KI als Wetterfrosch: Wettervorhersagen ohne meteorologisches Verständnis
Täglich erreichen uns Schlagzeilen über den Einsatz und Missbrauch von generativer künstlicher Intelligenz (KI) – den Algorithmen wie ChatGPT, die realistische Inhalte unter anderem in Text- oder Videoform erzeugen können. Die anfängliche öffentliche Begeisterung wurde schnell durch Bedenken gedämpft. Eine ähnliche Debatte zu den neuen Technologien führen auch Atmosphärenwissenschaftler: Denn einige von ihnen haben nun begonnen, generative KI in ihre Modelle zur Wettervorhersage einzubauen. Im Juli 2023 haben zwei Forschungsgruppen ihre neuesten KI-Wettermodelle in der Fachzeitschrift »Nature« vorgestellt: Das Team um Kaifeng Bi vom chinesischen Unternehmen Huawei Cloud in Shenzhen hat ein Modell entwickelt, das das Wetter für bis zu sieben Tage vorhersagt, während Yuchen Zhang und seine Kolleginnen und Kollegen von der Tsinghua-Universität in Peking einen Algorithmus zur Niederschlagsvorhersage für bis zu drei Stunden im Voraus präsentiert haben.
Herkömmliche Wettervorhersagemodelle basieren auf physikalischen Gleichungen, die mit computergestützten Verfahren ausgewertet werden – ein Ansatz, der als numerische Wettervorhersage bekannt ist. Generative KI-Wettermodelle arbeiten anders. Anstatt eine Vorhersage auf Grundlage physikalischer Erkenntnisse zu treffen, stützen sie sich auf historische Messungen und Statistik. Diese Methode hat sich als so viel versprechend erwiesen, dass sich ein Paradigmenwechsel abzeichnet: KI-basierte Modelle könnten die numerische Wettervorhersage vollständig ersetzen.
Das Herzstück eines numerischen Wettervorhersagemodells ist sein »dynamischer Kern«, das sind Gleichungen, welche die zu Grunde liegenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten codieren: Impuls-, Masse- und Energieerhaltung. Doch selbst die schnellsten Computer brauchen sehr lange, um solche Gleichungen zu lösen. Und die Ergebnisse führen zu Vorhersagemodellen mit einer Auflösung von nur etwa 28 Kilometern – das ist viel zu grob, um kleinskalige physikalische Prozesse wie Wolken, Strahlung und Turbulenzen zu modellieren.
Um den Einfluss dieser Prozesse auf die Vorhersage dennoch zu berücksichtigen, kann man eine Reihe von Parametern einführen, deren Werte man ebenfalls aufwändig simulieren muss. Dadurch fügt man aber eine Fehlerquelle in das Modell ein. Eine andere Methode, die vor fast 20 Jahren vorgeschlagen wurde, behält den dynamischen Kern bei, ersetzt aber die beschriebenen Parametrisierungen durch wesentlich schnellere KI-Algorithmen. Die beiden Forschungsgruppen um Bi und Zhang haben einen noch radikaleren Ansatz gewählt: Sie haben die gesamte numerische Wettervorhersage durch ein KI-Modell ersetzt. Das Team von Huawei Cloud hat sein Programm dazu ausschließlich mit Beobachtungsdaten trainiert, während Zhang und Co. ihre KI zusätzlich mit physikalischen Gleichungen gefüttert haben.
Die KI ist etwa 10 000-mal schneller als gewöhnliche Wettermodelle
Die Forschungsgruppe um Bi hat ihr Modell »Pangu-Weather« genannt. Es sagt die Temperatur, die Windgeschwindigkeit und den Luftdruck sowie andere Wettervariablen voraus. Das Programm ist rund 10 000-mal schneller als numerische Wettervorhersagemodelle – bei gleicher räumlicher Auflösung und vergleichbarer Genauigkeit. Pangu-Weather kann dabei mehr Höhenstufen über der Erdoberfläche verarbeiten als seine KI-Vorgänger, wie etwa FourCastNet. Zudem verwendet die KI ein dreidimensionales Modell, um die atmosphärischen Zustände bei unterschiedlichen Drücken zuverlässig zu erfassen und sicherzustellen, dass die Vorhersagen zwischen den einzelnen Ebenen zusammenpassen. Dadurch wird das Programm besonders genau.
Auf diese Weise kann Pangu-Weather mittelfristige Vorhersagen machen. Das KI-Modell trifft aber keine Aussage über den Niederschlag – die Wettervariable, die sich am schwersten prognostizieren lässt. Dieser Herausforderung haben sich Zhang und sein Team mit ihrem Kurzzeitvorhersagemodell »NowcastNet« gestellt, das Regen wenige Stunden im Voraus vorhersagt. Indem sich NowcastNet ausschließlich auf diese Aufgabe konzentriert, kann das Programm schärfere und realistischere meteorologische Szenarien erzeugen als seine KI-basierten Vorgänger wie PredRNN.
Das Team von Huawei Cloud berichtet von kürzeren Rechenzeiten, was enorme Vorteile bringen könnte. Denn Behörden, die für numerische Wettervorhersagen zuständig sind, verfügen nur über begrenzte Rechenkapazitäten. Die durch Einsatz der KI frei gewordenen Ressourcen könnten sie in Simulationen stecken, die derzeit noch nicht möglich sind: von der Ausbreitung von Bränden über Atmosphärenchemie und die Entwicklung von Rauchmustern bis hin zu Vegetationsveränderungen. Außerdem könnten die schnelleren Methoden höher aufgelöste Modelle erzeugen. Damit ließen sich auch vermehrt globale statt regionaler Modelle nutzen, was Ungenauigkeiten an den Grenzgebieten zwischen den betrachten Regionen verringert. Insgesamt könnte man also mehrere Wetterzustände abbilden und mit physikalischen Prozessen (wie der Ausbreitung von Bränden) verbinden, die sich auf die Luftqualität und die menschliche Gesundheit auswirken.
Extremwetterereignisse sind eine Herausforderung für KI
Allerdings bergen die KI-Modelle auch Risiken. Drei davon hängen mit Extremereignissen zusammen, die sich durch den Klimawandel häufen. Erstens: Je nachdem, wie weit die Trainingsdaten der KI zurückreichen, könnten seltene Ereignisse wie »Monsterstürme«, die bisher nur wenige Male pro Jahrhundert auftraten, zu selten erfasst werden. Zweitens werden KI-Wettermodelle meist optimiert, indem genaue lokale Messungen über große Regionen gemittelt werden. Das könnte zu Problemen bei der Vorhersage mancher Phänomene wie schweren Stürmen oder tropischen Wirbelstürmen führen. Und drittens ist das Verhalten eines KI-Systems oft unvorhersehbar, wenn es unter Bedingungen arbeitet, denen es noch nie zuvor begegnet ist. Ein extremes Wetterereignis könnte daher zu falschen Vorhersagen führen.
Andere Probleme, die sich durch die Verwendung von KI ergeben, sind eher technischer Natur. Wenn Fachleute neue Modelle entwickeln, die wie Pangu-Weather mehrere Größen wie Temperatur und Bewölkung vorhersagen, müssen sie besonders vorsichtig sein, denn die Variablen können voneinander abhängen. In numerischen Wettervorhersagemodellen sind diese Abhängigkeiten eingebaut, in reinen KI-Modellen jedoch nicht. Außerdem befinden sich viele KI-Programme noch im Anfangsstadium und enthalten nicht alle Variablen, die Meteorologen interessieren: etwa die Art des Niederschlags – Regen, Hagel oder Schnee – oder die physikalischen Faktoren, die beim Niederschlag eine Rolle spielen. Und schließlich erfordert die Entwicklung komplexer Modelle wie Pangu-Weather einen erheblichen Rechenaufwand, den sich aktuell nur große Unternehmen leisten können. Aber obwohl ihre Entwicklung kompliziert ist, können sie problemlos auf gewöhnlichen Rechnern laufen.
Es ist an der Zeit, dass sich Meteorologen mit KI-basierten Wettermodellen auseinandersetzen
Angesichts der potenziellen Vorteile und Risiken ist es an der Zeit, dass sich Meteorologen mit KI-basierten Wettermodellen auseinandersetzen und lernen, wie deren Vorhersagen zu interpretieren sind. Das ist entscheidend, denn KI-Systeme unterscheiden sich von physikalischen Modellen: Das Verständnis ihrer Vorhersagen erfordert Erfahrung.
Wir verwenden zum Beispiel den mit FourCastNet zur Verfügung gestellten Softwarecode, um Echtzeitvorhersagen zu machen, die wir anschließend mit numerischen Wettervorhersagen und Satellitenbeobachtungen vergleichen. Auf diese Weise können wir dem Forschungsteam von FourCastNet Feedback geben. Eine wichtige Voraussetzung für solche Initiativen ist, dass die Veröffentlichungen von einem einfach auszuführenden Code begleitet werden. Daher sollten die Herausgeber von Fachzeitschriften aus unserer Sicht die Verfügbarkeit solcher Codes vorschreiben. Fachleute könnten die Quellcodes von Pangu-Weather und NowcastNet nutzen, um die Modelle zu testen, Rückmeldungen zu geben und dabei zu helfen, über den angemessenen Einsatz von KI im Hinblick auf die öffentliche Sicherheit zu entscheiden.
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