mögliche Wirkstoffkandidaten mit ihm interagieren. Statt einem Tasten im Dunkeln entspricht diese strukturbasierte Wirkstoffforschung eher einem dreidimensionalen Puzzle. Wenn ein Teil passt, hat man einen Wirkstoffkandidaten.

Aus Sicht eines Pharmaunternehmens, argumentiert Steitz, bietet die Kombination aus Resistenzproblem und Ribosom ein attraktives und vor allem kalkulierbares Geschäftsmodell. Mit dem gegenwärtigen Wissen könne man die Erforschung neuer Leitstrukturen quasi automatisieren und im Abstand von wenigen Jahren mit einem neuen Wirkstoff auf der Matte stehen.

Steitz möchte dann dabei sein: Er ist Mitbegründer des Unternehmens Rib-X Pharmaceuticals, das ebendiesen Ansatz verfolgt. Nach Angaben des Unternehmens durchlaufen bereits zwei neue Antibiotika klinische Tests und werden in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen. Auch die weiteren Aussichten sind gut. Das Ribosom ist so komplex und vielseitig, dass es noch eine ganze Weile als Zielstruktur herhalten kann.

Obwohl der Wirkmechanismus der Proteinfabrik in vielen Details aufgeklärt ist, fehlen noch wichtige Teile des Puzzles – zum Beispiel, wie das Ribosom den Anfang der RNA identifiziert oder wie es die Proteinsysnthese an der genau richtigen Stelle der Nukleinsäuresequenz beginnt. Denn würde das Ribosom die falsche Base als Startpunkt auswählen, wäre das Leseraster verschoben; es entstünde ein Protein aus ganz anderen Aminosäuren. Der gesamte Prozess erfordert eine ganze Reihe von Kofaktoren, die derzeit im Fokus der Forschung stehen und die Sammlung möglicher Zielstrukturen für Wirkstoffe deutlich erweitern dürften. All diese Prozesse sind potenzielle Angriffspunkte für neue Antibiotika, die jetzt entwickelt werden – das Potenzial des Ribosoms ist noch lange nicht erschöpft.

Im Gegenteil, dank der überragenden Bedeutung dieser Struktur fängt die gezielte Suche nach Inhibitoren gerade erst an. Dass die systematische Antibiotikaforschung am Ribosom noch ganz am Anfang steht, zeigt der Umstand, dass die ersten beiden Wirkstoffe aus dieser Strategie keinesfalls etwas Neues darstellen – sie gehören zu längst bekannten Antibiotikaklassen. Hier sind selbst die tief hängenden Früchte noch längst nicht alle gepflückt.

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