Energiewende: Sonnenenergie ist auf Dauer die billigste Energiequelle
Herr Professor Kleidon, stoßen die erneuerbaren Energien an grundsätzliche physikalische Grenzen der Energiegewinnung, und was bedeutet das konkret für Deutschland?
Axel Kleidon: Natürlich gelten die Gesetze der Thermodynamik auch für die erneuerbaren Energien: Energieumsätze sind physikalisch begrenzt. Das trifft ebenso zu, wenn die Erde Wind erzeugt. Durch die von Ort zu Ort schwankende Sonneneinstrahlung entstehen Erwärmungsunterschiede, die durch bewegte Luft ausgeglichen werden: den Wärmetransport in der Atmosphäre. Es ist gut etabliert, dass die Atmosphäre durchschnittlich eine Leistung von zwei Watt an kinetischer Energie pro Quadratmeter erzeugt. Davon geht die Hälfte in der oberen Atmosphäre während der räumlichen Verteilung und die andere Hälfte am Boden durch Reibung "verloren". Sie geht dabei natürlich nicht im klassischen Sinn verloren, sondern wird in Wärme umgewandelt.
Zwei Watt klingen ohnehin nach einer vernachlässigbaren Größe?
Ja, das ist eine sehr geringe Menge. Wenn man die globalen Einstrahlungsunterschiede betrachtet, entspricht dies gerade einmal einer Effizienz von zwei Prozent bei der Umwandlung von Wärme- in Bewegungsenergie.
Das Potenzial für Windkraftanlagen ist also überschaubar, selbst wenn man unbegrenzt Windräder aufstellen könnte?
Die Atmosphäre bringt eine begrenzte Menge Energie von oben zur Erdoberfläche, die dann natürlicherweise durch Reibung verloren geht. Und einen Teil davon kann man in Windkraftanlagen nutzen. Wie groß dieser Anteil ausfällt, ist daher zuerst einmal eine naturwissenschaftliche, keine technische Frage.
Was bedeutet dies konkret für Deutschland?
Der gegenwärtige mittlere Energieverbrauch in Deutschland beträgt ungefähr 430 Gigawatt. Darin enthalten sind aber auch Verluste, die unvermeidlich in unseren Kraftwerken entstehen, etwa Abwärme, die bei der Verstromung von Kohle anfällt. Der Energiegehalt dieses Rohstoffs ist größer als das, was wir letztlich daraus gewinnen können. Bei dieser Umwandlung setzt am Ende auch die Thermodynamik die Grenzen zu dem, was technisch möglich ist.
Auch bei der Windkraft entstehen natürlich Verluste. Denn man entzieht dem System kinetische Energie und verursacht zusätzliche Turbulenzen hinter der jeweiligen Turbine, was sich auf die Gesamteffizienz auswirkt. Man kann also ausrechnen, wie viel kinetische Energie man durch Windkraftanlagen umsetzen kann. Das entspricht einer Größenordnung von etwa 38 Prozent. Von diesem einen Watt pro Quadratmeter kinetischer Energie an der Oberfläche im globalen Mittel ausgehend, erhält man auf der Fläche der Bundesrepublik – 360 000 Quadratkilometer – also etwa 360 Gigawatt. Davon ließen sich nur 38 Prozent nutzen, was 140 Gigawatt entspräche. Da es in Deutschland etwas windiger ist als im globalen Durchschnitt, kann man von bis zu 230 Gigawatt Leistung ausgehen, die man hier zu Lande theoretisch gewinnen könnte. Dabei noch gar nicht berücksichtigt sind Schwankungen in der Windverfügbarkeit und notwendige Speicherkapazitäten.
Und praktisch?
Letztes Jahr haben wir in Deutschland im Mittel 72 Gigawatt Strom verbraucht. Selbst wenn wir den gesamten Primärenergieverbrauch reduzieren könnten, stoßen wir mit der Windkraft an unsere Grenzen – auch wenn wir Wärme und Transport vernachlässigen und uns nur auf den Stromverbrauch konzentrieren. Die Windturbinen sind zudem schon sehr effizient, so dass wir auch hier an eine Decke stoßen: Sie können nur noch schwer sehr viel besser werden.
Was bedeutet das für die Energiewende?
Man kann die Windkraft zwar noch weiter ausbauen, doch die Grenze ist in Sichtweite.
Sehen Sie derartige physikalische Vorgaben von der Politik ausreichend gewürdigt?
Man muss auf alle Fälle ins Kalkül ziehen: Bei größeren Windparks ist man darauf angewiesen ist, dass die kinetische Energie von oben nachgefüllt wird. Denn die Rotoren entziehen der Atmosphäre diese kinetische Energie, weshalb die windab gelegenen Areale weniger effizient arbeiten. Bei der Planung muss also berücksichtigt werden, dass nicht eine Großanlage der anderen den Wind "abgräbt". Diesbezüglich gab es bereits die ersten Klagen. Das ist eigentlich schon ein Anzeichen für Ineffizienz.
Müssten wir deshalb nicht verstärkt auf Sonnenenergie setzen?
Uns hat überrascht, wie groß das Potenzial an Sonnenenergie selbst in Deutschland ist. Die theoretische Effizienz, mit der wir die Solarenergie nutzen könnten, liegt bei 70 bis 90 Prozent. Die besten Solarzellen liegen momentan bei etwa 40 Prozent Wirkungsgrad. Wir könnten also noch sehr viel in diesem Bereich herausholen. Theoretisch könnten wir in Deutschland 33 000 Gigawatt Solarenergie abgreifen, technisch gesehen kommen wir immer noch auf 8300 Gigawatt – weit mehr, als gegenwärtig benötigt wird. Sonnenenergie ist die am wenigsten umgeformte Energie, die wir nutzen können, bevor sie in Wärme umgewandelt wird, und hat deshalb so ein gewaltiges Potenzial.
Was machen wir aber, wenn in Deutschland weder Wind weht noch die Sonne scheint – etwa in einem sehr trüben Winter wie dem letzten?
Eigentlich müsste die Energiewende ein europäisches Projekt sein: Es gibt Regionen, die sind prädestiniert für Windenergie, andere für die Sonne.
Wir bräuchten also im Prinzip ein europäisches Stromverbundnetz?
Auf alle Fälle: Mann muss die Ressourcen dort nutzen, wo sie anfallen – eine Windturbine an der schottischen Westküste wäre demnach eine sinnvollere Investition als in Niederbayern.
Welche Rolle könnte die Biomasse spielen, die auch von Wissenschaftlern kritisch gesehen wird? (siehe Artikel "Noch eine Ohrfeige für die Politik")
Ich sehe sie auch sehr kritisch. Die Fotosynthese ist eine Art, die Solarenergie zu nutzen, aber ihre Effizienz liegt nur bei maximal zwölf Prozent – theoretisch. Praktisch liegt sie noch deutlich darunter. Und nun vergleichen Sie dies mit der Effizienz von heutigen Solarzellen. Biomasse kann also nicht mithalten, unabhängig davon, dass wir auf dem Land auch benötigte Nahrungsmittel produzieren müssen.
Die Förderung von Biomasseenergie ist also eigentlich verfehlt.
Ja, eigentlich schon. Selbst wenn man Biomasse nur zur Wärmegewinnung nutzen würde, wären Solarzellen dabei noch effizienter.
Der Aufbau erneuerbarer Energiegewinnung in Deutschland erfolgt meist kleinteilig: hier ein paar Windräder, dort ein paar Solardächer. Ist das effizient?
Das ist zuvorderst eine politische Frage. Aus Naturschutzsicht ist es auf alle Fälle zielführender, wenn man bereits bebaute Flächen nutzt, um dort Solarenergie zu gewinnen – etwa Dächer über Großparkplätzen et cetera. Und davon gibt es genug in Deutschland. Das läuft auf eine dezentrale Energiegewinnung hinaus.
Kennt die Politik Ihre Daten schon und nutzt sie?
Mancher hört nicht gerne, dass auch die erneuerbaren Energien Grenzen haben, die niedriger liegen als erhofft. Aber wir versuchen, das objektiv als Physiker zu betrachten, denn es ist wichtig, realistisch zu bleiben. Unsere Abschätzung fällt auch niedriger aus als andere Studien, weil wir berücksichtigen, dass etwa die Windkraft der Atmosphäre tatsächlich aktiv Energie entzieht. Auf großen Skalen muss man diese Wechselwirkungen berücksichtigen.
Hat das eigentlich auch Folgen für beispielsweise das Wetter?
Die Windgeschwindigkeit sinkt dadurch, andere Daten sind schwierig zu interpretieren. Man beeinflusst die Durchmischung an der Oberfläche, was verschiedene Konsequenzen haben kann, aber das können wir noch nicht beurteilen. Bei der Solarenergie sind die Folgen klarer, denn Fotovoltaikzellen sind dunkel und absorbieren mehr Strahlung, was aufheizend wirkt. Doch insgesamt benötigen wir im globalen Rahmen kaum Fläche für die Solarenergie, weshalb dieser Effekt im großen Maßstab keine Rolle spielt.
Kurz: Oberste Priorität sollte also der Ausbau der Solarenergie haben?
Genau. Die Solarenergie besitzt mehr Potenzial. Und der Unterschied zwischen den absoluten theoretischen Grenzen spricht auch Bände. Sie ist auf Dauer die billigste Energiequelle.
Vielen Dank für das Gespräch.
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