5 Fakten: Drohen dieses Jahr mehr Insektenplagen?
Kommt es nach dem warmen Winter zur Massenvermehrung von Mücken?
Norbert Becker und seine Kollegen von der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (KABS) haben dieses Jahr bereits früh mit der Eindämmung von Stechmücken begonnen: Schon Anfang März zogen sie los, um Waldmückenarten entlang des Rheins aufzuspüren. Diese zur Gattung Aedes zählenden Arten entwickeln sich in versumpften Wäldern, wenn sich dort nach der Schneeschmelze oder starken Regenfällen Tümpel und Pfützen bilden. Selbst kaltes Wasser hemmt sie nicht in ihrer Entwicklung, und die jahreszeitlich zu hohen Temperaturen begünstigten das Schlüpfen und Heranreifen der Brut ohnehin. Insgesamt 1200 Hektar haben die KABS-Mitarbeiter in den letzten Wochen aus der Luft mit dem Hubschrauber behandelt, um die Bevölkerung entlang des Rheins vor den stechenden Plagegeistern zu schützen.
Doch die hohen Temperaturen sind bislang auch der einzige Vorteil, den diese Insekten aus dem bisherigen Jahresverlauf ziehen konnten. Denn insgesamt sieht es vor allem für massenhaft auftretende Schnakenarten wie die so genannten "Rheinschnaken", etwa die Art Aedes vexans und ihre Verwandten, "eher mau" aus, wie Becker sagt: "Um sich zu entwickeln, benötigen sie nicht nur Wärme, sondern vor allem Hochwasser." Und das fiel dieses Jahr bislang gänzlich aus, denn die letzten fünf Monate waren allesamt nicht nur zu warm, sondern auch zu trocken. Der Rhein und viele andere Flüsse führen deshalb Niedrigwasser.
Die Mückenweibchen legen jedoch etwa fünf Tage nach einer erfolgreichen Blutmahlzeit hunderte Eier einzeln im feuchten Boden ab, wo sie bis zur nächsten Überflutung teilweise mehrere Jahre überdauern können. Steht dann Wasser über ihrem "Nest", entwickeln sich bei warmen Wetter innerhalb von nur einer knappen Woche neue Mücken – die sich sofort auf die Suche nach Nahrung machen: Sie sind ausgesprochen wanderlustig und treten massenhaft auf. Ob es in diesem Jahr zu einer extremen Schnakenbelastung kommt oder nicht, entschied sich also nicht im vergangenen Winter: Es hängt davon ab, ob in den nächsten Wochen und Monaten ein Hochwasser auftritt. Betroffen sind der Bodensee und alle großen deutschen Flüsse, die von stark schwankenden Pegeln gekennzeichnet sind – überall in ihren Auen kommen die Rheinschnaken vor. Ein kühler Sommer würde ihnen übrigens nichts ausmachen, solange es Überschwemmungen gibt: Sie schlüpfen, sobald es wärmer als acht Grad Celsius ist – es dauert dann nur ein paar Tage länger bis zum Abflug. Ohnehin ist es ein Gerücht, dass sehr kalte Winter die Mückenpopulationen eindämmen: Im Lauf ihrer Entwicklungsgeschichte haben sie sich daran angepasst, was man zum Beispiel gut in Sibirien beobachten kann. Trotz des knackigen Frosts im Winter mit wochenlangen zweistelligen Minusgraden, schwirren jeden Sommer Milliarden Schnaken umher.
Gute Bedingungen finden dagegen unsere Hausmücken. "Die Weibchen überstanden den Winter problemlos und fliegen dieses Jahr deshalb schon früh", so Becker. Zu den Hausmücken zählen vor allem die Arten Culex pipiens und Culiseta annulata. Sie entwickeln sich in jedem stehenden Gewässer, und sei es nur die Regentonne, eine verstopfte Regenrinne, der Gartenteich oder sogar in Jauchegruben. "Dieser Winter war so mild, dass selbst Larven in Gartenteichen überleben konnten, weil diese nicht durchfroren", fügt der Mückenspezialist an. Und: "Hausmücken sind vielleicht lästig, aber richtige Plagen wie die Rheinschnaken sind sie nicht." Denn sie belästigen uns meist nur einzeln, während die Überschwemmungsschnaken dutzend- oder hundertfach über einen herfallen können.
Begünstigen die warmen Bedingungen exotische Einwanderer?
Ob Buchsbaumzünsler (Cydalima perspectalis), Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) oder Tigermücke (Stegomyia albopicta) – zunehmend erreichen uns Insektenarten aus wärmeren Ländern und etablieren sich bei uns. Schuld sind daran vor allem zwei Prozesse: Die Globalisierung verfrachtet mit wachsender weltweiter Vernetzung und dem damit verbundenen Güteraustausch immer mehr Arten aus ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet in neue Heimaten. Und die Erderwärmung ermöglicht Arten aus dem Süden, dass sie hier zu Lande den Winter überleben und im Sommer prosperieren. Der ostasiatische Buchsbaumzünsler etwa, ein Kleinschmetterling, kommt aus Ostasien und gelangte über importierte Baumkulturen von dort nach Europa. Seit 2006 verbreitet er sich den Oberrhein entlang und erreichte mittlerweile auch Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Seine Raupen fressen den Gewöhnlichen Buchsbaum (Buxus sempervirens) kahl und schädigen die Gewächse so stark, dass sie mitunter absterben.
Was im Fall des Kleinschmetterlings für Gärtner ärgerlich und ästhetisch problematisch ist, bedeutet im Fall exotischer Mücken ein echtes Gesundheitsproblem. "Es handelt sich um Mücken, die Viruserkrankungen sehr gut übertragen können", erklärt Norbert Becker. Tigermoskitos beispielsweise sind Vektoren für Denguefieber oder Chikungunya, ein sehr schmerzhaftes Fieber, dessen Erreger sich zunehmend weltweit ausbreitet und 2007 erstmals nach Jahrzehnten auch wieder in Italien auftrat. In Norditalien hat sich die Art längst heimisch eingerichtet.
In Deutschland finden Forscher nun diese Stechmücke ebenfalls immer wieder. Norbert Becker zum Beispiel wies in einem kleinen Suchprojekt 2012 insgesamt 14 Tigermoskitos an drei verschiedenen Autobahnraststätten in Bayern und Baden-Württemberg nach – an Routen, die den Süden Deutschlands mit Südeuropa verbinden. Gleichzeitig entdeckten Biologen hier zu Lande auch erste Gelege der Art. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Insekten in den Rheinauen etablieren können – zumal sie sich auch evolutionär an ein Dasein in gemäßigten Gefilden angepasst haben: Ihre Eier überdauern nun auch den Winter, und sie können als ausgewachsene Exemplare in Regionen überleben, in denen die Durchschnittstemperaturen nicht unter den Gefrierpunkt sinken. Potenzielle Siedlungsgebiete der Tiere finden sich daher am Oberrhein, in Teilen Nordbadens oder im nordwestdeutschen Tiefland.
Der Stich der Tigermücken ist durchaus schmerzhaft, doch das macht sie natürlich noch nicht zum Krankheitsproduzenten. Denn Viren können sie nur übertragen, wenn sie vorher Infizierte gestochen haben. Die Zahl der Dengue-Fälle in Deutschland nimmt zwar laut Robert-Koch-Institut zu, doch schleppen diese bislang nur Reisende aus südlichen Ländern ein: Im letzten Jahr erreichten die Fallzahlen mit knapp 900 Erkrankten einen neuen Höhepunkt, 2001 wurden dem RKI nur 60 Patienten gemeldet. Autochthone Fälle, in denen sich Menschen hier zu Lande durch einen Mückenstich infizierten, traten dagegen bisher nicht auf. Nur wenn zahlreiche Mücken auf Kranke treffen, würde das Risiko steigen. Fazit: Insgesamt halten Biologen es zwar für sehr wahrscheinlich, dass sich die Überträger der Viren dauerhaft in Deutschland ausbreiten und dass es zu einzelnen Übertragungen von Krankheiten kommt. Größere Epidemien wie in tropischen Ländern halten sie aber zumindest mittelfristig für ausgeschlossen.
Ein echtes Gesundheitsproblem stellt dagegen bereits der Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea processionea) dar – ein Nachtfalter, dessen Raupen sich von Eichenblättern ernähren und die massenhaft auftreten können. Teilweise sind ganze Wälder davon betroffen. Das Verbreitungsgebiet der Art reicht von Spanien bis Südrussland und schließt Süddeutschland naturgemäß ein; dank steigender Durchschnittstemperatur arbeitet sich der Schmetterling nun jedoch zunehmend nach Norden vor. Gefährlich sind vor allem die sehr feinen Brennhaare der Raupen, die leicht brechen und mit dem Wind verbreitet werden. Sie lösen bei empfindlichen Menschen teils schwere allergische Reaktionen bis hin zur Atemnot aus. Und: Sie sind dieses Jahr früh dran, befürchtet die Entomologin Christa Volkmar von der Universität Halle: "Der bisherige Frühling hat die Eichenprozessionsspinner regional sehr begünstigt." In vielen Regionen finden deshalb bereits Bekämpfungsmaßnahmen statt. Andernorts wie in Teilen Südwestdeutschlands hatten die Falter dagegen Pech: Sie schlüpften, noch bevor die Eichen ausgetrieben hatten und verhungerten.
Droht dieses Jahr mehr Insektenfraß in der Landwirtschaft?
Ob die Bauern dieses Jahr tatsächlich stärker mit Insektenplagen zu kämpfen haben, ist noch lange nicht ausgemacht. Machen Arten habe der milde Winter wahrscheinlich sogar geschadet, so Christa Volkmar: "Es ist ein Irrtum, dass winterliche Wärme Schädlinge allgemein begünstigt. Viele Insekten sind genetisch darauf ausgelegt, dass der Winter kalt ist und sie pausieren." Der Rapsglanzkäfer(Brassicogethes aeneus) – ein gefürchteter Schädling – etwa überwintert als ausgewachsenes Tier, das bei tiefen Temperaturen in eine Art Winterruhe fällt. Ist es warm, springt dagegen der Stoffwechsel immer wieder an, was an seinen Energiereserven zehrt. Andererseits schwärmen sie im zeitigen Frühjahr bei sonnigem Wetter aus und nagen sich durch die noch geschlossenen Knospen von Raps, um an die nahrhaften Pollen zu gelangen. Ob es dieses Jahr also wieder wie 2006 zu einem Massenflug kommt, muss noch abgewartet werden.
Zwei andere Schädlinge hatten dagegen bislang mit sehr widrigen Bedingungen zu kämpfen: die Orange Weizengallmücke (Sitodiplosis mosellana) und die Gelbe Weizengallmücke (Contarinia tritici). "Ihre Larven benötigen einen Feuchtereiz, um sich zu verpuppen. Bleibt er aus, verharren sie im so genannten Vorpuppenstadium im Boden – und das mitunter mehrere Jahre lang", sagt Volkmar. In vielen Regionen Deutschlands ist die Bodenfeuchte in den letzten Wochen stark zurückgegangen, und auch die Regenfälle der letzten Tage haben die Trockenheit nur teilweise gelindert. Beide Arten legen ihre Eier vor der Blüte des Weizens ab, ihre Larven fressen an den Ähren. In manchen Jahren vernichten sie bis zu 40 Prozent der Ernten – für Landwirte wäre ihr Ausbleiben also eine gute Nachricht.
Ganz anders sieht es dagegen bei den Blattläusen aus, die vornehmlich in Eiform überwintern. Ob dieser nun warm oder kalt ist, spielt für sie keine Rolle. Sie schlüpften dieses Jahr jedoch zeitiger; zudem überlebten auch erwachsene Tiere, die sich nun fortpflanzen. In kalten Wintern hingegen sterben sie ab, die Population muss sich aus den Eiern neu entwickeln. Ob daraus nun 2014 eine Plage wird, muss auch hier noch abgewartet werden und hängt vom Witterungsverlauf der nächsten Wochen ab. "Nasse und kühle Bedingungen hemmen die Entwicklung und Verbreitung dieser Insekten", so Volkmar.
Müssen Waldbesitzer den Borkenkäfer fürchten?
Für Förster verheißt die bislang dominierende Witterung wenig Gutes: Der Regenmangel betrifft längst auch die Wälder. Vor allem die Fichte dürstet nach Wasser, denn sie wurzelt nur flach im Untergrund und kann damit kaum tiefer gelegene Bodenfeuchte anzapfen. Und zu allem Überfluss entwickeln sich 2014 auch noch viele Forstschädlinge überdurchschnittlich gut – allen voran der unter dem Oberbegriff Borkenkäfer gefürchtete Buchdrucker(Ips typographus).
Die erste Generation des Rindenbrüters hat bereits die von der Trockenheit geschwächten Bäume angebohrt, um dort ihre Brutkammern anzulegen. Vier Wochen früher als normalerweise üblich sind die unter der Rinde überwinternden Käfer ausgeflogen; bis zu fünf Generationen könnten regional in diesem Jahr über die Fichtenwälder herfallen, warnen die Experten der Landesämter für Forstwirtschaft und der zuständigen Ministerien – üblich sind nur zwei bis drei Generationen in einer Saison. "Wir erwarten, dass bereits die erste Schwärmwelle sehr intensiv ausfallen wird. Diesem Käferansturm werden die Fichten nur wenig Abwehr entgegensetzen können. Es ist deshalb bereits in der ersten Schwärmwelle starker Stehendbefall zu befürchten", warnen Cornelia Triebenbacher und Florian Krüger vom Borkenkäfermonitoring des Freistaat Bayerns.
Zugute kommt den Buchdruckern neben der Wärme vor allem die Trockenheit, die die Abwehrmechanismen der Bäume schwächt. Bei guter Wasserversorgung können die Bäume große Mengen an Harz erzeugen, das die Fraßgänge des Käfers im Bast zwischen der Rinde und dem Holz flutet. Es enthält toxische Stoffe und verklebt vor allem die kleinen Höhlen mitsamt den Insekten und ihrer Brut. Gesunde, in vollem Saft stehende Fichten können also ihre kleinen Fressfeinde erfolgreich abwehren; unter ungünstigen Bedingungen überwältigen aber schon wenige Borkenkäfer die Bäume und legen damit den Grundstein für weitere Generationen.
"Wir brauchen eine Woche lang Regen, sonst steuern wir mit vollen Segeln auf eine Katastrophe zu", warnte der Ulmer Revierförster Stefan Gölz gegenüber der Südwestpresse. Denn sollten sich die Wärme und Trockenheit weiter fortsetzen, droht ihm und seinen Kollegen viel schlecht verkäufliches Käferholz. Ob das vorhergesagte etwas wechselhaftere Wetter der nächsten Woche schon hilft, bleibt abzuwarten.
Schöne Aussichten zum Schluss: Bekommen wir ein Schmetterlingsjahr?
Wie viele andere Insekten sind auch unsere Tagfalter dieses Jahr schon früh unterwegs – zumindest wenn sie bereits als erwachsene Schmetterlinge überwintert haben wie das Tagpfauenauge, der Kleine Fuchs oder der Zitronenfalter. Teilweise schon im Februar tauchten die ersten Exemplare auf. Und selbst Arten, die die kalte Jahreszeit als Puppen überdauern, ließen sich schon blicken. "Wir hatten bereits einen Faulbaum-Bläuling im Februar oder einen Mauerfuchs im März", erzählt Elisabeth Kühn vom Tagfalter-Monitoring des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Halle. Normalerweise tauchen diese Falter erst im April beziehungsweise Mai auf.
Manche Arten wie der Admiral profitieren sogar generell vom Trend zur Erwärmung. "Bis vor 30 Jahren galt er als reiner Wanderfalter, der im Sommer aus Süden zu uns zog. Nun überwintert er zunehmend in Deutschland und fliegt ebenfalls bereits herum", so Kühn. Andere wie der Distelfalter sind dagegen weiterhin Nomaden: Sie stammen aus Nordafrika und breiten sich im Verlauf des Frühlings und Sommers über mehrere Generationen hinweg zu uns aus. Besonders stark flogen sie übrigens 2009 ein.
Gefährlich wird es für die Falter allerdings, wenn es jetzt nochmal zu stärkeren Frösten kommt. "Fatal sind auch verregnete Frühjahre, da dann Raupen und Puppen von Pilzen befallen werden können", berichtet Reinart Feldmann vom UFZ. Und zu trocken dürfe es aber ebenso wenig bleiben, fügt seine Kollegin Kühn an: "Dann fehlen die Futterpflanzen." Momentan scheint aber jedenfalls alles angerichtet zu sein für einen optimalen Schmetterlingssommer.
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