Tödliche Seuche: Ebola bestraft jeden Fehler brutal
Wie beschreibt man den Geruch von Chlor? So wie Desinfektionsmittel? Chlorartig? Es kennt ihn ja jeder. Während der letzten Wochen in Guinea war er mir so gegenwärtig wie zu Hause der Geruch der Windeln meines Sohnes – vor allem auch genauso ambivalent: Es stinkt ein bisschen, aber so ist das Leben. Und in diesem Fall geht es ums Überleben.
Ein besonderer Duft, den wir Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen derzeit in Guinea, Liberia und Sierra Leone auftragen. Bevor wir uns zum Frühstück setzen, duften unsere Hände schon nach Chlor. In jedem Auto liegt eine Sprühflasche bereit und wenn wir das Haus, das Büro oder das Behandlungszentrum betreten, zeigen wir erst unsere Schuhsohlen, die dann sorgfältig abgesprüht werden. Danach desinfizieren wir wieder die Hände – wieder mit Chlor.
Der Landcruiser muss nach Chlor riechen, die Kleidung, das Geschirr besonders, und eigentlich sogar die Salatblätter. Einmal kam in der lokalen Gesundheitsbehörde bei meinem Besuch keine Chlorlösung aus dem dortigen Spender. Zwar hatte ich erst vor drei Minuten im Auto die Hände desinfiziert – konnte es sogar noch riechen, dennoch wurde ich nervös. Sind das schon Anzeichen des Verrücktwerdens?
Nein. Hygiene und Desinfektion sind lebenswichtige Grundregeln in allen Ebola-Projekten von "Ärzte ohne Grenzen". Der Selbstschutz ist die essenzielle Voraussetzung der Hilfe – und Chlor ist sein Aroma.
Seit Anfang des Jahres breitet sich Ebola in Westafrika aus. Die ersten Fälle wurden im März in der Region von Guéckédou in Guinea bekannt, in der ich drei Wochen lang im Einsatz war. Hunderte von Menschen sind hier in den letzten Monaten gestorben, vermutlich nur ein kleiner Teil in unserem Behandlungszentrum, die meisten bei ihren Familien in abgelegenen Dörfern.
Tödlich ist vor allem die Unwissenheit
Zum Beispiel Faya Conde (alle Namen geändert). Er ahnte während seiner letzten Stunden nicht, dass er sich zwei Wochen vorher eine Motoradstunde weiter südlich bei der Beerdigung seines Cousins angesteckt hatte. Leider ahnte das auch seine Frau Mariam nicht, die ihn pflegte, auch nicht sein Bruder Tamber, der am Folgetag seinen Leichnam wusch, und schon gar nicht Fanta, die von Mariam gestillt wurde.
Auch Tambers Frau ahnte nichts, als schließlich ihr Mann Fieber bekam, nicht mehr aufstehen konnte, dann Durchfall bekam, danach blutigen Durchfall, Verwirrungen, dann kein Wort mehr sprach. Sie pflegte ihn. Kurz darauf zeigte auch sie alle Symptome. Alle zusammen teilen sie mit so vielen Menschen in Westafrika das Schicksal einer tödlichen Unwissenheit.
Der Nachbar von Tamber hat schließlich die Notrufnummer in Guéckédou gewählt. "Ärzte ohne Grenzen" hat ein Team geschickt, das "sichere Beerdigungen" von Menschen durchführt, die als Ebola-Verdachtsfälle gelten. Von der Wangenschleimhaut von Tambers toter Frau haben die vermummten Totengräber wie üblich vorsichtig einen Abstrich genommen, bevor ihr mit Chlorlösung besprühter Leichnam zwei Meter tief begraben wurde. Der Abstrich war positiv. Ein Ebolafall mehr in meiner Statistik.
Das Ebola-Virus: Die Fakten
Das vorwiegend in Zentralafrika auftretende Ebola-Virus gehört zu den tödlichsten Krankheitserregern überhaupt. Bis zu 90 Prozent der Infizierten sterben innerhalb von einer Woche nach dem Auftreten der ersten Symptome. Nach einer Inkubationszeit von drei bis 16 Tagen treten zunächst Fieber, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Durchfall und Erbrechen auf. Im weiteren Verlauf kommt es zu blutigen Durchfällen, Bluterbrechen und inneren Blutungen. Ein Schockzustand mit Nierenversagen und das Versagen anderer lebenswichtiger Organe führen schließlich zum Tod.
Es gibt weder eine erfolgreiche Behandlungstherapie noch Impfstoffe gegen die Krankheit. Allerdings wurden in den USA und Kanada in jüngerer Zeit erste Fortschritte zur Bekämpfung des gefährlichen Erregers im Tierversuch gemacht.
Hinter jedem neuen Fall deckt die epidemiologische Nachforschung dann eine tragische Infektionskette von Verstorbenen auf. Vor allem hat sie aber zum Ziel, alle Kontaktpersonen der Verstorbenen zu identifizieren, damit diese dann über drei Wochen nachverfolgt werden und bei ersten Krankheitszeichen in unserer Behandlungsstation versorgt und isoliert werden können. Drei Wochen – so lange dauert die Inkubationszeit des Ebolavirus längstens.
Bei mehr als 1200 Ebolafällen und häufig 20 und mehr Kontaktpersonen pro Patient, die drei Wochen lang täglich nach Symptomen befragt werden müssen, wird diese Nachverfolgung – das so genannte "contact tracing" – zu einer Aufgabe, die Gesundheitsbehörden und Hilfsorganisationen schnell an ihre Grenzen stoßen lässt.
Für die Hochrisikozone des Behandlungszentrums ziehen sich immer zwei Kollegen gleichzeitig an, jeder kontrolliert den anderen und passt auf der Station auf ihn auf. Es ist sehr überschaubar, was wir für unsere Patienten medizinisch tun können: Infusionen, Schmerz- und Beruhigungsmittel, darüber hinaus gutes Essen, Trinken, Gespräche mit psychologisch geschultem Personal – und Mobiltelefone, über die die Patienten mit ihrer Familie sprechen können. Oft sind es die letzten Worte, die sie austauschen, aber immer wieder entlassen wir auch Patienten, die das Virus besiegen konnten.
Aber eine Epidemie ist nicht durch Behandlung der Kranken allein zu stoppen, sondern nur in Verbindung mit Prävention und einer frühzeitigen Erkennung neu Erkrankter. Dafür fahren unsere Gesundheitshelfer mit dem Motorrad über Pfade durch den Regenwald und kämpfen sich täglich an den Lastwagen vorbei, die in den Schlammlöchern in der Hauptstraße zwischen Guéckédou und Macenta stecken, um nach Bawa, Kilima oder Kolobengo zu kommen – Dörfer, in denen es zu neuen Ebolafällen gekommen ist, wo die Bevölkerung dringend aufgeklärt werden muss.
Wenn es einen Verdachtsfall gab, klingelte mein Telefon und ich informierte Dr. Sylvie, die Belgierin, die unser so genanntes "Outreach-Team" leitet: eine geländegängige Ambulanz und ein Pick-up mit Chlor und Schutzausrüstung.
Letzte Woche war unsere Ambulanz in Gbelewa. Die Dorfbewohner erzählten von einer schwer kranken Frau, deren Tochter schon zwei Wochen vorher gestorben war. Bevor sie in die Häuser hineingingen, zogen Dr. Sylvie und ihre Kollegen die Schutzkleidung an – vor den Augen der Dorfbewohner, damit sie zunächst als Menschen erkennbar waren und nicht sofort als gesichtslose Wesen in Plastik: Zunächst die Schutzanzüge, dann den Mundschutz, die Haube, die bis auf die Schultern reicht, und schließlich die Schibrille, die auch den kleinen Sehschlitz in der Haube fixiert und versiegelt.
Dann haben sie Leya Tolno, etwa 40 Jahre alt, vorsichtig von ihrem Lager in die Ambulanz getragen, ihr Haus ausgeräumt und alles mit ihren Sprühkanistern in eine stinkende, aber lebensrettende Chlorwolke eingehüllt. Währenddessen hat ein Aufklärungsteam den Dorfältesten die Krankheit, die Übertragungswege und die Schutzmaßnahmen erklärt, und ein anderes Team hat Leyas Matratze verbrannt. Sie haben eine neue gebracht. Leya hat sie leider nicht mehr gebraucht. Ihr Abschied aus der Dorfgemeinschaft war wortarm, herzzerreißend und kurz.
Das alles erzählt mir Dr. Sylvie aus Belgien abends, während wir uns die Hände desinfizieren – wieder mit Chlor. Seit April ist sie in Guinea, unterbrochen nur von kurzen Urlauben. Wenn jemand müde wird, wechseln wir ihn sofort aus. Ebola bestraft jeden Flüchtigkeitsfehler brutal. Jetzt ist Sylvie frisch und motiviert, aber im August wird sie eine Pause brauchen.
Selbstschutz ist die Voraussetzung der Hilfe – und Chlor ist sein Aroma
Sie ist eine von derzeit 80 internationalen Mitarbeitern von "Ärzte ohne Grenzen" in den Ebola-Projekten in Guinea, Sierra Leone und Liberia, insgesamt sind mehr als 500 Mitarbeiter für die Organisation im Einsatz. Aber weit mehr sind nötig und mehr Organisationen. Ohne viele weitere qualifizierte Mitarbeiter vor Ort wird es nicht möglich sein, die Epidemie zu stoppen.
Die Regierungen in Westafrika, die westlichen Regierungen, NGOs und internationale Organisationen müssen jetzt mehr tun, mehr Experten und Knowhow schicken, auch mehr Geld zur Verfügung stellen. Denn schon jetzt ist der Ausbruch zur tödlichsten Ebola-Epidemie der Geschichte geworden. Wir dürfen nicht zuschauen, wie sich die Krankheit weiter ausbreitet.
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