Gesang: Doppelter Lauschangriff
Mensch und Vogel haben mehr gemein, als man denkt: Es gibt bei beiden jeweils ein schönes Geschlecht, viele reisen gerne - und sie erwerben ihre Sprache auf ähnlichen Wegen.
Morgens um halb sieben in Deutschland: Die Amsel flötet, der Star pfeift, das Rotkehlchen singt – und dazwischen krakeelt der Haussperling. Ein stimmungsvolles Konzert erklingt im Frühling jeden Morgen in Stadt und Land. Die Sänger begrüßen aber nicht nur einfach den Tag, sie stecken mit ihren Liedern das eigene Revier ab und locken Weibchen für die Paarung. Je lauter und vielfältiger sie zwitschern, desto größer sind ihre Erfolgschancen.
Obwohl dem Sangestraining in den letzten Jahren viel vogelkundliche Aufmerksamkeit geschenkt wurde, bestehen immer noch große Wissenslücken – zum Beispiel, von wem die heranwachsenden Jungtiere die Feinheiten des Gesangs erlernen und wie sie sich während dieser Schulung verhalten: Suchen sie gezielt nach einem Vorsänger? Wiederholen sie das Vorgezwitscherte? Welche Rolle spielt die Umgebung? Christopher Templeton von der University of Washington in Seattle und seine Kollegen beobachteten zu diesem Zweck Singammern (Melospiza melodia), die sich durch besonders exquisite Gesänge auszeichnen [1].
Ihre Lieder bestehen aus wiederholten Sequenzen, in die rasch vorgetragene, allein stehende Passagen und Pfiffe eingestreut sind. Insgesamt kann eine männliche Singammer bis zu 20 verschiedene Melodien pfeifen, die sie tausendfach variiert: eine herausragende Leistung für so einen kleinen Vogel mit relativ kurzem Leben. Bis es so weit ist, muss das Tier üben – und vor allem lange die Nachbarschaft belauschen. Denn die Weibchen, welche der Gesang beeindrucken soll, akzeptieren nur jene Strophen, die innerhalb einer bestimmten Region zum Standardrepertoire gehören.
Wenig überraschend interessierten diese sich wenig bis gar nicht für die artfremde Kommunikation der Meisen, sie ließen die Lautsprecher ziemlich gleichgültig links liegen. Das Gleiche galt aber tatsächlich auch für den Gesang eines einzelnen Singammermännchens: Es wurde ebenfalls geflissentlich überhört – eine Reaktion, die Templetons Team nicht erwartet hatte. Stattdessen wurde der Ammernnachwuchs erst dann aufmerksam, wenn zwei Erwachsene in ein Duett einfielen: Sie näherten sich den Lautsprechern deutlich und schneller an und hörten konzentrierter zu.
Dabei hielten sie nicht nur einen gewissen Sicherheitsabstand, sondern vermieden es auch, in den Gesang einzustimmen. Denn das hätte als Antwort womöglich harte Abwehrreaktionen der Revierbesitzer ausgelöst, die keine Rivalen in ihrem Revier dulden. Diesem Duell stellen sich die Jungtiere erst in der nächsten Saison, wenn sie über ein konkurrenzfähiges Liedgut verfügen. Deshalb gehen sie auf Wanderschaft, sobald sie flügge sind, um möglichst viele Variationen kennen zu lernen.
Das Belauschen mehrerer Vorbilder hat noch weitere Vorteile: Auf diese Weise erfahren die Vögel die "Regeln" der Sangeswettbewerbe – etwa wer was wann und wie singt und auf welche Weise der Gegner darauf reagiert. Zugleich werden ihnen Reviergrenzen, Hierarchien und Eskalationsstufen vermittelt, die wichtig werden, wenn sie eigene Territorien etablieren wollen – Lektionen, die wir wohl als soziales Kompetenztraining bezeichnen würden. Auch beim Menschen deuten Studien an, dass Kinder das Sprechen besser lernen, wenn sie der Konversation lediglich zuhören, als wenn ihnen ein Einzelner aktiv etwas beibringen möchte.
Sie hatten jeweils eigene Dialekte entwickelt, welche die Vögel in verschiedenen Tonlagen sangen. Dachsammern um den naturnahen Merced-See oder an der Küste bei Presidio stimmten tiefere Töne an als ihre Artgenossen aus dem Stadtzentrum. Um den bassbetonten Krach von Autos, Straßenbahnen oder Maschinen zu übertönen, mussten diese höher singen, damit ihre Weibchen sie noch hörten: Höhere Frequenzen durchdringen eher dumpfen Lärm.
30 Jahre später hatte sich das Bild gewandelt. Der Presidio-Dialekt war komplett verschwunden, der vom Merced-See stark auf dem Rückzug. Stattdessen herrschte nun überall der San-Francisco-Slang vor, dessen durchschnittliche Klangfarbe sich nochmals aufgehellt hatte. Dachsammern am Beginn des neuen Jahrtausends zwitscherten nun noch höher, dafür aber monotoner als je zuvor – ein Trend, der dem zunehmenden Geräuschpegel der Stadt geschuldet war: Im gleichen Zeitraum schwoll beispielsweise der Straßenverkehr deutlich an und erreichte verstärkt den Grüngürtel der Stadt.
Um weiterhin von den umworbenen Artgenossinnen gehört zu werden, mussten die Männchen also ihren Gesang anpassen. Landvögel scheinen jedoch verglichen mit ihren Verwandten aus der Stadt unflexibler zu sein, denn ländliche Sangesvarianten bleiben sehr lange stabil: Ihre Sänger behalten sie ziemlich konservativ bei. Im Großraum San Francisco verdrängten deshalb die Stadtsänger mit ihrer vorteilhaft hohen, aber einheitlichen Metropolensprache in der Folge die Dialekte des Umlands – ein Trend auch bei uns Menschen, wie überzeugte Bajuwaren oder Kölsch-Sprecher beklagen.
Vielen Vögeln ist der Gesang aber nicht einfach ins Nest gelegt, sie müssen ihn erlernen wie wir Menschen das Sprechen. Ohnehin gibt es in diesem Prozess einige Parallelen zwischen uns und den gefiederten Freunden: Beide beginnen mit einer Phase in der frühen Kindheit, wo aufmerksam gelauscht wird, sobald der Klang einer Stimme oder ein unbekanntes Geräusch ertönt. Ihr folgt eine Periode, in der besonders auf typische Laute von Artgenossen geachtet wird. Sowohl Menschen- als auch Vogelkinder fangen dann ab einem bestimmten Alter an zu "brabbeln", wenn der Stimmapparat spielerisch ausgetestet wird. Und schließlich lernen beide die sozialen Komponenten der Zwiesprache zu beachten.
Obwohl dem Sangestraining in den letzten Jahren viel vogelkundliche Aufmerksamkeit geschenkt wurde, bestehen immer noch große Wissenslücken – zum Beispiel, von wem die heranwachsenden Jungtiere die Feinheiten des Gesangs erlernen und wie sie sich während dieser Schulung verhalten: Suchen sie gezielt nach einem Vorsänger? Wiederholen sie das Vorgezwitscherte? Welche Rolle spielt die Umgebung? Christopher Templeton von der University of Washington in Seattle und seine Kollegen beobachteten zu diesem Zweck Singammern (Melospiza melodia), die sich durch besonders exquisite Gesänge auszeichnen [1].
Ihre Lieder bestehen aus wiederholten Sequenzen, in die rasch vorgetragene, allein stehende Passagen und Pfiffe eingestreut sind. Insgesamt kann eine männliche Singammer bis zu 20 verschiedene Melodien pfeifen, die sie tausendfach variiert: eine herausragende Leistung für so einen kleinen Vogel mit relativ kurzem Leben. Bis es so weit ist, muss das Tier üben – und vor allem lange die Nachbarschaft belauschen. Denn die Weibchen, welche der Gesang beeindrucken soll, akzeptieren nur jene Strophen, die innerhalb einer bestimmten Region zum Standardrepertoire gehören.
Hohe Erwartungen, denen sich die Jungmännchen stellen müssen. Und deshalb suchen sie sich gleich zwei Tutoren, wie die Biologen nun bei ihren Freilandversuchen bemerkt haben. Per Lautsprecher beschallten sie die Novizen entweder mit dem Zwiegesang zweier Männchen, einem Solo oder – als Kontrollversuch – den Aufnahmen von Schwarzkopfmeisen und überwachten gleichzeitig aus der Ferne per Radiotelemetrie, welche Reaktion die Heranwachsenden zeigten und wohin sie sich bewegten.
Wenig überraschend interessierten diese sich wenig bis gar nicht für die artfremde Kommunikation der Meisen, sie ließen die Lautsprecher ziemlich gleichgültig links liegen. Das Gleiche galt aber tatsächlich auch für den Gesang eines einzelnen Singammermännchens: Es wurde ebenfalls geflissentlich überhört – eine Reaktion, die Templetons Team nicht erwartet hatte. Stattdessen wurde der Ammernnachwuchs erst dann aufmerksam, wenn zwei Erwachsene in ein Duett einfielen: Sie näherten sich den Lautsprechern deutlich und schneller an und hörten konzentrierter zu.
Dabei hielten sie nicht nur einen gewissen Sicherheitsabstand, sondern vermieden es auch, in den Gesang einzustimmen. Denn das hätte als Antwort womöglich harte Abwehrreaktionen der Revierbesitzer ausgelöst, die keine Rivalen in ihrem Revier dulden. Diesem Duell stellen sich die Jungtiere erst in der nächsten Saison, wenn sie über ein konkurrenzfähiges Liedgut verfügen. Deshalb gehen sie auf Wanderschaft, sobald sie flügge sind, um möglichst viele Variationen kennen zu lernen.
Das Belauschen mehrerer Vorbilder hat noch weitere Vorteile: Auf diese Weise erfahren die Vögel die "Regeln" der Sangeswettbewerbe – etwa wer was wann und wie singt und auf welche Weise der Gegner darauf reagiert. Zugleich werden ihnen Reviergrenzen, Hierarchien und Eskalationsstufen vermittelt, die wichtig werden, wenn sie eigene Territorien etablieren wollen – Lektionen, die wir wohl als soziales Kompetenztraining bezeichnen würden. Auch beim Menschen deuten Studien an, dass Kinder das Sprechen besser lernen, wenn sie der Konversation lediglich zuhören, als wenn ihnen ein Einzelner aktiv etwas beibringen möchte.
Welchen Einfluss wiederum die Umwelt – oder besser gesagt der Umgebungslärm – auf die Entwicklung des Vogelgesangs nimmt, haben David Luther von der University of Maryland in College Park und Luis Baptista von der California Academy of Sciences in San Francisco untersucht – an Dachsammern (Zonotrichia leucophrys) gleich vor Baptistas Haustür in der Nähe der Golden Gate Bridge [2]. Gegen Ende der 1960er Jahre lebten drei verschiedene Populationen des Singvogels im Großraum der kalifornischen Metropole, die sich in ihrem Gesang leicht unterschieden.
Sie hatten jeweils eigene Dialekte entwickelt, welche die Vögel in verschiedenen Tonlagen sangen. Dachsammern um den naturnahen Merced-See oder an der Küste bei Presidio stimmten tiefere Töne an als ihre Artgenossen aus dem Stadtzentrum. Um den bassbetonten Krach von Autos, Straßenbahnen oder Maschinen zu übertönen, mussten diese höher singen, damit ihre Weibchen sie noch hörten: Höhere Frequenzen durchdringen eher dumpfen Lärm.
30 Jahre später hatte sich das Bild gewandelt. Der Presidio-Dialekt war komplett verschwunden, der vom Merced-See stark auf dem Rückzug. Stattdessen herrschte nun überall der San-Francisco-Slang vor, dessen durchschnittliche Klangfarbe sich nochmals aufgehellt hatte. Dachsammern am Beginn des neuen Jahrtausends zwitscherten nun noch höher, dafür aber monotoner als je zuvor – ein Trend, der dem zunehmenden Geräuschpegel der Stadt geschuldet war: Im gleichen Zeitraum schwoll beispielsweise der Straßenverkehr deutlich an und erreichte verstärkt den Grüngürtel der Stadt.
Um weiterhin von den umworbenen Artgenossinnen gehört zu werden, mussten die Männchen also ihren Gesang anpassen. Landvögel scheinen jedoch verglichen mit ihren Verwandten aus der Stadt unflexibler zu sein, denn ländliche Sangesvarianten bleiben sehr lange stabil: Ihre Sänger behalten sie ziemlich konservativ bei. Im Großraum San Francisco verdrängten deshalb die Stadtsänger mit ihrer vorteilhaft hohen, aber einheitlichen Metropolensprache in der Folge die Dialekte des Umlands – ein Trend auch bei uns Menschen, wie überzeugte Bajuwaren oder Kölsch-Sprecher beklagen.
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