Klimazwist: "Die Risiken wurden weichgespült"
Herr Professor Cramer, warum haben Sie und Ihre Kollegen Hans von Storch vom Helmholtz-Zentrum für Material- und Küstenforschung, Paul Becker vom Deutschen Wetterdienst und Jürgen Schmid vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik sich aus der acatech-Kommission zurückgezogen?
Wolfgang Cramer: Ich selbst bin – und ich glaube, dies gilt für alle Beteiligten – mit viel Engagement in diese Kommission eingezogen: Mir gefiel die Idee, mit Vertretern der Wirtschaft unter einem akademischen Dach, der Akademie der Technikwissenschaften, über Anpassung an den Klimawandel in Deutschland zu reden und dazu einen Bericht zu verfassen. Unter anderem hatte ich gehofft, dass wir mit einem entsprechenden Thesenpapier dazu die Akzeptanz für nötige Maßnahmen bei den Unternehmern steigern können.
Wir mussten bei dieser Arbeit zwei Herausforderungen überwinden: Zum einen hatten einige Wirtschaftsvertreter tatsächlich recht "alarmistische" Vorstellungen vom bevorstehenden Klimawandel in Deutschland – etwa, dass der deutsche Wald demnächst stirbt oder dass die Landwirtschaft zu Grunde geht. Es schien die Meinung dieser Kollegen zu sein, dass solche dramatisierenden Aussagen die Förderung von Anpassungsmaßnahmen durch die öffentliche Hand unterstützen könnten. Hieraus ergaben sich aber letztlich doch konstruktive Diskussionen in der Arbeitsgruppe, und die meisten Irrtümer konnten ausgeräumt werden.
Auf der anderen Seite wurde in Vorfassungen des Abschlussberichts konsequent immer wieder ein falsches Bild der wissenschaftlichen Unsicherheit vermittelt: zum Beispiel, dass die Klimaforschung bisher noch gar nicht wisse, ob es einen Klimawandel hier zu Lande gibt und wie dieser sich regional auswirkt. Und es wurde impliziert, dass man sich mehr auf die Anpassung und nicht auf die Reduzierung von Treibhausgasemissionen konzentrieren müsse, solange dies nicht genauer bekannt sei. Man kann aber doch nicht über Anpassung reden, wenn man gar nicht benennt, woran man sich überhaupt anpassen will – zumal wenn der Wissensstand zu diesen Risiken durchaus beachtlich ist.
Von welcher Seite kamen diese Einwände?
Kommuniziert wurde diese Position im Namen der Steuerungsgruppe: Kai Konrad vom Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, Volker Mosbrugger von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und Fritz Vahrenholt von der RWE Innogy GmbH. In den uns mehrfach vorgelegten Textfassungen wurden der gegenwärtige Kenntnisstand der Klimaforschung und die Risiken des Klimawandels für Deutschland nicht korrekt dargestellt. Wir haben dann der Steuerungsgruppe und dem acatech-Präsidenten Reinhard Hüttl mitgeteilt, mit welchen Passagen wir in diesen Texten nicht einverstanden waren.
Wie reagierte die acatech?
Herr Hüttl bedankte sich für die Anmerkungen und versprach, sie zu berücksichtigen – was in unseren Augen aber nur unzureichend geschehen ist. Auch in der Endfassung des Berichts sind die Risiken des Klimawandels für Deutschland weiterhin nicht korrekt dargestellt.
Welche Risiken müssen wir denn fürchten?
In erster Linie sind dies der Meeresspiegelanstieg und häufigere beziehungsweise schwerere Sturmfluten an der Küste sowie die regional zunehmende Trockenheit. Außerdem dürfte es häufiger zu Hitzewellen kommen – das geht aus zahlreichen Forschungsarbeiten zum Thema hervor und beruht nicht auf unserer persönlichen Meinung. In der Endfassung wurden diese Risiken jedoch ziemlich weichgespült: Die Zusammenfassung im Bericht ist einfach schwach und entspricht nicht dem Beitrag, den meine Kollegen und ich geliefert haben.
Welche Rolle spielte der von Klimaforschern wegen seiner skeptischen Haltung schwer kritisierte Herr Vahrenholt?
Wir haben zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass wir nicht mit Herrn Vahrenholt zusammenarbeiten oder diskutieren wollen. Im Februar erschien dann aber sein Buch "Die kalte Sonne", in dem er – wie bereits vorher und auch später in den Medien – in sehr fragwürdiger Weise behauptet, der beobachtete Klimawandel sei primär durch andere Faktoren als die menschengeschaffenen Emissionen von Treibhausgasen bedingt. Vor diesem Hintergrund war Herr Vahrenholt als "Moderator" oder Vorsitzender dieser Kommission nicht akzeptabel. Die von uns eingebrachten wissenschaftlichen Inhalte konnten aus unserer Sicht von ihm nicht vertreten werden.
"Die deutsche und europäische Klimapolitik setzt bislang primär auf eine Strategie der Emissionsvermeidung und gibt hohe Summen aus, um hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. Bislang kaum im Fokus stehen hingegen politische Optionen der Anpassung an die aktuelle Klimadynamik. (…) Bislang wird der Sektor Anpassung weit gehend zu wenig beachtet, obwohl er technische, wirtschaftliche und ökologische Potenziale birgt. (…) Wegen der stark technikwissenschaftlichen Komponente mit einer engen Kopplung an die Unternehmenspraxis sowie des großen Wertschöpfungspotenzials von Anpassungsmaßnahmen wird eine dafür gegründete acatech-Projektgruppe eine Stellungnahme zu Anpassungsstrategien in der Klimapolitik erarbeiten."
Der Bericht wird am Montag, 22. Oktober offiziell in Berlin vorgestellt.
Herr Vahrenholt wurde aber nicht als Klimaexperte, sondern als Vertreter der Wirtschaft und als Fachmann für den Ausbau erneuerbarer Energien in die Kommission berufen.
Ja, das stimmt. Doch in diesem Bericht geht es ja gerade nicht um erneuerbare Energien, sondern um den Wissensstand zur Anpassung an den Klimawandel in Deutschland. Für die Steuerung einer Arbeitsgruppe zum Klimawandel durch eine wissenschaftliche Akademie wie der acatech muss meiner Meinung nach die wissenschaftliche Qualifikation der Vorsitzenden der Kommission unzweideutig sein.
Mussten Sie nicht damit rechnen, dass in einer gemischten Kommission aus Wissenschaftlern, Politikern und Ökonomen nur eine verwässerte Stellungnahme zum Klimawandel herauskommen kann?
Die acatech tritt mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit auf – und das muss sie auch. Für mich als Forscher muss sie dann aber in ihrer Stellungnahme den aktuellen Stand der Wissenschaft wiedergeben und nichts anderes! Diese Inhalte sollten so klar und allgemein verständlich wie möglich dargelegt werden, um auch außerhalb der Wissenschaft anzukommen. Sie können aber nicht verdreht werden, nur um einen Kompromiss mit den Vertretern der Wirtschaft herbeizuführen. Als in diesem Punkt kein Konsens erreicht werden konnte, blieb uns keine andere Option, als uns zurückzuziehen und deutlich zu sagen, dass wir diesen Bericht nicht mit unterzeichnen können.
Fürchten Sie, dass sich durch den Bericht die Diskussion über den Klimawandel hier zu Lande verändern könnte?
In der Tat titelten bereits einige Zeitungen, dass der Klimawandel in Deutschland "beherrschbar" sei. Doch das ist schlichtweg falsch. Für diese Aussage gibt es einfach keine wissenschaftliche Grundlage.
Kann man dies also als Rückschlag für den Klimaschutz in Deutschland werten?
Es ist auf alle Fälle eine Chance verpasst worden, eine breitenwirksame, profunde Stellungnahme zur Anpassung an den Klimawandel vorzulegen. Das jetzt vorgestellte Dokument wird in meinen Augen nicht mehr die Wirkung haben, die ich mir von ihm erhofft hatte. Die beteiligten Wirtschaftsverbände wie zum Beispiel die Waldbesitzer, Landwirte oder die Vertreter aus dem Gesundheitssektor brauchen diese Informationen unbedingt, doch sie bekommen jetzt weniger als den aktuellen Stand der Forschung. Ich möchte aber betonen, dass die Diskussion bei der acatech keinesfalls ein Aufeinandertreffen der "guten Klimaforscher" gegen die "bösen Skeptiker" war. Sicherlich ging es Herrn Hüttl oder Herrn Mosbrugger um das ernsthafte Anliegen, die Klimadebatte auf eine Weise zu führen, die es Vertretern der Wirtschaft ermöglicht, daran teilzunehmen. Gerade dieser Versuch aber wird in meinen Augen durch Herrn Vahrenholts Buch und die entsprechenden Nachwehen torpediert.
Was müsste Deutschland tun, um sich an den Klimawandel anzupassen?
Die eigentliche Anpassungsforschung ist immer noch sehr lückenhaft: Wie kann ich zum Beispiel einen Forstbetrieb auch wirtschaftlich zukunftsfähig machen, wenn es wärmer und trockener wird? Welche Rolle spielt die zunehmende Variabilität des Wetters, also die Häufung von Extremen – wie reagiert ein Wald auf häufigere und stärkere Hitzewellen? Allgemein gesprochen brauchen wir resistentere Systeme: Monokulturen dürften dann zum Beispiel nur noch angepflanzt werden, wenn man sicher sagen kann, dass die gewählte Art eine besonders große ökologische Bandbreite aufweist und unter einer Vielzahl unterschiedlicher Bedingungen noch produktiv wächst. Oder man setzt gezielt auf eine größere biologische Vielfalt, weil man weiß, dass die verschiedenen Spezies darin die Variabilität im Ganzen puffern.
Viele Umweltschutzorganisationen befürchten, dass die Propagierung von Anpassungsmaßnahmen den eigentlichen Klimaschutz, also die Reduktion von Emissionen, schwächen könnte. Teilen Sie diese Einschätzung?
Das ist ein oft gehörtes Argument. Aber es ist glücklicherweise auch passé: Alle wissen, dass Anpassung unvermeidlich ist, weil wir den Klimawandel nicht mehr stoppen können. Um ihn jedoch so weit wie möglich zu begrenzen, müssen wir den Ausstoß der Treibhausgase massiv reduzieren. An beidem führt kein Weg vorbei.
Vielen Dank für das Gespräch.
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