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Durchfall: Duell mit dem perfekten Virus

Forscher haben erste experimentelle Impfstoffe gegen das Norovirus entwickelt. Doch der Weg zu einer Vakzine ist noch lang.
Clean fotografiert: Eine Spritze, die mit der Kanüle in einer Ampulle steckt.

Es hat schon seine Gründe, weshalb Experten das Norovirus als den perfekten Krankheitserreger bezeichnen – es ist widerstandsfähig, hochinfektiös und zwingt seine Opfer, enorme Mengen Viruspartikel vehement in der Umwelt zu versprühen. Wenn es erst einmal da ist, breitet es sich rasant aus, besonders dort, wo viele Menschen auf engstem Raum wohnen. In Krankenhäusern und Pflegeheimen genauso wie in Kasernen und auf Kreuzfahrtschiffen. In Großbritannien infizierte der Erreger diesen Winter bereits weit über eine Million Menschen, und weltweit, schätzen Experten, tötet er vor allem in den Entwicklungsländern jährlich 200 000 Kinder unter fünf Jahren.

Beeindruckende Vielfalt

Ebenfalls weltweit arbeiten deshalb Wissenschaftler mit Hochdruck an einem Impfstoff. Doch das erweist sich als ausgesprochen schwierig. Noroviren sind, wie andere RNA-Viren auch, extrem vielseitig. Sie teilen sich in fünf große Gruppen auf, von denen drei auch Menschen infizieren. Innerhalb dieser wiederum kennt man 25 Genotypen, von denen immer neue Stämme auftauchen – ein Muster, das man unter anderem vom Influenzavirus kennt, dessen Erbgut ebenfalls aus RNA besteht. Die Mehrheit der Norovirusinfektionen beim Menschen geht auf Viren der Gruppe GII zurück, und seit Mitte der 1990er Jahre ist vor allem der Genotyp GII.4 durch Pandemien auffällig geworden: Alle zwei bis vier Jahre tritt ein neuer Stamm dieses Subtyps auf den Plan und löst größere Ausbrüche aus – in diese Kategorie fällt auch das derzeit kursierende Virus.

Norovirus | Humane Noroviren unter dem Elektronenmikroskop.

Neben der Vielfalt der unterschiedlichen Erregerstämme behindert ein weiterer Umstand die Forschung an dieser Nemesis immens: Es gibt weder ein funktionierendes Tiermodell noch ein Zellkultursystem, an dem man die Eigenheiten des Erregers und die Reaktion des Organismus darauf erforschen kann. Als Ersatz verwenden Forscher Noroviren, die Mäuse infizieren, um dem Geheimnis des Pathogens auf die Spur zu kommen.

Allerdings verursachen diese Erreger in ihrem Wirt keinen Durchfall, so dass die Analogie zwischen ihnen und dem menschlichen Norovirus sich auf einige Mechanismen im Infektionsprozess und der Immunreaktion beschränkt. Immerhin konnten Forscher bereits 2008 zeigen, dass eine Schluckimpfung sowohl mit vollständigen inaktivierten Viruspartikeln als auch mit Virus-Antigenen die Mäuse mindestens ein halbes Jahr vor der Infektion mit dem für sie spezifischen Norovirus schützt.[1]

Auf der Suche nach der Immunreaktion

Dass das auch beim Menschen funktioniert, war zu jenem Zeitpunkt allerdings keinesfalls klar. Denn schon die Frage, ob eine überstandene Norovirusinfektion im Menschen tatsächlich eine Immunität erzeugt, ist bis heute umstritten. Hoffnung macht jedoch der Umstand, dass ein Teil der Bevölkerung gegen den Erreger weit gehend immun ist – ihnen fehlen auf den Schleimhäuten bestimmte zuckerhaltige Histo-Blutgruppenantigene (HBGA), weil ein Enzym, zum Beispiel die Fucosyltransferase, durch Mutationen inaktiv ist. Diese so genannten Sekretor-negativen Individuen machen etwa ein Fünftel der europäischen Bevölkerung aus.

Die Verbindung zwischen Norovirus und HBGA erweist sich als für die Infektion als entscheidend – Beobachtungen zeigen, dass Antikörper, die diesen Kontakt unterbinden, das Risiko einer Erkrankung tatsächlich reduzieren. Ein Impfstoff, der diese Antikörper produziert, könnte Noro wirklich stoppen. Da man nicht mit dem Virus selbst arbeiten kann, konzentrieren sich die Forscher auf so genannte virusähnliche Partikel, im Grunde die Umhüllung der Zelle ohne das enthaltene Erbgut.

Man bekommt sie, indem man das Hüllprotein des Virus in anderen Organismen produzieren lässt – jeweils 180 dieser Eiweiße lagern sich zu einer kugelförmigen, rundherum eingedellten Hülle zusammen, die das Norovirus als Teil der Caliciviren ausweist. Diese leeren Hüllen sind inzwischen der Schlüssel zur Erforschung des Norovirus, sei es für diagnostische Verfahren, strukturelle Besonderheiten oder Bindung an die Rezeptoren menschlicher Zellen – vor allem aber sind sie entscheidender Bestandteil möglicher zukünftiger Impfstoffe.

Erste Impfstoffkandidaten

Denn die bisher aussichtsreichsten Impfstoffkandidaten basieren auf diesen Partikeln, die man in Form eines Nasensprays verabreicht. In einem klinischen Test unter Samer El-Kamary von der University of Maryland [2] erhielten 18 gesunde Versuchspersonen so ein Nasenspray aus virusähnlichen Partikeln und dem Adjuvans Monophosphoryl-Lipid A, das die Immunreaktion stimuliert. Nach zwei Anwendungen im Abstand von drei Wochen entwickelten 80 Prozent der Probanden tatsächlich eine Immunreaktion gegen das Virus und produzierten spezifische Immunzellen, die Antikörper erzeugten, welche das Virus hindern, an die HBGA zu binden.

Schluckimpfung | Das Ziel der Forschung: Eine stabile, einfach zu verabreichende Schluckimpfung gegen das Norovirus.

Allerdings – eine Immunreaktion macht noch keine Immunität. Da man derzeit mangels eines geeigneten Tiermodells und ohne Zellkultursystem nur sehr unvollständige Informationen über die genaue Immunreaktion gegen Noroviren besitzt, ist jedoch nur schwer einzuschätzen, wie wirksam eine solche Impfung tatsächlich in der Praxis ist. Und unter den schwierigen Umständen der Forschung an Noroviren lässt sich das nur auf eine Weise sicher herausfinden: Indem man Probanden zuerst mit dem Impfstoffkandidaten behandelt – und anschließend gezielt mit dem Norovirus infiziert. Erstaunlicherweise gibt es tatsächlich Freiwillige für solche Experimente.

Im Dezember 2011 berichtete ein Team um Robert Atmar vom Baylor College of Medicine dann in der Tat von einem derartigen Versuch [3] mit einem Nasenspray aus virusähnlichen Partikeln, bei dem die Patienten samt einer Placebogruppe anschließend gezielt mit dem Norovirus infiziert wurden. Die Ergebnisse von 2010 bestätigten sich auch in diesem Experiment: Es zeigte sich bei etwa 70 Prozent der Probanden eine Immunreaktion. Und auch im eigentlichen Härtetest waren die Ergebnisse ermutigend: Von den geimpften Individuen erkrankten nach der Infektion nur 37 Prozent, verglichen mit 70 Prozent der Kontrollgruppe.

Dieses Ergebnis beweist, dass eine Impfung gegen das Norovirus möglich ist. Doch bevor ein solcher Impfstoff in der Praxis eingesetzt werden kann, um große Ausbrüche zu verhindern, bleibt noch viel zu tun. Einerseits muss der Impfstoff noch weitaus effektiver werden, um Patienten sicher zu schützen, zum Beispiel indem man ihn injiziert. Zum anderen ist bislang offen, was die große Diversität der verschiedenen Noroviren für eine Impfung bedeutet – wird es reichen, einen Kombinationsimpfstoff gegen die wichtigsten Stämme zu verabreichen, oder muss die Impfung aufgefrischt werden?

Die Parallelen des Virus zum Grippeerreger suggerieren allerdings eine weitere, unbequeme Möglichkeit: dass analog zur Grippe für jede neue Epidemie ein neuer Impfstoff geschaffen und der Schutz für die gefährdeten Bevölkerungsschichten alljährlich erneuert werden muss. Dann bliebe Noro, das perfekte Virus, auch nach der Entwicklung einer Vakzine ein formidabler Gegner.

  • Quellen
[1] PLoS Pathogens 10.1371/journal.ppat.1000236, 2008
[2] Journal of Infectious Diseases 202, S. 1649–1658, 2010
[3] New England Journal of Medicine 365, S. 2178–2187, 2011

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