Internationale Supercomputer-Konferenz: Die 500 weltschnellsten Computer
Same procedure as every year: Zur Eröffnung der Internationalen Supercomputer-Konferenz wird die Liste Top500 der 500 weltschnellsten Computer veröffentlicht. Und die Kommentare zur Liste sind im Wesentlichen dieselben wie letztes Jahr: Der Trend zu immer höherer Rechenleistung ist ungebrochen; das mooresche Gesetz, nach dem alle wesentlichen Größen Jahr für Jahr um den Faktor 1,6 besser werden, gilt am oberen Ende der Leistungsskala sogar verschärft, mit dem Faktor 1,9, und dieses naturgesetzartige Wachstum trotzt sogar den bedrohlich näherrückenden physikalischen Grenzen der Miniaturisierung.
Diesmal ist alles anders! Hans Meuer, der 1986 die Konferenzserie ins Leben gerufen und in seiner sehr persönlichen, herzlich-rauen Art geleitet hat, ist im Januar dieses Jahres gestorben. Für ihn sind seine Söhne Martin und Thomas Meuer ins Leitungsteam aufgerückt.
Auch der sachliche Teil gibt weniger Anlass zum Jubel als sonst. Der Moore-Faktor ist auf klägliche 1,2 gefallen. In der, sagen wir, Autoindustrie wäre eine Leistungssteigerung um 20 Prozent eine Sensation, aber in der erfolgsverwöhnten Supercomputer-Branche ist das ein Anlass zu großer Sorge. Und es kommt noch schlimmer. Bislang ist lebhafte Bewegung in der Top500 die Regel. Jedes Jahr pflegten ungefähr 200 Maschinen aus der Liste herauszufallen, weil sie von stärkeren Geräten verdrängt wurden. Diesmal sind es mickrige 116. Auf den ersten zehn Plätzen gibt es nur einen einzigen Neuzugang, ein Gerät der amerikanischen Regierung mit ungenanntem Verwendungszweck.
Und auf Platz 1 steht noch nicht einmal ein Amerikaner. Die chinesische Anlage Tianhe-2 (Milky-Way 2) besetzt zum dritten Mal in Folge die Spitzenposition. Die "National University of Defense Technology" (NUDT), die als Hersteller firmiert, hat es fertiggbracht, mehr als 3 Millionen Einzelprozesssoren zu gemeinsamem Tun zu veranlassen, fast doppelt so viele wie bei Sequoia vom amerikanischen Energieministerium, die vor zwei Jahren den Spitzenplatz einnahm und heute noch Platz 3 hält. Im Betrieb verzehrt Tianhe-2 immerhin fast 18 Megawatt.
Der schnellste europäische Rechner steht dieses Jahr nicht bei den üblichen Verdächtigen, sondern in der Schweiz, beim Centro Svizzero di Calcolo Scientifico (CSCS) in Lugano. Auf der internationalen Liste hat "Piz Daint" Platz 6 – und unter den "Top ten" Platz 1 in der Liste der energieeffizientesten Rechner. Damit ist er ein durchaus zukunftsweisendes Gerät; denn die Computerbauer haben zwar relativ klare Vorstellungen, wie sie – nach Tera- und Petaflops – die nächste Tausenderbarriere, die Exaflops (1018 Rechenoperationen pro Sekunde) durchbrechen wollen, nicht aber, wie sie die zugehörige Stromrechnung bezahlen sollen (siehe die ausführliche Diskussion in dem Artikel von Arndt Bode). Immerhin ist der Durchschnittscomputer bei der Energieeffizienz besser, als die Extrapolation aus den vergangenen Jahren vermuten ließ. Piz Daint bringt es auf 3350 Gigaflops pro Kilowatt, knapp unter dem Spitzenreiter Tsubame KFC aus Japan (Platz 13 auf der Top500) mit 3500 Gigaflops pro Kilowatt.
Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sichDie Dominanz der fernöstlichen Konkurrenz hätte zu anderen Zeiten den amerikanischen Nationalstolz auf den Plan gerufen und damit den Wettkampf der Nationen befeuert; man denke an die Erregung über den Earth Simulator vor elf Jahren. Davon ist diesmal erstaunlich wenig zu hören. Vielleicht weil auch im Tianhe-2 die Chips von Intel stecken – oder weil auch die Amerikaner zurzeit nicht so können, wie sie wollen.
Erich Strohmaier vom Lawrence Berkeley National Laboratory, der 1993 die Liste Top500 ins Leben gerufen hat und – same procedure as every year – ausgiebig analysiert, greift, um die aktuelle Fast-Stagnation zu erklären, sogar zu Mitteln aus der Soziologie. Der Gini-Koeffizient ist eine Rechengröße, die eigentlich die ungleiche Verteilung des Reichtums in einer Gesellschaft misst: Ein Wert von 0 entspricht der totalen Gleichverteilung; bei einem Gini-Koeffizienten von 1 hat einer alles und alle anderen nichts. Daran gemessen, haben sich die Supercomputer jahrelang in Richtung einer egalitären Gesellschaft bewegt, aber neuerdings wachsen die Ungleichheiten wieder stark an: Der Gini-Koeffizient ist von anfangs 0,6 auf 0,42 gefallen und neuerdings wieder auf 0,6 angestiegen. In der Tat entfallen von der kumulierten Leistung aller 500 Listenmitglieder 12, 6 und 6 Prozent auf die stärksten drei.
Während also die Spitzengruppe dem allgemeinen Trend davoneilt, sieht es für den Durchschnitt eher mager aus – relativ. Als Indikator eignet sich die Leistung des Listenletzten (Platz 500 auf der Liste), weil sich bei dieser Größe die Turbulenzen in den oberen Rängen statistisch ausmitteln. Hier konstatiert Strohmaier einen merklichen Knick in der Kurve, und zwar bei 2008. Wohlgemerkt: Es ist eine logarithmische Darstellung. Eine Gerade entspricht exponentiellem Wachstum, entsprechend dem mooreschen Gesetz. Daher sagt der Knick auch nur, dass der jährliche Zuwachsfaktor von 1,9 vor 2008 auf 1,55 abgesunken ist. Das kommt jedenfalls heraus, wenn man in die entsprechenden Teile der Daten Ausgleichsgeraden legt. Aber es ist ein "slowdown", und wenn der bis 2020 anhält, macht er gegenüber der Fortschreibung des alten Trends einen Faktor 10 aus.
Kann es sein, dass die Innovationskraft der klassischen Zukunftsindustrie ermüdet? Schwerlich. Was fehlt, ist wohl eher das Geld. Auch das kann Strohmaier seinen Statistiken entnehmen. Es wird nicht mehr so eifrig angeschafft. Das Durchschnittsalter des Listenmitglieds ist von 0,75 Jahren 2008 auf 2,3 Jahre angewachsen.
Natürlich kommt einem die Finanzkrise in den Sinn, wenn ausgerechnet bei 2008 ein solcher Knick in der Kurve zu beobachten ist. Das passt allerdings nicht so ganz zu den Gebräuchen der Branche; denn von der Entscheidung für den Kauf einer Maschine bis zur Inbetriebnahme vergeht ungefähr ein Jahr. Die Finanzkrise hätte sich also mit deutlicher Verspätung in den Zahlen niederschlagen müssen. Darüber hinaus hieß es noch vor wenigen Jahren, dass zum Beispiel die Autoindustrie zwar knapper bei Kasse sei als vor der Krise, aber deswegen nicht auf Rechenleistung verzichten könne. Sonst könne man mangels rechnergestützter Innovation schon wenige Jahre später nicht mehr im Markt bestehen. Aber offensichtlich können – oder müssen – manche Anwender eben doch auf noch mehr Rechenleistung verzichten.
Das gilt anscheinend nicht für die Abnehmer von Rechenleistung, die ihre Verwendungszwecke nicht veröffentlichen. Ein Vertreter des Computerherstellers HP bringt das in einem völlig anderen Kontext – der Vorstellung einer neuen Produktlinie – auf den Punkt: In dem Kampf zwischen den Textverschlüsslern und den Kodebrechern gewinnt am Ende derjenige, der schneller rechnen kann. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass der weltschnellste Rechner unter der Leitung des chinesischen Verteidigungsministeriums entstanden ist.
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