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Neuroökonomie: Die Versuchung des gläsernen Kunden

Butter und Milch standen lediglich auf dem Einkaufszettel. Doch die Schokoriegel waren grad im Angebot - und schwups landen sie auch im Einkaufswagen. Was geht im Konsumentenkopf vor, wenn er zu Sonderangeboten greift? Neuroökonomen suchen eine Antwort.
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Jeden Tag sind wir allein in Deutschland etwa 6000 Werbekontakten ausgesetzt. Vielleicht auch noch mehr – wenn stimmt, was Vance Packard in seinem Bestseller "Die geheimen Verführer" bereits im Jahre 1958 behauptete: Die Einblendung von Popcorn- oder Coca-Cola-Bildern in Kinospielfilmen habe im Millisekundenbereich die Zuschauer zum direkten Konsum dieser Produkte verführt – obwohl die Marken für das Auge gar nicht mehr erkennbar gewesen waren.

Bis zum heutigen Tag konnten die Befürchtungen Packards nicht bewiesen werden. Aber in einem neuen Forschungsgebiet wird man wahrscheinlich bald feststellen können, ob eine solche Art der Verführung überhaupt möglich ist – in der Neuroökonomie, die Hirnforschung und Wirtschaftswissenschaft miteinander vereinigt.

Konsument im Tomografen

Neuroökonomen forschen nicht mit Hilfe von Fragebögen oder Reaktionstests, sondern dort, wo die Reaktion auf ein Produkt entsteht: im Gehirn. Hierzu wird der Konsument in einen Kernspintomografen gelegt. In einer Brille sieht er verschiedene Produkte, deren Attraktivität er einordnen muss. Gleichzeitig macht der Tomograf den Blutfluss in verschiedenen Bereichen des Gehirns sichtbar. So lässt sich eine aktive, stark durchblutete Hirnregion von nichtaktiven Regionen unterscheiden. Träumt der Konsument beispielsweise von einem Produkt, das ihm gefällt, ist das Belohnungszentrum in seinem Gehirn besonders aktiv.

Belohnungszentrum | Die Kernspintomografie offenbart es: Sobald ein Mensch ein begehrtes Objekt erblickt, regen sich bestimmte Hirnareale, die für Belohnungen zuständig sind.
Das Forschungsteam um Christian Elger und Bernd Weber arbeitet im Life & Brain Center in Zusammenarbeit mit der Universität Bonn. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass es nicht allzu schwierig ist, Einfluss auf das Kaufverhalten zu nehmen", erklärt Weber.

So untersuchte sein Team, was in den Köpfen von Konsumenten beim Anblick von Rabattsymbolen geschieht. Hierzu schauten die Versuchspersonen im Kernspintomografen auf die verschiedensten Produkte wie beispielsweise Äpfel, Tomaten, Computer oder Autos. Kurze Zeit später erschien der Preis, und die Versuchsteilnehmer sollten entscheiden, ob sie das zuvor gezeigte Produkt kaufen wollten oder nicht. Bei einem Teil der Preise wurde neben dem Preis zusätzlich ein Rabattsymbol eingeblendet.

"Rabattsymbole sind offenbar schon tief in unser Gehirn eingebrannt"
(Bernd Weber)
"Die Ergebnisse waren beeindruckend", stellt Weber fest. "Im Gegensatz zur einfachen Preisangabe führten zusätzlich angezeigte Rabattsymbole zu einer signifikanten Aktivierung von Belohnungsarealen im Gehirn. Offenbar sind Rabattsymbole schon so tief in unser Gehirn eingebrannt, dass ihr Auftauchen Gefühle wie 'Da kann ich ein Schnäppchen machen' weckt – ein Gefühl, das die Erwartung hervorruft, belohnt zu werden. Natürlich beeinflusst dies das Verhalten in Richtung Kaufentscheidung."

Ohne Verstand

Wie die Forscher weiter entdeckten, kam es bei einem Teil der Versuchspersonen zu einer gedrosselten Aktivität im Vorderhirn, sobald ihnen Rabattsymbole präsentiert wurden. Diese "kortikale Entlastung" war ein Hinweis dafür, dass beim Anblick der vermeintlichen Schnäppchen "der Verstand ausschaltet": Rabattsymbole setzen offenbar die Kritikfähigkeit herab, sodass der Kunde eher zu einer Ware greift, von der er sonst die Finger lassen würde.

Die Neuroökonomie hat bereits Ängste und Schreckensvisionen ausgelöst. Kann sie die geheimsten Bedürfnisse eines Menschen sichtbar machen – auf dass man ihn zielgerichtet zum Konsumenten macht? Um das letzte bisschen menschliche Freiheit wäre es dann endgültig geschehen. Oder kann man dem Menschen nichts an Freiheit wegnehmen, weil er sowieso niemals etwas davon besessen hat? Ist die leichte Manipulierbarkeit des Menschen etwa nur ein Ausdruck dieser Unfreiheit? Hirnforscher wie Wolf Singer haben bereits heftige Diskussionen ausgelöst, als sie behaupteten, dass menschliches Denken determiniert sei, weil alle Entscheidungen auf deterministischen neuronalen Prozessen im Gehirn beruhten.

Nein, entgegnen andere wie der Psychiater Manfred Spitzer. Im Gegenteil: Die Hirnforschung zeige zum ersten Mal zweifelsfrei, dass wir uns selbst bestimmen. Solange wir nicht entschieden haben, ist alles möglich. Beim Bewerten dürfen wir beispielsweise nicht den Fehler machen, uns allein auf den Nucleus accumbens unseres Belohnungssystems zu verlassen, der spontan und automatisch reagiert. Zusätzlich müssen wir den orbitofrontalen Kortex einschalten. Dieser hat die Ergebnisse früherer Beurteilungen abgespeichert und sorgt für eine ausgewogene und auf Erfahrungen Rücksicht nehmende Einschätzung.

Ob es uns gelingt, den orbitofrontalen Kortex zur rechten Zeit einzuschalten? Wie dem auch sei – eines ist sicher: Einfach hat es die Neuroökonomie zurzeit noch nicht. Immer wieder ist es für sie schwierig, zu eindeutigen Ergebnissen zu gelangen, und häufig täuschen die Kernspinbilder eine Exaktheit vor, die nicht der Wirklichkeit entspricht. Denn bei der Kernspintomografie werden keine neuronalen Prozesse gemessen, sondern nur der Blutfluss im Gehirn. Und dieser ist nicht gleichzusetzen mit dem wirklichen Denkvorgang.

So hat die Neuroökonomie bislang nur entdeckt, was die Werbewirtschaft längst gewusst hat: Begehrte Marken sind auch im Gehirn begehrt.

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