Direct Air Capture: Die große Entzugskur
Eines Abends Ende 1997 spazierte die elfjährige Claire Lackner in das Arbeitszimmer ihres Vaters. Sie suchte nach einer Idee für ein Experiment, das sie in ihrer Schule vorführen könnte. Ihr Vater, Klaus Lackner, forschte damals im Los Alamos National Laboratory zur Kernfusion. Doch er bezweifelte zunehmend, dass Fusionsenergie fossile Energieträger eines Tages ersetzen würde. Deswegen hatte der Physiker angefangen darüber nachzudenken, wie man Treibhausgase wieder aus der Atmosphäre entfernen könnte. Also schlug er Claire vor zu versuchen, Kohlenstoffdioxid aus der Luft einzufangen. Sie kaufte eine Aquarienpumpe und ließ Luft durch ein Röhrchen blubbern, in dem sich eine wässrige Lösung aus Natriumcarbonat befand. Diese Base band das sauer wirkende CO2 aus dem Luftstrom und entfernte so über Nacht zehn Prozent davon. Mit ihrer Vorführung gewann Claire sogar einen Preis. Ihr Vater schrieb später in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung, die CO2-Entfernung aus der Luft habe »eine vernünftige Wahrscheinlichkeit auf Erfolg«, der globalen Erwärmung entgegenzuwirken.
Seit den 1950er Jahren ist bekannt, wie man das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid aus der Luft abscheidet. Genutzt wurde die Technik etwa in U-Booten oder Raumschiffen, damit die Besatzung nicht an der selbst ausgeatmeten Luft erstickte. Lackner argumentierte in seiner Arbeit jedoch als erster, man müsse das Gas aus der Atmosphäre entfernen, damit die Erde bewohnbar bliebe. Das Experiment seiner Tochter zeige, dass das Unterfangen »nicht so schwierig« sei.
Einige Jahre später gründete Lackner zusammen mit Partnern die Firma Global Research Technologies, die 2007 zum ersten Mal eine Technik präsentierte, um CO2 aus der Umgebungsluft zu ziehen. Heute nennt man diesen Ansatz »direct air capture« (DAC – Abscheidung direkt aus der Luft). Das damals vorgestellte Gerät war ein großer Kasten aus Plexiglas; darin waren Kunststoffplatten aufgereiht, die mit einem trockenen, CO2-absorbierenden Harz beschichtet waren. Öffnete man die Türen des Kastens, strömte Luft über den Kunststoff. Schloss man sie wieder, benetzte Wasser die Kunststoffplatten, woraufhin diese das vorher aufgenommene CO2 wieder freisetzten. Das Gas wurde in einem Tank aufgefangen und konnte anschließend industriell weiterverwendet oder im Untergrund eingelagert werden. Im selben Jahr lobte der Milliardär Richard Branson ein Preisgeld von 25 Millionen Dollar aus (umgerechnet rund Millionen Euro), sollte jemand eine »kommerziell gangbare« Technik auf den Weg bringen, um Treibhausgase aus der Atmosphäre zu ziehen.
Die Chemie dahinter mag »nicht so schwierig« sein. Dennoch benötigt DAC eine Menge Technik und verschlingt viel Energie – und damit viel Geld. Nach der Finanzkrise 2008 ging Global Research Technologies das Geld aus. Branson vergab sein Preisgeld nie. 2010 sagte ein Sprecher des Unternehmens, keine der 2500 eingesandten Vorschläge könnten der Luft bedeutende Mengen CO2 entziehen; außerdem erkannte er ein zunehmendes Unbehagen der Öffentlichkeit darüber, dass der Mensch in der Atmosphäre herumpfuschen wollte. Zwar entwickelten einige wenige Start-ups ihre Techniken weiter und nahmen sogar Anlagen in Betrieb – allen voran das Schweizer Unternehmen ClimeWorks und die kanadische Firma Carbon Engineering –, doch insgesamt geriet die aktive CO2-Entfernung aus dem Fokus.
Seit den 2000er Jahren sind die Treibhausgasemissionen jedoch weiter gestiegen, und die Erde hat sich weiter erwärmt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erkennen immer deutlicher, dass es nicht ausreicht, den Ausstoß von Klimagasen drastisch herunterzufahren, um das Pariser Klimaziel noch einzuhalten: dass die Erde sich höchstens um 1,5 Grad Celsius über vorindustrielle Durchschnittstemperaturen erwärmt. Um das noch zu schaffen, müssen wir noch in diesem Jahrhundert mehrere hundert Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre entfernen. Am naheliegendsten erscheint es, dazu Bäume zu pflanzen. Doch keine realistische Zahl Bäume würde annähernd ausreichen. Außerdem setzen sie das eingelagerte CO2 wieder frei, wenn sie absterben. Anfang des Jahrtausends sei die Welt noch nicht bereit für DAC gewesen, sagt Lackner, nur um zu ergänzen: »Jetzt werden wir nicht mehr ohne die Technik auskommen.«
»Es wäre eines der schwierigsten Dinge, die wir je getan haben. Aber nicht beispiellos.«Gregory Nemet, Technikfolgenforscher
Ab 2050 wollen die USA mehr als eine Milliarde Tonnen CO2 aus der Luft entfernen und einlagern – jährlich. Das ist etwas über ein Fünftel dessen, was das Land derzeit im Jahr ausstößt. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste der CO2-Entzug innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer der größten Industrien weltweit werden und jährlich um mehr als 40 Prozent wachsen. So rasch legen die wenigsten Technologien zu, vergleichbar haben sich aber die Solarzellen- und die Elektrofahrzeugindustrie entwickelt. Das Vorhaben »wäre eine der größten Leistungen der Menschheit überhaupt«, sagt Gregory Nemet, Professor für Technikbewertung an der University of Wisconsin-Madison. 2019 analysierte er in seinem Buch »How Solar Energy Became Cheap« (»Wie Solarenergie günstig wurde«) am Beispiel der Solarindustrie, welche Schritte notwendig sind, um eine Nischentechnologie massenmarkttauglich zu machen. Zu DAC sagt er: »Es wäre eines der schwierigsten Dinge, die wir je getan haben. Aber nicht beispiellos.«
In den Jahren 2021 und 2022 verabschiedeten die USA entscheidende Klimaschutzgesetze: Für den Direktentzug von CO2 aus der Luft mussten keine Steuern bezahlt werden, außerdem erhielten verschiedene regionale DAC-Zentren insgesamt rund 3,5 Milliarden US-Dollar (rund 3,2 Milliarden Euro) Förderung. Zur gleichen Zeit suchten erste große Unternehmen nach Möglichkeiten, Emissionszertifikate zu kaufen, um ihren Treibhausgasausstoß zu kompensieren: Statt selbst beispielsweise eine Tonne weniger Kohlenstoffdioxid zu verursachen, kann ein Unternehmen ein Zertifikat von einer DAC-Firma kaufen, die dieselbe Menge aus der Luft entfernt hat. Dadurch reduziert sich der CO2-Fußabdruck des Unternehmens um diese Tonne. Zu diesem Zweck wurden mehr als 130 kommerzielle DAC-Anlagen in den USA geplant. Doch hinter fast all diesen Vorhaben stehen Ölfirmen. Sie pressen das der Luft entzogene Gas in den Untergrund, um aus alten Öllagerstätten noch mehr des Rohstoffs herauszuholen. Die Energieministerin der USA, Jennifer Granholm, beschrieb DAC-Anlagen einmal als »gigantische Staubstauger, die die CO2-Verschmutzung von Jahrzehnten direkt aus dem Himmel saugen«. Doch nun stellt sich die Frage: Wird unsere Luft durch dieselbe Technologie womöglich noch schmutziger?
Zukunftstechnologie mitten im Nirgendwo
In der ersten Hälfte des Jahres 2024 fuhr ich von San Francisco aus eine Stunde in Richtung Osten, um die erste kommerzielle DAC-Anlage der Vereinigten Staaten zu besichtigen. Das Start-up Heirloom Carbon hatte es gemeinsam mit Ministerin Granholm auf Ackerland vor der kalifornischen Stadt Tracy eingeweiht. Nachdem ich eine Sicherheitsunterweisung angehört und einen Helm aufgesetzt hatte, nahm mich der CEO von Heirloom, Shashank Samala, mit hinter den weißen Maschendrahtzaun in das Herz der Anlage.
Drinnen sah es aus wie in einer übergroßen Industrieküche. Hunderte Plastiktabletts, auf denen eine an Mehl erinnernde, weiße Substanz lagerte, waren in 12 Meter hohen Türmen übereinandergestapelt. Rechteckige Roboter bewegten sich an vertikalen Trägern zwischen den Türmen auf und ab und prüften das »Mehl«, das sich als fein vermahlenes Kalziumhydroxid (Ca(OH)2) herausstellte. Der Stoff absorbiert CO2 aus der Luft, während sie über das Tablett strömt, und verbindet sich mit dem Gas zu Kalkstein (Kalziumkarbonat, CaCO3). Nach etwa drei Tagen ist der Prozess beendet. Dann zieht ein größerer, gabelstapelähnlicher Roboter auf Rädern die Tabletts aus dem unteren Teil eines Turms heraus und schüttet das Pulver in ein Rohr, das zu einem 900 Grad heißen Brennofen außerhalb des zentralen Anlagenteils führt. Dort setzt der Kalkstein das aufgenommene CO2 frei und wird zu Branntkalk (Kalziumoxid, CaO). Das frei gewordene Gas wird komprimiert und in einen großen Tank gepumpt. Später wird es entweder unterirdisch verpresst oder mit nassem Beton vermischt, so dass es lange Zeit gebunden bleibt. Der Branntkalk wandert zurück auf die Tabletts und wird mit Wasser zu Kalziumhydroxid »gelöscht«, das neues CO2 aus der Luft zieht.
Samala wuchs in einem 18 Quadratmeter großen Haus in Hyderabad in Indien auf. Während Hitzewellen hängte seine Mutter ein feuchtes Handtuch über einen Ventilator, um der Familie Kühlung zu verschaffen. Sein Vater arbeitete in den USA als Eisverkäufer und später in einer Apotheke. Als Samala zwölf Jahre alt war, holte der Vater die Familie in den Bundesstaat Maine. Samala studierte Wirtschaft und Robotik an der Cornell University und arbeitete zunächst für die Bezahlsystem-Firma Square. 2013 gründete er gemeinsam mit anderen ein Unternehmen, das maßgefertigte Leiterplatten herstellte und auslieferte.
Doch Klimakatastrophen unter anderem in seiner Heimat Indien bereiteten ihm zunehmend Sorge. Der 2018 veröffentlichte IPCC-Bericht, in dem es erstmals hieß, dass das 1,5-Grad-Ziel wahrscheinlich nur mit Kohlenstoffdioxid-Entfernung aus der Luft zu erreichen sei, überzeugte ihn, dass es ohne diese Technologie »keine Zukunft für den Planeten« gebe. Zwei Jahre später gründete er Heirloom Carbon gemeinsam mit Noah McQueen, einem Doktoranden des Chemieingenieurwesens. Sie entwickelten einen Ansatz, den sie auf hunderte große Anlagen übertragen konnten. Sie ersetzten flüssige Lösungsmittel, kleinteilige Filter und energieintensive Ventilatoren, wie sie andere Start-ups nutzen, durch billigen Kalkstein und einen moderaten Luftstrom.
Ungefähr zur selben Zeit begannen große Technologieunternehmen in DAC zu investieren, manchmal, um ihre eigenen beträchtlichen Emissionen zu mindern. Nur Monate nachdem Heirloom seine Technologie auf dem Papier vorgestellt hatte, sagten die Online-Bezahldienste Stripe und Shopify zu, mehrere hunderttausend Dollar für künftige CO2-Gutschriften zu bezahlen, und kurbelten damit die Nachfrage nach DAC mit an. Im darauffolgenden Jahr erhielt Heirloom 53 Millionen Dollar von einer Investorengruppe, der auch Bill Gates‘ Firma Breakthrough Energy Ventures angehörte, und gewann einen vorläufigen Preis von einer Million Dollar bei Elon Musks 100-Millionen-Dollar-Wettbewerb »XPRIZE«. Diesen erhält, wer 1000 Tonnen CO2 in einem Jahr aus der Luft entfernt und »einen Weg aufzeigt«, um Milliarden weiterer Tonnen zu beseitigen. Dann begann das Startup, die Anlage im kalifornischen Tracy zu errichten. Im August 2023 erhielt das Unternehmen vom Energieministerium der USA 600 Millionen Dollar für die Errichtung eines DAC-Zentrums im Westen von Lousiana – gemeinsam mit der Firma Climeworks, die in Island die weltweit einzige weitere kommerzielle DAC-Anlage betreibt. Das gemeinsame Zentrum »Project Cyprus« soll eine Million Tonnen Kohlenstoffdioxid im Jahr auffangen und unterirdisch einlagern.
Sowohl das Energieministerium als auch die Tech-Firmen, von denen einige mittlerweile zusammen eine Milliarde Dollar in die Technik investiert haben, wollen den Preis für DAC durch die aufgebaute Kapazität senken. Zurzeit kostet ein Zertifikat für eine Tonne per DAC entferntes CO2 um die 1000 Dollar. Das ist ein Vielfaches mehr als man für die Pflanzung von Bäumen ausgeben muss, welche die gleiche Menge an Klimagas einlagern. Doch wird die Kapazität erst einmal hochgefahren, könne der Preis fallen, hofft Samala. »Die Kosten werden sehr schnell sinken«, sagt er über das Dröhnen der Kompressoren und das Getöse/das Kreischen einer Vakuumpumpe hinweg. »Man legt nur Steine auf Tabletts.«
Nach meinem Besuch in Kalifornien fuhr ich zum künftigen Standort von Project Cypress: Gray Ranch, 400 Quadratkilometer Marschland vor der Küste Lousianas, kurz vor der Grenze zu Texas. Als ich vom texanischen Houston nach Lake Charles in Lousiana fuhr, passierte ich Spindeltop Hill, wo eine 60 Meter hoch sprudelnde Ölquelle im Jahr 1901 den texanischen Ölboom einläutete. Noch heute bezieht die Gray Ranch rund die Hälfte ihrer Einkünfte daraus, dass sie Land vermietet – zum Holzfällen, für die Viehwirtschaft und für die Ölförderung. Das erzählt mir der Familienerbe, Gray Stream, ein drahtiger, blonder Mann, der mich in Stiefeln, Jeans, einem blauen Hemd mit Monogramm und einer pelikanförmigen Gürtelschnalle in seinem säulengewandelten historischen Herrenhaus erwartete. Doch er setzt auf die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre als nächstes großes Geschäft für die Ranch. Project Cypress soll den Anfang machen.
Von der Kuhweide zum SciFi-Szenario
Mit Stream und vier seiner Angestellten kletterte ich in einen schwarzen Cadillac-SUV, und wir fuhren 50 Kilometer zum künftigen Standort. Dort, auf einer Schotterstraße neben einem grasbewachsenen Feld, ragte nicht weit entfernt ein Ölbrunnen in die Höhe. Während wir sprachen, begannen uns Stechmücken und Geier zu umkreisen. Von 2027 an soll dieser Ort nicht mehr an eine Kuhweide erinnern, sondern eher an einen Drehort für Sciencefiction-Filme. Die neueste Technologie von Climeworks ist ein Würfel von 23 Metern Kantenlänge, aus dem 16 Lufteinlässe von Ventilatoren herausragen. Das Ganze steht auf vier wuchtigen Betonpfeilern. Zirka 60 dieser Würfel sollen hier in Reihen nebeneinanderstehen, verbunden durch Kompressoren und Rohre. In jedem Würfel befinden sich 16 durchströmte Behälter; sie enthalten Filter, die mit einem aus Ammoniak gewonnenen Sorptionsmittel beschichtet sind. Sie absorbieren das CO2 aus der hineingesaugten Luft. Sobald die Behälter geschlossen und mit 100 Grad heißem Wasserdampf gefüllt werden, wird das aufgenommene Kohlenstoffdioxid in Rohre entlassen und abgetrennt. Von dort, wo heute nichts als Wiese ist, wird das Gas rund elf Kilometer weiter in einen anderen Teil der Ranch gepumpt. Dort versenkt es Streams Team tief im Untergrund. Ursprünglich wollte Heirloom eine Anlage direkt neben der von Climeworks bauen, doch nach meinem Besuch verlegte es seinen Teil des Projekts weiter nach Norden in die Nähe von Shreveport. Dort errichtet das Unternehmen eine weitere Anlage, bei der das abgeschiedene CO2unter einer Holzplantage im Zentrum von Louisiana verklappt werden soll.
Wir stiegen wieder in den Cadillac und fuhren zu ebendiesem Ort, an dem das CO2 im Boden versenkt werden sollte. Nach 20 Minuten erreichten wir erneut ein grasbewachsenes Gebiet, dieses Mal zwischen einem Bootskanal und einer ehemaligen Windmühle. Stream hatte 2018 die Idee, das Klimagas hier einzulagern, nachdem sich Nichtregierungsorganisationen, Energieunternehmen und Senatoren erdölfördernder Bundesstaaten zusammengetan hatten, um ein Steuerpaket namens 45Q auf mehr als das Doppelte zu erhöhen. Dadurch konnten Unternehmen wie die Erdgas- und Petrochemie-Produzenten der Golfküste für jede Tonne CO2, die sie durch Gaswäsche aus ihren Schornsteinen entfernten und unterirdisch einlagerten (CCS, Carbon Capture and Sequestration), bis zu 50 Dollar an Steuergutschriften erhalten. Im Jahr 2022 wurden daraus 85 Dollar pro im Kraftwerk aufgefangener Tonne und sogar 180 Dollar per Tonne CO2, die mittels DAC aus der Atmosphäre geholt wurde. Das setzte eine Koalition um den Senator von West Virginia durch, Joe Manchin – derjenige Senator, der am meisten Spenden on Öl- und Gasunternehmen erhielt. Für jede Tonne Kohlenstoffdioxid, das Project Cyprus aus der Luft entfernt, können Heirloom und Climeworks diese Steuergutschrift einfordern und gleichzeitig ein CO2-Zertifikat an Kunden verkaufen, die ihre Emissionen auf dem Papier mindern wollen – während parallel das US-Energieministerium bis zu 600 Millionen Dollar zu ihren Projektinvestitionen zuschießt. Damit es das Klimagas einlagern kann, zahlt Climeworks Geld an Stream. Denn dessen Ranch sitzt auf kuchenartig geschichtetem Gestein, das für den unterirdischen Einschluss perfekt geeignet ist. »Der Zauber liegt in der Geologie«, sagt Stream.
Diese geologische Formation begann sich vor 65 Millionen Jahren zu bilden, als die Rocky Mountains sich auftürmten und Flüsse wie der noch junge Mississippi erste Körner von zermahlenem Sand bergab in den Golf von Mexiko trugen. Über die Jahrmillionen lagerten sich weitere Sedimente darauf ab und pressten die darunterliegenden älteren Schichten durch ihr Gewicht zu porösem Sandstein. Immer wieder hob sich der Meeresspiegel und hinterließ eine schlammige Lage darauf, die zu Schiefer wurde. An Orten wie der Gray Ranch bildet der Schiefer heute eine undurchlässige Decke, die CO2 einschließen kann, wenn man das Gas über ein Bohrloch in den darunterliegenden porösen Sandstein verpresst. Dank dieser Schichtung ist die Golfküste »das Saudi-Arabien des Porenraums«, wie Stream es ausdrückt: Sie bietet Platz für schätzungsweise 100 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid.
Falls der Bundesstaat Louisiana Streams Antrag auf eine Bohrung genehmigt, wird sein Team 2750 Meter durch den Schiefer bohren und komprimiertes Kohlenstoffdioxid in den Sandstein darunter injizieren. Mit Instrumenten werden Geologen währenddessen beobachten, wie die Gasblase Salzwasser aus den Poren verdrängt und nach oben in Richtung der undurchlässigen Kappe aufsteigt – und überwachsen, ob das Gas dort eingeschlossen bleibt. Über 30 Jahre verteilt sollen so an drei Orten 100 Millionen Tonnen komprimiertes CO2 in den Boden eingebracht werden. Doch es ist mitunter schwierig, vorab zu simulieren, wie sich der Untergrund verhält. Bei einem CO2-Verklappungsprojekt in der Nordsee durchbrach die Gaswolke acht dünne Tonschichten, bevor ihr schließlich eine neunte Schicht Einhalt gebot, die man zuvor gar nicht entdeckt hatte. Und dann sind da noch die 120 000 verlassenen Bohrlöcher in Louisiana, durch die das Kohlenstoffdioxid entweichen könnte. Laut Stream allerdings wurde das halbe Dutzend nahe gelegener Bohrlöcher bereits ordentlich verschlossen.
Die Bevölkerung der benachbarten Stadt Lake Charles sorgt sich jedoch, dass sich in einer CO2-Transportpipeline Risse bilden können. Im Jahr 2020 mussten im Nachbarstaat Mississippi 45 Menschen im Krankenhaus behandelt werden, weil eine CO2-Pipeline ein Leck hatte; wegen eines weiteren Lecks in einem Vorort von Lake Charles im April 2024 durften die Bewohner ihre Häuser eine Zeitlang nicht verlassen. Ganz grundsätzlich befürchtet die vorwiegend Schwarze Bevölkerung vor Ort, dass Project Cyprus dazu beiträgt, einen seit Generationen bestehenden Umweltrassismus fortzuschreiben. Jede Nacht färben die Flammen von etwa zwei Dutzend Anlagen der Öl-, Gas- und petrochemischen Industrie die Gegend orange. Auf der Rückfahrt zu Streams Haus am See kamen wir am Chemiekomplex Westlake vorbei, wo 2022 sechs Arbeiter durch eine Explosion verletzt wurden. Daneben brannte eine Chlorfabrik ab, nachdem Hurrikan Laura 2020 dort zugeschlagen hatte. Aus zwei weiteren Anlagen entweichen Ethylenoxid und Benzol, beides Chemikalien, die Krebs verursachen können.
Fortgeschriebener Umweltrassismus?
Die DAC-Zentren müssen der örtlichen Bevölkerung zugutekommen. Doch laut der Umweltrechtsaktivistin Roishetta Silbley Ozane befragte das Energieministerium die Bürgerinnen und Bürger von Lake Charles erst, nachdem es sie bereits als »Versuchskaninchen« für eine nicht ausgereifte Technologie ausgewählt hatte. Sie befürchtet, dass die CO2-Verklappung auf der Gray Ranch noch mehr Gas- und Petrochemieanlagen anziehen wird, weil Stream auch vorhabe, Kohlenstoffdioxid zu verpressen, das per CCS aus Industrieabgasströmen abgetrennt wurde. Mindestens ein Dutzend Raffinerien mit Gaswäsche seien in Louisiana geplant. »Wir müssen stoppen, was gerade passiert«, sagt Ozane. »Und nicht alles noch verschlimmern, indem wir ein riesiges DAC-Zentrum in diejenigen Orte setzen, die sowieso schon über alle Maßen von der Industrie belastet sind.«
Noch ist nicht klar, wer für die aktive Treibhausgasentfernung aus der Luft bezahlen wird. Nach Schätzungen des US-Energieministeriums werden die Kosten für eine Tonne CO2 unter 100 Dollar fallen, sobald die Industrie jährlich eine Milliarde Tonnen aus der Atmosphäre zieht. Dann lohnt sich das Unterfangen finanziell allein durch die Steuergutschrift 45Q. Ein Forschungsteam der ETH Zürich allerdings berechnete in einer Studie vom April 2024, dass der Entzug einer Tonne Kohlenstoffdioxid selbst dann noch 360 Dollar kosten würde. Unter diesen Annahmen müssten die USA jährlich mehr als ein Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts aufbringen, um die geplante Milliarde Tonnen CO2 aus der Luft zu holen. Und es ist schwer vorstellbar, dass Tech-Unternehmen – so zahlungskräftig sie sein mögen – jedes Jahr freiwillig hunderte Milliarden Euro für CO2-Zertifikate ausgeben. Die US-Regierung, oder zumindest viele einzelne Bundesstaaten, müssen vermutlich die Emissionen ihrer Unternehmen auf irgendeine Art und Weise senken, sagt Nemet – und die Verschmutzer dazu zwingen, für die Beseitigung der von ihnen verursachten Treibhausgase zu bezahlen. Kalifornien hat damit schon begonnen: Will ein Unternehmen in dem Staat Benzin und Diesel verkaufen, so muss es entweder selbst seinen CO2-Ausstoß senken oder Zertifikate kaufen. Künftig beispielsweise von Climeworks und Heirloom, falls sie die Genehmigung dafür erhalten.
Neben der Ausstattung der Anlagen kostet die Energie am meisten. Project Cyprus wird mit seinem Eine-Million-Tonnen-Ziel im Jahr so viel Strom verbrauchen wie 230 000 US-Haushalte. Gar eine Milliarde Tonnen Treibhausgas aus der Luft zu entfernen, würde zweimal so viel Strom verbrauchen, wie die USA 2023 aus erneuerbaren Quellen erzeugt haben. Schon ohne diesen zusätzlichen Bedarf durch DAC werden die USA ihre Ausbauziele für Erneuerbare mit den derzeit geplanten Maßnahmen nicht erreichen. Wie Kritiker anmerken, sollte das in DAC investierte Geld besser dazu aufgewandt werden, Erdgas- und Kohlekraftwerke zu ersetzen, die bis heute einen Großteil des Stroms in den USA erzeugen. Betriebe man eine DAC-Anlage mit Windenergie, gelängen dadurch innerhalb von zwanzig Jahren 42 Prozent mehr CO2 in die Luft, als wenn man mit derselben Windenergie ein Kohlekraftwerk ersetzen würde, rechnete 2019 der Umweltingenieur Mark Jacobson von der Stanford University vor. Außerdem würden Verschmutzungen wie Schwefeldioxid, die in Kohlekraftwerken entstehen, durch DAC nicht reduziert. »Solange nicht jedes fossile Kraftwerk und jede Bioenergieanlage verschwunden ist, nutzt Direct Air Capture überhaupt nichts«, mahnt Jacobson, »es führt immer zu mehr Luftverschmutzung, mehr CO2, mehr Gewinnung von fossilen Rohstoffen und mehr darauf ausgerichteter Infrastruktur«.
Andere befürchten, DAC könne schlimmstenfalls verhindern, dass Unternehmen ihren Kohlenstoffdioxid-Ausstoß so drastisch herunterfahren, wie es die Wissenschaft fordert: Warum sollte man aufhören, Treibhausgase auszustoßen, wenn man sie später wieder aus der Luft herausholen kann? Obwohl die Welt weit davon entfernt ist, ihr 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, sind die großen Erdöl und Erdgas fördernden Länder bestrebt, ihre Produktion bis 2050 weiter zu erhöhen. »Das Vertrauen in diese spekulativen Zukunftstechnologien verzögert in diesem Moment echten Klimaschutz«, sagt Lili Fuhr, Analystin beim Center for International Environment Law. Der größte private Investor in die DAC-Technologie ist sogar der größte Ölkonzern der USA, Occidental Petroleum, kurz Oxy. Laut dessen CEO bedeutet die Technologie vor allem eins: »Es gibt keinen Grund, nicht für immer und ewig Öl und Gas zu fördern.«
»Solange nicht jedes fossile Kraftwerk und jede Bioenergieanlage verschwunden ist, nutzt Direct Air Capture überhaupt nichts«Mark Jacobson, Umweltingenieur
Nach dem Besuch auf der Gray Ranch folgte ich der Küste bis nach Corpus Christi in Texas. Diese hauptsächlich von Latinos bewohnte Stadt war früher einmal für ihre Strände berühmt, heute beherbergt sie Amerikas größten Ölexporthafen. Das US-Energieministerium hat nicht nur Project Cypress Geld zugesagt, sondern schießt ebenfalls 600nbsp;Millionen Dollar zu einem DAC-Zentrum zu, das Oxy hier hochzieht. Climeworks und Heirloom betonen, die Technologie sollte kein Grund dafür sein, fossile Brennstoffe weiter zu fördern. Doch Oxy braucht es für seine Strategie, »Netto-Null-Öl« zu verkaufen. Die Idee dahinter: Das Kohlenstoffdioxid, das beim Verbrennen des frisch geförderten Öls frei wird, soll durch das in den eigenen DAC-Anlagen eingefangene Treibhausgas ausgeglichen werden. Oxy baut bereits an einer separaten Anlage namens Stratos im Westen von Texas, die 500 000 Tonnen CO2 jährlich aus der Luft fischen soll. Ein Teil des dort aufgefangenen Treibhausgases wird in alte Bohrlöcher verpresst, um mehr Rohöl fördern zu können – eine Praxis namens »enhanced oil recovery« (EOR) oder tertiäre Erdölförderung. 2023 sagte die Geschäftsführerin Vicki Hollub über DAC: Es »erlaubt unserer Industrie, die 60, 70, 80 Jahre lang weiterzuarbeiten, für die sie meiner Ansicht nach dringend gebraucht wird«.
Ich folgte der Straße von Corpus Christi aus nach Süden, vorbei an einer Megakirche, einem Laden für Feuerwerkskörper und ein paar Wellblechhütten. Nach 15 Kilometern stieß ich auf ein Schild: »Durchfahrt verboten«. Ein Dutzend Windräder drehte sich träge in der leichten Meeresbrise. Hinter einer Reihe struppiger Sträucher liegt hier das gewaltige Grundstück der King Ranch, die einst die Inspiration für den Film »Giganten« mit James Dean lieferte. Bereits 2025 soll sich aus den braunen Feldern das neue DAC-Zentrum von Oxy erheben. Die Firma verweigerte einen Kommentar und ließ mich den Standort nicht besichtigen. Online einsehbare Computergrafiken zeigen aber einen Satz langer Gebäude mit perforierten schwarzen Wänden und einer Reihe riesiger, runder Ventilatoren auf den Dächern. Die Ventilatoren sollen Luft durch die durchlässigen Wände ansaugen, in denen eine Kaliumhydroxidlösung (KOH) durch eine wabenförmige Anordnung von Kunststoffplatten fließt. Während die Luft hindurchströmt, bindet die Lösung CO2 und bildet dabei eine Lösung von Kaliumkarbonat (K2CO3). In einem »Pellet-Reaktor« wird diese mit Kalziumhydroxid zusammengegeben, wodurch Pellets aus Kalziumkarbonat (Kalk, CaCO3) entstehen. Die Pellets werden in einem Kalzinierungsofen erhitzt und geben dabei wieder CO2 ab. In Reihen von Tanks hinter den Gebäuden kann das Gas gelagert werden.
Eine Mauer aus Schweigen
Die Entwicklung des Zentrums ist bislang geheimnisumwittert. Bei einer Minibus-Tour durch den historischen Kern von King Ranch, 40 Kilometer westlich im texanischen Kingsville, sprach die Reiseführerin eineinhalb Stunden lang über die berühmten Rennpferde und die orangefarbenen Rinder. Doch meine Fragen zum DAC-Standort leitete sie ans Management weiter, das auf meine zahlreichen Anrufe und Mails nie antwortete. Die Archivarin des King Ranch Museums beschied mir, sie dürfe ohne Erlaubnis keine Auskunft geben. Der Vorsitzende der lokalen Handelskammer verwies auf eine Geheimhaltungsvereinbarung. Der Richter des Countys, der sich für den Bau des Zentrum eingesetzt hatte, erklärte sich zweimal für ein Interview bereit, sagte aber beide Male wieder ab. Selbst mein Versuch scheiterte, einem Arbeiter etwas zu entlocken, der nahe dem Eingang zur Ranch die Büsche schnitt: »Ich weiß nicht, ob wir darüber sprechen dürfen.«
Hollub, die Chefin von Oxy, ist entweder eine Superschurkin oder eine Visionärin, je nachdem, wen man fragt. Sie wurde in Alabama geboren, arbeitete als Ingenieurin auf einer Bohrinsel und wurde 2016 die erste weibliche CEO einer großen US-amerikanischen Ölfirma. Zwei Jahre später, als das 45Q-Steuerpaket erhöht wurde, plante sie die Stratos-Anlage. Ein Grund dafür war, dass Oxy mittlerweile zum größten Erdölproduzenten in Texas aufgestiegen war, der mit CO2-Verpressung arbeitete, um mehr aus seinen Bohrungen herauszuholen. Bei der Methode verdrängt komprimiertes Kohlenstoffdioxid das in den Gesteinsporen festhängende Öl und erhöht die Ausbeute dadurch um bis zu ein Viertel. Das meiste CO2 wird in der Lagerstätte eingeschlossen, doch sobald die Konsumenten das neu gewonnene Öl verbrennen, wird neues Treibhausgas frei. Oxy erhält das CO2 für diesen Zweck bislang aus natürlichen Reservoirs, begann aber nach neuen Quellen zu suchen.
Hollub merkte: Wenn das Unternehmen sein Kohlenstoffdioxid aus DAC-Anlagen beziehen könnte, wäre das gleich ein dreifacher Gewinn. Es könnte die Steuergutschrift einstreichen, CO2-Zertifikate verkaufen und mehr Öl fördern. Nachdem die Unternehmerin im Kongress erfolgreich für eine Erhöhung der Steuergutschrift auf 130 Dollar pro Tonne CO2 lobbyiert hatte, die per DAC der Luft entzogen und für die Erdölförderung eingesetzt wird, kündigte sie an, dass Oxy 130 DAC-Anlagen errichten werde – bis 2035. Das Energieministerium sagte Oxys DAC-Zentrum in Süden von Texas finanzielle Förderung zu. Anschließend kaufte das Unternehmen für 1,1 Milliarden Dollar die kanadische Firma Carbon Engineering auf, die DAC-Technologien entwickelt. Oxy hat mittlerweile einen Vertrag mit einer südkoreanischen Raffinerie, die ihnen Netto-Null-Öl abkaufen will; außerdem hat es bereits CO2-Zerfikate, die nicht mit dem Einsatz des Gases zur Erdölförderung in Verbindung stehen, an Unternehmen wie Microsoft, Airbus und Amazon verkauft.
Chevron und Shell investieren sowohl in Ölbohrungen als auch in die CO2-Entfernung aus der Luft. Sie haben ebenfalls kleinere Fördersummen erhalten, um ihre eigenen DAC-Zentren aufzubauen. Das soll laut dem US-Energieministerium dazu beitragen, die Technik in großem Maßstab hochzuziehen, wovon alle profitieren würden. Gleichzeitig verschiebe es den Fokus der Unternehmen weg von fossilen Brennstoffen. »Es gibt den Firmen eine Möglichkeit, Vorreiter zu sein«, erklärte mir die damalige Vizechefin des Büros für fossile Energien und CO2-Management am Energieministerium, Jennifer Wilcox, im März 2024 (sie hat das Ministerium mittlerweile verlassen). »Und genau diese Unternehmen haben die Mittel und Möglichkeiten, solche Vorhaben tatsächlich umzusetzen.«
Das sieht Emily Grubert anders. Die Soziologin an der University of Notre Dame im Bundesstaat Indiana arbeitete früher am Energieministerium zu DAC-Zentren. Sie hält es für vergebens, »Ölfirmen dafür zu bezahlen, kein Öl mehr zu fördern«. Wie andere plädiert sie dafür, die CO2-Entfernung zu verstaatlichen. Ähnlich wie bei einer Art Müllabfuhr aus der Atmosphäre solle die Regierung eine Obergrenze für Emissionen festlegen und für deren Beseitigung aufkommen. Aktivistinnen wie Ozane sprechen sich dafür aus, dass die örtliche Bevölkerung zumindest teilweise Inhaberin der DAC-Zentren wird. Würden die Einrichtungen nicht reguliert und rein auf Profit ausgerichtet, »wird die Fossilindustrie sie kapern«, sagt Grubert.
Die Klimauhr zurückdrehen – um 13 Minuten
Bei der Einweihung der DAC-Anlage in Tracy verglich Heirloom-Chef Samala die Technologie mit einer Zeitmaschine, die uns zurück in ein früheres, weniger verkorkstes Klima bringen könne. Bis jetzt sei diese Vorrichtung jedoch »praktisch nutzlos«, wie der Ozeanograf David Ho 2023 im Fachmagazin »Nature« schrieb: Da die Menschheit jährlich fast 40 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid ausstößt, trüge uns die DAC-Zeitmaschine mit ihrer pro Jahr entfernten Million Tonnen gerade einmal 13 Minuten in die Vergangenheit.
Doch einmal angenommen, die Nationen der Welt würden ihren Ausstoß bis zum Jahr 2050 um 90 Prozent drosseln. Dann könnten mehrere tausend Anlagen, betrieben mit überschüssiger Energie aus erneuerbaren Quellen, die letzten zehn Prozent aktiv aus der Luft ziehen, die für ein Netto-Null-Ziel erforderlich wären. In diesem Szenario kletterten die Durchschnittstemperaturen wahrscheinlich um höchstens 1,6 Grad Celsius über das vorindustrielle Niveau. Das legt der 6. Sachstandsbericht des IPCC von 2022 nahe.
Mit dem massiven Ausbau der DAC-Kapazitäten könnten wir beginnen, die Klima-Uhr zurückzudrehen. Wenn wir bis zum Ende des Jahrhunderts 220 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernen würden, könnten wir das Thermometer auf zirka 1,3 Grad Celsius über Vorindustrie-Niveau bringen, das wäre nur geringfügig heißer als heute. Tödliche Katastrophen wie Hitzewellen in den USA, die Dürre im Amazonasgebiet oder Flutwellen in Afghanistan und Pakistan, die sich alle im Jahr 2024 ereigneten, würden weiterhin stattfinden. Allerdings nur halb so häufig, als wenn sich die Erde um 2,9 Grad erwärmen würde – die Marke, auf die unsere Welt mit ihrem derzeitigen Kurs zusteuert. Wenn man es richtig macht, könnte die Entfernung des Treibhausgases auch ein Mittel für mehr Klimagerechtigkeit werden. Denn für die Katastrophen, die sie verhindert, sind zumeist die Reichen verantwortlich; sie treffen aber vorrangig den armen und verwundbaren Teil der Weltbevölkerung am schlimmsten.
Um auch nur eine Chance auf diese Zukunft zu haben, müssten wir Investitionen in DAC jetzt hochfahren, sagt Ho. »Wenn wir den künftigen Generationen schon all die gesammelten Emissionen in der Atmosphäre hinterlassen, ist es regelrecht unsere Verantwortung, ihnen ein Werkzeug zu übergeben, um sie zu beseitigen.«
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