News: Die Science-Top-Ten des Jahres 1997
Das Klonen von Dolly entfachte eine hitzige Debatte: Sind ethische Bedenken stärker als der mögliche gesellschaftliche Nutzen, der durch Klonen von Säugetieren zu erwarten ist? Wann wird der erste Mensch geklont? Dolly hat die Wissenschaftler gezwungen, ihre Ideen über Zellwachstum, -entwicklung und -alterung (Dollys DNA ist älter als sie selbst) zu revidieren. Viele verwiesen auf den potentiellen Nutzen, den diese Techniken bieten: von der Herstellung identischer Kopien von wertvollem Vieh bis zum Klonen genetisch veränderter Tiere, die menschliche Proteine zur medizinischen Verwertung erzeugen können. (Ein Schritt in diese Richtung wurde bereits unternommen: Aufbauend auf ihr Dolly-Experiment haben die deutsche Forscherin Angelika E. Schnieke und ihre Kollegen es in ihrem schottischen Labor geschafft, geklonte transgene Schafe zu erzeugen, die in der Lage sind, ein menschliches Blutgerinnungsmittel herzustellen.)
Auf den weiteren Plätzen folgen:
Mars Pathfinder und das Discovery Program der NASA: Die Mars Pathfinder Mission markierte das phänomenale Debüt einer Serie geplanter Weltraumprojekte, die von der NASA entwickelt wurde, um preiswerter und schneller Daten aus dem Kosmos zu sammeln. Pathfinder und sein kleiner herumstreifender Roboter Sojourner sandten eine wahre Flut von Daten zurück. Diese Daten deuten darauf hin, daß der rote Planet der Erde möglicherweise ähnlicher ist, als bisher angenommen wurde. Die nächste Mission, Lunar Prospector, wird am 5. Januar 1998 starten, den Mond umkreisen und kartographische Aufzeichnungen erstellen.
Synchrotron-Strahlung: 1997 war ein hervorragendes Jahr für eine neue Generation stadiongroßer Maschinen, die unter dem Namen Synchrotron bekannt sind. Diese Anlagen erzeugen den bisher hellsten möglichen Lichtstrahl, der die strukturellen Geheimnisse der Materie erleuchten kann – bis zur Ebene der Atome. Zu den großen Leistungen dieses Jahres gehört eine Karte des Zellkernkörperchens (Nucleosom) mit atomarer Auflösung.
Uhren-Gene: 1997 identifizierten Forscher die ersten beiden Gene für die innere Uhr in Säugetieren – Gene, die in praktisch allen Organismen als eingebaute Zeitnehmer dienen und die dafür sorgen, daß angemessene Zeiten für Schlafen, Essen und andere grundlegende Funktionen eingehalten werden. Forscher haben ebenfalls entdeckt, daß einzelne Zellen in der Taufliege nach ihrem eigenen Zeitschema unabhängig voneinander funktionieren. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß Menschen und andere Säugetiere ähnliche Uhren-Gene besitzen. Deshalb fragen sich Wissenschaftler, ob die Natur die circadiane Uhr vom Anbeginn der biologischen Zeit bewahrt hat.
Einwandige Nanoröhren: Nanoröhren sind Kohlenstoffatome, die in zusammenhängenden Sechsecken angeordnet, aufgerollt und an den Enden mit einer Kappe abgedeckt sind. Nanoröhren bestehen aus einer einzigen Wand aus Kohlenstoff und werden wegen ihrer regelmäßigen Strukturen und ihres berechenbaren Verhaltens besonders geschätzt. Diese winzigen Röhren könnten ideal sein für alle zukünftigen Elektronikgeräte bis hin zu ultra-dauerhaften Materialien. Nanoröhren wurden erst 1991 entdeckt. 1997 wurden die Röhren geprüft, sehr fein eingestellt und mit einer Vielzahl von Substanzen gefüllt, so daß langsam ihre wahren Möglichkeiten sichtbar werden.
Mikrobielle Genome: Genom-Kartographen lieferten eine vollständige genetische Blaupause für eine Anzahl wichtiger Mikroorganismen, einschließlich der Labor-Arbeitspferde Escherichia coli, Bacillus subtilis sowie Helicobacter pylori, dem Bakterium, das für Magengeschwüre verantwortlich ist. Mit diesen Karten als Führer stochern Wissenschaftler, die versuchen, mehr über Erbkrankheiten, fundamentale Lebensprozesse und andere Fragen bezüglich der DNA zu lernen, nicht mehr ganz so sehr im Nebel.
Gammastrahlen-Ausbrüche: Gammastrahlen-Ausbrüche sind die gewaltigsten bekannten Ereignisse, die an den entferntesten Rändern des meßbaren Universums stattfinden. Gewöhnlich müssen sich Wissenschaftler mit Überbleibseln dieser seltsamen Explosionen zufriedengeben. 1997 ertappten sie jedoch einen Gammastrahlen-Ausbruch sozusagen auf frischer Tat – dazu erstmalig mit optischen Instrumenten im sichtbaren Frequenzbereich. Diese Mischung aus fundierter wissenschaftlicher Arbeit und Glück verspricht neue Informationen über ein fesselndes Rätsel zu liefern.
Neandertaler-DNA: Seit langem schon wird hitzig debattiert, ob Fossilfunde die Theorie, daß Neandertaler unsere direkten Vorfahren sind, stützen oder widerlegen. 1997 waren Wissenschaftler in der Lage, ein winziges Schnipsel uralter mitochondrialer DNA aus einem Neandertaler-Fossil zu extrahieren und zu duplizieren. Diese neue Beweislinie deutet darauf hin, daß Neandertaler lediglich unsere Cousins, nicht aber unsere Vorfahren, waren. Die Arbeit kann als willkommener Erfolg bei den oft frustrierenden Anstrengungen, uralte DNA zur Preisgabe ihrer Geheimnisse zu bewegen, gewertet werden.
Fortschritte beim Verständnis neurologischer Krankheiten: Die Hoffnung, daß neurologische Störungen eines Tages durch Therapien besiegt werden können, wurde 1997 untermauert. Beispielsweise wurde 1997 Nurr1 entdeckt. Dieses Rezeptorprotein ist wichtig für die Entwicklung gesunder Dopamin-Schaltkreise im Gehirn (die Parkinsonsche Krankheit ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Dopamin). Wissenschaftler entdeckten eine neue Art krankhafter Veränderung des Gehirns, die mit Alzheimer in Zusammenhang steht. Obwohl es einst unmöglich schien, zeigten einige Versuchstiere mit durchgetrennten Rückenmarksnerven die Fähigkeit, diese wieder nachwachsen zu lassen.
Europas Ozean: Als die Galileo-Sonde am Jupiter vorbeiflog, schnappte sie Signale von einem der riesigen Planetenmonde – Europa – auf, die eindeutig darauf hinweisen, daß unter seiner gefrorenen Oberfläche Wasser floß. Wenn dies zuträfe, wäre Europa neben der Erde der einzige wassertragende Körper in unserem Sonnensystem. In Anbetracht der Tatsache, daß Europa zwei der wichtigsten Voraussetzungen für Leben zu besitzen scheint – nämlich Wasser und eine Quelle für interne Wärme –, scheinen die Konsequenzen verlockend.
Eine Würdigung der wissenschaftlichen Leistungen des Jahres sollte auch berücksichtigen, welchen Sprung die Wissenschaft 1997 in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gemacht hat. Die globale Erwärmung – ursprünglich eine reine Theorie, mit der einige Wissenschaftler gerne spielten – wurde zu einer der heißesten politischen Fragen, für die sich die Öffentlichkeit interessiert.
Wie in früheren Jahren schlagen die Redakteure von Science sechs Bereiche der wissenschaftlichen Forschung vor, die für 1998 die aufregendsten Ergebnisse versprechen: genetisch verändertes Getreide; Pharmacogenetik-Technologien, die das Genom eines Menschen auf Krankheitsgene untersuchen und maßgeschneiderte Medikamente herstellen können; die komplexe Beziehung zwischen Artenvielfalt und der Gesundheit des Ökosystems; verbesserte Strategien zur Klimavorhersage, die eine Prognose über einen Zeitraum von zehn Jahren erlauben; die Struktur des Ribosoms, der Proteinfabrik der Zelle; Supernova-Daten, die daraufhin deuten, daß sich das Universum unendlich ausdehnt.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.