Covid-19: Was lässt sich von den Coronavirus-Reinfektionen lernen?
Als Ende August 2020 bekannt wurde, dass sich ein in Hongkong lebender Mann nach einer Monate zurückliegenden Infektion erneut mit dem Coronavirus infiziert hatte, empfand die Immunologin Akiko Iwasaki ein ungewohntes Glücksgefühl. »Ich war wirklich irgendwie glücklich«, sagt sie. »Das ist ein schönes Lehrbuchbeispiel dafür, wie die Immunantwort funktionieren sollte.«
Für Iwasaki, die an der Yale University Immunreaktionen auf das Virus Sars-CoV-2 untersucht, war der Fall ermutigend, weil die zweite Infektion des Mannes symptomlos verlief. Demnach könnte sich sein Immunsystem an die frühere Begegnung mit dem Virus erinnert haben und wurde nun aktiv, um die erneute Infektion abzuwehren.
Doch leider änderte sich ihre Stimmung bereits weniger als eine Woche später. Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitswesens in Nevada berichteten von einer weiteren Reinfektion – diesmal mit schwereren Symptomen. War es möglich, dass das Immunsystem nicht nur beim Schutz gegen das Virus versagt, sondern die Lage sogar noch verschlimmert hatte? »Der Fall von Nevada hat mich nicht glücklich gemacht«, sagt Iwasaki.
Solche scheinbar widersprüchlichen Beobachtungen sind weit verbreitet, wenn es um die Covid-19-Pandemie geht, und Iwasaki weiß, dass sie aus Einzelfällen keine sicheren Schlüsse über langfristige Immunreaktionen auf Sars-CoV-2 ziehen kann. In den kommenden Wochen und Monaten rechnen sie und andere mit weiteren Berichten über Reinfektionen, und mit der Zeit könnte sich ein Bild davon ergeben, ob sich die Welt auf das Immunsystem verlassen kann, um die Pandemie zu beenden. Das sind die drei Schlüsselfragen der Forscherinnen und Forscher in Bezug auf eine mögliche Reinfektion mit Covid-19:
Wie häufig gibt es Reinfektionen?
Seit Monaten kursieren Berichte über mögliche Reinfektionen, aber die jüngsten Erkenntnisse sind die ersten, die offenbar die Möglichkeit ausschließen, dass es sich bei der Zweitinfektion lediglich um die Fortsetzung einer ersten handelte. Um festzustellen, dass es sich um zwei verschiedene Infektionen handelte, sequenzierten Teams in Hongkong und Nevada jeweils die viralen Genome der ersten und zweiten Infektion. Beide Gruppen fanden genügend Unterschiede, um sicherzustellen, dass unterschiedliche Varianten des Virus am Werk waren.
Doch bei lediglich zwei bekannten Fällen ist immer noch unklar, wie häufig Reinfektionen auftreten. Angesichts von weltweit bisher 26 Millionen bekannten Coronavirus-Infektionen sind einige wenige Reinfektionen vielleicht kein Grund zur Besorgnis – noch, sagt der Virologe Thomas Geisbert von der University of Texas. Aus seiner Sicht sind viel mehr Informationen über die Verbreitung von Reinfektionen nötig.
»Es gibt fast ebenso viele Unbekannte bei Reinfektionen wie vor diesem Fall«
Jonathan Stoye, Francis Crick Institute
Diese Informationen werden in den nächsten Monaten erhoben werden: Seit den ersten Infektionswellen in vielen Ländern ist genug Zeit vergangen. In einigen Regionen kommt es zu erneuten Ausbrüchen, so dass Menschen sich theoretisch ein zweites Mal infizieren können. Zudem sind Tests besser verfügbar und liefern schnellere Ergebnisse. Die zweite Infektion des Mannes aus Hongkong zum Beispiel wurde entdeckt, nachdem er nach Spanien gereist war und bei seiner Rückkehr nach Hongkong am Flughafen auf Sars-CoV-2 untersucht wurde.
Auch Wissenschaftler in Labors des öffentlichen Gesundheitswesens tauchen langsam aus der Überforderung der ersten Welle der Pandemie auf, sagt Mark Pandori, Direktor des staatlichen Gesundheitslabors von Nevada in Reno und an der Nevada-Studie beteiligt. Während der ersten Pandemie-Welle war es schwer vorstellbar, Reinfektionen zu verfolgen, allein weil die Testlabors überfordert waren. Doch nun habe sein Labor Vorkehrungen getroffen, sagt Pandori. So seien Sequenzierungsanlagen eingerichtet worden, die schnell eine große Anzahl von viralen Genomen aus positiven Sars-CoV-2-Tests sequenzieren können. All diese Faktoren werden es in naher Zukunft einfacher machen, Reinfektionen zu finden und zu verifizieren, sagt der klinische Mikrobiologe Kelvin To von der Universität Hongkong.
Sind Reinfektionen mehr oder weniger schwerwiegend als die ersten?
Im Gegensatz zu Iwasaki fand der Virologe Jonathan Stoye vom Francis Crick Institute in London die fehlenden Symptome der zweiten Infektion des Mannes aus Hongkong nicht besonders aufmunternd. Aus einem einzigen Fall Schlussfolgerungen zu ziehen, sei schwierig, sagt er. »Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt etwas aussagt.«
Schließlich variiere der Schweregrad von Covid-19 von Person zu Person enorm, sagt Stoye, zudem könne er von Infektion zu Infektion bei ein und derselben Person unterschiedlich sein. Variablen wie die Anfangsdosis des Virus, mögliche Unterschiede zwischen Varianten von Sars-CoV-2 und Veränderungen im allgemeinen Gesundheitszustand einer Person könnten den Schweregrad einer Reinfektion beeinflussen: »Es gibt fast ebenso viele Unbekannte bei Reinfektionen wie vor diesem Fall.«
Die Klärung der Frage, ob das »immunologische Gedächtnis« die Symptome während einer zweiten Infektion beeinflusst, ist von entscheidender Bedeutung, insbesondere für die Impfstoffentwicklung. Wenn die Symptome beim zweiten Mal generell zurückgehen, wie bei dem Mann aus Hongkong, deutet das darauf hin, dass das Immunsystem so reagiert, wie es sollte.
Wenn jedoch die Symptome während einer zweiten Covid-19-Infektion schwerwiegender sind, wie bei der Person in Nevada, könnte das Immunsystem die Dinge verschlimmern, sagt die Immunologin Gabrielle Belz von der University of Queensland. Zum Beispiel werden einige Fälle von schweren Verläufen verschlimmert, wenn die Immunreaktion aus dem Ruder läuft und gesundes Gewebe schädigt. Menschen, die dies während einer ersten Infektion erlebt hätten, hätten möglicherweise Immunzellen, die darauf vorbereitet sind, beim zweiten Mal wieder unverhältnismäßig stark zu reagieren.
Eine andere Möglichkeit ist, dass Antikörper, die der Körper als Reaktion auf Sars-CoV-2 produziert, bei einer zweiten Infektion dem Virus helfen, anstatt es zu bekämpfen. Dieses Phänomen, das als antikörperabhängige Verstärkung bezeichnet wird, ist selten – aber Forscher fanden beunruhigende Anzeichen dafür, als sie versuchten, Impfstoffe gegen verwandte Coronaviren zu entwickeln, die für das schwere akute respiratorische Syndrom (Sars) und das respiratorische Syndrom im Nahen Osten (Mers) verantwortlich sind. Da die Wissenschaftler aber aktuell immer mehr Beispiele für Reinfektionen sammeln, sollten sie in der Lage sein, das zu klären, sagt der Virologe Yong Poovorawan von der Chulalongkorn-Universität in Bangkok.
Welche Auswirkungen haben Reinfektionen auf die Impfstoffaussichten?
Historisch gesehen sind Impfstoffe am einfachsten gegen Krankheiten herzustellen, bei denen eine Primärinfektion zu einer dauerhaften Immunität führt, sagt Richard Malley, Spezialist für pädiatrische Infektionskrankheiten am Bostoner Kinderkrankenhaus in Massachusetts. Beispiele dafür sind Masern und Röteln.
Der Fakt, dass es Reinfektionen gibt, bedeutet im Gegenzug allerdings nicht, dass ein Impfstoff gegen Sars-CoV-2 nicht wirksam sein kann, fügt er hinzu. Einige Impfstoffe erfordern etwa Auffrischimpfungen, um den Schutz aufrechtzuerhalten. »Das sollte den Menschen keine Angst machen«, sagt Malley. »Reinfektionen bedeuten nicht, dass es keinen Impfstoff oder keine natürliche Immunität gegen dieses Virus geben kann, denn das erwarten wir bei Viren.«
Mehr über Reinfektionen zu erfahren, könnte den Forschern helfen, Impfstoffe zu entwickeln, sagt Poovorawan. Denn so wird klar, welche Immunreaktionen für die Aufrechterhaltung der Immunität wichtig sind. Forscher könnten beispielsweise feststellen, dass Menschen anfällig für Reinfektionen werden, nachdem die Antikörper unter ein bestimmtes Niveau gesunken sind. Sie könnten dann ihre Impfstrategien dementsprechend gestalten – beispielsweise durch eine Auffrischungsimpfung, um dieses Antikörperniveau zu halten.
»Reinfektionen sollten Menschen keine Angst machen. Sie bedeuten nicht, dass es keinen Impfstoff oder keine natürliche Immunität gegen dieses Virus geben kann«
Richard Malley, Spezialist für pädiatrische Infektionskrankheiten
Da Beamte des öffentlichen Gesundheitswesens allerdings ohnehin mit der komplexen Logistik zu kämpfen haben angesichts der Herausforderung, die gesamte Weltbevölkerung gegen Sars-CoV-2 zu impfen, wäre die Notwendigkeit einer Auffrischungsimpfung zwar kaum eine willkommene Nachricht, sie würde die langfristige Immunität gegen Sars-CoV-2 aber nicht völlig in Frage stellen, sagt Malley.
Dennoch findet Malley die Möglichkeit Besorgnis erregend, dass Impfstoffe die Symptome einer zweiten Infektion lediglich verringern und diese Infektion nicht ganz verhindern. Das bringt zwar einen gewissen Nutzen, könnte geimpfte Personen allerdings effektiv zu asymptomatischen Trägern von Sars-CoV-2 machen und damit Risikogruppen zusätzlich gefährden. Ältere Menschen etwa gehören zu den am stärksten von Covid-19 Betroffenen, sprechen jedoch in der Regel nicht gut auf Impfstoffe an.
Aus diesem Grund ist Malley sehr an Daten interessiert, die zeigen, wie ansteckend Menschen bei einer Reinfektion mit Sars-CoV-2 sind. »Sie könnten immer noch ein wichtiges Reservoir des Virus für eine zukünftige Ausbreitung sein«, sagt er. »Wir müssen diesen Zustand nach einer natürlichen Infektion und nach einer Impfung besser verstehen, wenn wir aus diesem Schlamassel herauskommen wollen.«
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