Evolution: Klein, kleiner, Flores-Mensch
Die Gattung Homo ist eine der wenigen, von der aktuell nur eine einzige Art diesen Planeten bevölkert: der Homo sapiens. Doch das war nicht immer so. Noch vor einigen zehntausend Jahren lebten mehrere Homo-Spezies gleichzeitig auf der Erde – eine aus heutiger Sicht seltsam anmutende Vorstellung. Eines der merkwürdigsten Geschöpfe in unserem Stammbaum ist wohl der Flores-Mensch (Homo floresiensis). Selbst erwachsene Individuen wurden kaum größer als einen Meter und besaßen ein vergleichsweise winziges Gehirn. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass diese zierlichen, kleinwüchsigen Menschen noch vor rund 60 000 Jahren die indonesische Insel Flores durchstreiften, also zu einer Zeit, als der Homo sapiens bereits das südliche Australien besiedelte. Nun haben Wissenschaftler weitere Fossilien entdeckt, die möglicherweise einem frühen Vertreter von Homo floresiensis zugeordnet werden können, darunter die Überreste eines bemerkenswert kleinen Oberarmknochens eines Erwachsenen. Sie berichten davon im Fachmagazin »Nature Communications«.
Erstmals stießen Fachleute im Jahr 2003 auf Skelettteile von Homo floresiensis, und zwar in der Höhle Liang Bua im Westen der Insel Flores. Damals grub ein Team unter Leitung des australisch-neuseeländischen Archäologen Mike Morwood einen Schädel nebst Unterkiefer aus. Hinzu kamen diverse Knochen der Extremitäten, Fragmente des Beckens, der Wirbel, der Rippen, der Schulterblätter und der Schlüsselbeine. Das Alter dieser Überreste wird auf rund 60 000 Jahre geschätzt.
Die neuen Funde stammen von der Grabungsstätte Mata Menge, die zirka 75 Kilometer von Liang Bua entfernt liegt. Dort konnten bereits im Jahr 2016 menschliche Fossilien von mindestens drei Individuen ausgegraben und beschrieben werden: das Unterkieferfragment eines Erwachsenen sowie sechs einzelne Milchzähne von mindestens zwei verschiedenen Kindern. Die Knochenteile wurden damals auf rund 700 000 Jahre datiert und – weil sie noch graziler sind als die jüngeren Funde von Homo floresiensis – als mögliche Vorfahren interpretiert. Der Umstand jedoch, dass bis dahin keine Rumpf-, Arm- oder Beinknochen aufgetaucht waren, erschwerte die Schätzung der Körpergröße und weiterer Merkmale.
Enorm wichtiger Fund
Umso bedeutender ist es, dass das Team um Yousuke Kaifu von der Universität Tokio, Iwan Kurniawan vom Center for Geological Survey in Indonesien und Gerrit van den Bergh von der University of Wollongong nun die untere Hälfte eines Oberarmknochens entdeckt hat. Untersuchungen der Mikrostruktur zeigen, dass dieser von einem erwachsenen Individuum stammt. Anhand der Länge des Knochens berechnete das Team die Körperhöhe dieses Homininen auf etwa einen Meter – er war damit rund sechs Zentimeter kleiner als sein Verwandter aus Liang Bua.
Fachleute haben viel über die Abstammung und zeitliche Einordnung der rätselhaften Flores-Menschen diskutiert. Zunächst wurde die Hypothese aufgestellt, man habe es in Wirklichkeit mit einem Homo sapiens zu tun, dessen Körper krankhaft verändert war – etwa infolge von Mikrozephalie. Eine andere These besagt, der »Hobbit«-Mensch sei das späte Überbleibsel eines älteren Homininen aus Afrika gewesen, der vor dem Homo erectus gelebt habe und von Anfang an kleinwüchsig gewesen sei. Die neuerlichen Funde stützen nun eher die Vermutung, dass die Flores-Menschen Abkömmlinge des im asiatischen Raum lebenden Homo erectus waren, die schrumpften, nachdem sie die indonesische Inselwelt besiedelt hatten. Dieser Prozess der so genannten»Inselverzwergung« tritt häufig und bei vielen Spezies auf. Zahlreiche andere Säugetierarten schrumpften ebenfalls erheblich, sobald sie auf Eilanden heimisch geworden waren. Als Ursachen dafür gelten die knappen Nahrungsressourcen und das Fehlen großer Räuber.
»Dieses besondere Fundstück bestätigt unsere Hypothese, dass bereits die Vorfahren des Homo floresiensis extrem klein waren«, sagt Adam Brumm von der australischen Griffith University, der an der Studie mitgewirkt hat. »Dieser 700 000 Jahre alte Oberarmknochen ist nicht nur kürzer als der des Homo floresiensis, er ist auch der kleinste menschliche Oberarmknochen, der weltweit bekannt ist.« Wie es aber ursächlich zu der enorm ausgeprägten Kleinwüchsigkeit der Flores-Menschen gekommen war und ob sich dieses Merkmal möglicherweise zweimal unabhängig voneinander entwickelte, können auch die neuen Funde nicht abschließend beantworten.
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