Neurobiologie: Doppelfunktion
Gehen und Sprechen sind für uns meist selbstverständlich. Doch was wir unbewusst erledigen, verlangt von unserem Körper eine große motorische Leistung: Wie die Musiker in einem Orchester spielen dabei viele Muskeln zusammen. Nerven steuern die zahlreichen Muskelgruppen, die daran beteiligt sind. Doch woher weiß eine Nervenzelle, für welchen Muskel sie zuständig ist?
Damit sich ein Lebewesen koordiniert bewegen kann, muss der richtige Nerv zum richtigen Muskel finden. Dabei darf er trotz der vielen Richtungswechsel die Orientierung nicht verlieren – keine leichte Aufgabe für Axone, die langen, faserartigen Ausläufer der Nervenzellen. Um den Zielmuskel, der weit entfernt liegen kann, zu erreichen, braucht es daher spezielle Lenkungsfaktoren, welche die Axone zum Wachstum in eine bestimmte Richtung anregen. Sie werden entweder von Zellen des umliegenden Gewebes ausgeschüttet oder auf der Oberfläche der Gewebezellen präsentiert.
Die Axone der Nervenzellen haben Empfangsantennen, so genannte Rezeptoren, die solche Faktoren erkennen. Wenn der richtige Faktor an den richtigen Rezeptor bindet, kann sich die Nervenzelle zum passenden Muskel hinstrecken und mit ihm eine dauerhafte Bindung eingehen. Dabei können die Signalfaktoren anziehend oder abstoßend wirken. Auf diese Weise zeigen sie den Nervenzellen, wo es lang geht.
In ihren Experimenten befassten sich Rüdiger Klein und seine Kollegen im Max-Planck-Instituts für Neurobiologie und von den Universitäten von Michigan und Marseille mit dem Signalfaktor GDNF (engl. glial cell line-derived neurotrophic factor) und dessen Rezeptor Ret. Über dieses Signalpaar war bisher nur bekannt, dass es Motoneurone am Leben erhält und das Auswachsen ihrer Axone bewirkt. Nun konnten die Wissenschaftler zum ersten Mal nachweisen, dass das GDNF/Ret-System in der Nervenzelle eine Doppelfunktion hat: Es kann auch Nervenzellen bei der Entwicklung von Organismen zum richtigen Muskelgewebe leiten.
Damit haben Klein und seine Kollegen gezeigt, dass das GDNF/Ret-Signalpaar für die Ausrichtung der Nervenzellen wichtig sein muss – eine Eigenschaft, die von einem Nervenwachstumsfaktor bisher nicht bekannt war. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Natur ein bewährtes System mehrfach einsetzt. Denn GDNF dient den Nervenzellen nicht nur als Überlebens- und Wachstumsfaktor, sondern gibt ihnen auch das Ziel vor. Warum die Natur jedoch gleich zwei Signalwege mit gleicher Funktion entwickelt hat, darüber kann Klein nur spekulieren: "Wir sind erst ganz am Anfang, die einzelnen feinen Mechanismen zu verstehen, die dafür sorgen, dass unser Bewegungsapparat so perfekt mit Nervenzellen verbunden und gesteuert wird. Da das menschliche Nervensystem auf den gleichen Signalsystemen basiert, könnte diese Studie auch helfen, seine Entwicklung besser zu verstehen."
Die Axone der Nervenzellen haben Empfangsantennen, so genannte Rezeptoren, die solche Faktoren erkennen. Wenn der richtige Faktor an den richtigen Rezeptor bindet, kann sich die Nervenzelle zum passenden Muskel hinstrecken und mit ihm eine dauerhafte Bindung eingehen. Dabei können die Signalfaktoren anziehend oder abstoßend wirken. Auf diese Weise zeigen sie den Nervenzellen, wo es lang geht.
In ihren Experimenten befassten sich Rüdiger Klein und seine Kollegen im Max-Planck-Instituts für Neurobiologie und von den Universitäten von Michigan und Marseille mit dem Signalfaktor GDNF (engl. glial cell line-derived neurotrophic factor) und dessen Rezeptor Ret. Über dieses Signalpaar war bisher nur bekannt, dass es Motoneurone am Leben erhält und das Auswachsen ihrer Axone bewirkt. Nun konnten die Wissenschaftler zum ersten Mal nachweisen, dass das GDNF/Ret-System in der Nervenzelle eine Doppelfunktion hat: Es kann auch Nervenzellen bei der Entwicklung von Organismen zum richtigen Muskelgewebe leiten.
Die Neurobiologen beobachteten dazu die Entwicklung einer motorischen Nervenbahn, die im Hinterbein der Maus den Strecker- und Beugermuskel steuert: Durch Färbemethoden konnten sie nachweisen, dass der Teil der Nervenbahn, der den Beugermuskel versorgt, verstärkt den Rezeptor Ret bildet. Diese Axone wanderten in die Bereiche des Beines, in denen die Forscher besonders viel von dem Faktor GDNF fanden. Schalteten die Wissenschaftler das GDNF/Ret-System genetisch aus, so wanderten die Motoneurone in die falsche Richtung und endeten am Streckermuskel statt am Beugermuskel. Da die Muskeln nun falsch verschaltet waren, konnte sich die Maus nicht richtig bewegen. Das war ein eindeutiger Hinweis darauf, dass das GDNF/Ret-Signalsystem bestimmt, welche Muskeln die Motoneurone ansteuern.
In früheren Versuchen war es den Max-Planck-Forschern bereits gelungen, die Rolle der Ephrine und ihrer Rezeptoren bei der Entwicklung von Nervensystem sowie Blut- und Lymphgefäßen zu entschlüsseln. Damals hatten sie festgestellt, dass dieses Signalpaar den Nerven hilft, Muskeln zu steuern. Ephrin/Eph und GDNF/Ret funktionieren jedoch unabhängig voneinander – das heißt, die Signalfaktoren eines Systems werden auch gebildet, wenn das andere blockiert ist. Doch die Faktoren eines Systems können alleine nicht dafür sorgen, dass sich die Nervenzellen richtig orientieren.
Damit haben Klein und seine Kollegen gezeigt, dass das GDNF/Ret-Signalpaar für die Ausrichtung der Nervenzellen wichtig sein muss – eine Eigenschaft, die von einem Nervenwachstumsfaktor bisher nicht bekannt war. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Natur ein bewährtes System mehrfach einsetzt. Denn GDNF dient den Nervenzellen nicht nur als Überlebens- und Wachstumsfaktor, sondern gibt ihnen auch das Ziel vor. Warum die Natur jedoch gleich zwei Signalwege mit gleicher Funktion entwickelt hat, darüber kann Klein nur spekulieren: "Wir sind erst ganz am Anfang, die einzelnen feinen Mechanismen zu verstehen, die dafür sorgen, dass unser Bewegungsapparat so perfekt mit Nervenzellen verbunden und gesteuert wird. Da das menschliche Nervensystem auf den gleichen Signalsystemen basiert, könnte diese Studie auch helfen, seine Entwicklung besser zu verstehen."
© Max-Planck-Gesellschaft
Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ist eine vorwiegend von Bund und Ländern finanzierte Einrichtung der Grundlagenforschung. Sie betreibt rund achtzig Max-Planck-Institute.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.