Impfungen: Ebola in Liberia: "Wir schreiben Geschichte"
Mister Kennedy, Sie sind der Koleiter der größten Studie zu Ebolaimpfstoffen aller Zeiten. Insgesamt mehr 28 000 Menschen sollen in Liberia in den nächsten Wochen geimpft werden, um zu testen, ob einer der zwei bislang verfügbaren Impfstoffkandidaten wirklich vor Ebola schützt oder sogar beide. Aber schon am Tag des "Anstichs" gab es eine Überraschung. Was ist passiert?
Stephen B. Kennedy: Am Montag, den 2. Februar, sollten die ersten freiwilligen Versuchsteilnehmer geimpft werden. Wir hatten ursprünglich geplant, dass zwölf Freiwillige pro Tag in einem frisch renovierten öffentlichen Krankenhaus vorbeikommen und in die Studie aufgenommen werden, aber schon am ersten Tag kamen viel mehr Menschen. Es gab eine Warteschlange, und wir mussten einige Interessenten nach Hause schicken. Wir nehmen nun mehr auf. Allein in der ersten Woche wurden 108 Freiwillige geimpft. Und weitere 348 Menschen haben bereits den Prozess mit Aufklärung und Einverständniserklärung hinter sich und können bald geimpft werden.
Woher wussten die Einheimischen denn, dass sie – wenn sie an dieser Impfstoffstudie teilnehmen möchten – zum Redemption Hospital in New Kru Town, einem Vorort der liberianischen Hauptstadt Monrovia, kommen sollten?
Zur Vorbereitung der Studie gehörte unter anderem die so genannte soziale Mobilisierung. Wir haben viele Menschen und Gruppen engagiert, etwa traditionelle Heiler und Gemeindeführer sowie den traditionellen Rat, den liberianischen Kirchenrat, den Muslimischen Rat und den liberianischen Jugendbund. Diese haben dann geholfen, die Informationen an der Basis, in den Gemeinden, zu verbreiten. Wir haben auch Pressekonferenzen im Radio veranstaltet, damit die Informationen weit gestreut werden konnten. Und wir haben eine Art Pfadfindertreffen organisiert, wo junge Gemeindemitglieder zusammenkamen, eine tolle Zeit hatten und Fragen zur Studie stellen konnten.
Welche Fragen hatten die Einheimischen denn? Und wie haben Ihre Kollegen darauf geantwortet?
Wir waren ein bisschen überrascht, denn wir hatten den Eindruck, dass die Menschen schon ziemlich gut informiert waren. Sie hatten im Radio davon gehört oder im Internet gelesen. Viele wussten zum Beispiel, dass die Impfung ein paar Nebenwirkungen haben kann, zum Beispiel, dass die Einstichstelle etwas weh tut, und fragten dann danach, welche Mittel es dagegen gibt. Zu den typischen Fragen gehörte auch: Warum wird diese Studie in Liberia durchgeführt und nicht in einem anderen Land?
Da haben wir den Menschen erklärt, dass klinische Studien in verschiedenen Phasen ablaufen – also von Phase 1 in nichtbetroffenen Ländern, um erst einmal die Sicherheit zu testen, bis zu Phase 3 mit vielen Versuchsteilnehmern in betroffenen Ländern, um die Wirksamkeit zu bestimmen. Wir haben den Menschen erzählt: Es wurden gerade mehrere Phase-1-Studien in verschiedenen Ländern auf drei Kontinenten durchgeführt – in Afrika, in Nordamerika und in Europa, auch in Deutschland, in Hamburg. Wir haben Zugang zu den dortigen Daten und wissen deswegen, dass manche nach der Impfung Fieber, Kopfschmerzen oder Gelenkschmerzen hatten, insgesamt die Impfstoffkandidaten aber sicher sind.
Wir haben erzählt, dass auch in Sierra Leone und Guinea Impfstoffe getestet werden sollen. Und wir haben auch so oft wie möglich erwähnt, dass die gesamte Studie freiwillig ist: Niemand wird gegen seinen Willen in die Studie einbezogen; und wer mitmacht, sich dann aber umentscheidet – aus welchem Grund auch immer –, wird nicht genötigt dabeizubleiben, sondern kann das Impfcenter und die Studie verlassen.
Die Ebolaepidemie in Westafrika, der schlimmste Ausbruch aller Zeiten, ebbt seit einigen Wochen ab. In Liberia sieht die Statistik zurzeit am besten aus: Es gibt wohl nur noch Einzelfälle; und das große Ebolabehandlungszentrum ELWA-3 von der Organisation Ärzte ohne Grenzen in Monrovia hatte Mitte Januar den ersten Tag seit der Eröffnung, an dem überhaupt kein Patient da war. Denkt sich da nicht mancher Liberianer: Warum soll ich da noch ein Versuchskaninchen werden?
Niemand in Liberia denkt, dass die Ebolaepidemie vorbei ist. Ein Fall reicht. Die Liberianer verstehen nun, dass ein einziger Fall einen Ausbruch entzünden und dieser das gesamte Land beeinflussen kann. Deswegen sind viele bereit, an der klinischen Studie teilzunehmen – damit wir dann sehen können, ob es Impfstoffe gibt, die einigermaßen vor Ebola schützen. Selbst wenn eine Impfung für ihren eigenen Schutz momentan nicht unbedingt nötig ist, dann schützt sie vielleicht in Zukunft ihre Kinder und andere in anderen Ländern. Liberia ist ein sehr winziges Land mit rund vier Millionen Einwohnern, und es ist dabei, Geschichte zu schreiben mit dieser klinischer Studie, die den höchsten wissenschaftlichen Standards entspricht.
Insofern sind die Liberianer sich bewusst, dass sie gerade einen bedeutenden Beitrag für die Weltgemeinschaft leisten. Das ist wohl der am stärksten motivierende Grund, an der Studie teilzunehmen. Ein anderer Grund ist, dass die Menschen gerade realisieren, wie viele Verwandte, Freunde und Kollegen sie verloren haben. Sie wollen Verantwortung übernehmen und ihre Teilnahme an der Studie den Toten widmen. Auch Mitglieder aus unserem Forschungsteam mussten Verwandte beerdigen, und ich selbst habe Kollegen verloren, die sehr gute Freunde waren. Deswegen widmen wir diese Studie den Ärzten und Krankenschwestern, die in Liberia an Ebola gestorben sind, und allen Liberianern, die von dieser Epidemie betroffenen sind.
In Liberia wurde bereits eine Medikamentenstudie abgebrochen, weil es nicht genügend Ebolapatienten gab. Somit konnte man auch kaum Daten sammeln, um herauszufinden, ob das Medikament gegen Ebola hilft. Wenn es fast keine oder gar keine Fälle mehr gibt, lässt sich auch nicht prüfen, ob die Impfstoffkandidaten tatsächlich dafür sorgen, dass Geimpfte vor Ebola geschützt sind oder zwar krank werden, aber nicht so schlimm krank werden und bessere Überlebenswahrscheinlichkeit haben. Kommt die große Impfstoffstudie in Liberia nun nicht zu spät?
Wir haben uns sehr beeilt, auch wenn es Monate gedauert hat, da hinzukommen, wo wir jetzt sind. Im August tauschten die Regierungen von Liberia und den USA die ersten Nachrichten wegen einer Forschungspartnerschaft aus. Wir nannten sie PREVAIL: Partnership for Research on Ebola Vaccines in Liberia. Im Oktober begannen dann die Vorbereitungen. Wir haben ständig über das Studienprotokoll diskutiert. Wir mussten sicherstellen, dass die Ethikkomitees in den USA und in Liberia die Studie genehmigen. Und wir haben abgewartet, um die Daten aus den anderen Ländern zu bekommen und zu prüfen, ob die Impfstoffkandidaten sicher sind. Das waren vier Monate akribischer Planung und harter Arbeit, um da anzukommen, wo wir heute sind. Und die Epidemie ist noch nicht vorbei.
Sie sind selbst einer der ersten Versuchsteilnehmer in dieser groß angelegten Studie. In Deutschland wäre das nicht möglich – das Arzneimittelgesetz verbietet es, dass ein Forschungsteam an der eigenen Studie teilnimmt, um zum Beispiel unvoreingenommen zu bleiben. Warum haben Sie sich selbst impfen lassen?
Einige Kollegen und ich wollten eine Vorreiterrolle übernehmen, um den Liberianern zu zeigen: Auch wenn es Monate gedauert hat bis zum Start, jetzt kann es losgehen. Ich wurde am zweiten Tag der Studie geimpft. Ich weiß nicht, ob ich einen der Impfstoffe bekommen habe oder das Placebo mit Kochsalzlösung. Aber ich weiß, dass ich mich gesund fühle, voller Energie, und sicher, das Ende der Studie mitzuerleben.
Um festzustellen, inwiefern der eine oder andere Impfstoffkandidat wirkt, sollen die Versuchsteilnehmer nach einer Woche, einem Monat und darüber hinaus untersucht werden und eine Blutprobe abgeben. Wie stellen Sie sicher, dass die Probanden wiederkommen?
Wir haben das gut vorbereitet. Alle Probanden geben uns ihre Telefonnummer und die von Verwandten. Dann rufen wir regelmäßig an, um zu erfahren, ob alles okay ist, oder an den nächsten Termin zu erinnern. Und wenn wir einen Versuchsteilnehmer nicht erreichen, probieren wir es bei einem Verwandten. Wenn wir da auch niemanden telefonisch erreichen, geht jemand los zum Zuhause des Probanden, um nachzuschauen. Dabei helfen uns die so genannten Contact Tracer, die bislang Kontaktpersonen von Ebolakranken aufgespürt und begleitet haben. Nehmen Sie mich als Beispiel: Ich wurde am Dienstag vor einer Woche um 10 Uhr morgens geimpft. Um 17 Uhr wurde ich vom Forschungsteam angerufen, um sich nach mir zu erkundigen. Mittwochmorgen um 7 Uhr und mittags um 12 Uhr wurde ich erneut angerufen. Es ist jetzt eine Woche her, und ich fühle mich bestens.
PREVAIL-Studie
Die Partnerschaft für Forschung zu Ebolaimpfstoffen in Liberia (PREVAIL, Partnership for Research on Ebola Vaccines in Liberia) führt die bislang größte derartige Studie durch. Insgesamt mehr als 28 000 freiwillige Probanden sollen teilnehmen. Es handelt sich um eine randomisiert-kontrollierte Doppelblindstudie: Jeweils ein Drittel bekommt den Impfstoff cAd3-ZEBOV vom Pharma-Hersteller GlaxoSmithKline, den Impfstoff rVSV-ZEBOV von New Link Genetics/Merck US oder ein Scheinpräparat aus Kochsalzlösung; weder der Arzt noch der Proband wissen, was verabreicht wird. Zunächst sollen 600 Freiwillige geimpft werden und nach einer Woche, zwei Wochen und einem Monat untersucht werden, um mehr Daten darüber zu erhalten, ob die Impfstoffe keine schweren Nebenwirkungen haben, ob sie sicher sind und wie das Immunsystem der Probanden reagiert (Phase-2-Studie). Danach sollen weitere 27 570 Freiwillige geimpft werden und bis zu ein Jahr lang regelmäßig kontrolliert werden, um die Wirksamkeit der Vakzin-Kandidaten zu prüfen (Phase-3-Studie). Die Federführung liegt beim US-amerikanischen National Institut of Allergy and Infectious Diseases NIAID, das die Studie auch finanziert.
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