News: Differenziertes Bild im Osten
Der industrielle Neuaufbau geht in Ostdeutschland mit einem erheblichen Strukturwandel einher. Sein Tempo ist weiterhin höher als in Westdeutschland, aber nicht mehr so hoch wie Anfang der neunziger Jahre. Die Entwicklung verläuft auch nicht gradlinig: Branchen, die anfangs zu den Vorläufern gehörten, fallen inzwischen wieder zurück; dafür holen andere Branchen, darunter solche, die große Startschwierigkeiten hatten, inzwischen deutlich auf.
Im Vergleich zur westdeutschen Industrie weist die ostdeutsche Industrie einige Besonderheiten auf, die sich aus den Bedingungen des Transformationsprozesses erklären: Die Hersteller von baunahen Produkten, von wenig technologieintensiven Produkten sowie von wenig handelbaren Produkten haben im Osten deutlich höhere Anteile an der gesamten industriellen Produktion als im Westen. Insgesamt hat sich die Struktur der ostdeutschen Industrie – auf der Ebene von Wirtschaftsbereichen – seit 1989 weiter vom Muster der westdeutschen Industrie entfernt, statt sich ihm angenähert. Es sieht aber so aus, als sei nun ein Korrekturprozeß im Gange.
Der Bericht identifiziert zwei wesentliche Einflußfaktoren für das strukturelle Entwicklungsmuster im Osten: die unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen auf einzelnen Märkten in den ersten Jahren nach der Wende und die Anstrengungen des Staates beim industriellen Neuaufbau. Beide Faktoren haben häufig in die gleiche Richtung gewirkt und sich wechselseitig verstärkt. So haben im Osten die Produzenten von nur lokal handelbaren Gütern nicht nur einen natürlichen Schutz vor überregionalem Wettbewerb genossen, sondern auch von den hohen Transfers aus dem Westen profitiert.
Das regionale Entwicklungsmuster weist inzwischen ein deutliches Nord-Süd-Gefälle auf: Die Industrie entwickelt sich in Sachsen und Thüringen besser als anderswo in den neuen Bundesländern. Zugleich ist innerhalb der Ballungsgebiete eine Kern-Rand-Verschiebung zu beobachten, insbesondere bei den nicht-standortgebundenen Branchen. Dies hängt teils mit der Schließung, teils mit der Verlagerung, teils aber auch mit dem Aufbau von neuen Produktionsstätten zusammen. Unternehmen, die sich neu ansiedeln, wählen fast immer einen Standort an der Peripherie. Alles in allem werden derzeit jene Suburbanisierungsprozesse, die im Westen schon früher zu beobachten waren, im Zeitraffertempo nachgeholt.
Der Anteil der Industrieunternehmen, die über Probleme im Wettbewerb berichten, hat sich weiter verringert – inzwischen beträgt er weniger als 50 Prozent. Am besten schätzen im Durchschnitt größere Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit ein, darunter in erster Linie solche, die sich im Besitz westdeutscher oder ausländischer Unternehmen befinden. Nicht so gut steht es um die eigenständigen Unternehmen, und hier vor allem um die kleineren. Im Branchenquerschnitt haben die Papier- und Pappeverarbeitung, die Elektrotechnik sowie die Herstellung von EBM-Waren im Augenblick die geringsten Sorgen. Die Steine- und Erden-Industrie, der Stahl- und Leichtmetallbau und die Holzindustrie, die bisher von der guten Baukonjunktur begünstigt wurden, klagen nun am meisten.
Ostdeutsche Industrieunternehmen vermögen zunehmend auf überregionalen und insbesondere auf internationalen Märkten Fuß zu fassen. Der Anteil der Unternehmen, die ins Ausland liefern, ist weiter gestiegen. Zugleich hat sich auch die Exportquote merklich erhöht. Auffällig ist, daß die Umorientierung der ostdeutschen Unternehmen auf die Märkte in Westeuropa und in Übersee erkennbare Fortschritte macht. Dennoch bleiben die Reformstaaten in Mittel- und Osteuropa für diese ein wichtiger Markt.
Unternehmen, die es nicht geschafft haben, auf überregionalen Märkten Fuß zu fassen, geraten dagegen zunehmend in Schwierigkeiten. Denn auf den lokalen und regionalen Märkten hat sich in letzter Zeit durch den Zutritt neuer Anbieter der Wettbewerb verschärft. Zudem stagniert hier inzwischen die Nachfrage, teilweise geht sie sogar zurück.
Ostdeutsche Industrieunternehmen bevorzugen bisher einfachere Formen der Internationalisierung. So exportieren und importieren sie vor allem Güter und Dienstleistungen. Bei komplexeren Formen der Kooperation, etwa bei einer gemeinsamen Produktion mit ausländischen Partnern, halten sie sich noch sehr zurück. Selbst die Lohnveredelung, eine bei westdeutschen Unternehmen stark verbreitete Kooperationsform, spielt eine vergleichsweise geringe Rolle, was angesichts der Nachbarschaft zu Niedriglohnländern wie Tschechien und Polen überraschend ist.
Die verbesserte Wettbewerbsfähigkeit ist nicht zuletzt auf den Modernisierungsschub zurückzuführen. Dank der sehr hohen Investitionen ist inzwischen der Maschinen- und Fahrzeugpark bei den meisten Unternehmen fast vollständig erneuert. Lediglich bei Bauten besteht teilweise noch Nachholbedarf. Es spricht einiges dafür, daß der Rückstand Ostdeutschlands bei der Kapitalintensität geringer ist als bei der Produktivität.
Defizite gibt es nach wie vor bei Forschung und Entwicklung. Die Aufwendungen für FuE sind zwar inzwischen deutlich gestiegen, aber sie sind immer noch auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau. Ein wesentlicher Grund dürften Finanzierungsprobleme bei den zumeist kleineren und mittleren Unternehmen sein, die auch durch generöse Fördermaßnahmen nicht behoben werden. Eine Rolle spielt auch, daß im Osten solche Branchen ein hohes Gewicht haben, die normalerweise wenig forschungs- und entwicklungsintensiv sind.
Auffällig ist, daß die FuE-Aktivitäten in der ostdeutschen Industrie personalintensiver und weniger sachkapitalintensiv sind als in der westdeutschen Industrie. Auch dies läßt sich teils mit Struktureffekten erklären, vor allem mit dem Fehlen einer industriellen Großforschung, die in der Regel einen hohen Sachkapitaleinsatz erfordert. Teils mag es aber auch mit der Art der FuE-Förderung zusammenhängen, die bisher am Personaleinsatz anknüpft.
Alles in allem ist die ostdeutsche Industrie inzwischen auf einem guten Weg. So gibt es einen Kern von Unternehmen, der voll wettbewerbsfähig ist. Nicht zu übersehen ist aber auch, daß es weiterhin eine nicht geringe Zahl von Unternehmen gibt, die über kurz oder lang aus dem Markt ausscheiden müssen. Dies sollte jedoch nicht als Schwächesymptom gewertet werden, aus dem dringender wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf abzuleiten wäre. Die Rufe nach zusätzlichen Fördermaßnahmen unterstützen die Institute nicht.
Bis in Ostdeutschland wieder eine breite industrielle Basis vorhanden ist, wird noch viel Zeit verstreichen. Die Wirtschaftspolitik kann die Zeit nicht überspringen; es wäre kontraproduktiv, in hektischen Aktionismus zu verfallen. Trotzdem bleibt einiges zu tun. Vordringlich ist der weitere Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, insbesondere im kommunalen Bereich, um die Standortqualität zu verbessern. Bei der Wirtschaftsförderung sind die Weichen bis zum Jahr 2004 gestellt. Das ist ein hinreichend langer Zeitraum. Danach sollte die Sonderförderung für Ostdeutschland in die normale Regionalförderung überführt werden. Schon jetzt gibt es Gebiete im Osten, die sich vergleichsweise gut entwickeln und über kurz oder lang keiner besonderen Förderung mehr bedürfen. Es muß verhindert werden, daß sich bei den Unternehmen eine Subventionsmentalität breitmacht, bei der sie immer mehr auf die Hilfe des Staates setzen statt auf ihre eigene Kraft.
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