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Hirnforschung: Droge der Vergesslichkeit

Wie bleiben Ereignisse dauerhaft in unseren neuronalen Netzen hängen? Indem sie Ratten ihre Erinnerungen aus dem Gedächtnis strichen, sind Forscher einer Antwort wieder etwas näher gekommen. Sie ist komplexer als gedacht.
Hippokampus und präfrontaler Kortex
Spät ist es gestern Abend geworden, soviel ist sicher, doch die Details hat der Alkohol vernebelt. Dass es eine lange Nacht war, darauf deutet allein der dicke Brummschädel hin. Diagnose: Filmriss. Ansonsten leistet das Gedächtnis aber weiter ganze Arbeit – einzig das Hinzufügen neuer Informationen hat der Alkohol zwischenzeitlich gestoppt.

Doch warum wurden dabei die bereits im Gedächtnis gespeicherten Erinnerungen verschont? Wahrscheinlich, weil diese bereits durch Veränderungen von Neuronen und Synapsen fest im Gedächtnis verwurzelt sind. Womöglich sind diese neuronalen Zusammenschlüsse aber doch nicht so stabil, wie Hirnforscher bislang vermutet haben.

So gelang es Neurowissenschaftlern um Reut Shema vom Weizmann-Institut in Rehovot in einem Experiment, Langzeiterinnerungen aus dem Gedächtnis von Ratten zu löschen. Sie gaben den Nagern eine süße Flüssigkeit zu trinken und spritzten ihnen anschließend eine unbekömmliche Lösung, damit ihnen übel wurde. Eigentlich lernen die Labor-Ratten ihre Lektion schnell und merken sich, dass ihnen das süße Wasser nicht bekommt.

Indem sie den cleveren Tieren aber einen Hemmstoff direkt in eine spezielle Region im Neokortex, der so genannten Insula, injizierten, brachten die Forscher die Ratten dazu, ihren Ekel zu vergessen. Völlig unbekümmert tranken die Laborratten fortan wieder von der süßen Flüssigkeit – als ob auch sie einen Filmriss hätten. Wie lange nach dem Lernprozess sie diesen auslösen konnten, überraschte die Forscher allerdings.

Spannenderweise vergaßen die Nager ihre Abneigung gegen süßes Wasser sogar dann noch, wenn die Wissenschaftler die Injektion erst 25 Tage nach der üblen Erfahrung verabreichten. Das aber widerspricht der bisher populären Vorstellung, wichtige Gedächtnisinhalte werde nach einer eher kurzen Zeit anderweitig neuronal verfestigt.

Der von den Forschern verabreichte Wirkstoff, das Enzym PKM-zeta (protein kinase M zeta), hemmt Prozesse im Neokortex der Versuchstiere. Die Kinase war schon bekannt als Enzym, das eine wichtige Rolle bei den ersten noch flüchtigen Schritten der Gedächtnisbildung im Hippocampus spielt. Offensichtlich ist sie aber auch noch später für Prozesse des Langzeitgedächtnisses in der Insel wichtig, zeigen die Experimente.

Die Wissenschaftler schlussfolgern, dass die Informationen im Neokortex eben wohl doch nicht so dauerhaft neuronal verdrahtet im Gedächtnis gespeichert werden wie gedacht. Stattdessen ist die emsige Kinase permanent aktiv, um die Kommunikation der Synapsen zwischen den Neuronen zu erhalten und damit auch die Gedächtnisinhalte. Wie sie das tut, wissen die Forscher aber noch nicht. Möglicherweise hilft das Enzym dabei neue Rezeptoren für Neurotransmitter zu schaffen. Diese leiten chemische Informationen zwischen den Nervenzellen über die Synapsen weiter. Wird PKM-zeta geblockt, werden die Erinnerungen deshalb gelöscht.

Ebenfalls offen ist, ob der von den Forschern verabreichte Hemmstoff sämtliche Informationen oder nur einzelne Erinnerungsspuren aus dem Gedächtnis der Ratten entfernt. Letzteres könnte neue Wege bei der Erforschung neuer Therapieansätze für Traumapatienten eröffnen. Zwar ist es bereits möglich, die Konsolidierung von Kurzzeiterinnerungen medikamentös zu unterbinden – die Einnahme muss allerdings unmittelbar nach dem traumatischen Erlebnis erfolgen.

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