News: Die spannendste Folie, seit es Leiterplatten gibt
Doch nicht nur die Entsorgung, schon die Herstellung bedeutet eine hohe Umweltbelastung. Denn herkömmliche Platinen bestehen aus glasfaserverstärktem Epoxidharz. Der Kunststoff wird vorwiegend aus Epichlorhydrin und Bisphenol A gewonnen. Vor allem Epichlorhydrin ist akut giftig, reizt Haut, Augen und Atemtrakt und hat als stark reaktives Alkylierungsmittel mutagene Wirkung. Hinzu kommen die Glasfasern, die ähnlich wie Asbest krebserzeugendes Potential besitzen und die Tatsache, dass auch im fertigen Produkt immer noch Restmonomer, sprich Epichlorhydrin, enthalten ist.
"Außerdem werden ganz bewusst Schadstoffe in das Epoxidharz eingebracht, denn im Störungsfall soll der Kunststoff nicht brennen", erklärt Röhrs, Leiter des Projektes Recyclingfähige Leiterplatten an der Technischen Universität Dresden. Damit unsere elektronischen Geräte also nicht beim kleinsten Defekt in Flammen aufgehen, enthalten sie Halogenverbindungen als Flammschutz. Zusammen mit den Kohlenwasserstoffen des Kunststoffes entstehen somit in der Müllverbrennung hochtoxische Dioxine und Dibenzofurane. Auf Müllhalden können die ausgeschwemmten Giftstoffe das Grundwasser verseuchen.
"Die mittlerweile fünfzig Jahre alte Leiterplatte ist eines der recycling-unfreundlichsten Teile in der Elektronik", so der Wissenschaftler. Für die meisten Anwendungen reichen einlagige Platinen längst nicht mehr aus. Im Schaukasten der TU-Dresden hängt das 24lagige Prozessorboard eines alten UNIX-Servers. Dabei ist jede einzelne Lage eine Leiterplatte für sich, wurde mit Strukturen versehen und gebohrt. Anschließend werden die fertigen Teile fest miteinander verpresst. "Das bekommt man nie wieder auseinander. Daher sind die Ausfallraten bei solchen Platinen auch sehr hoch. Wenn eine Lage nicht ganz passt, muss die gesamte Leiterplatte aussortiert werden. Hier ist also auch vom technischen Standpunkt aus irgendwann das Ende der Fahnenstange erreicht. Ein Recycling ist durch diese Konstruktion so gut wie unmöglich." Die Rückgewinnung der metallischen Wertstoffe gelingt nur mit extrem aufwendigen Aufarbeitungsverfahren und hohen Verunreinigungen.
Gemeinsam mit der Firma Würth Elektronik aus Niedernhall haben sich die Dresdner Wissenschaftler hingesetzt und ein völlig neues Konzept für Leiterplatten entwickelt. "Eine Platine hat im wesentlichen zwei Funktionen: Sie trägt die elektronischen Bausteine und stellt eine leitende Verbindung zwischen den Bauteilen her. Bei der herkömmlichen Epoxidharzplatte sind diese Funktionen in einem Baukörper vereint. Uns war klar, dass wir diese Funktionenintegration aufheben müssen und nur eine Trennung der beiden Aufgaben zu einem vernünftigen Ergebnis führen kann", erklärt Röhrs.
Gesagt, getan. Dabei heraus gekommen ist TWINflex®, eine vollständig recyclingfähige Folienleiterplatte. Folienleiterplatte deshalb, weil für die elektrische Verbindung der Bauteile lediglich ein 100 bis 200 Mikrometer dünner, hochtemperaturbeständiger Kunststoff zuständig ist. Wie Pergamentpapier knistert die Polyimidfolie zwischen den Fingern. Doch nicht nur Polyimid, auch andere Kunststoffe, wie Flüssigkristallpolymere (LCP, Liquid Crystal Polymer) oder Polyethylennaphthalat (PEN) eignen sich für diesen Zweck. Auf die Folien sind wie bei den herkömmlichen Epoxidharzplatten die Metalleitungen aufgebracht. Die Dresdner Wissenschaftler und Würth Elektronik legten gemeinsam 1995 den ersten Prototyp vor. Seit 1999 fertigt Würth die Leiterplatte in Serie.
Da eine flexible Platine nicht für jede Anwendung zweckmäßig ist, haben die Forscher eine Konstruktion aus Folienleiterplatte und Trägerelement entwickelt. Die beiden Teile können mittels einer Kaltklebefolie verbunden werden. Somit haben sie das Ziel der Funktionentrennung erreicht: Der Träger hat ausschließlich tragende, die Leiterplatte nur verbindende Funktion. Damit sind die elektrischen Eigenschaften der stabilisierenden Platte völlig unerheblich, und es können hierfür die verschiedensten Materialien verwendet werden. Denkbar sind zum Beispiel ebenfalls hochtemperaturbeständige Kunststoffe oder aber Metallplatten. "Der Vorteil eines Metallträgers ist, dass er gleichzeitig als Wärmesenke (heat-sink) dient", erklärt Röhrs.
Mit einem Ruck lassen sich Folie und Träger wieder voneinander trennen. Das zurückbleibende Trägerelement kann beliebig oft wieder verwendet werden. Für den Fall, dass es in den Abmessungen nicht mehr passt, ist die Rückgewinnung sowohl vom technischen als auch vom energetischen Standpunkt einfach. Da der verwendete Kunststoff bzw. das Metall sortenrein ist, also keine weiteren Zusätze enthält, entfallen aufwendige Trennverfahren. Auch die Verwertung und Rückgewinnung der Materialien aus der Folienleiterplatte sind unproblematisch. Versuche dazu haben Wissenschaftler in der TU Bergakademie Freiberg durchgeführt. Die Forscher haben die Folie in einer Turborotormühle zerkleinert und das Pulver anschließend fraktioniert. Röhrs hält einen Beutel Kunststoffpulver in der einen, einen Beutel Kupferstaub in der anderen Hand: "Das Kupferkonzentrat hat eine Reinheit von bis zu 99,8 Prozent."
Andere Verfahren zur Fixierung der Leiterplatte sind das bereits erwähnte Joghurtbecher-Prinzip in TWINflex® Z oder das Einlegen der Folie in eine geschlossene Box (TWINflex® B). TWINflex® Z steht für 'Zwischenelement', denn "manchmal kann es vorkommen, dass die Folie beim Abziehen einreißt oder zum Teil auf dem Trägerelement zurückbleibt", so Röhrs. Damit niemand Folienreste vom Träger knibbeln muss, wird eine dünne, heißsiegelbeschichtete Verbindungsfolie auf die Trägerplatte geschweißt. Wie der Deckel eines Joghurtbechers läßt sich die Leiterplatte dann zur Entsorgung ganz leicht und vollständig rückstandsfrei lösen.
Durch fehlende Schadstoffe, vollständige Recycling-Fähigkeit und eine Materialersparnis von bis zu achtzig Prozent ist den Forschern eine durch und durch umweltfreundliche Lösung geglückt. Hinzu kommen bessere thermische und verbesserte elektronische Eigenschaften. Die thermoplastischen Materialien überstehen Dauertemperaturbelastungen von bis zu 150 Grad Celsius und können Spannungen durch Temperaturschwankungen besser aufnehmen. Eine im Vergleich zum Epoxidharz erniedrigte relative Dielektrizitätskonstante führt zu einer erhöhten Ausbreitungsgeschwindigkeit der Elektronen und damit zu besseren elektrischen Eigenschaften. Zusätzlich konnten die Strukturen noch einmal durch eine neue Technologie verkleinert werden. Die Löcher für die Bauteile werden nicht mehr mechanisch, sondern mit einem Plasma gebohrt. "Kleinere Bohrer als 200 Mikrometer brechen schon beim scharfen Hingucken weg", sagt Röhrs. Durch den Übergang vom mechanischen zum Plasmabohren reduziert sich der Durchmesser der Bohrlöchen auf nur noch 50 Mikrometer.
Noch sind die neuen Leiterplatten teurer als herkömmliche Platinen. Bei der neuen Technologie steht die Funktionalität im Vordergrund: klein, leicht, dünn. – Überall wo es darauf ankommt, ist die neue Technologie gefragt. "Wir sind im Moment vor allem in der Sensorik und im Bereich Automoblindustrie aktiv", erklärt Jens Kostelnik von Würth Elektronik. Bleibt zu hoffen, dass Röhrs mit seiner Prognose falsch liegt: "Wirklich durchsetzten wird sich das wohl erst, wenn die Bestimmungen da sind." Denn die Elektronikschrott-Verordnung liegt dem Bundesrat schon seit zwei Jahren zur Beratung vor. Ob sie aber überhaupt noch kommt ...? Handlungsbedarf besteht in jedem Fall schon lange – auch ohne Verordnung.
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