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Dürre in Südeuropa: Letzte Hoffnung Regen

Seit Monaten herrscht südlich der Alpen und in Teilen Westeuropas schwere Trockenheit. Ursache der Winterdürre ist ein hartnäckiges Hochdruckgebiet. Doch hinter der Krise steckt mehr als nur eine ungünstige Wetterlage.
Blick über trockengefallenen Kies durch das fast leere Flussbett des Po mit Brücke im Hintergrund.
Schon im Sommer 2022 war der Wasserstand des Po so niedrig wie selten zuvor. Nun könnte die extreme Dürre ins zweite Jahr gehen - es sei denn, im März fällt doch noch reichlich Regen.

Natürlich kann am Gardasee niemand über Wasser laufen, wie man seit einiger Zeit lesen kann. Aber von Weitem könnte man schon den Eindruck gewinnen. Denn seit der Seespiegel in Italiens größtem Süßwassersee im vergangenen Sommer auf einen neuen Rekordtiefstand gefallen ist, lässt sich die kleine Insel San Biagio trockenen Fußes erreichen. Möglich wird das durch eine schmale Kiesbank, die aus dem Wasser auftauchte – und seither unzählige Spaziergänger anzieht. Doch über den großen Besucherandrang kann man sich vor Ort nicht so recht freuen. Die Behörden sind vielmehr in großer Sorge.

Zum einen sorgt man sich um das Natur- und Wasserschutzgebiet, das seither von Touristen überrannt wird. Zum anderen macht der niedrige Wasserspiegel die Lage in der Region bedrohlich. Denn der Gardasee ist nicht nur Touristenattraktion, sondern das größte Wasserreservoir Oberitaliens. Große Teile des Landes sind vom Wasser des Sees abhängig, sie hängen an ihm wie an einem Tropf: Sinkt der Pegel, wird man in der Poebene, dem größten landwirtschaftlichen Anbaugebiet Italiens, nervös. Schon die Dürre im vergangenen Sommer war für viele Bauern eine Katastrophe, der Verlust lag bei sechs Milliarden Euro.

Jetzt geht die Dürre in Norditalien ins zweite Jahr, und eine Trendwende ist nicht in Sicht. Im Winter kam viel zu wenig Regen vom Himmel, in den italienischen Alpen fiel kaum die Hälfte des normalerweise zu erwartenden Schnees. Mitten im Februar hat der Gardasee einen historischen Tiefstand erreicht: Der See ist nur noch zu 35 Prozent seiner Speicherkapazität gefüllt, deshalb mussten die Abflüsse bereits drastisch reduziert werden. Jetzt heißt es Wasser sparen – und dabei steht das Sommerhalbjahr erst noch bevor.

Südlich der Alpen geht das Wasser aus

So angespannt wie am Gardasee ist die Lage fast überall auf der Alpensüdseite. Im gesamten westlichen Alpenbogen und von Lyon bis Genua ist es seit einem Jahr extrem trocken. Im Tessin und in Graubünden haben die Behörden ein Feuerverbot wegen erheblicher Waldbrandgefahr angeordnet, in Südtirol brannte bereits in der Nähe von Meran ein Forst. Der Po, die Lebensader Italiens, ist weiterhin ein Rinnsal und führt 61 Prozent weniger Wasser als sonst. Und auch im Nachbarland Frankreich hat es den Winter über viel zu wenig geregnet. Allgemein gilt in Westeuropa und südlich der Alpen: Die Böden sind trocken, die Flüsse leer, viele Berge grau statt weiß verpackt.

Frankreich hat deshalb bereits angekündigt, Wasserrationierungen und einen Dürreplan für den März vorzubereiten. Der trockenste Winter seit 64 Jahren hat im ohnehin von Trockenheit gebeutelten Land die Lage weiter verschärft. An 32 aufeinander folgenden Tagen, vom 21. Januar bis 20. Februar, hat es in Frankreich sogar überhaupt nicht geregnet, teilt der nationale Wetterdienst Meteo France mit. Das ist die längste Trockenperiode seit Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen. Außerdem fiel seit August 2021 nur in drei Monaten mehr Regen als im langjährigen Schnitt – fast das gesamte Land leidet unter zu trockenen Böden, der Dürreindex SPEI zeigt verbreitet extreme Bedingungen an. Und die großen Flüsse des Landes – Loire, Seine, Rhone – haben extremes Niedrigwasser, im Einzugsgebiet der Rhone in den Westalpen sind die Pegel sogar auf einem historisch niedrigen Wert.

Ähnlich vertrackt ist die Lage im Nachbarland Schweiz: Landesweit fiel in den vergangenen zwölf Monaten zu wenig Regen, in Graubünden und im Tessin fehlt mancherorts die Hälfte des normalen Jahresniederschlags, teilt Meteo Schweiz mit. In Binn im Oberwallis fielen in diesem Zeitraum sogar nur 494 Liter statt der üblichen 1177 Liter. Und lokal werden die Menschen wieder zum Wassersparen aufgerufen.

Es ist nicht die erste Dürre

Massimiliano Zappa erinnert die Lage stark an das vergangene Jahr, als es südlich der Alpen schon im Frühjahr viel zu trocken war. Einziger Unterschied: Jetzt sei ein noch größeres Gebiet betroffen, sagt der Hydrologe von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft. Als gebürtiger Südtessiner ist er regelmäßig auf Heimatbesuch, und immer wieder berichten ihm seine Eltern davon, dass es einfach nicht regne. Jetzt, kurz vor Beginn der Vegetationsperiode, sei der Wasserbedarf zwar noch nicht so hoch, aber das werde sich schnell ändern. Noch bestehe Hoffnung, sagt er, der März entscheide südlich der Alpen, ob sich die Trockenheit fortsetzt – denn meistens bringt das Frühjahr in dieser Region die ersehnten Niederschläge. Doch selbst wenn die erhoffte Wetteränderung durchbrechen sollte, erwartet er nicht, dass sich die Situation schnell erholt.

Ursache der Winterdürre ist eine ausgeprägte Hochdrucklage über Europa, die zu Beginn des Winterhalbjahrs im Oktober das Wetter dominierte und sich immer wieder erneuerte. Mehrmals strömte mit einer südwestlichen Strömung sogar sehr warme Mittelmeerluft auf den Kontinent und brachte für die Jahreszeit ungewöhnlich hohe Temperaturen und Verdunstungsraten. Besonders warm wurde es dabei Ende Oktober und zum Jahreswechsel, verbreitet wurden neue Rekordwerte gemessen.

Über der Schweiz herrschte im laufenden Winterhalbjahr, das von Anfang Oktober bis Ende März dauert, bislang an mehr als 80 Tagen eine Hochdruckwetterlage, hat Meteo Schweiz in einer ersten Analyse zusammengefasst. Damit werde es zu einem »ausgesprochen hochdrucklastigen Winterhalbjahr«. Ob dahinter ein Klimatrend steht oder bloß Zufall, ist unklar; jedenfalls brachten die vergangenen 20 Winterhalbjahre mehr Hochdruckwetter in der Schweiz und wohl auch verbreitet in Mitteleuropa. Hochdruck im Winterhalbjahr ist im Gebirge gleichbedeutend mit mehr Wärme, während sich in den Flusstälern häufig eine Inversion bildet. Schnee fällt deshalb kaum.

Der Einfluss des Klimawandels

Die Schneearmut in den Alpen ist deshalb besonders ausgeprägt, sinnbildlich für diesen Winter sind schmale Kunstschneestreifen in graubrauner Landschaft. In den Schweizer Alpen kann die Schneearmut seit Mitte Februar sogar als historisch bezeichnet werden, schreibt das WSL-Institut für Schnee und Lawinenforschung (SLF) in Davos auf seiner Homepage. 76 der langjährigen Stationen zwischen 1000 und 2000 Metern meldeten rekordniedrige Schneehöhen, statt durchschnittlich 85 Zentimeter lagen verbreitet nur mickrige 15 Zentimeter. Als Grund gibt das SLF nicht bloß die große Wintertrockenheit an, sondern auch die höheren Temperaturen durch den Klimawandel. Dadurch schmilzt ein Teil des gefallenen Schnees, der früher in mittleren Lagen üblicherweise den ganzen Winter konserviert wurde, wieder weg.

»Eine Lage, wie wir sie jetzt erleben, wird häufiger«Manuela Brunner, WSL-Institut für Schnee und Lawinenforschung

Und das dürfte erst der Anfang sein, bis Ende des Jahrhunderts steigt die Wintertemperatur weiter an. Schon jetzt hat sich die Zahl der Schneedeckentage in den Alpen jedenfalls um 36 Tage im Vergleich zum langjährigen Mittel verkürzt, schrieb der Umweltforscher Marco Carrer von der Universität Padua Anfang Januar in »Nature Climate Change«. Zusammen mit Kollegen hatte er mit Hilfe von Wachstumsringen von Wacholdersträuchern die Winter der vergangenen 600 Jahre rekonstruiert.

Die Schneearmut ist ein Jammer für den Skisport und seine Anhänger, aber das ist im Vergleich zum wirklichen Problem der Alpenländer zu verkraften. Denn zusätzlich zum Regen fehlt der Wasserspeicher für das Sommerhalbjahr. »Das Schneedefizit von heute ist die Trockenheit im nächsten Sommer«, sagt Manuela Brunner, Gebirgshydrologin beim SLF in Davos. Für diese Prognose bedarf es keiner prophetischen Talente, ein Blick in die zurückliegenden Sommerhalbjahre reicht völlig.

Nicht einmal ein nasser Frühling würde ausreichen

In einer Studie, die im Januar 2023 in den »Geophysical Research Letters« erschien, untersuchte Brunner, wie sich Dürren in der Schweiz entwickelten und welche Rolle die Schneeschmelze dabei spielte. Ihre Ergebnisse sind eindeutig: Demnach baut sich eine Sommerdürre früh im Winter auf und wirkt immer stärker in die warme Jahreszeit hinein.

Im Zeitraum zwischen 1994 und 2017 stieg die Zahl der Dürreereignisse, die durch die geringere Schneeschmelze ausgelöst wurde, um 15 Prozent im Vergleich zum Zeitraum 1970 bis 1993, fand die Forscherin heraus. Grund für den zunehmenden Trend zur Dürre sind aber nicht nur ausbleibende Niederschläge, sondern auch die höheren Verdunstungsraten, die Flüsse und Böden weiter austrocknen. Deshalb ist Manuela Brunner davon überzeugt, dass der Klimawandel das Problem in Zukunft noch verschlimmern werde. »Eine Lage, wie wir sie jetzt erleben, wird häufiger«, sagt sie. Weil immer weniger Schnee fällt, fehlt der Puffer im Frühling und Sommer.

Ein verregnetes Frühjahr wäre daher ein Segen für die dürregeplagten Alpenländer, am besten gleich ein halber Jahresniederschlag, um das große Defizit einigermaßen auszugleichen. Doch selbst ein überaus nasser Frühling könnte in Norditalien nicht ausreichen, um die hydrologische Dürre komplett zu beenden, schrieb der Hydrologe Christian Massari von der Universität Perugia kürzlich bei Twitter. Bliebe das Jahr 2023 gar so trocken wie 2022, würde sich die Dürre in ihrer Schwere annähernd verdoppeln, zeigte die einfache Simulation eines Bodenfeuchteindex.

Das Problem wird nicht verschwinden

Ob es am Ende wirklich so schlimm käme, ist nicht völlig klar. Allerdings führt das Modell eindrücklich vor Augen, dass die Lage in den betroffenen Regionen tatsächlich ernst ist. Ein Jahr Dürre ist nichts, womit reiche Länder wie Frankreich, Italien und die Schweiz nicht zurechtkämen, ein zweites in Folge allerdings könnte Verteilungskämpfe hervorrufen.

Langfristig sollte man sich an die Wasserknappheit gewöhnen und vor allem darauf vorbereiten. In der Schweiz wird gerade ein Frühwarnsystem aufgebaut, das Bevölkerung und Behörden von 2025 an mehrere Wochen im Voraus warnen soll, wenn sich eine kritische Trockenphase anbahnt. Die Warnungen sind bitter nötig, denn häufig reagieren Behörden, Bauern, Fischer, Trinkwasserversorger oder Naturschützer notgedrungen zu spät auf Dürrezeiten. Schäden lassen sich dann nicht mehr vermeiden. Das Warnsystem soll die Vorbereitungszeit nun deutlich verlängern, niemand soll mehr überrascht werden. Und schon zwei Wochen Vorwarnzeit helfen, um Gegenmaßnahmen zu koordinieren und einzuleiten, wie beispielsweise die Menschen bei einer sich anbahnenden Dürre zum Wassersparen aufzufordern.

Das Warnsystem schließt auch die großen Flüsse ein. Überrascht von Niedrigwasser sollte an Rhein, Rhone und Po niemand mehr sein. Denn die Wasserstände von Flussläufen lassen sich ein bis sechs Monate im Voraus abschätzen. Das liegt daran, dass Abflüsse im Gegensatz zum Wetter vergleichsweise träge Systeme sind. Sind die Pegel im Frühjahr schon sehr niedrig und lag in den Alpen im Winter wenig Schnee wie in diesem Jahr, ist die Wahrscheinlichkeit für Niedrigwasser im Sommer erhöht.

Auch in Deutschland könnte genau das auch 2023 wieder eintreffen: Am Rhein sei die Lage jetzt schon wieder kritisch, schreibt Monica Ionita, Hydrologin und Klimaforscherin am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Noch kann sie nicht sagen, ob sich eine neue extreme Dürre aufbauen wird. Aber die Situation finde sie »extrem unheimlich«, sagt sie.

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