Sonnenforschung: Die Sonne als Geburtstagskuchen
Es sollte ein Tag wie jeder andere werden, als Neil Sheeley vom Naval Research Laboratory im Herbst 2011 wie so oft Bilder des NASA-Weltraumsonnenteleskops SDO betrachtete. Doch es kam anders: Zu seiner Überraschung entdeckte Sheeley auf den Bildern Strukturen auf der Sonne, die er und kein anderer Mensch je zuvor gesehen hatten. Die Aufnahmen zeigten eine Anordnung von zellenähnlichen Gebilden, ähnlich wie sie aus der Photosphäre bekannt sind. Dort, in der im sichtbaren Licht strahlenden dünnen Schicht der Sonne, sind sie Folge des aufsteigenden heißen Plasmas – ähnlich der brodelnden Blasen in einem Topf mit kochendem Wasser.
Neeley erstaunte jedoch, dass sich diese Zellen in der viel höher liegenden und viel heißeren Sonnenatmosphäre, der Korona, befanden. Zusammen mit seinem Kollegen Harry Warren beschloss er, dem Ursprung der seltsamen Strukturen, die sie kurzerhand "koronale Zellen" nannten, auf den Grund zu gehen. Ihre Ergebnisse präsentierten die Astronomen nun in einer Veröffentlichung, die am 10. April 2012 in der Fachzeitschrift Astrophysical Journal erschien. Die Forscher nutzen dazu Aufnahmen der drei Sonnensatelliten SDO, STEREO-A und STEREO-B. Deren räumliche Anordnung erlaubt es, Details auf der Sonne aus verschiedenen Blickwinkeln zu beobachten und im Verlauf der rund 30-tägigen Sonnenrotation lückenlos zu beobachten.
Im Aussehen seien die Zellen vergleichbar mit den Flammen der Kerzen auf einem Geburtstagskuchen, so die Forscher. Von oben betrachtet, erblicke man die Zellenstruktur, von der Seite erkenne man die einzelnen Flammen. Im Falle der nun beschriebenen Struktur sind die einzelnen "Flammen" allerdings vielfach größer als die Erde. Genau dies zeigte sich bei der Betrachtung zeitgleicher Aufnahmen der Satelliten SDO und STEREO-A und STEREO-B, welche die Sonne aus um 90 Grad versetzten Perspektiven entlang der Erdbahn beobachteten.
Mit weiteren Instrumenten an Bord von SDO untersuchten die Forscher den Aufbau des Magnetfelds in den koronalen Zellen. Dabei zeigt sich, dass sich die magnetischen Feldlinien vor allem in der Mitte der Zellen befanden. Dies unterscheidet sie von einer bereits bekannten Struktur, der so genannten Supergranulation, bei der die Feldlinien vor allem an deren Rand zu finden sind.
Die koronalen Zellen finden sich stets an der Grenze zweier bekannter Phänomene auf der Sonne: zwischen so genannten koronalen Löchern und Filamentkanälen. Das dynamische Magnetfeld der Sonne verursacht beide Strukturen. An den koronalen Löchern ist es zum Weltraum hin geöffnet, die Sonnenatmosphäre ist dort kühler und weniger dicht. Filamentkanäle markieren die Grenze zwischen Bereichen, in denen das Magnetfeld in die Sonne hinein- oder aus ihr heraus zeigt. In den Zellen selbst weist das Magnetfeld in eine Richtung und ist über den Filamentkanal hinweg mit einem Gebiet der entgegengesetzten Polarität verbunden. Durch Beobachtung der Zellen können die Forscher mehr über das komplexe Wechselspiel zwischen dem Magnetfeld und dem heißen Plasma der Sonne lernen.
Die Wissenschaftler gewannen bereits die ersten neuen Erkenntnisse aus der Beobachtung der koronalen Zellen. Bei Aktivitätsausbrüchen im benachbarten Filamentkanal verschwanden die Zellen zweitweise vollständig und gingen im koronalen Loch auf. In einigen Fällen tauchten sie jedoch wenig später wieder unverändert auf, "so als habe jemand die Kerzen ausgeblasen und später wieder entzündet", sagt Sheeley. Die Ursache dieses Effekts ist derzeit noch unbekannt; möglicherweise ist die Zellenstruktur immer vorhanden. Sie wäre aber unsichtbar, wenn sie im Bereich der offenen Magnetfeldlinien des koronalen Lochs läge. Schließen sich die Feldlinien am Rand des Lochs, leuchten die Zellen plötzlich auf.
Die Entdeckung der neuen koronalen Zellen unterstreicht einmal mehr die Möglichkeiten, die die zeitlich lückenlose und hochaufgelöste Überwachung unseres Gestirns durch SDO und die STEREO-Satelliten bietet. In der Zukunft erhoffen sich die Astronomen weitere Fortschritte im Verständnis der koronalen Löcher, die das Weltraumwetter nahe der Erde beeinflussen können.
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