News: Doppelt hält besser
Alle Viren benötigen für ihre Vermehrung Wirtszellen. Sie bestehen nur aus Erbgut – bei den Picornaviren eine einzelsträngige RNA –, das von einer Proteinhülle umgeben ist. Sobald die Hülle auf eine Wirtszelle trifft, dockt sie an deren Zelloberfläche an. Dann injiziert das Virus sein Erbgut in die Zelle, die daraufhin ihren kompletten Stoffwechsel verändert. Die überfallene Zelle produziert jetzt nach der viralen Bauanleitung tausende neue Viren, platzt schließlich und lässt die neu produzierten Erreger frei, die sich daraufhin weitere Opfer suchen können.
Dieser Prozess läuft auch bei den Coxsackieviren ab. Entscheidend für die Infektion – und damit auch für das Verhindern einer Infektion – ist das Andocken an die Wirtszelle. Und genau diesen Prozess hat jetzt Yongning He von der Purdue University mit Kollegen vom Brookhaven National Laboratory und der University of Tennessee an dem Coxsackievirus B3 genauer angeschaut.
Für sein Andockmanöver sucht sich das Virus einen bestimmten Rezeptor auf der Oberfläche der Wirtszelle aus, der unter dem Namen Coxsackievirus-Adenovirus-Rezeptor bekannt ist. Die kryo-elektronenmikroskopischen Untersuchungen der Wissenschaftler offenbarten, dass dieser Rezeptor zwei unterschiedliche Bereiche – so genannte Domänen – aufweist. Diese Domänen passen wiederum auf Oberflächenstrukturen der Proteinhülle des Virus wie Schlüssel zum Schloss. Das Virus bindet nun nicht an eine, sondern gleich an zwei Domänen benachbarter Rezeptoren. "Diese Anordnung ist sehr vorteilhaft für das Virus", erklärt Paul Freimuth von der Arbeitsgruppe. "Das Andocken ist fast irreversibel, da beide Bindungen gleichzeitig gelöst werden müssten, um das Virus wieder frei zu lassen."
Zusätzlich zu diesem doppelten Andocken hat das Virus noch einen weiteren "Trick" auf Lager: Seine Proteinhülle erinnert an einen Golfball mit typischen Grübchen, und in diesen Einsenkungen verbirgt es seine Bindungsstellen für den Rezeptor. Hierin gelangen nur schlanke Moleküle wie die Rezeptordomänen, nicht jedoch die Antikörper des Immunsystems.
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die gesamte Familie der Picornaviridae – zu denen auch der Erreger der Kinderlähmung gehört – auf diese Weise ihre Wirtszellen infizieren. Die Kenntnisse über den Infektionsvorgang könnten daher hilfreich bei der Bekämpfung der Viren sein. Andererseits könnten nicht infektiöse Viren mit einem ähnlichen Andockmechanismus als Vehikel bei der Gentherapie eingesetzt werden.
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