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News: Die soziale Ungleichheit lebt - in den Konzertsälen

Nach Erkenntnissen der Musiksoziologie exiastiert die traditionelle Form der sozialen Ungleichheit auch heute noch - besonders, wenn es um die Kulturnutzung geht. Das ist das Ergebnis einer Befragung von 6500 Konzertbesuchern in Berlin, die von einem Musikwissenschaftler der Technischen Universität (TU) Berlin durchgeführt wurde. Damit kann er erstmals eine Landkarte musikalischer Geschmackskulturen aufstellen und die einzelnen Areale auch sozial genau beschreiben. Seiner Meinung nach verdeutlichen die Resultate eine Tendenz zur Ausdifferenzierung in gesellschaftliche Großgruppen, bei denen ökonomische Gesichtspunkte ebenso wie soziale Kriterien Abgrenzungen hervorrufen.
Stefanie Hertel – der Shootingstar der Volksmusik sorgt nicht nur für hohe Einschaltquoten, sondern füllt seit Jahren fast jeden Musikpalast. Je nach Konzertart – ob Volksmusik, Pop oder Klassik – unterscheiden sich jedoch die Zuhörer in ihrer sozialen Zusammensetzung. "Die Wertestruktur des Publikums findet ihren jeweiligen Ausdruck in den Liedtexten und über die Musik erfährt das Publikum zudem eine kollektive Emotionalisierung", erklärt Dr. Hans Neuhoff. Der Musiksoziologe vom Institut für Kommunikations-, Medien- und Musikwissenschaft der Technischen Universität (TU) Berlin betreut eine Untersuchung, bei der 6500 Konzertbesucher in Berlin befragt wurden. "Wir können nun erstmals eine genaue Landkarte musikalischer Geschmackskulturen zeichnen und den einzelnen Arealen auch soziale Beschreibungen zuordnen." Außerdem zeigt das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützte Projekt noch zwei andere Aspekte, die gängige Vorurteile widerlegen: Demnach sind es nicht ästhetische Gesichtspunkte, die die Hauptmotivation für einen Konzertbesuch darstellen, sondern eher der Wunsch nach Bestätigung des Wertesystems der eigenen sozialen Gruppe. "Und die Ergebnisse zeigen ebenso, dass die traditionelle Form sozialer Ungleichheit im Kulturleben auch heute noch zu beobachten ist", resümiert der Wissenschaftler, dessen Team zwanzig Konzerte aller Musikrichtungen – von Karel Gott über die Philharmoniker bis hin zu Metallica – besuchte.

Vor allem bei den Volksmusikkonzerten trafen die Wissenschaftler der TU Berlin auf ein hochgradig homogenes Publikum. Es gleicht sich besonders in der Altersstruktur, dem sozialen Hintergrund und den Lebenszielen. Geborgenheit, Sicherheit und Familie sind für 60 Prozent der Befragten sehr wichtig. Relativ hoch ist bei dieser Besuchergruppe auch der Anteil an PDS-Wählern. Andere Indikatoren wie Engagement zeigen, Führungspositionen übernehmen oder die Welt verändern spielen für sie – im Gegensatz zum Wagner-Publikum – eine verschwindend geringe Rolle. "CDU-Wähler findet man hingegen eher in Musical-Veranstaltungen. In den Wagner-Aufführungen trifft man auf einen relativ hohen Anteil an SPD- und Grünen-Sympathisanten", so der Musikwissenschaftler. Vor allem die Wagner-Besucher genießen die Komplexität des Werkes, zelebrieren bei den langen Aufführungen eine gemeinschaftliche Selbstbeherrschung. "Das ist ein typisches Handlungsmuster einer so genannten aufgeschobenen Befriedigung, einer Verhaltensanforderung, die man auch für komplexe und langandauernde wirtschaftliche Prozesse benötigt." Die Volksmusikbesucher hingegen suchen das Gemeinschaftserlebnis: Sie fassen sich an und schunkeln gemeinsam. Der Aspekt der Geborgenheit und Sicherheit steht bei ihnen im Vordergrund.

Auch der soziale Hintergrund der Besucher unterscheidet sich je nach Musikrichtung: Einen Hochschulabschluss besitzen rund die Hälfte der Wagner-Besucher, auf einen Haupt-/Volksschulabschluss verweisen hingegen viele der Volksmusikliebhaber. Außerdem kommen zu einem Konzert von Stefanie Hertel lediglich drei Prozent der Besucher allein – im Gegensatz zur Wagner-Gemeinde. Diese setzt sich aus einem sehr hohen Anteil an Einzelbesuchern (30 Prozent) und aus Singles (40 Prozent) zusammen. Auch die Altersstruktur lässt die Ungleichheit der beiden Publika erkennen: Liegt das Durchschnittsalter bei den Volksmusikhörern bei 60 Jahren, so ist es beim Wagner-Publikum fast gleichmäßig auf alle relevanten Altergruppen verteilt.

"Mit dieser Untersuchung können wir den Musikhörer als Sozialfigur beschreiben", resümiert der Wissenschaftler. Die Ergebnisse verdeutlichen besonders den Trend zur sozialen Ungleichheit, also eine Ausdifferenzierung in gesellschaftliche Großgruppen, bei denen ökonomische Gesichtspunkte ebenso wie soziale Kriterien Abgrenzungen hervorrufen. Die Musik ermöglicht dabei den Zuhörer die gewünschte kulturelle Symbolisierung seines Wertesystems.

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