Direkt zum Inhalt

News: Durch den Flaschenhals

Wie groß muss eine Gruppe von Tieren sein, damit sie überleben kann? 50, 75 oder reichen nur zwei Individuen? Mindestens 150 Tiere, sagen neuseeländische Biologen - und bringen damit Naturschützer in Verlegenheit.
Petroica traversi
Als der Mensch neuseeländischen Boden betrat, bekam das der einheimischen Tierwelt schlecht. Insbesondere die Vögel der beiden Inseln mussten einen erheblichen Blutzoll leisten; mehr als 30 Prozent der nur hier existierenden Arten verschwanden für immer.

Andere entgingen – bisher – knapp ihrer Ausrottung. So lebte vom Black Robin (Petroica traversi), einer unserem Rotkehlchen ähnelnden Vogelart, nur noch ein einziges, einsames Pärchen, bevor Naturschutzmaßnahmen griffen und die Art sich wieder auf einige hundert Individuen vermehren konnte.

Doch selbst wenn engagierte Ornithologen ihre überlebenden Schützlinge hegen und pflegen – sie gar auf Inseln ohne natürliche Feinde aussetzen –, haben sie noch längst nicht gewonnen. Denn häufig weisen die bedrohten Arten trotz Schutzmaßnahmen nur einen geringen Bruterfolg auf: Über die Hälfte der Eier werden erst gar nicht befruchtet oder sterben beim Brüten ab. Normal sind Verluste von vielleicht zehn Prozent.

Ursache dieses hohen Schwundes ist der so genannte Flaschenhals, durch den die Art sich drängen muss: Durch die geringe Populationsgröße sind die Tiere gezwungen, sich mit nah verwandten Artgenossen zu paaren; die Wahrscheinlichkeit, dass sich sonst im Verborgenen gebliebene schädliche Mutationen durchsetzen, wird entsprechend groß. Dieser Flaschenhalseffekt kann durchaus zur Triebfeder der Evolution werden, indem er seltenen Mutanten eine unverhoffte Chance gibt; Naturschützern erschwert er jedoch ihre Arbeit erheblich, macht sie mitunter völlig zunichte.

Doch wie eng darf der Hals sein, damit die Art eine reelle Chance hat? Vogelschützer zucken bei dieser Frage mit ihren Schultern und hoffen, dass sie genug Tiere ausgesetzt haben, um das Überleben der Art zu sichern.

James Briskie und Myles Mackintosh von der neuseeländischen University of Canterbury wollten sich mit groben Schätzungen oder gar Raten nicht begnügen. Sie untersuchten 22 neuseeländische Vogelarten, die alle einen Flaschenhals von 5 bis 5500 Individuen passiert hatten. Aus der Literatur sowie aus eigenen Beobachtungen bewerteten sie den Bruterfolg dieser Arten.

Als Kontrolle zogen sie die Daten von 15 Arten heran, die in Populationen von mindestens 10 000 Tieren zusammenleben. Außerdem untersuchten sie 15 Arten, die aus Europa mit meist nur wenigen Individuen nach Neuseeland eingeführt worden waren und damit ebenfalls einen Flaschenhals hinter sich hatten.

Erwartungsgemäß nahm der Bruterfolg einer Art mit kleiner werdender Population ab. Bei allen Spezies kristallisierte sich eine Populationsgröße von 150 Tieren heraus: Beim Unterschreiten dieses Wertes steigen die Brutverluste so stark an, dass es für die Art kritisch wird. Erst bei Individuenzahlen von über 600 konnten die Forscher keinen Flaschenhalseffekt mehr nachweisen.

Was heißt das für die Praxis? Die meisten Vogelschutzprogramme, bei denen eine bedrohte Art in einem neuen Lebensraum eingeführt wird, setzen weniger als 75 Tiere aus; häufig sind es sogar weniger als 30. Nach Ansicht von Briskie und Macintosh wird damit die Mindestgröße der Population weit unterschritten. Die Tiere mögen in ihrer neuen Heimat keine Feinde haben, ihr Bruterfolg kann jedoch so klein sein, dass die Art früher oder später dennoch untergeht.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.