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Wassernutzung: Droht Deutschland der Wasserstress?

Verbraucher, Industrie, Landwirtschaft – alle brauchen Wasser. Doch obwohl Deutschland viel Wasser hat, wachsen die Probleme für die Versorgung. Schuld ist nicht nur das Klima.
Fontäne auf der Binnenalster in Hamburg.

Nach drei außergewöhnlich trockenen Jahren, in denen Wälder starben, Felder verdorrten und regional sogar das Trinkwasser knapp wurde, fragen sich viele: Droht Deutschland Wassermangel? Bisher ziehen wir nach Bedarf Wasser aus unterirdischen Grundwasserkörpern sowie Oberflächengewässern, um es zu trinken oder damit zu kochen, sprengen, waschen und spülen. Doch was machen wir, wenn das Wasser in Zukunft häufiger knapp wird?

Klar ist: Wenn nicht genug da ist, müssen Prioritäten gesetzt werden. Das ist manchmal leicht – zum Beispiel, wenn zu Gunsten des Trinkwassers auf das Autowaschen verzichtet werden muss. Mit schwerwiegenderen Nutzungskonflikten hatten wir es in Deutschland bisher kaum zu tun, weil die Grundwasserressourcen in der Regel durch Zuflüsse auf einem stabilen Niveau gehalten werden.

Anders als viele andere Rohstoffe »gehört« Wasser niemandem, sondern ist Gegenstand gemeinschaftlicher Bewirtschaftung: »Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss«, heißt es in der europäischen Wasserrahmenrichtlinie. In künftigen Extremsituationen allerdings wird diese Vorgabe kaum ohne Konflikte zwischen den vier bedeutendsten Wasserverbrauchern umzusetzen sein.

53 Prozent des Gesamtverbrauchs, etwa 12,7 Milliarden Kubikmeter Wasser pro Jahr, nutzt die Energieversorgung der Energieunternehmen hauptsächlich als Kühlwasser. Die zweitgrößte Nutzergruppe ist mit 24 Prozent die verarbeitende Industrie inklusive Bergbau, gefolgt von der öffentlichen Trinkwasserversorgung mit 22 Prozent des Gesamtverbrauchs. Der von der Landwirtschaft zur Bewässerung genutzte Anteil ist mit einem Prozent oder 0,3 Milliarden Kubikmeter pro Jahr vergleichsweise gering, doch Fachleute rechnen besonders hier mit zusätzlichem Bedarf durch den Klimawandel.

Eine Frage des Saldos

»Am Ende ist die Frage von Nutzung und Nutzungskonflikt eine Frage des Saldos. Also: Wie viel Wasser ist da, und zwar nicht nur in welcher Menge, sondern vor allen Dingen in welcher Qualität?«, sagt Dietrich Borchardt, Leiter des Departments Aquatische Ökosystemanalyse und Management am Magdeburger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung im Interview mit dem Science Media Center. »Das Wasserqualitätsproblem in Deutschland ist relativ größer als das Wasserquantitätsproblem, auch was Nutzungen angeht.«

Nur aus weniger als zehn Prozent der Grundwasserkörper wird mehr Wasser entnommen, als sich wieder auffüllt. Aber grob ein Drittel enthält so viel Nitrat und Pestizidrückstände aus der Landwirtschaft, dass die Grenzwerte der Wasserrahmenrichtlinie überschritten werden. Die Stoffe aus Dünge- und Spritzmitteln sickern durch die Felder ins Grundwasser, wo sie viele Jahrzehnte im Untergrund verharren können. Die jüngst erlassene Düngeverordnung könne also höchstens langfristig auf Abhilfe hoffen lassen: »Das Schadstoffproblem wird uns noch sehr lange beschäftigen«, prognostiziert Borchardt.

Schadstoffe gelangen aber nicht nur durch die Landwirtschaft, sondern auch durch sonstige Abwässer in Flüsse und Seen und von da aus vielerorts ins Trinkwasser. Um diesen Wasserkreislauf zu verstehen, muss man wissen, dass Trinkwasser in Deutschland auf unterschiedliche Weise gewonnen wird. In Berlin etwa stützt man sich auf verschiedene Versorgungssäulen. 30 Prozent des Trinkwassers der Stadt stammen aus Grundwasser aus bis zu 170 Meter Tiefe, das sich beispielsweise aus dem im Grunewald versickerten Niederschlagswasser speist.

Doch Grundwasser allein kann den Bedarf nicht decken. Prinzipiell gilt: Man darf nur maximal so viel Grundwasser aus der Tiefe pumpen, wie sich an der Stelle wieder neues bilden kann. Sonst versiegt die Quelle irgendwann.

Woher das Trinkwasser kommt

Im Grunewald steht deswegen Gesche Grützmacher, Leiterin der Wasserwirtschaft der Berliner Wasserbetriebe, 20 Meter vom Ufer der Havel entfernt bei einem der 650 Brunnen, die die Hauptstadt mit Trinkwasser versorgen. Dieser Brunnen ziehe Havelwasser unterhalb des Uferbodens an, erklärt sie. Damit schließe sich hier ein Wasserkreislauf, denn in Seen und Flüsse leitet man wiederum gereinigte Abwässer.

»Am Ende geht es um die Balance«Dietrich Borchardt

Das so genannte Uferfiltrat wird bereits durch den sandigen Boden gereinigt, bevor es zum Trinkwasser weiter aufbereitet wird. »Nach wenigen Dezimetern ist das hier infiltrierte Wasser schon klar – die Fein- und Mittelsande halten Schwebstoffe wie Ton-, Schluff- und Algenpartikel zurück«, erläutert die Hydrogeologin. »Wasser muss mindestens 50 Tage im Untergrund gewesen sein, damit sich auch keine Viren und Bakterien mehr darin finden – das hat man bereits vor 150 Jahren erkannt.« 60 Prozent des Berliner Trinkwassers entstammt solchen natürlich gereinigten Uferfiltraten aus Flüssen und Seen.

Weitere zehn Prozent kommen aus der »künstlichen Grundwasseranreicherung«. Hierbei leitet man das Oberflächenwasser der Havel direkt oder nach einer Aufbereitung in ein künstliches Sandbecken, aus dem es ins Grundwasser versickert. Die Vorreinigung sei aufwändig, aber notwendig, damit Wasser mit der angemessenen Geschwindigkeit in den Boden eindringe, erläutert die Expertin. »Diese Anreicherungsmethode wurde bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts als drittes Standbein der Grundwasserversorgung eingerichtet, weil man erkannt hat, dass Uferfiltrat und neu gebildetes Grundwasser aus Niederschlag nicht die Mengen schaffen, die wir hier brauchen.«

Am Rand des Wasserstresses

Mit durchschnittlich 188 Milliarden Kubikmetern verfügbarem Wasser gilt Deutschland eigentlich als wasserreiches Land. Laut Fachleuten sind flächendeckende Versorgungsprobleme deswegen nicht zu erwarten. Anders sieht das in regionalen Hotspots aus. In Gebieten, die sich nur mit Grundwasser aus versickerndem Niederschlagswasser versorgen können, kein Uferfiltrat fördern oder noch nicht mit anderen Wasserwerken vernetzt sind, können durchaus Wasserengpässe auftreten.

Im langfristigen Mittel kann Deutschland auf durchschnittlich 188 Milliarden Kubikmeter verfügbares Wasser – das so genannte Dargebot – zurückgreifen. Damit gilt Deutschland eigentlich als wasserreiches Land. Allerdings weist das Umweltbundesamt (UBA) auf den Trend der letzten Jahre hin: Das Dargebot scheint zu sinken. 2018 lag es bei nur 119 Milliarden Kubikmetern. In jenem Jahr nutzte Deutschland erstmals seit 2001 mehr als 20 Prozent des verfügbaren Wassers – in internationalen Vergleichen spricht man oberhalb dieser Grenze bereits von »Wasserstress«.

»Am Ende geht es um die Balance«, sagt Dietrich Borchardt. »Welche menschlichen Nutzungen können befriedigt werden, und bleibt am Ende auch genug übrig für die natürlichen Ökosysteme, die Biodiversität, die wir aus guten Gründen schützen sollten?«

Nutzt man nämlich zu viel des vorhandenen Wassers, drohen Umweltprobleme: Grundwasservorkommen in Küstennähe können durch eindringendes Meerwasser versalzen, wenn sie zu stark ausgebeutet werden. Moore und Feuchtgebiete können austrocknen und somit den Klimawandel auch noch befeuern. Im intakten Zustand absorbieren gerade Moore viele Treibhausgase, die beim Absterben wieder freigesetzt werden. Ein Beispiel dafür, dass Klimaschutz, Schutz der Ökosysteme und Gewässerschutz gekoppelt sind.

Medikamente: Oben rein, unten raus

In Berlin sorgt sich Gesche Grützmacher dank der drei Versorgungsstandbeine weniger um die verfügbare Menge, wohl aber um die Qualität. 2014 wurden im Wasserwerk Tegel in Norden Berlins zum ersten Mal relevante Konzentrationen von Medikamentenrückständen im Grundwasser festgestellt. »Es ist erstaunlich, was wir im Grundwasser alles an Spurenstoffen finden«, bemerkt sie. Überreste von vielen Arzneimitteln gelangen mit dem Urin in die Abwässer. Denn einige der Mensch und Tier verabreichten Medikamente verbleiben nur zu einem geringen Teil im Körper. Der Großteil dieser eingenommenen Wirkstoffe wird unverändert oder als Stoffwechselprodukt wieder ausgeschieden.

»Wir dürfen Wasser nicht nur als Medium betrachten, sondern als Essenz des Lebens«Dirk Messner

Kläranlagen reinigen zwar die Abwässer, bevor sie in Flüsse und Seen und damit zurück in den Kreislauf abgeleitet werden, UV-Strahlung zersetzt zudem viele Schadstoffe an der Oberfläche. Die Reinigung durch Klärwerk, UV-Strahlung und den filternden Boden versagt allerdings bei manchen Stoffen.

Wie das UBA 2020 meldete, können Wirkstoffe von Arzneimitteln in Gewässern Konzentrationen erreichen, die schädlich auf die aquatischen Lebensgemeinschaften wirken. In deutschen Gewässern schwimmt ein bunter Cocktail an Arzneiwirkstoffen, von Hormonen der Antibabypille über Antibiotika bis Schmerzmitteln. Auch im Berliner Grundwasser lassen sich Spuren von Carbamazepin oder Valsartansäure, einem Abbauprodukt eines Blutdrucksenkers, sowie die in gewissen Geschirrspülmitteln enthaltene Chemikalie Benzotriazol nachweisen.

Bislang sind die Konzentrationen zwar unbedenklich, doch die stellvertretende Leiterin der Wasserversorgung denkt im Rahmen der Daseinsvorsorge der Wasserwerke weiter: »Auch wenn wir jetzt noch keine Grenzwerte erreichen, müssen wir im Vorgriff etwas tun, denn zukünftig wird der Medikamentenverbrauch steigen. Wir werden immer älter, und mehr Menschen ziehen hierher.«

Dürre verstärkt die Verschmutzung

Diese Medikamentenrückstände und andere Spurenstoffe drohen besonders dann vermehrt ins Trinkwasser zu gelangen, wenn hohe Abwasseranteile vorliegen. Das schwankt durchaus im Lauf der Zeit. Im stark urban beeinflussten Wasserwerk Tegel beträgt der Anteil an gereinigtem Abwasser in Trockenperioden bis zu 20 Prozent. Ähnlich große Abwasseranteile findet man auch andernorts in Deutschland zu bestimmten Zeiten, wie eine UBA-Studie 2018 herausfand.

Der Trend hin zu Trockenheit ist demnach ein weiterer Faktor bei der steigenden Belastung des nutzbaren Wassers in Deutschland. Flüsse und Seen führen deswegen oft weniger Wasser, der »Abfluss« ist geringer, wie Hydrogeologen sagen. So verdünnt sich das darin eingeleitete, gereinigte Abwasser weniger.

Das Team um Professor Jörg Drewes untersuchte den gereinigten Abwasseranteil in deutschen Flüssen in Abhängigkeit von mittleren bis niedrigen Abflussverhältnissen. Dafür berücksichtigten die Wissenschaftler Einleitungen aus 7550 kommunalen Kläranlagen im gesamten Bundesgebiet sowie in relevanten Anrainerstaaten.

Das Ergebnis: Auch weite Bereiche der Flusseinzugsgebiete von Neckar, Main und Rhein, in denen Trinkwasser via Uferfiltration oder künstliche Grundwasseranreicherung gewonnen wird, weisen zeitweise hohe Anteile von gereinigten Abwässern auf. Die Autoren betonen zwar, dass die mikrobiologische Qualität durch erhöhte gereinigte Abwasseranteile nicht beeinträchtigt werde, solange die 50-Tage-Linie sicher eingehalten wird. Kritisch stufen sie aber bestimmte Stoffe ein, die schlecht oder gar nicht biologisch abbaubar sind, da diese das Potenzial hätten, auch nach einer Bodenpassage in toxikologisch relevanten Konzentrationen aufzutreten.

Wasser muss zurück auf die Agenda

Deutschland habe zwar massive Probleme mit Wasser, sei aber im internationalen Vergleich noch in einer privilegierten Situation, sagte UBA-Präsident Dirk Messner 2020 beim »Nationalen Wasserdialog«, einem zweijährigen Forum mit Wissenschaft, Politik, Wasserwirtschaft und Nutzern. Die Wirkung des Klimawandels auf die Wasserproblematik falle hier zu Lande viel glimpflicher aus als beispielsweise bei den südeuropäischen Nachbarn. Dennoch sieht Messner Deutschland mit großen Herausforderungen konfrontiert: Auf der einen Seite gibt es zu viel Wasser durch Starkregenereignisse, auf der anderen Seite zu wenig wegen zunehmender Dürren.

»Wir dürfen Wasser nicht nur als Medium betrachten, sondern als Essenz des Lebens – als Essenz der Gesellschaft«, erklärte er dort im Oktober 2020. Das Augenmerk müsse stets auch auf der Stärkung der Ökosysteme liegen. Hier leisten die Berliner Wasserbetriebe Pionierarbeit. Als Naturschützer forderten, dass zum Schutz der empfindlichen Moore weniger Wasser aus dem Grunewald gefördert werde, widersprachen die Wasserbetriebe: In der Hauptstadt liegt die Hauptnutzung bei der öffentlichen Versorgung, und die Bürger brauchen das Wasser.

In einem Pilotprojekt bewässern sie nun die Moore in verhältnismäßig kleinen Mengen. Sie hoffen so, größere Mengen an Grundwasser für den öffentlichen Verbrauch fördern zu können, ohne ein Trockenfallen der Moore zu riskieren. Ob das Forschungsprojekt gelingt und anderen als Modell dienen wird, bleibt abzuwarten. Es ist nach Ansicht vieler Fachleute jedenfalls an der Zeit, das Thema Wasser zurück ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen.

»Wir haben sehr profitiert von dem, was in Vergangenheit gut gelaufen ist«, erklärt Grützmacher, die schon seit 20 Jahren im Wasserbereich arbeitet. In den 1980er Jahren hatten ihre späteren Kollegen am Rhein gemeinsam mit Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen gegen die hohe Schadstoffbelastung des Flusses mobil gemacht. Das führte schließlich zusammen mit dem Mauerfall dazu, dass die Industrie viel weniger Schadstoffe in die Flüsse leitete und sich die Wasserqualität stark verbesserte. Nach diesen Erfolgen ließ die Aufmerksamkeit für Wasserthemen stark nach. Im 21. Jahrhundert allerdings gehöre Wasser wieder auf die Agenda, sagt die Forscherin. »Jetzt müssen wir handeln, bevor wir qualitativ oder quantitativ Probleme bekommen.«

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