Drohnen im Naturschutz: Späher über den Wipfeln
Ferngesteuerte Drohnen werden in letzter Zeit immer populärer. Was diese kompakten, unbemannten Fluggeräte künftig nicht alles leisten sollen: die Post zustellen oder die beim Internet-Versender bestellten Pakete ausliefern. Der Polizei bei der Fahndung nach Straftätern oder illegalen Cannabisplantagen helfen. Für die Feuerwehr Brandherde erkunden und dem Katastrophenschutz einen Überblick über Sturmschäden oder Überschwemmungsgebiete liefern. Längst hat also nicht mehr nur das Militär Interesse am Einsatz der fliegenden Späher. Sogar Ökologen setzen mittlerweile auf Luftaufklärung. So hat das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) gerade eine hochmoderne Hightech-Drohne angeschafft, die ihre Talente in den nächsten Wochen zunächst im Nationalpark Hainich in Thüringen unter Beweis stellen soll.
"Diese Technik bietet für uns sehr reizvolle und wichtige neue Möglichkeiten", erklärt Stephan Getzin, der beim UFZ für das Projekt verantwortlich ist. "Wir können uns damit zum Beispiel sehr rasch einen Eindruck von der Artenvielfalt und vom ökologischen Zustand einer Landschaft verschaffen." Natürlich lassen sich solche Informationen auch ohne Hightech auf ganz klassischem Weg gewinnen. Dazu müssen die Forscher allerdings oft monatelang durchs Gelände stapfen und akribisch notieren, welche Tiere, Pflanzen oder Biotope wo vorkommen. Ein aufwändiges und langwieriges Unterfangen. Umso verlockender ist die Idee, ein fliegendes Auge loszuschicken und die jeweiligen Daten aus der Vogelperspektive zu ermitteln. Doch das ist längst nicht so einfach, wie es klingt.
Verräterische Lücken
"Noch vor wenigen Jahren hieß es, die Technik sei für solche Aufgaben noch längst nicht ausgereift", erinnert sich Stephan Getzin, der sich seit 2007 mit dem ökologischen Einsatz von Drohnen beschäftigt. Tatsächlich legten die damaligen Geräte durchaus manchmal eine Bruchlandung hin oder flogen zumindest nicht genau zum vorgesehenen Ziel. Der damals noch an der Universität Göttingen tätige Ökologe und seine Kollegen aber haben trotz solcher Tücken schon bei Erkundungsflügen in den Jahren 2008 und 2009 interessante Ergebnisse erzielt.
Auch damals war der Hainich Schauplatz der wissenschaftlichen Spähaktion. Zum Einsatz kam dabei eine mit einer hochauflösenden Fotokamera ausgerüstete Drohne, die ein bisschen an ein Modellflugzeug erinnerte. In 250 Metern Höhe flog sie über die Wipfel und fotografierte die Wälder des Nationalparks. "Es ging uns allerdings gar nicht so sehr um die Bäume, die auf den Bildern zu sehen waren", erklärt Stephan Getzin. Vielmehr wollten die Forscher wissen, wie es um die Artenvielfalt der Gräser und Kräuter, Farne und Gehölze am Waldboden bestellt war. Wie aber sollten Fotos vom grünen Teppich der Baumkronen darüber Aufschluss geben? Die Forscher hatten da eine viel versprechende Idee.
Schließlich weiß jeder Ökologe, dass die Lücken im Kronendach eines Waldes entscheidend für die Bodenvegetation sind. Denn an solchen Stellen fällt reichlich Licht auf die Erde, so dass dort besonders viele Pflanzenarten gedeihen. Die Größe, Form und Verteilung der Lücken aber waren auf den Bildern gut zu erkennen. Konnte man daraus also Rückschlüsse auf die Artenvielfalt ziehen?
Um das zu testen, sind die Forscher dann doch zu Fuß losgezogen und haben Pflanzen kartiert. Je nach Waldstück kamen sie dabei auf Werte zwischen 16 und mehr als 50 Arten pro Hektar. Und der Vergleich zwischen Kartierung und Luftbildauswertung lieferte eine gute Übereinstimmung: Es gab einen engen Zusammenhang zwischen dem Lückenmuster und der tatsächlichen Artenvielfalt. Das Team hat sogar Hinweise darauf gefunden, dass man auf diesem Weg auch mehr über die Tierwelt des jeweiligen Waldes erfahren kann. So sind vor allem Insekten, aber auch kleine Säugetiere oft auf bestimmte Strukturen im Unterholz angewiesen. Und auch die werden von den Lückenmustern direkt beeinflusst.
Neue Technik, neue Chancen
"Uns war damals schon klar, dass die Möglichkeiten des Drohneneinsatzes damit noch längst nicht ausgereizt waren", sagt Stephan Getzin. Umso gespannter sind er und seine Kollegen nun, wie sich ihr neues fliegendes Auge bewährt. Dem sieht man den technischen Fortschritt schon äußerlich an. Statt an ein Modellflugzeug erinnert das rundliche Gerät mit seinen zwei Kufen und den in vier Richtungen ausgestreckten Propellern eher an ein kleines UFO. Entscheidend für die Auswahl des Geräts war allerdings weniger das Design. Vielmehr sollte der ökologische Späher nicht nur möglichst zuverlässig sein, sondern auch lange fliegen und relativ viel Gewicht tragen können. Das UFZ hat sich für ein Modell der Firma Microdrones in Siegen entschieden, das je nach Windbedingungen und Aufklärungstechnik an Bord zwischen 30 und 60 Minuten in der Luft bleiben kann. Bei jedem Flug können die Forscher entweder eine hochauflösende 24-Megapixel-Fotokamera mitschicken oder einen von drei weiteren Sensoren.
Zur Auswahl steht unter anderem ein Laserscanner, der sehr genaue 3-D-Bilder liefert. Er soll zum Beispiel die Größe, Form und Struktur der Baumkronen so detailliert abbilden, dass sich jeder einzelne Baum von seinen Nachbarn abgrenzen lässt. Und auch die Lücken im Kronendach werden noch besser zu erkennen sein als auf einem normalen Foto. "Je nach Lichtverhältnis hat man auf einem zweidimensionalen Bild manchmal Schlagschatten, die wie Lücken aussehen", erklärt Stephan Getzin. Solche Täuschungen gibt es auf dreidimensionalen Bildern nicht. Zusätzlich kann die 3-D-Struktur des Waldes vielleicht auch noch mehr über seine tierischen Bewohner verraten. Studien haben nämlich gezeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen der Strukturvielfalt in verschiedenen Höhen und der Vielfalt an Vögeln und Fledermäusen gibt.
Fitnesstest für Pflanzen
Ganz andere Informationen liefert der fliegende Späher, wenn er mit seiner Multispektralkamera unterwegs ist. Die verfügt über sechs verschiedene Farbkanäle, nimmt also Licht in sechs verschiedenen Wellenlängenbereichen auf und speichert die dabei gewonnenen Daten jeweils auf einem eigenen Chip. Daraus kann man dann zum Beispiel verschiedene Kenngrößen berechnen, die etwas über den Zustand der Vegetation verraten.
Der bekannteste dieser Vegetationsindizes verbirgt sich hinter dem Kürzel NDVI ("Normalized Difference Vegetation Index"). Mit dessen Hilfe kann man nicht nur bewachsene von kahlen Flächen unterscheiden, sondern auch Rückschlüsse auf den Zustand der Vegetation ziehen. Gesunde Pflanzen, die mittels Fotosynthese reichlich Energie aus Licht gewinnen, werfen die Sonnenstrahlung nämlich in einem ganz typischen Muster zurück: Sie reflektieren relativ wenig im sichtbaren Bereich zwischen 400 und 700 Nanometern Wellenlänge, dafür aber viel im Infrarotbereich zwischen 700 und 1300 Nanometern. Je aktiver die Pflanze ihre Fotosynthese betreibt, umso sprunghafter steigt die Reflexion oberhalb von 700 Nanometern an. Kranke oder abgestorbene Gewächse zeigen in diesem Bereich dagegen keine oder nur eine geringe Zunahme.
Fingerabdruck für Baumarten
Möglicherweise eignen sich die Multispektralaufnahmen allerdings nicht nur für pflanzliche Gesundheitschecks. "Wir hoffen, dass wir damit auch die Baumarten unterscheiden können", sagt Stephan Getzin. Schließlich haben die einzelnen Arten unterschiedlich große Blätter und unterschiedlich dichtes Laub, auch die Fotosyntheseraten weichen durchaus voneinander ab. Da das alles die Reflexion der verschiedenen Wellenlängen beeinflusst, sollte also jede Baumart ihren typischen spektralen Fingerabdruck haben.
Darüber hinaus sehen die Forscher noch eine zusätzliche Möglichkeit, die einzelnen Baumarten auseinanderzuhalten. Denn es gibt Hinweise darauf, dass sich Bäume mit verschieden großen Blättern und unterschiedlicher Kronenstruktur auch in der Temperatur unterscheiden. Schließlich verdunsten sie über ihr Laub unterschiedlich große Mengen Wasser – und Verdunstung kühlt. Deswegen scheinen auch gut mit Wasser versorgte Bäume niedrigere Temperaturen zu haben als solche, die unter Trockenstress leiden. Bei Obstbäumen ist bekannt, dass diese Differenz mehrere Grad Celsius betragen kann. Da die Thermalkamera selbst winzige Temperaturunterschiede erfasst, sollte sie solche Effekte eigentlich gut dokumentieren können.
Allerdings ist sowohl die luftgestützte Unterscheidung der Arten als auch die Abgrenzung der einzelnen Baumkronen vor allem im diffusen Blattwerk von Laubwäldern noch Forschungsneuland. Kann man tatsächlich von oben feststellen, wo genau welcher Baum steht? Das würde die Inventur gerade von Laubwäldern enorm vereinfachen. Doch es gibt erst wenige Erfahrungen damit. Zwar haben Ökologen auch schon in anderen Teilen der Welt Drohnen mit einem Laserscanner eingesetzt. So haben solche fliegenden Augen bereits Wälder in Finnland und Tasmanien erkundet – allerdings nicht mit so vielen unterschiedlichen Sensoren. "Diese Kombination von verschiedenen Techniken dürfte bisher weltweit noch so ziemlich einmalig sein", meint Stephan Getzin.
Über den Hainich hinaus
Er und seine Kollegen sind daher sehr gespannt auf die Bilder, die ihr Hightech-Späher von den Wäldern im Hainich liefern wird. Neben einer Befliegung im Frühsommer ist eine weitere im Herbst geplant, wenn die Laubfärbung der Landschaft wieder ein neues Gesicht verleiht. Zunächst wollen sich die Forscher dabei auf die gleichen Gebiete konzentrieren, auf die sie schon 2008 ihren Blick gerichtet hatten.
Allerdings wird die Drohne diesmal nur in weniger als 100 Metern Höhe über die Wipfel fliegen, um mögliche Kollisionen etwa mit Paraglidern zu vermeiden. Und wenn die Forscher schon mal dabei sind, werden sie neben den Wäldern auch die offenen Flächen der ehemaligen Truppenübungsplätze im Hainich überfliegen. Denn die Nationalparkverwaltung wüsste gern, wo es dort überall Laichgewässer für die bedrohte Gelbbauchunke gibt. Möglicherweise lässt sich auch das mit der neuen Technik relativ einfach herausfinden.
"Wir haben also ziemlich ambitionierte Ziele", gibt Stephan Getzin zu. Niemand kann bisher sagen, ob die sich auch alle erreichen lassen. Doch der Forscher ist optimistisch. So optimistisch, dass er und sein Kollege Andreas Huth schon Pläne für die Zeit nach dem Hainich-Test schmieden. Schließlich lässt sich die Technik auch in allen möglichen anderen Lebensräumen von der Agrarlandschaft über die Savanne bis zum Tropenwald einsetzen. An interessanten Fragestellungen fehlt es dabei nicht. So beschäftigt sich die Gruppe von Andreas Huth seit mehr als zehn Jahren mit der Wachstumsdynamik und der Kohlenstoffspeicherung von Tropenwäldern. Dazu haben die Forscher auch Computermodelle entwickelt. Um damit noch genauere Vorhersagen machen zu können, bräuchte man allerdings bessere Daten über die Strukturvielfalt dieser Wälder. Und solche Informationen kann die neue Drohne nun liefern.
Darüber hinaus können diese Daten sogar in die großflächige Landschaftsanalyse einfließen – etwa, wenn es um bessere Hochrechnungen für die Verteilung der Biomasse geht. Dies ist für die Forschung wichtig, denn die Gruppe arbeitet auch an Methoden, mit denen sich die Biomasse von Wäldern per Satellit bestimmen lässt.
Sogar über das Zusammenspiel von Pflanzen und Tieren kann die neue Technik womöglich mehr verraten. In Thailand untersuchen die UFZ-Wissenschaftler zum Beispiel gerade, wie sich die Schlafbäume von Affen auf die Struktur der Tropenwälder auswirken. Diese Tiere scheinen nämlich eine wichtige Rolle als Landschaftsgärtner zu spielen. Schließlich verteilen sie ihren Kot mitsamt den darin enthaltenen Samen mit Vorliebe um ihre Ruheplätze. Nur wo sind diese Schlafbäume genau? Auch das lässt sich vielleicht per Drohne und Thermalkamera herausfinden, meint Stephan Getzin: "Jeder schlafende Affe würde auf den Bildern dann als 'warmer' roter Fleck auftauchen". Ziel einer Drohnen-Fahndung müssen ja nicht immer nur Straftäter sein.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben