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Robotik: Digitale Präzision im OP

Neue computergestützte Systeme finden in der Chirurgie Anwendung. Die Kombination von menschlichem Gespür und der Genauigkeit einer Maschine bilden künftig das perfekte Team im Operationssaal. Beginnt ein neues Zeitalter der "Gerätemedizin"?
Der Patient liegt in tiefer Narkose auf dem Operationstisch. Der Chirurg hat das Hüftgelenk bereits per Hand freigelegt. Spezielle Stifte fixieren Oberschenkel- und Beckenknochen, so dass sie ihre Position zueinander während des Eingriffs nicht verändern. Jetzt wird der Spezialist an den OP-Tisch gerollt. Mannshoch wird er fest mit Oberschenkel- und Beckenknochen des Patienten verbunden. An der Spitze seines Roboterarms sitzt ein Fühler. Dieser tastet sich an den Orientierungspins im Knochen des Patienten entlang, die ihm einige Tage zuvor eingesetzt wurden. So erkennt er exakt die Lage des Gelenkes. Jetzt vertauscht das OP-Team den harmlosen Fühler mit einer computergesteuerten Fräse. Mit 70 000 Umdrehungen pro Minute raspelt sie Knorpel und Knochen vom abgenutzten Hüftgelenk ab. Fräsen ist das Spezialgebiet des Operationsroboters. Durch die geringe Abweichung von nur 0,05 Millimetern erreicht er ein hohes Maß an Präzision. Das Loch im Knochen wird somit ein genaues Gegenstück des Prothesenschaftes, den es später aufnehmen soll. Dadurch hat die Prothese mehr Kontakt mit dem Knochen, wächst schneller ein und hält länger.
Operationsroboter | Operationsroboter wie Robodoc oder CASPAR waren Systeme aus der Zeit des Roboterbooms in den 1990er Jahren.
Seit 1994 wurden in Deutschland rund 12 000 computergesteuerte Hüftgelenksoperationen durchgeführt. Zwei konkurrierende Geräte waren auf dem Markt: das US-Modell Robodoc von der Firma URS Ortho GmbH & Co und der deutsche Konkurrent CASPAR, Entwicklung der Rastatter Firma orto MAQUET. Bei beiden bohrte eine Fräse ein Loch in den Knochen um die Prothese aufzunehmen. Durch die exakte Bohrung konnte die Qualität bei der Implantation von Endoprothesen gesteigert werden: Nach Angaben der Geschäftsstelle Qualitätssicherung Hessen lag die Komplikationsrate im Jahr 2002 bei insgesamt 885 implantierten Hüftgelenksprothesen unter dem Durchschnitt.

Robo-Doc vor Gericht

Doch es gibt auch eine Kehrseite: Der Roboter erkennt nur Knochen, nicht aber Muskeln oder Weichteile. Obwohl die Maschine genauer ist als ein Mensch, kann sie nicht fühlen, sehen oder hören, auf welche Art Körpergewebe sie trifft. Prompt landete der Operationsroboter im August 2003 vor Gericht. Eine Hüftpatientin verklagte die Frankfurter Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die Klinik hatte bis dahin die Hälfte aller Computer gestützten Hüft-OPs in Deutschland durchgeführt. Zwar wies das Frankfurter Landgericht die Klage ab, doch ein bitterer Nachgeschmack blieb. Zudem häuften sich die Beschwerden von Patienten, die mit Hilfe eines Roboters operiert wurden. Viele klagten über Muskel- oder Nervenschäden und Schmerzen beim Laufen. Andere beschwerten sich über ihren seltsamen Gang nach der Operation. Das böse Wort vom "Frankfurter Hinken" machte die Runde.

Von da an sank die Nachfrage nach Robodoc- oder Caspar- Operationen kontinuierlich. In Frankfurt, wo zu Zeiten des Roboter-Booms 1 200 Patienten pro Jahr mit Hilfe des Systems operiert wurden ,ging die Zahl der durchgeführten Operationen schon im Jahr der ersten Schadensersatzklage um mehr als die Hälfte zurück. Heute wird die Technik gar nicht mehr verwendet.



Interview mit Dr. rer. nat. Jörg Raczkowsky, wissenschaftlicher Assistent und Leiter der Medizinrobotikgruppe am Institut für Prozessrechentechnik, Automation und Robotik (IPR) der Universität Karlsruhe.

spektrumdirekt:
Was ist der Grund dafür, dass die Produktionsfirmen den Vertrieb von kommerziellen Systemen wie Robodoc oder CASPAR eingestellt haben?

Jörg Raczkowsky:
Vor zwei Jahren endete ein regelrechter "Roboterhype". Hersteller und Wissenschaftler, aber auch viele Ärzte waren überzeugt, dass man Roboter im Operationssaal schnell einführen und etablieren kann. Doch die Systeme sind noch zu komplex: Die Herstellung ist kompliziert und die Bedienbarkeit durch die Ärzte schwierig und ein großes Problem. Unter einem kommerziellen System verstehe ich, dass ich so ein Ding in eine Kiste packen, ein Bedienhandbuch dazu gebe und es dann in die Kliniken schicken kann. Und die können dann innerhalb kürzester Zeit lernen, damit umzugehen. Aber das ist noch lange nicht der Fall. Ein weiteres entscheidendes Problem ist, dass wir mit dem heutigen Stand der Rechenleistung nicht in der Lage sind, gute Weichteilmodelle zu bauen. Knochen können wir einigermaßen modellieren, doch bei Weichteilen versagt bisher jede Software. spektrumdirekt:
Wo liegen denn überhaupt die Vorteile eines Robotersystems in der angewandten Chirurgie?

Raczkowsky:
Die Vorteile sind sehr stark im Bereich der Qualitätssicherung zu sehen. Das bedeutet, dass ich eine bestimmte OP auf der Basis einer ärztlichen Diagnose, anhand der individuellen Daten des Patienten planen kann. Das Robotersystem garantiert mir, dass diese spezielle Planung auch 100-prozentig am Patienten umgesetzt wird. Bei den heutigen Vorgehensweisen wird eventuell auch mittels fortgeschrittener Systeme geplant; doch was der Arzt letztendlich umsetzt, ist nicht gesichert. Natürlich haben wir sehr sehr gute Ärzte. Deren Qualität werden wir mit Robotern in naher Zukunft wohl kaum erreichen; aber in der Summe aller Operationen, garantieren automatisierte Systeme mit Sicherheit eine höhere Qualität.

spektrumdirekt:
Glauben Sie, dass der Roboter irgendwann einmal genauso zu einer OP gehören wird wie beispielsweise ein Skalpell?

Raczkowsky:
Grundsätzlich glaube ich das schon. Doch bis wir in der ganzen Breite der chirurgischen Eingriffe Systeme haben, die genauso funktionieren wie ein eingespieltes Operationsteam, wird es noch etwa zehn Jahre dauern.
Öffnung der Schädeldecke | Nachdem die Operation im Computer geplant wurde, fräst der Roboter eine exakte Öffnung in die Schädeldecke.
spektrumdirekt:
Gibt es einen Schlüsselpunkt, bei dem man sagen kann: Wenn eine bestimmte Sache erfunden wird, geht es mit der Medizin wieder aufwärts?

Raczkowsky:
Es gibt einen Ansatz. Man hat die Idee entwickelt, Robotersysteme wieder in Medizinprodukte einzubetten. Das heißt Teilsysteme von Robotern werden von Medizintechnikfirmen verwendet um daraus dann wieder medizinische oder chirurgische Anwendungssysteme zu bauen. Was es zurzeit schon gibt, sind Systeme die auf der Basis von Navigationssystemen arbeiten. Diese bieten dem Chirurg eine steuernde oder überwachende Funktion, die meistens optisch ausgeführt werden kann.



Virtuelle Operation durch "Erweiterte Realität"

Seit zwei Jahren hat sich der Schwerpunkt in der computerunterstützen Chirurgie verlagert. An den Forschungseinrichtungen die sich in den 90er Jahren noch hauptsächlich mit Operationsrobotern beschäftigten, wird jetzt vor allem die Forschung im Bereich der so genannten Augmented Reality (Erweiterte Realität) vorangetrieben.
Augmented Reality | Mit Hilfe von Computertomografie und Röntgenaufnahmen wird ein Patientenmodell erstellt, an dem die Operation geplant wird.
Darunter versteht man die visuelle Verknüpfung von virtueller Information mit der Realität in Echtzeit. Dabei soll die Information möglichst am richtigen geometrischen Ort dargestellt werden. Aus Informationen, die mit Hilfe der Computertomografie und Röntgenaufnahmen gewonnen werden, lässt sich ein umfassendes 3D-Modell der Anatomie des Patienten erstellen. Mit diesem Modell kann die Diagnose verfeinert werden und der bevorstehende Eingriff bis ins Detail geplant werden. Bevor der Operationsroboter tatsächlich mit dem Fräsen beginnt, wird die Bewegung vorsorglich simuliert.
Erweiterte Realität | Ein Laser projeziert das „Schnittmuster" unabhängig von der Lage des Versuchskopfes.
Erst danach beginnt der maschinelle Chirurg, tatsächlich die Öffnung in den Schädel zu fräsen. Sollte kein Roboter zum Einsatz kommen, wird das zuvor am Computer geplante "Schnittmuster" mittels Laser auf die zu operierende Stelle projiziert. Der Chirurg kann während der Operation das Körperteil beliebig bewegen. Das Augmented-Reality-System erkennt die Veränderung und passt die Projektion automatisch an.

Kleiner Schnitt – große Wirkung

Inzwischen arbeiten Operateure häufig mit Hilfe der so genannten Telemanipulation. Das bekannteste und am häufigsten verwendete ist hierbei das Da Vinci System.

Mittels Endoskopen, die als Lichtquelle und Videokamera funktionieren, werden Operationsbilder auf Monitore übertragen. Die Chirurgen hantieren über bleistiftdicke Instrumente im Inneren der Körper. Mit Hilfe eines Mastersystems, das die Ärzte ähnlich wie einen Joystick benutzen, wird die manuelle Bedienung chirurgischer Instrumente nachempfunden.
Telemanipulation | Durch die Telemanipulation sind nur noch sehr kleine Operationsöffnungen notwendig.
Bei herkömmlichen Operationen musste das Operationsfeld durch ein oder mehrere, mitunter sehr große, Schnitte freigelegt werden. Innovationen in der Videotechnik brachten die Möglichkeit mit sich, viele Bereiche des Körperinneren durch kleine Schnitte oder die natürlichen Körperöffnungen zu betrachten. Die Größe der Operationswunde bei telemanipulativen Eingriffen richtet sich somit nicht mehr nach der Handgröße des Operateurs, sondern nach den filigranen Ausmaßen der Präzisionsinstrumente. Das Systems des Zentralrechners verarbeitet die Bewegung der Steuerungseinheit und filtert hierbei den Tremor (das normale Zittern der Hände) heraus. Weiterhin ist es möglich, die Bewegungen zu skalieren (maximal 5:1). Wenn der Chirurg das Steuerungsinstrument fünf Zentimeter bewegt, bewegt sich das chirurgische Instrument nur einen Zentimeter. Somit erreicht der Operateur eine höhere Präzision. Die Aufnahme des Bildes erfolgt durch ein Stereoendoskop. Der Chirurg kann mit bis zu zehnfacher Vergrößerung an das Operationsfeld heranzoomen. Die Darstellung der beiden Kanäle erfolgt für jedes Auge einzeln, so dass der Chirurg eine dreidimensionale Darstellung erhält. Der Arzt hat keine Einsicht in den Operationssaal, sondern fühlt sich völlig in den Körper des Patienten "hineinversetzt". Momentan wird das Da Vinci-System vor allem in der Herzchirurgie eingesetzt.

Auch wenn sich die Ärzte immer häufiger von Computern unterstützen lassen, wird der Chirurg aus Fleisch und Blut nie ganz aus dem Operationssaal verschwinden. "Bis wir in der ganzen Breite der chirurgischen Eingriffe Systeme haben, die genauso funktionieren wie ein eingespieltes Operationsteam, wird das noch eine ganze Weile dauern", sagt Jörg Raczkowsky.

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