Genome Editing: »Diese Branche lebt davon, viel Schaum zu schlagen«
Moderne Genome-Editing-Technologien wie die Genschere CRISPR-Cas versprechen ein maßgeschneidertes Verändern des genetischen Codes: Mit dem Verfahren lassen sich theoretisch Pflanzen so verändern, dass sie Hitze und Trockenheit besser ertragen, weniger Dünger benötigen oder resistent gegenüber bestimmten Krankheiten und Pflanzenschädlingen sind. Doch einer breiten Einführung solcher Pflanzen steht das Gentechnikrecht der EU im Weg. Es schreibt den Firmen ein teures und zeitaufwändiges Zulassungsverfahren vor – Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht inklusive. In Brüssel ist daher eine Diskussion entbrannt um eine mögliche Novelle der Gesetzgebung. Agrarökologin Angelika Hilbeck von der ETH Zürich über vollmundige Versprechungen, kleingeredete Risiken und mächtige Industrieinteressen im Hintergrund.
Frau Hilbeck, mittels Genome Editing sollen sich unter anderem Pflanzen entwickeln lassen, die toleranter gegenüber Dürre sind. Das klingt doch viel versprechend – gerade nach den extremen Hitzesommern 2018 und 2019.
Ja! Aber solche Pflanzen werden ja jetzt schon seit Jahrzehnten versprochen. Und bis heute ist nicht eine einzige trockenresistente Sorte auf dem Markt, für die es eine unabhängig bestätigte Evidenz gibt, dass sie wirklich besser funktioniert als konventionelle Sorten. Nicht einmal in den USA und nicht einmal für den Monsanto-Mais, der als trockentolerant vermarktet wird. Und was die neuen Genscheren betrifft: Als das Jahr der Entdeckung von CRISPR-Cas gilt 2012. Da schaue ich jetzt mal auf den Kalender und stelle fest: Wir schreiben das Jahr 2020. Wenn das alles so funktionieren würde, wie man uns immer vollmundig verspricht, dann müssten diese Pflanzen doch längst wie Handys von den Fließbändern laufen. Denn man vergleicht sich ja immer gerne mit der IT-Branche und bedient sich auch deren Sprache, spricht von »Editing«, vom »Code« und so weiter. Wenn Sie jetzt aber mal einen vergleichbaren Zeitrahmen nehmen und schauen, was die IT-Branche in den letzten acht Jahren hingelegt hat, dann ist das hier eine ziemlich erfolglose Branche. Da müsste doch irgendwann, auch bei den Bauern, mal jemand fragen: »Ja, wo bleiben denn diese Pflanzen?«
Aber die ganzen Bauernproteste zeigen doch die große Verzweiflung der Landwirte.
Selbstverständlich haben die protestierenden Bauern Gründe, sich zu beschweren. Aber wo verorten sie die Schuldigkeit dafür? Dass der Klimawandel kommt, wissen wir seit Jahrzehnten. Ebenso, dass die Biodiversität kollabiert und mit ihr auch Bestäubung, Bodenfruchtbarkeit und so weiter. Da kann sich doch niemand mehr, schon gar nicht die Bauern oder deren Verbandsvertreter, hinstellen und sagen: »Davon habe ich nichts gewusst.« Wenn ich heute zum Beispiel Landwirte in Sachsen-Anhalt treffe und frage: »Warum baut ihr denn immer noch Mais auf Sandboden an? Da ist doch klar, dass ihr jedes zweite, dritte Jahr kaum noch etwas ernten werdet«, dann erzählen sie mir von ihren Sachzwängen und Subventionen, von ihren Biogasanlagen, in die sie investiert haben. Man hätte ihnen ja gesagt, dass das das Richtige sei, und die EU-Gelder seien halt nur dahin geflossen. Da kann ich nur sagen: »Das ist ja alles richtig, aber dann beschwert euch nicht Richtung Grüne, die schon immer vor dieser Art von Agrarpolitik gewarnt haben, sondern in Richtung jener Politiker und Verbände, die euch eine solche Landwirtschaft als ›alternativlos‹ verkauft haben.«
Sie glauben also, dass die Agrarkrise teils auch auf falschen Versprechungen beruht?
Ich würde es nicht Versprechungen nennen, sondern eher Dogmen und Ideologien: Produktivitätssteigerung mittels maximaler Industrialisierung und ausschließlich nach ökonomischen Prinzipien. »Du musst groß werden«, »nur so kannst du konkurrenzfähig sein« – das wurde von den Bauern verinnerlicht und als eigene Position übernommen. Doch obwohl sie eigentlich immer alles so gemacht haben, wie man es ihnen gesagt hat, bleibt weniger und weniger in der Kasse hängen. Und auch mit der Umwelt wird es immer prekärer. Denn wenn man jahrzehntelang tonnenweise Insektentötungsmittel ausbringt, dann tötet man eben Insekten – gute wie böse. Und tote Insekten können keine Blüten mehr bestäuben. Das Gleiche gilt für das Klima: Seit Jahrzehnten verheizen wir Öl und Kohle, pumpen immer mehr CO2 in die Luft. Und dann wird es logischerweise auch immer heißer und in vielen Gegenden immer trockener.
Trotzdem herrscht bei den Genscheren ja weltweit Euphorie über die Fülle an Eigenschaften, die schon durch einfache Punktmutationen erzeugt werden könnten, zum Beispiel bestimmte Schädlingsresistenzen. Kann es sich Europa wirklich leisten, auf so ein Potenzial zu verzichten?
Diese Branche lebt davon, dass man großartige Versprechen macht und mit einer Start-up-Kultur à la Silicon Valley viel Schaum schlägt, um Kapital anzuziehen. Dabei ist es doch völlig absurd zu glauben, durch Punktmutationen der Komplexität und Fluidität im richtigen Leben begegnen zu können. Der Umweltkontext der Gentechniker ist die Petrischale im Labor, bestenfalls ein vollständig kontrolliertes Gewächshaus. Aber um zu begreifen, wie Organismen in einem Ökosystem funktionieren, müssten gestandene Ökologen hinzugezogen werden. Denn eigentlich geht es in der ganzen Debatte ja auch um das Fundament: Was glaube ich, wie das Leben funktioniert? Und Gentechniker glauben, dass es durch die lineare Codierung der Nukleotidbuchstaben funktioniert. Dass Organismen aus der Summe der von diesen Nukleotidbuchstaben »codierten« Proteine bestehen, die man sich wie ein Legohaus zusammenbasteln kann. Dieser Glaube herrscht schon seit den 1950er Jahren, als Crick und Watson das »zentrale Dogma« der Molekularbiologie postulierten. Und wer das hinterfragt, der wird irgendwann »exkommuniziert«. Dann lebt es sich deutlich ungemütlicher, und man kann auch deutlich weniger Gelder akquirieren.
Das heißt, Sie kritisieren vor allem den reduktionistischen Blick auf die DNA?
Ja! Diese Branche weigert sich seit Jahrzehnten, aus den Erkenntnissen verwandter Forschungsgebiete wie der ökologischen Genetik oder der Epigenetik die notwendigen Lehren für die angewandte Technikseite zu ziehen. Dabei ist außerhalb dieser Biotech-Kreise schon lange die Erkenntnis gereift, dass die DNA überhaupt nicht so linear funktioniert, sondern eben nur Teil des Gesamtkontextes ist – und vielleicht nicht einmal der wichtigste.
»Wir hätten alle keine Ahnung mehr, was wir auf dem Tisch haben«
Angelika Hilbeck
Befürworter des Genome Editing argumentieren, dass derart veränderte Pflanzen wesentlich weniger Gefahren bergen, weil die Eingriffe ins Erbgut so präzise sind. Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Vorhersagbarkeit von Risiken?
Das ist genau der Punkt, an dem sich am Ende die Geister scheiden. Zum einen haben Sie es mit Mutationen zu tun, die dort auftreten, wo man sie haben will – so genannte Zieleffekte. Aber zudem gibt es immer auch Nichtzieleffekte, sprich Mutationen an Stellen, an denen man sie gar nicht will. Noch entscheidender ist jedoch, dass Sie keine Ahnung haben, wie Sie in die Zusammenhänge eingreifen. Sie entlassen Organismen in die Umwelt, die das, was Sie wollen, mal mehr, mal weniger gut tun – aber eben auch Etliches, was Sie gar nicht wollen. All diese Pflanzen und ihre neuartigen Eigenschaften entwickeln im Wechselspiel mit der Natur ein Eigenleben, das wir nicht kontrollieren. Und darum sollte man doch, bevor man den Schritt ins Feld wagt, wenigstens ein paar Mal getestet haben – mit robustem wissenschaftlichem Versuchsdesign –, wie sich diese Organismen in verschiedenen Umwelten verhalten.
Viele Züchter bemängeln ja, dass gerade auf Grund der strengen Regulierung durch das europäische Gentechnikrecht solche Freisetzungsversuche kaum möglich sind.
Deshalb hat man ja die stufenweise Freisetzung erfunden. Aber wer hat die bis aufs Messer bekämpft? Die Agrarindustrie, weil sie genau das gar nicht will. Wenn es im Labor funktioniert, dann will man nicht erst noch in geschütztem Rahmen und an verschiedenen Standorten aufwändige Freisetzungsstudien machen – zumindest nicht, was ökologische und biologische Sicherheitsabklärungen angeht. Wirkungsstudien der geplanten Zieleffekte werden ja durchaus gemacht. Denn wenn sich die beworbene Wirkung nicht so einstellt, wie man das im Labor gesehen hat, kann es Regressklagen geben. Doch natürlich kann man auch die unerwünschten Wirkungen nicht allein im Labor abklären. Solche Studien möchte man aber am liebsten umgehen oder mit harmlosen, kaum aussagekräftigen Tests abhaken, um so schnell wie möglich die Zulassung zu haben, damit die Produkte ihre Investitionen wieder einspielen. Allerdings übernehmen die Firmen dann auch keinerlei Verantwortung mehr. Denn eine staatliche Zulassung ist ja für die meisten Menschen ein Siegel des Vertrauens, dass staatliche Experten sorgfältig und unabhängig die Sicherheit geprüft haben. Bei der Regulierung geht es daher vornehmlich auch um Haftung. Denn werden die Produkte nicht mehr nach dem Gentechnikrecht reguliert und geht etwas schief, kann man sich wunderbar verstecken und sagen: »Hier im Labor hat ja alles funktioniert.«
Es gibt allerdings auch noch andere Verfahren zur Genmanipulation – die klassische Mutagenese zum Beispiel. Dabei wird mit Strahlen und Chemikalien der genetische Code noch viel umfänglicher verändert. Produkte dieser Züchtungstechniken müssen in der EU aber weder reguliert noch gekennzeichnet werden.
Bei der klassischen Mutagenese würfelt man ja alles Mögliche durcheinander. Das machen Sie nur dann, wenn Sie nicht genügend genetische Diversität in Ihrem Genpool haben, was ja auch eine Konsequenz unserer einseitigen Art und Weise zu züchten ist. Da will man die Diversität dann künstlich wieder aus den verbliebenen DNA-Sequenzen herauskitzeln, indem man ionisierende Strahlen auf die Zellkerne loslässt oder hochproblematische mutagene Chemikalien. Die sind aber brandgefährlich für Organismen und in der Regel auch letal. Aber wenn Sie es oft genug machen, bleibt irgendwann mal ein mutierter Organismus übrig, der vielleicht eine Eigenschaft hat, die Sie so noch nicht gesehen oder gefunden haben. Und den nehmen Sie dann als Grundlage zur konventionellen Weiterzüchtung. Dabei müssen Sie sich aber immer noch innerhalb der Evolutionsregeln bewegen – und genau die will man mit der Gentechnik überwinden.
Trotzdem plädieren auch viele Wissenschaftler für eine Novelle des EU-Gentechnikrechts, unter anderem die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
Es gibt viele unterschiedliche Wissenschaftsansätze und -meinungen. Aber wie die Amerikaner so schön sagen: »You get, what you pay for.« Und wenn Milliarden für angewandte Biotechnologie, Gentechnik und Molekularbiologie ausgegeben werden, dann haben Sie am Ende eben auch Tausende von Gentechnikern und Molekularbiologen, die eine bestimmte Sicht der Dinge teilen und lehren. Natürlich gibt es auch so genannte kritische Wissenschaftler, die aber meist aus gnadenlos unterfinanzierten Forschungsbereichen stammen. Die Befürworter hingegen, die meist im Konzert mit den angeschlossenen Industrien auftreten, haben eine völlig andere Lobbymacht.
Vereinzelt wird auch von Diskreditierungen durch die Agrarindustrie berichtet, wenn sich Wissenschaftler kritisch zur Gentechnik äußern.
Ja, das haben sie bei mir auch versucht. Ich war aber zu resilient (lacht). Darüber hat die »New York Times« auch schon mal einen längeren Artikel geschrieben. Es braucht aber wirklich eine psychisch robuste Natur, um das wegstecken zu können. Und deswegen wird die Agrarindustrie diese Strategie auch weiterverfolgen, denn die allermeisten Wissenschaftler ziehen sich zurück. Sie wollen nicht ständig von mächtigen Interessenvertretern verfolgt werden. Falls ihre Karriere nicht ohnehin beendet wird, was ja das Ziel ist – und auch oft gelingt.
Angenommen, das Gentechnikrecht der EU würde tatsächlich geändert und genomeditierte Produkte kämen unreguliert auf den Markt. Welche Folgen hätte das für den Verbraucher?
Wir hätten alle keine Ahnung mehr, was wir auf dem Tisch haben. Denn was ja auch mit der Regulierung verbunden ist, ist ein entsprechender Vollzug. Wir haben in den angeschlossenen Vollzugsbehörden der Landwirtschaftsministerin und der Umweltgesetzgebung jeweils Abteilungen für Gentechnik mit Leuten, die einigermaßen ausgebildet sind. In den landwirtschaftlichen Behörden haben Sie in der Regel Leute, die finden das alles ganz toll und möchten gerne zulassen. Und in den Umweltbehörden sitzen eher die Leute, die sagen: »Moment mal, Vorsicht! Lasst uns lieber noch ein paar Daten einholen.« Wenn wir jetzt aber nicht mal mehr ein entsprechendes Gesetz haben, dann haben Sie kaum noch jemanden auf Staatsseite, der überhaupt weiß, um was es geht. Sie haben niemanden mehr, der die Aufsicht behält, indem er beispielsweise Daten zusammenführt, Kataster führt, Listen führt. Nichts.
»Den Bauern ihre Daten entziehen und für teures Geld wieder zurückverkaufen: Wir nennen das auch ›farming the farmer‹«
Angelika Hilbeck
Die Leopoldina-Akademie schlägt nach einer möglichen Gesetzesnovelle die freiwillige Kennzeichnung gentechnikfreier Produkte vor. Wäre denn beispielsweise der Ökolandbau, der den Einsatz von Gentechnik prinzipiell verbietet, überhaupt in der Lage, das umzusetzen?
Nein, natürlich nicht! Deshalb schlagen sie es ja vor. Das ist ein zynisches Spiel. Da muss dann halt der Biobauer gucken, wie er nachweisen kann, dass seine Ernte gentechnikfrei ist. Der, der es nicht will, ist in der Bringschuld.
Was wäre die Konsequenz für den Ökolandbau?
Den würde es so nicht mehr geben. Oder aber er würde die frühere Hoheitsfunktion des Staates übernehmen und sich ein eigenes Überwachungssystem aufbauen und eigene Expertise dazu. Aber das Geld haben die nicht mal im Ansatz.
Apropos Geld. In den letzten Jahrzehnten hat auch die Bundesregierung Millionen an Steuergeldern investiert, obwohl ein Großteil der Bevölkerung gentechnischen Verfahren in der Landwirtschaft kritisch gegenübersteht.
Es sind wohl eher Milliarden denn Millionen an Fördermitteln. Und da muss ich auch mal den Wissenschaftsjournalismus zur Verantwortung ziehen, der bis auf wenige Ausnahmen zur Hofberichterstattung der Gentechnik geworden ist. Nach all den Jahrzehnten und astronomischen Summen an Fördermitteln wäre es doch höchste Zeit, einmal Bilanz zu ziehen, mit welchen Versprechen und Zielvorstellungen die Gentechnik und ihre großspurigen Vertreter in den 1990er Jahren an den Start gegangen sind und Milliarden an Steuergeldern versenkt haben. Ich wünsche mir wirklich, dass die Proponenten, die schon damals die große Revolution in der Landwirtschaft versprochen haben, sich hinstellen und wissenschaftlich erklären, welche Hürden sie bei der alten Gentechnik daran gehindert haben, ihre Versprechen zu erfüllen. Und welche dieser Hürden die neuen Methoden nun genau überwinden sollen. Aber in Gentech-Kreisen wird ja gar nicht hinterfragt, ob das Leben, das sie da am Reißbrett zusammenbasteln, überhaupt so funktioniert. Das geht eben nicht, wenn man sich einem Dogma verschrieben hat. Und vor allem nicht, wenn man damit milliardenschwere Töpfe anzapfen kann.
Wer ist denn auf EU-Ebene eigentlich der Hauptakteur, der eine Änderung der bestehenden Gentechnik-Gesetzgebung anstrebt?
Die Industrie und industriefreundliche Teile der EU-Kommission. Die Industrielobby weiß, wie man nach allen Regeln der Kunst Politikern große Versprechen von Technologievorsprüngen und deren Gewinnerwartungen verkauft. Diesen neuen »Green Deal« gibt es ja jetzt im Wesentlichen auch nur, weil die Grünung der Landwirtschaft mittels patentierter Hightech-Pakete – natürlich wieder vom Staat mit Forschungsgeldern unterstützt – Agrarindustrielobby und assoziierten Vertretern aus Akademia und Verbänden profitable Lösungen verspricht. Und zwar wird nun schon wieder ein Industriemantra verklickert: Jetzt soll alles mit der Digitalisierung gerettet werden, gepaart mit künstlicher Maschinenintelligenz und Gentechnik. Vom Businesskonzept her brillant! Ob unterm Strich für Mensch und Natur dabei etwas herauskommt, ist mehr als fraglich.
Das müssen Sie erklären!
Nehmen Sie die Entwicklungen im Bereich der großen Agrarkonzerne. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass Bayer Monsanto in erster Linie wegen der Gentechnik gekauft hat, sondern weil das Unternehmen die Nase vorn hatte, was die Digitalisierung anging. Wertschöpfung und Kontrolle erzielen sie heute, indem sie den Bauern ihre Daten entziehen, sie neu verknüpfen, zu lizensieren Gesamtpaketen bündeln und für teures Geld wieder zurückverkaufen. Wir nennen das auch »farming the farmer«. Die Bauern klicken dann an ihren digitalen Endgeräten, idealerweise nur noch menügesteuert, was sie von ihrem Land wollen. Das führt natürlich zu Kontrollverlust und Abhängigkeit von komplexen, computergesteuerten Prozessen, die nur noch eine kleine, hoch spezialisierte Elite versteht, die für ihr Wissen ordentlich entlohnt werden will. Oder die Bauernschaft schafft es, selbst zum landbesitzenden Investor zu werden, der andere die Technologiepakete ausführen lässt. Die unbemannte Landwirtschaft – das war und ist das Ziel. Und das ist nicht nur ein Risikoszenario am Horizont. Diese Prozesse sind bereits in vollem Gange.
Unterstützt von der EU-Kommission?
Schauen Sie doch einfach mal, was die Kommission schon seit Jahren macht. Zum Beispiel hat sie im Rahmen des Forschungs- und Innovationsförderprogramms »Horizon 2020« – und zwar schon seit 2014 – 152 Millionen Euro ausgegeben, nur für die digitale Transformation der Landwirtschaft. In diesem EU-Programm ist ja zu sehen, was sie da alles andenken – bis hin zu komplett verdrahteten Kühen. Denn die Bauernschaft ist ja nicht schlau genug, die eigene Kuh einzuschätzen. Ihr werden sämtliche Kompetenzen entzogen, die Daten genommen, digital verkuddelt und als völlig unverständliches, kompliziertes Ding zurückverkauft, das sie dann abzuarbeiten hat – und dann stehen die Bauern tatsächlich in ein paar Jahren da und sagen: »Ich hab keine Ahnung mehr. Da muss der Dienst- oder Serviceleister kommen.« Das sind klassische »Lock-in«-Technologiepfade, von denen sie so schnell nicht mehr runterkommen, wenn sie sich einmal darauf eingelassen haben – von der Datenhoheit und -sicherheit mal ganz abgesehen.
Die deutsche Bayer AG ist ja mittlerweile zum weltgrößten Saatguthersteller aufgestiegen. Wo sehen Sie den Konzern in ein paar Jahren?
Bayer wird zum Digital-Monopolisten: Dann kommt alles aus einer Hand. Da sind Gentechnik und Saatgut nur noch ein Baustein, die Chemikalien ein anderer. Die sind schon längst weiter, denn sie wissen ja, dass sie mit ihren Chemikalien gegen die Wand rennen. Es gibt kaum noch neue Formeln. Sie reiten ihre alten Produkte aus, die schon in den 1970er und 1980er Jahren herausgebracht wurden, Stichwort: Glyphosat/Roundup, Dicamba, 2,4-D und so weiter. Und mittels Gentechnik haben sie sich ja noch mal Plattformen für ihre Chemie geschaffen, indem sie pestizidresistente Pflanzen entwickelt und ihr Saatgut mit den entsprechenden Spritzmitteln als Kombipakete verkauft haben. Aber die künftige Reise von Bayer geht ganz klar in Richtung Digital Capture des gesamten Agro-Food-Systems. Ein brillantes Geschäftsmodell – zumindest für Bayer.
Das heißt, vom Pestizidgeschäft werden sie sich in absehbarer Zukunft lösen?
Meine Vermutung ist, dass sie das Pestizidgeschäft ausreizen werden, bis zum Schluss. Sie haben in den 1990er Jahren mit glyphosatresistenten Pflanzen angefangen und das Mantra verbreitet – dankenswerterweise gibt es dazu eine Publikation –, Resistenzen gegen Roundup seien nicht möglich. Der Druck dieses Papiers war noch nicht trocken, als die ersten Resistenzen bereits bestätigt waren. Dann haben sie neue patentierte Gentech-Pflanzen nachgeschoben, die gleich gegen mehrere Herbizide tolerant waren. Und diejenigen Industriebauern, die ihnen geglaubt und die entsprechenden Produkte angebaut haben, befinden sich heute in einer Einbahnstraße. Sie können gar nicht mehr anders als zu spritzen, spritzen, spritzen. Und mit der Digitalisierung werden sie noch mehr auf diesen Technologiepfad festgelegt. Denn dann bekommen sie das Kompletttechnologiepaket – verkauft unter dem Mantra der Effizienzsteigerung. Und wenn dann einer kommt und ein anderes Saatgut oder eine andere Anbauform möchte, bekommt er gesagt: »Ja, dann funktioniert das aber nicht. Dann übernehmen wir auch keine Garantie dafür.« Und dann ist er weitgehend auf sich allein gestellt beziehungsweise muss auf Bio-Landwirtschaft umstellen, für die die industriellen Ställe und kostenintensiven, oft hoch verschuldeten Anlagen gar nicht geeignet sind.
Momentan laufen ja in den USA jede Menge Glyphosat-Klagen, die alle an Bayer übergegangen sind. Der Druck auf den Konzern wächst also.
Was die Klagen angeht, da haben sie wohl etwas zu hoch gepokert. Doch mit ein bisschen Glück gibt es ja auch da jetzt außergerichtliche Einigungen – das ist nur eine Frage des Geldes. Denn wer hat als kranker Mensch mit Familie schon die Nerven, jahrelange Prozesse mit unklarem Ausgang aufrechtzuerhalten? Die allermeisten werden sich mit Sicherheit auf einen Vergleich einlassen. Aber dann gibt es vielleicht doch den ein oder anderen wie Dewayne Lee Johnson, der den Prozess gegen Monsanto durchgezogen hat. Mit solchen Menschen muss man auch immer rechnen.
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