Hydrologie: Die verdammten Flüsse dieser Erde
Von wegen ungezähmte Kraft der Flüsse: Ihrer Dynamik durch Wehre beraubt, kriechen immer mehr von ihnen kastriert dahin. Doch schleichend und hinterrücks ertränken sie ihre Fesseln: in Sand.
Jüngst erst zog die Weltbank massive Kritik von Umweltschützern und Entwicklungsexperten, aber auch einiger Ökonomen auf sich, weil sie die Finanzierung des großen Staudamm-Projekts Nam Theun 2 in Laos gewährte. Dieses 1,3 Milliarden Dollar teure Infrastrukturprojekt wird nach Fertigstellung etwa 450 Quadratkilometer Regenwald überfluten, 6000 Menschen heimatlos machen, die umgesiedelt werden müssen, und dem wenig entwickelten Laos einen Haufen Schulden aufbürden.
Weltweit werden einer Erhebung von Christer Nilsson von der schwedischen Universität Umeå und seiner Kollegen zufolge von den 292 wichtigsten Flusssystemen mittlerweile 172 immer wieder durch diese massiven Mauerwerke in ihrem Lauf unterbrochen – darunter auch die acht Einzugsgebiete, die zu den artenreichsten Lebensräumen der Erde zählen [1]. Nur 102 Systeme – davon drei auf dem europäischen Kontinent in Russland – blieben bislang von baulichen Eingriffen völlig verschont: zumeist in Tundren, den großen Nadelwaldgebieten des Nordens, in tropischen Regenwäldern oder Savannen.
In mediterranen Regionen oder Wüsten kennt man ungezähmte Flüsse hingegen fast nicht mehr. Kein Wunder: Schließlich reichen hier die Niederschläge allein kaum zum Wirtschaften aus, und sie sind beliebte Siedlungsgebiete mit hohem Wasserverbrauch. Manche Ströme wurden hier in so starke Korsette gepresst, dass in den Rückhaltebecken mehr Wasser lagert, als der Fluss ansonsten in einem ganzen Jahr abtransportieren würde – so am Volta in Westafrika, in dessen Stauseen ein Vierfaches seines Jahresabflusses gespeichert ist.
Zudem ziehen die Bauträger bei der Konstruktion einer Staumauer häufig zwei Effekte nicht mit ins Kalkül, die ihnen sehr schnell zum doppelten Problem werden können: Erosion und Sedimenttransport. Denn zum einen erhöhten die Menschen nach dem erfolgreichen Umstieg zum Landwirt stetig den Bodenabtrag und damit die Flussfracht. Seit sie aber mit Beton bauen können, haben sie dem Transport wieder einen richtig effektiven Riegel vorgeschoben: Dämme. Und diese sind in der Tat wirksame Sedimentfallen, wie ein Team um James Syvitski von der Universität von Colorado in Boulder in einer neuen Studie zeigen kann [2].
Nach ihren Datenerhebungen und Modellen schwemmt der Abtrag von geernteten Feldern, erodierten Hängen oder aus gerodeten Wäldern Jahr für Jahr weltweit durchschnittlich 2,3 Milliarden Tonnen Erde in die Flüsse. Andererseits erreichen davon nur noch etwa 1,4 Milliarden Tonnen Sediment die Küste. Stattdessen sammelten sich in den letzten fünfzig Jahren mehr als 100 Milliarden Tonnen Erdmaterial und ein bis drei Milliarden Tonnen Kohlenstoff – etwa in Form überfluteter Bäume oder abgestorbener Wasserpflanzen – in den Staubecken des Globus an.
Dieses Phänomen lässt sich weltweit beobachten; es findet im Mississippi-Delta, am Gelben Fluss und auch an der Po- und Donau-Mündung statt: Obwohl der Mensch also mehr abträgt als je zuvor, kommt immer weniger im Meer an, und die Küsten ziehen sich dort zurück. Die Wissenschaftler mahnen denn auch, dass sich dies durch den vorhergesagten Meeresspiegelanstieg beschleunigen könnte. Die einzige Ausnahme von dieser Entwicklung bildet Indonesien, wo exzessive Abholzung viele Sedimente abspülen lässt, die Flüsse aber noch kaum verbaut sind.
Trotz dieser Probleme setzen die Menschen dennoch weiterhin auf Staudämme. Nach den Studien von Nilsson sind in 46 Einzugssystemen weitere Verbauungen geplant oder bereits im Bau, wobei allein am Chang Jiang 49 oder am La Plata in Argentinien 29 Dämme errichtet werden sollen. In den Vereinigten Staaten beginnt man jedoch wieder leicht umzudenken: Kleinere Wehre fielen bereits, und selbst an einen Giganten der Zunft legen Naturschützer gedanklichen Sprengstoff: Der Glen-Canyon-Staudamm in Arizona soll fallen, um den Glen Canyon in alter Pracht wiederaufleben zu lassen.
Bauvorhaben wie dieses stehen häufig zur Diskussion, weil sie neben unbestrittenen Vorteilen wie Energie- und Devisengewinnung auch viele ebenso unstrittige Nachteile besitzen. Oft geht die Konstruktion der steinernen Flussbarrieren zu Lasten der lokalen Bevölkerung, die – etwa am chinesischen Drei-Schluchten-Staudamm – ihre angestammten Dörfer und Städte verlassen muss, um Platz zu machen für das steigende Wasser. Auch wertvolle Ökosysteme werden in Mitleidenschaft gezogen, wie riesige ertränkte Regenwaldgebiete am Tucuruí in Brasilien zeigen.
Weltweit werden einer Erhebung von Christer Nilsson von der schwedischen Universität Umeå und seiner Kollegen zufolge von den 292 wichtigsten Flusssystemen mittlerweile 172 immer wieder durch diese massiven Mauerwerke in ihrem Lauf unterbrochen – darunter auch die acht Einzugsgebiete, die zu den artenreichsten Lebensräumen der Erde zählen [1]. Nur 102 Systeme – davon drei auf dem europäischen Kontinent in Russland – blieben bislang von baulichen Eingriffen völlig verschont: zumeist in Tundren, den großen Nadelwaldgebieten des Nordens, in tropischen Regenwäldern oder Savannen.
In mediterranen Regionen oder Wüsten kennt man ungezähmte Flüsse hingegen fast nicht mehr. Kein Wunder: Schließlich reichen hier die Niederschläge allein kaum zum Wirtschaften aus, und sie sind beliebte Siedlungsgebiete mit hohem Wasserverbrauch. Manche Ströme wurden hier in so starke Korsette gepresst, dass in den Rückhaltebecken mehr Wasser lagert, als der Fluss ansonsten in einem ganzen Jahr abtransportieren würde – so am Volta in Westafrika, in dessen Stauseen ein Vierfaches seines Jahresabflusses gespeichert ist.
Da aber gerade die biologisch wertvollsten Flüsse eingedämmt werden, hat dies nach Meinung der Forscher Konsequenzen für die Biodiversität dieser Räume. Denn die künstlichen Seen bilden effektive Barrieren für den Austausch von Tier- und Pflanzenpopulationen. Zudem werden die Wanderwege von Fischen zerstört und Arten schneller Strömungen durch solche mit Vorlieben für Stillgewässer ersetzt: Teilweise massive Einbrüche für den lokalen Fischfang sind eine häufige Folge, was man etwa am Mekong beobachten konnte.
Zudem ziehen die Bauträger bei der Konstruktion einer Staumauer häufig zwei Effekte nicht mit ins Kalkül, die ihnen sehr schnell zum doppelten Problem werden können: Erosion und Sedimenttransport. Denn zum einen erhöhten die Menschen nach dem erfolgreichen Umstieg zum Landwirt stetig den Bodenabtrag und damit die Flussfracht. Seit sie aber mit Beton bauen können, haben sie dem Transport wieder einen richtig effektiven Riegel vorgeschoben: Dämme. Und diese sind in der Tat wirksame Sedimentfallen, wie ein Team um James Syvitski von der Universität von Colorado in Boulder in einer neuen Studie zeigen kann [2].
Nach ihren Datenerhebungen und Modellen schwemmt der Abtrag von geernteten Feldern, erodierten Hängen oder aus gerodeten Wäldern Jahr für Jahr weltweit durchschnittlich 2,3 Milliarden Tonnen Erde in die Flüsse. Andererseits erreichen davon nur noch etwa 1,4 Milliarden Tonnen Sediment die Küste. Stattdessen sammelten sich in den letzten fünfzig Jahren mehr als 100 Milliarden Tonnen Erdmaterial und ein bis drei Milliarden Tonnen Kohlenstoff – etwa in Form überfluteter Bäume oder abgestorbener Wasserpflanzen – in den Staubecken des Globus an.
Gerade in den Trockengebieten Afrikas, Asiens und Nordamerikas versanden die Reservoirs zunehmend, wobei der ägyptische Assuan-Staudamm am Nil das klassische Beispiel für die Entwicklung darstellt. Statt seinen fruchtbaren Schlamm durch jährliche Überschwemmungen auf die Felder der heimischen Fellachen zu tragen oder das Nildelta im Mittelmeer weiter aufzuschütten, lädt Ägyptens Lebensader seine wertvolle Fracht im Stausee ab, der langsam zusedimentiert. Den Schaden haben die Bauern, die nun auf teuren Kunstdünger zurückgreifen müssen, was ihnen früher die Flussoase auf natürliche Weise geschenkt hat. Und das Delta bröckelt ohne Nachschub ab, das Mittelmeer holt sich zurück, was ihm einst der Fluss genommen hat.
Dieses Phänomen lässt sich weltweit beobachten; es findet im Mississippi-Delta, am Gelben Fluss und auch an der Po- und Donau-Mündung statt: Obwohl der Mensch also mehr abträgt als je zuvor, kommt immer weniger im Meer an, und die Küsten ziehen sich dort zurück. Die Wissenschaftler mahnen denn auch, dass sich dies durch den vorhergesagten Meeresspiegelanstieg beschleunigen könnte. Die einzige Ausnahme von dieser Entwicklung bildet Indonesien, wo exzessive Abholzung viele Sedimente abspülen lässt, die Flüsse aber noch kaum verbaut sind.
Trotz dieser Probleme setzen die Menschen dennoch weiterhin auf Staudämme. Nach den Studien von Nilsson sind in 46 Einzugssystemen weitere Verbauungen geplant oder bereits im Bau, wobei allein am Chang Jiang 49 oder am La Plata in Argentinien 29 Dämme errichtet werden sollen. In den Vereinigten Staaten beginnt man jedoch wieder leicht umzudenken: Kleinere Wehre fielen bereits, und selbst an einen Giganten der Zunft legen Naturschützer gedanklichen Sprengstoff: Der Glen-Canyon-Staudamm in Arizona soll fallen, um den Glen Canyon in alter Pracht wiederaufleben zu lassen.
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