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Dürre in Afrika: »Wir müssen die Handelsschranken bei Lebensmitteln beseitigen«

In Kenia, Äthiopien und Somalia herrscht die schlimmste Trockenheit seit 40 Jahren. Vieh stirbt, Menschen hungern. Wie Europa helfen kann, künftige Krisen zu verhindert, erklärt der Agrarökonom Timothy Njagi im Interview.
Ein Hirte aus der Gabra-Gemeinde im Marsabit County, Kenia, hält sich die Nase zu, als er durch ein mit Ziegen- und Schafskadavern übersätes Feld geht, um die Schäden zu begutachten.
Ein Hirte aus der Gabra-Gemeinde im Marsabit County, Kenia, hält sich die Nase zu, als er im Januar 2022 über ein mit Ziegen- und Schafskadavern übersätes Feld geht, um die Schäden zu begutachten.

Im Norden Kenias sowie in vielen Regionen Somalias und Äthiopiens herrscht die schlimmste Trockenheit seit 40 Jahren. Laut den Vereinten Nationen (UN) haben am Horn von Afrika etwa 17 Millionen Menschen zu wenig zu essen. Die Zahl könnte bis September 2022 auf 20 Millionen steigen. Die Dürre ist allerdings nicht der einzige Grund für die Ernährungskrise, sagt der Agrarökonom Timothy Njagi. Er forscht am Tegemeo Institute of Agricultural Policy and Development in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Im Interview spricht er unter anderem über die Rolle der Europäischen Union und ihren »Green Deal« und erklärt, was die Mitgliedsstaaten künftig tun könnten, um die Versorgung in Afrika zu verbessern – nicht nur in der gegenwärtigen Krise, sondern langfristig.

»Riffreporter.de«: Was sind die Gründe für die gegenwärtige Ernährungskrise in Ostafrika?

Timothy Njagi: Selbst in den besten Jahren produziert die Region nicht genug Nahrungsmittel, um die Bevölkerung aus der eigenen Produktion ernähren zu können. Im Moment kommt noch eine schwere Dürre hinzu. Wir sind also immer, aber jetzt besonders auf Importe angewiesen. Konkret auf Verkäufer, die Vorräte haben und in der Lage sind, sie uns zu schicken. Das ist auf Grund des Kriegs in der Ukraine bekanntermaßen schwierig geworden. Vorher waren die Lieferketten schon durch die Corona-Pandemie zum Teil unterbrochen. Weil wir immer Nahrungsmittel importieren müssen, ist Handelspolitik für uns sehr wichtig. Wir sind darauf angewiesen, dass Waren – Lebensmittel – schnell und effizient transportiert werden können. Und genau dort gibt es natürlich auch in normalen Zeiten politische Hindernisse.

Welche Rolle spielt die EU?

Landwirtschaftliche Programme, die von der EU gefördert wurden, haben sich in der Vergangenheit hauptsächlich auf die Technologien konzentrierten, die Europa in Afrika fördern wollte. Diese Programme waren in unterschiedlichem Maß erfolgreich. In manchen Regionen haben sie recht gut funktioniert, anderswo überhaupt nicht.

Was für Technologien oder Programme meinen Sie?

Die EU hat zum Beispiel die Milchwirtschaft und die Intensivierung der Milchviehhaltung gefördert. Aber das nutzt nur einer kleinen Gruppe von Erzeugern in Kenia. Einige von ihnen konnten ihre Produktivität dank dieser Programme deutlich erhöhen, doch der Großteil der Viehhaltung findet in Kenia unter anderen Bedingungen statt. Nämlich in halbtrockenen Regionen, dort ist wegen der klimatischen Bedingungen nur extensive Viehhaltung möglich. Im Gartenbau gab es auch einige Erfolge, beispielsweise bei Tomaten. Aber wir müssen noch viel mehr und bei anderen Gemüsearten tun.

Wir sind dankbar für die Unterstützung, die wir erhalten haben. Vor allem bei dem Aufbau von Wertschöpfungsketten, also der Verarbeitung von Lebensmitteln hier bei uns. Das ist wichtig, damit die Bäuerinnen und Bauern ihren Lebensunterhalt verdienen und sich auf dem Markt das leisten können, was sie nicht anbauen oder herstellen. Die EU ist einer unserer wichtigsten Märkte, besonders für einige Anbauprodukte wie französische Bohnen. Idealerweise sollten wir sicherstellen, dass unsere Landwirte in der Lage sind, wettbewerbsfähig zu produzieren und die Standards zu erfüllen, die auf dem EU-Markt verlangt werden.

»Es würde also Sinn machen, dass Europa zunächst den Verkauf von Pestiziden nach Afrika einstellt und dann erst fordert, dass wir biologisch anbauen«Timothy Njagi, Agrarökonom

Empfinden Sie die EU-Handelspolitik gegenüber Afrika als fair?

Nein, sie ist nicht fair. Ein Problem ist, dass die EU einige Anforderungen an landwirtschaftliche Produkte stellt, die weit über dem liegen, was alle anderen Märkte fordern. Siehe den »Green Deal«.

Also das Konzept, das EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Dezember 2019 vorgestellt hat. Das Ziel ist es, Europa bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu machen. Der Plan enthält neue landwirtschaftliche Standards unter dem Stichwort »Farm to Fork«: Die EU möchte die Führung dabei übernehmen, globale Ernährungsstandards zu setzen.

Genau. Der Deal enthält die Forderung, dass wir biologisch produzieren müssen. Aber so effizient ist unsere Landwirtschaft bisher nicht. Wenn wir den größten Teil der Lebensmittel biologisch herstellen wollten, müssten wir den Landwirten für ihre Produkte viel mehr zahlen. Die Verbraucher in der EU würden diese höheren Kosten wohl nicht akzeptieren. Im Extremfall würde das bedeuten, dass viele Landwirte ihre Existenzgrundlage verlieren. Das ist das eine.

Das andere sind offensichtliche Widersprüche: Die EU ist die Nummer zwei bei der Einfuhr von Pestiziden in die Region. Es würde also Sinn ergeben, dass Europa zunächst den Verkauf von Pestiziden nach Afrika einstellt und dann erst fordert, dass wir biologisch anbauen. Pestizide zu verkaufen, die Europa selbst nicht akzeptiert, ist ein Widerspruch, auf den man hinweisen muss.

Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viel teurer die ökologische Produktion für die Bauern in Kenia sein würde?

Nein, dazu müssen wir erst noch eine Studie durchführen, die das vergleicht. Bei uns ist die ökologische Landwirtschaft noch ein ziemlicher Nischenmarkt. Aber wir sind ja schon mit den konventionellen Produktionsmethoden nur begrenzt wettbewerbsfähig. Es gibt bei den meisten Produkten andere Landwirte, die zu viel niedrigeren Kosten produzieren als wir. Wir nehmen also an, dass der ökologische Markt viele unserer Landwirte völlig überfordern würde, denn es wäre irrational zu erwarten, dass ein Landwirt, der mit der konventionellen Methode nicht wettbewerbsfähig ist, im ökologischen Landbau wettbewerbsfähig sein könnte. Der ökologische Landbau ist technisch anspruchsvoller als die konventionelle Erzeugung.

Mir war nicht bewusst, dass die »Farm to Fork«-Strategie im »Green Deal« bedeuten würde, dass auch das, was die EU importiert, biologisch produziert sein muss.

Ja, zumindest ein Teil davon. Wir müssten dem ökologischen Landbau zumindest eine viel größere Fläche zuweisen, als wir jetzt haben. Landwirte stellen auf ökologische Landwirtschaft um, wenn sie dadurch höhere Gewinnspannen haben. Warum arbeiten wir nicht mit wirtschaftlichen Anreizen statt mit politischem Druck? In Kenia können Biobäuerinnen und -bauern mit ihren Produkten doppelt so hohe Preise erzielen wie mit konventionellen Produkten. Wenn wir den Umstieg aber mit Gewalt durchsetzen wollen, schaffen wir ein Problem. Denn es gibt Menschen, die aus finanziellen Gründen mehr auf den Preis von Lebensmitteln achten müssen als auf die Art ihrer Erzeugung. Das muss bei den politischen Entscheidungen berücksichtigt werden.

»Wir erwarten nicht, dass Europa uns Wissen einfach so zur Verfügung stellt. Aber warum könnten wir nicht die Partnerschaft im Bereich der Wissenschaft stärken?«Timothy Njagi

Sie haben die Lebensmittelsicherheit angesprochen, die Europa laut dem Green Deal erreichen möchte. Laut einer Studie von Greenpeace und Public Eye werden aus der EU viele Schädlingsbekämpfungsmittel auch nach Afrika verkauft, deren Anwendung in Europa bereits verboten ist.

Im Grunde verkaufen sie uns etwas und sagen dann: »Verwendet das bloß nicht! Jedenfalls nicht, wenn ihr uns das Endprodukt verkaufen wollt.« Wenn Europa uns diese Pestizide nicht mehr verkaufen würde, wir sie aber weiterhin aus China beziehen würden, dann könnte ich die europäischen Regeln besser verstehen. Noch etwas anderes kommt hinzu: Unsere Landwirte setzen Pestizide ein, weil sie Angst vor Ernteausfällen haben, und die sind zum Teil wirklich erheblich. Die EU hat mittlerweile neue Technologien, mit denen sie den Einsatz von Pestiziden ersetzen oder stark reduzieren kann. In Kenia sind diese Technologien nicht verfügbar. Warum kann die EU den Einsatz dieser Technologien in Afrika nicht fördern?

Was für Technologien?

Biologische Schädlingsbekämpfung in Kombination mit IT. Ein Beispiel: In Deutschland gibt es ein Überwachungssystem zur Kontrolle von Schädlingen, beispielsweise des extrem zerstörerischen Herbst-Heereswurms. Es ist 100 Prozent biologisch. Die Technologie hilft dabei, die Fressfeinde der Schädlinge genau dort abzusetzen, wo der Schädling ist. Das Problem: Alles steht und fällt mit Präzision. Wenn man den Fressfeind 24 Stunden zu spät abwirft, hat man einen großen Ernteverlust.

Wir in Kenia haben diese Technologie nicht. Wir erwarten gar nicht, dass Europa uns das Wissen einfach so zur Verfügung stellt. Aber warum könnten wir nicht die Partnerschaft im Bereich der Wissenschaft stärken? Also zum Beispiel zwischen den Universitäten in Deutschland, die diese Technologie entwickelt haben, und unseren Universitäten? Die könnten auf der Grundlage dessen, was in Deutschland bereits aufgebaut wurde, lokale Lösungen entwickeln, die an die hiesigen Verhältnisse angepasst sind und genauso gut funktionieren. Ohne dass wir einfach nur kopieren und übertragen, was anderswo angewendet wird.

Wie könnte global gesehen ein gerechtes System der Ernährungssicherheit aussehen? Auch angesichts der Folgen der Klimakrise, des Kriegs in der Ukraine und ähnlicher Entwicklungen?

Einige Länder verbieten wegen der weltweiten Knappheit bereits die Ausfuhr von Nahrungsmitteln. Ich kann das verstehen. Wenn Kenia Überschüsse produzieren würde, würden wir vermutlich auch zunächst sicherstellen wollen, dass unsere Bevölkerung genug zu essen hat, ehe wir exportieren. Aber ich denke, dass wir idealerweise eine weltweit nachhaltige Produktion fördern sollten. Denn jedes Land ist in der Lage, etwas besonders gut zu produzieren, was jemand anders braucht. Wir müssen also die Handelsschranken beseitigen, insbesondere bei Lebensmitteln.

In Kenia können wir einige Produkte sehr gut und günstig produzieren, aber beispielsweise nicht Mais. Selbst innerhalb der Region wird Uganda Mais vermutlich immer billiger produzieren als wir. Dafür kann Kenia Milchprodukte viel günstiger herstellen. Wir sollten durch effiziente Handels- und Logistiksysteme ohne künstliche politische Hürden dafür sorgen, dass der kostengünstige Austausch von Waren möglich bleibt.

»Gegenwärtig ist es in der Tat so, dass die Menschen in vielen Ländern des afrikanischen Kontinents das Gefühl haben, sie müssten sich zwischen dem Westen und Russland mit China entscheiden«Timothy Njagi

Profitieren Russland und China davon, dass Weizen und andere Getreidearten auf dem Weltmarkt knapper sind, und werden Weizen strategisch nutzen, damit sich neue politische Blöcke bilden?

Diese Sorge halte ich für berechtigt. Aber die gegenwärtige Situation kann auch eine Chance für den Rest der Welt sein. Russland ist als Exporteur von Weizen vor allem für afrikanische Länder von großer Bedeutung. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir diese übermäßige Abhängigkeit von einem Land beenden können. Wie können wir unsere eigene Produktion steigern, damit wir nicht mehr so stark von Russland abhängig sind? Das braucht aber etwas Zeit. Gegenwärtig ist es in der Tat so, dass die Menschen in vielen Ländern des afrikanischen Kontinents das Gefühl haben, sie müssten sich zwischen dem Westen und Russland mit China entscheiden. Und vielleicht entscheiden sie sich lieber für Russland, als ihre eigene Produktion weiterzuentwickeln.

Was sehen Sie dabei für Möglichkeiten?

Nehmen wir Kenia als Beispiel. Weizen werden wir vermutlich unter keinen Umständen selbst in den Mengen anbauen können, die wir gegenwärtig verbrauchen. Aber wir entdecken jetzt Lebensmittel neu, die unsere Großväter und Großmütter gegessen haben und die wir irgendwann nicht mehr konsumiert haben. Das sind Lebensmittel wie Maniok, Hirse oder Sorghum, die an die klimatischen Verhältnisse hier sehr gut angepasst sind. Im Zuge der Urbanisierung haben wir sie aufgegeben. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir für diese Lebensmittel wieder einen Markt schaffen können. Wir können in Lateinamerika beobachten, dass das funktioniert. Quinoa gibt es mittlerweile sogar in Nairobi. Wir könnten versuchen, beispielsweise den Anbau von Maniok wieder zu fördern und auch zu exportieren.

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