Drogen: Zeitreise fürs Gehirn
In der Kindesentwicklung gibt es festgelegte Perioden, in denen Heranwachsende etwas Bestimmtes lernen können. Für den Spracherwerb etwa gilt ein Zeitfenster im Alter von zirka zwei Jahren als besonders bedeutsam. Solche »kritischen Phasen« sind ein wichtiges Konzept in der Psychologie. Anhand von Experimenten mit Mäusen demonstrierte jetzt eine Gruppe um Romain Nardou von der Johns Hopkins University in Baltimore: Psychedelische Substanzen können möglicherweise solche vormals geschlossenen Fenster wieder öffnen.
Bei den Versuchen handelte es sich um klassische Konditionierungsexperimente: Mäuse lernten, eine bestimmte Schlafumgebung mit Artgenossen zu assoziieren und einen anderen Bereich mit Einsamkeit. Wie lange sie sich nach der Konditionierung in den beiden Räumen aufhielten, diente als Maß für das »soziale Belohnungslernen«. Mit dem Alter scheinen Mäuse die Einsamkeit zu bevorzugen: Sie entschieden sich für immer weniger Zeit in Gesellschaft. Schon 2019 entdeckte das Team, dass sich nach Verabreichung von MDMA ältere Tiere wieder eher so verhielten wie jüngere Artgenossen. Die Substanz scheint also eine vormals kritische Phase des sozialen Lernens wieder zu öffnen und es alternden Mäusen zu ermöglichen, ihr Verhalten zu ändern.
Nun ist der Effekt von MDMA wenig überraschend: Es gilt als »Empathogen« und Kuscheldroge. In der aktuellen Arbeit wiederholte die Gruppe das Experiment mit anderen Psychedelika: Ketamin, Psilocybin, LSD und Ibogain. Dabei zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Wirkdauer und der Zeitspanne, in der sich ein Fenster für Verhaltensänderungen öffnete: Nach Gabe von Ketamin – das beim Menschen ungefähr 90 Minuten wirkt – waren die Tiere im Schnitt eine Woche sozialer. Bei Ibogain, dessen Effekte mehr als zwölf Stunden anhalten können, waren es vier Wochen. Die Idee, dass Psychedelika eine kritische Phase neu starten, könnte erklären, warum all diese Substanzen einen therapeutischen Nutzen haben (etwa bei Depressionen und Posttraumatischer Belastungsstörung), obwohl sie unterschiedlich auf das Neurotransmittersystem wirken.
Die Forscher untersuchten auch die möglichen molekularen Mechanismen und identifizierten Gene, die während oder nach dem Wiedereröffnen der kritischen Periode vermehrt exprimiert wurden. 20 Prozent dieser Gene regulieren Proteine, die an der Reorganisation der extrazellulären Matrix beteiligt sind, welche die Neurone umgibt.
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