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Agrartechnologie: Die Welt sucht den Superreis

An einem malerischen Ort auf den Philippinen wird an der Ernährungssicherheit von Milliarden Menschen gearbeitet. Das Internationale Reisinstitut züchtet in Los Baños in der Nähe von Manila den Reis von morgen. Das Ziel: nichts weniger als die Neuerfindung der Nutzpflanze.
Reisterrassen auf Bali

Kurvenreich windet sich die Straße durch einen dichten grünen Dschungel an den Hängen des Vulkans Makiling hinauf nach Los Baños; die mit heißem Wasser aus dem Vulkangestein gespeisten Quellen des beschaulichen Städtchens sind ein beliebtes Ausflugsziel der Filipinos aus der nahen Metropole Manila. Die wohl bedeutend wichtigere Attraktion des Orts dürfte den meisten dieser Besucher allerdings unbekannt sein: Seit Anfang der 1960er Jahre ist die Bäderstadt als Sitz des unabhängigen International Rice Research Institute (IRRI), einer international renommierten Quelle wissenschaftlicher Erkenntnis.

Am Eingang zum Reismuseum des IRRI tickt eine digitale Bevölkerungsuhr, die nun die Sieben-Milliarden-Marke überschritten hat – und jede Sekunde kommt ein Mensch hinzu. Die landwirtschaftliche Nutzfläche nimmt hingegen ab, wie das Zählwerk darunter anzeigt. Im Sieben-Sekunden-Takt verliert die Welt netto einen Hektar Ackerland durch Erosion, Versalzung oder Überbauung, so dass die rund 4,8 Milliarden Hektar schwinden. Die Botschaft ist klar: Immer weniger Land muss immer mehr Menschen ernähren. Die beiden Zahlen sind zugleich die Grundlagen für die Arbeit des IRRI, wie dessen stellvertretender Forschungsdirektor Achim Dobermann beschreibt: "Es geht um wirtschaftliche Entwicklung und Ernährungssicherheit."

Reiszucht inmitten von Vulkanketten | Los Baños auf den Philippinen ist zumindest eine lokale Berühmtheit – wegen seiner heißen Quellen. Wichtiger für die Menschheit ist aber die Arbeit, die hier an Reispflanzen geleistet wird.

Das IRRI hat seit seiner Gründung 1960 eine stolze Bilanz vorzuweisen. "Wir haben 843 Reissorten gezüchtet, die in 77 Ländern eingesetzt werden", sagt Dobermann. Ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit ist die Einführung der beiden dürretoleranten Reisarten BRRI dhan56 und BRRI dhan57 in Bangladesch, das immer wieder von periodischen Dürrephasen heimgesucht wird. "Der Klimawandel wird wahrscheinlich das Aufkommen extremer Wetterereignisse wie Dürren verstärken", so IRRI-Experte Mohammed Zainul Abedin in Bangladesch, weshalb sich die lokalen Bauern anpassen und auf neue Reisvarianten setzen müssen.

Messbare Erfolge

Die Reisbauern in Südostasien produzieren durch Sorten, die am IRRI verbessert oder entwickelt wurden, mittlerweile zusätzliche Ernteerträge im Wert von 1,46 Milliarden US-Dollar pro Jahr, wie aus einer jüngst veröffentlichten Untersuchung des Australian Centre for International Agricultural Research (ACIAR) hervorgeht. Zwischen 1985 und 2009, so ACIAR, sei der Reisertrag durch neue Varianten um 13 Prozent gestiegen, weil Landwirte neue Reissorten anbauen können, die krankheitsresistent sind, Trockenheit ertragen, Hochwasser überstehen oder Schädlingen Paroli bieten können.

Erfolge, die zum Beispiel auf Glenn Gregorio zurückgehen, der in einem der Labore arbeitet. Der Filipino hat sein Forscherleben der züchterischen Weiterentwicklung von Reissorten gewidmet, die versalzte Böden tolerieren, längere Überschwemmungen durch Süß- oder auch Salzwasser vertragen oder als so genannte "Two-in-One"-Sorte sogar beides können. Solche Varianten sind entscheidend für das (Über-)Leben von Millionen von Reisbauern in Regionen wie dem Mekongdelta in Vietnam oder an der flachen Küste Bangladeschs. "Die Kleinbauern mit ein bis eineinhalb Hektar großen Reisfeldern sind von diesen Problemen besonders betroffen", gibt Gregorio zu bedenken. Sie leiden am stärksten unter kaputten Böden oder den Folgen von Klimawandel und Meeresspiegelanstieg.

Und Lösungen für sie sind besonders drängend. Denn Reis ist für drei Milliarden Menschen weltweit das Grundnahrungsmittel schlechthin, wobei Asien als Heimat des Getreides für 90 Prozent der Weltproduktion sorgt – Tendenz steigend. Das Bevölkerungswachstum ist allerdings nur eine Ursache für die steigende Nachfrage nach Reis; veränderte Ernährungsgewohnheiten durch höhere Einkommen in anderer Regionen – vor allem in Afrika und im Mittleren Osten – tragen ebenfalls zu einem steigenden Reiskonsum bei. "Wer mehr Geld verdient, steigt von Mais oder Maniok auf Reis um", weiß Dobermann.

Reisbauern auf den Philippinen | Rund drei Milliarden Menschen hängen stark vom Grundnahrungsmittel Reis ab  – wie diese Bauern auf den Philippinen.

1400 Mitarbeiter arbeiten deshalb in den Labors und auf den Versuchsfeldern des IRRI auf einer weiten Ebene am Rande von Los Baños, damit dieser Bedarf auch in Zukunft gedeckt werden kann – darunter auch 120 promovierte Forscher aus aller Welt. Hinzu kommen über den gesamten Globus verteilte wissenschaftliche Kooperationspartner. "Allein an unserem C4-Projekt sind gut 15 Forschungsgruppen aus der ganzen Welt beteiligt", sagt Dobermann.

Visionäres Projekt

Dieses C4-Projekt ist die vielleicht ambitionierteste Zukunftsvision des IRRI: Reis ist eigentlich eine so genannte C3-Pflanze und setzt damit auf einen Fotosyntheseweg, bei dem als erstes stabiles Zwischenprodukt der Kohlendioxidfixierung das Molekül 3-Phosphoglycerat (3-PGA) auftritt. Der Name C3 leitet sich davon ab, dass 3-PGA aus drei Kohlenstoffatomen aufgebaut ist. Bei hohen Temperaturen und trockenen Bedingungen schwindet allerdings die Leistungsfähigkeit des Systems, stattdessen arbeiten unter diesen Witterungsbedingungen als C4-Pflanzen bezeichnete Gewächse besser: Sie binden das CO2 zuerst in einer Vorstufe, die vier Kohlenstoffatome aufweist, und verarbeiten es erst dann zu Kohlenhydraten weiter. Mais, Sorghum oder Zuckerrohr gehören zu diesem Typus, der seinen Vorteil unter trockeneren Bedingungen voll ausspielen kann. Nun wollen die Wissenschaftler am IRRI Reis mit diesem Fotosyntheseapparat trimmen, der unter den entsprechenden Klimavoraussetzungen trotz des verringerten Einsatzes von Wasser und Dünger um bis zu 50 Prozent höhere Erträge liefern soll.

Bislang benötigt die Erzeugung eines Kilogramm Nassreis 3000 bis 5000 Liter Wasser. Zudem trägt die wasserintensive Reisproduktion in den sumpfigen Feldern durch den extrem hohen Ausstoß des Treibhausgases Methan erheblich zur globalen Erwärmung bei: Keine Kulturpflanze sondert während der Produktion so hohe Mengen des Faulgases ab wie Reis. Dessen Anbau ist nach Schätzungen des Weltklimarats (IPCC) einer der Hauptgründe für steigende Emissionen von Methan, das nach Kohlendioxid als Nummer zwei der wichtigsten klimarelevanten Gase gilt.

Genug Arbeit also für die Reisforscher in den flachen, weißen, schmucklosen Gebäuden, die von smaragdgrünen Versuchsreisfeldern umgeben sind. Gesucht wird der "grüne Superreis" für alle Klimalagen und gleichzeitig auch bessere Anbaumethoden. Denn die Nahrungsmittelkrise 2007, als sich weltweit die Preise für Getreide stark erhöhten und Millionen Menschen Hunger leiden mussten, hat deutlich gemacht, dass die globale Ernährungssicherheit weniger denn je als gegeben angesehen werden kann. Seitdem geht es mit dem Budget des IRRI – aktuell 60 Millionen Dollar – langsam wieder aufwärts. Aber das ist immer noch zu wenig, schränkt Dobermann ein: "Um unser Potenzial voll ausschöpfen zu können, würden wir etwa 80 Millionen Dollar benötigen, langfristig und nicht nur für ein paar Jahre. Aktuell besteht unser Etat zu 70 Prozent aus Projektmitteln. Das bietet wenig Raum für Flexibilität."

Hilfe auch aus Deutschland

Gut 80 Geldgeber – Regierungen und private Spender wie die Gates-Stiftung – finanzieren derzeit die Reisforschung in Los Baños. Darunter taucht mit knapp 1,5 Millionen Dollar die Bundesregierung auf. Darüber freut sich Dobermann, auch wenn er findet: "Wenn Deutschland eine internationale Führungsrolle hier möchte, wäre die Festlegung auf einen Forschungsschwerpunkt besser, so wie das andere Länder auch tun, die das IRRI langfristig unterstützen. An einem Interesse der Wissenschaft in Deutschland jedenfalls mangelt es nicht."

Das Reisinstitut | 1400 Mitarbeiter – darunter 120 Wissenschaftler – arbeiten am IRRI.

Mit Argusaugen wird das IRRI jedoch von Umweltschützern beäugt. Der Verdacht: Die Reisforscher seien rücksichtslose Gentechniker. Doberman wehrt sich gegen den Vorwurf. "Wir nutzen Methoden der molekularen Biologie in unserer Züchtung, aber das hat nichts mit Gentechnik zu tun. Gentechnik wird immer der Ausnahmefall bleiben für ein paar wenige Merkmale, die wir anders nicht verändern können."

Die Reispflanzer wiederum schätzen meist die Arbeit des IRRI, auch wenn sie seinen Vertretern anfänglich bisweilen etwas misstrauen. Institutsmitarbeiter Björn Ole Sander hat mit seinem AWD-Projekt die Erfahrung gemacht, dass man zur Überzeugung der Bauern Geduld braucht. Das "Alternate Wetting and Drying" hat beispielsweise zum Ziel, mit geringerem Wassereinsatz auf den Reisfeldern den gleichen Ertrag zu erzielen und dabei weniger Treibhausgase auszustoßen. "Die Bauern waren zunächst skeptisch gegenüber dem jungen Mann aus Kiel, der ihnen erzählt, dass sie alles anders machen sollten als bisher", lacht der 29-Jährige, der in der Arbeitsgruppe zum Klimawandel des IRRI arbeitet. Doch mittlerweile stellen sich erste Erfolge und Anpassungen bei seiner Klientel ein.

An die beschauliche Idylle von Los Baños hat sich der Sohn eines Landwirts aus dem holsteinischen Dörfchen Brügge jedenfalls gewöhnt. "Anfangs dachte ich: Oh Gott, hier ist ja nichts los. Aber inzwischen finde ich es ganz nett. Los Baños ist nicht so laut und so überfüllt wie Manila – und die Luft ist auch besser."

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