Doppelspaltexperiment: Lichtwellen quetschen sich durch Zeitschlitze
Viele werden sich noch an das Experiment im Physikunterricht erinnern: Wenn Licht auf zwei schmale, parallele Spalte trifft, wird es daran gebeugt und erzeugt auf einem dahinter angebrachten Beobachtungsschirm ein Interferenzmuster aus dunklen und hellen Streifen. Das Doppelspaltexperiment wurde erstmals im Jahr 1802 von Thomas Young durchgeführt und galt als Nachweis dafür, dass Licht sich wie eine Welle verhält. Später hat man es mit Elektronen, Atomen und sogar ganzen Molekülen wiederholt und damit demonstriert, dass sich auch Teilchen wie Wellen verhalten können. Der so genannte Welle-Teilchen-Dualismus von Quantenobjekten ist eine der Schlüsselaussagen der Quantenmechanik.
Nun haben Physiker des Imperial College London den berühmten Versuch nachgestellt und gezeigt, dass ein ähnlicher Interferenzeffekt auftreten kann, wenn das Licht statt durch räumlich getrennte Schlitze durch zeitlich getrennte gelenkt wird: Eine Art Spiegel, der sich extrem schnell ein- und ausschalten lässt, verursacht ebenso wie ein Doppelspalt Interferenzen in einem Laserpuls, wodurch dieser jedoch seine Farbe ändert. Die Ergebnisse beschreibt das Team im Fachmagazin »Nature Physics«.
Die Wissenschaftler um Romain Tirole beschossen mit einem Infrarotlaser eine dünne Schicht aus Indium-Zinn-Oxid, einem halbleitenden Material, das auch für Smartphone-Bildschirme verwendet wird. Unter normalen Bedingungen ist es transparent für infrarotes Licht, das heißt, solche Lichtstrahlen passieren es einfach ungehindert. Die Physiker nutzten jedoch einen zweiten Laser, der die optischen Eigenschaften des Halbleiters für kurze Momente veränderte: Das Licht, das während dieser Zeit ankommt, wird reflektiert. Als sie zwei ultrakurze Pulse mit dem zweiten Laser im Abstand von einigen zehn Femtosekunden abfeuerten – und damit den Spiegel zweimal kurz hintereinander einschalteten –, konnten sie feststellen, dass sich die Wellenform des reflektierten Laserlichts und damit die Farbe änderte. Sie hatten das Licht durch »Zeitschlitze« geschickt.
In der klassischen Version des Doppelspaltexperiments kommt es zu zwei physikalischen Phänomenen: Beugung und Interferenz. Ersteres wird verursacht, weil das Licht durch einen extrem schmalen Spalt geführt wird – damit ist die Position der Lichtteilchen, die Quantenobjekte sind, festgelegt. Die heisenbergsche Unschärferelation verlangt, dass dafür die Bewegungsrichtung nicht genau vorhersagbar ist: Die Lichtwelle fächert sich also hinter dem Spalt auf. Gleiches passiert am benachbarten Spalt, so dass beide Wellen hinter dem Doppelspalt interferieren. Wie Wellen auf einer Wasseroberfläche verstärken und schwächen sich die Bewegungen ab, die Minima und Maxima des Interferenzmusters verteilen sich am Ende in einem bestimmten Winkel zur Lichtquelle auf dem Schirm.
Die Beugung am »Zeitschlitz« ändert die Frequenz des Lichts
Durch die Zeitschlitze in dem neuen Experiment kommt es ebenfalls zu Beugung und Interferenz – die sich allerdings etwas unterschiedlich äußern. Auch hier greift nun eine Version der heisenbergschen Unschärfe: Wenn man eine zeitliche Komponente eines Systems extrem eng eingrenzt – so wie es die Zeitschlitze tun –, wird dessen Energie umso ungenauer. Die Energie einer Lichtwelle ist von der Frequenz abhängig: Damit ändert sich durch die »Beugung« am Zeitschlitz die Frequenz des Lichts. Da es sich um einen doppelten Zeitschlitz handelt, kann die Lichtwelle mit einer zweiten interferieren, wodurch sich wieder ein Interferenzmuster ergibt, allerdings eins im Frequenzspektrum. Manche Farben verstärken sich, andere löschen sich aus.
Riccardo Sapienza, Versuchsleiter und Professor für Physik am Imperial College, sagte laut einer Mitteilung der Universität: »Unser Experiment gibt Aufschluss über die grundlegende Natur des Lichts und dient gleichzeitig als Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Materialien, die Licht in Raum und Zeit präzise kontrollieren können.« Das beeindruckendste und überraschendste Ergebnis sei zudem gewesen, dass das Interferenzmuster mehr Linien aufgewiesen habe, als sie nach den derzeitigen theoretischen Erkenntnissen erwartet hätten. Das verwendete Material hätte seine optischen Eigenschaften also viel schneller geändert als bisher für möglich gehalten – in nur einem Billiardstel einer Sekunde.
Als Nächstes will das Team das Phänomen in einem Zeitkristall untersuchen. Dabei handelt es sich um ein Quantensystem, bei dem sich die optischen Eigenschaften statt räumlich wie bei einem konventionellen Kristall zeitlich verändern.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.