Elektronik aus Biomaterialien: Echte Viren im System
Was haben Zigaretten mit fortschrittlicher Elektronik zu tun? Auf den ersten Blick wohl eher nichts. In etwa 80 Prozent der in Deutschland vertriebenen Glimmstängel hat der Tabak jedoch einen kleinen, unbemerkten Begleiter: das Tabakmosaikvirus. Für den Menschen und Tiere völlig unbedenklich geriet er Biotechnologie-Forschern in die Hände, die mit seiner Hilfe alternative Transistoren aufbauen wollen.
Rund zweieinhalb Milliarden solcher Schalter verrichten auf einem handelsüblichen Computerchip ihren Dienst – sie sind das Herz seiner Rechenanlage: Wie eine Vielzahl von Ampeln regeln sie den Fluss von Elektronen und bringen damit den Computer zu seinen hochkomplexen Rechenoperationen. Dauer einer durchschnittlichen Ampelphase: weniger als eine Milliardstel Sekunde.
Doch das genügt nicht. Um weiterhin verbesserte Hardware auf den Markt zu bringen, müssen die Hersteller die Bauteile noch weiter schrumpfen und noch schneller schalten lassen. Das Problem dabei: Die herkömmlichen Materialien sind längst an ihre Grenzen gestoßen. Nur mit Tricks gelingt es derzeit den Produzenten, ihren Bauteilen einen weiteren Leistungszuwachs abzutrotzen.
Gebräuchliche Transistoren bestehen beispielsweise aus zwei Anschlüssen ("Source" und "Drain"), die über einen Kanal verbunden sind. Eine dritte Elektrode, genannt Gate, regelt über eine elektrische Spannung, ob Elektronen durch den Kanal fließen oder nicht. Je mehr man die Kanallänge jedoch auf atomares Niveau schrumpft, desto häufiger rutschen die Elektronen unkontrolliert hindurch. Überdies schafft es die Industrie ab einer bestimmten Grenze nicht mehr, die erforderlichen Strukturen fehlerfrei herzustellen. Soll der Kanal von derzeit 22 auf 10 Nanometer verkürzt werden, müsste die Produktion mit einer Genauigkeit von einem Nanometer gelingen – das sind gerade einmal vier Atomlagen.
Die Zahl vorgeschlagener Lösungsansätze ist kaum noch zu überblicken; sie reicht von der noch völlig futuristischen Verwendung neuer Hochleistungsmaterialien wie Graphen oder leitfähig gemachter DNA zu gänzlich anderen Konstruktionsphilosophien, etwa der dreidimensionalen Anordnung der Schalter. Ein besonders vielversprechender Weg besteht darin, die Bauteile nicht mehr aus großen Scheiben herauszuätzen, sondern dafür zu sorgen, dass sie sich von allein wie gewünscht zusammensetzen. Solche "Bottom-up-Ansätze" haben derzeit Hochkonjunktur.
Nur, wie bringt man die Bausteine zum Kooperieren? Seit einigen Jahren versuchen Wissenschaftler sich die Lösung von der Natur abzuschauen, denn dort stellt Selbstorganisation das vorherrschende Prinzip dar. Und wie sich zeigt, eignen sich sonst so schädliche Lebensformen wie Viren besonders gut.
Strukturen wie von Zauberhand
Ihre besonders regelmäßige Außenhülle aus Proteinen hat es den Forschern angetan. Das Tabakmosaikvirus etwa gleicht einer Röhre, an deren Innenwand eine Spirale aus RNA sitzt, das Erbgut des Virus. Die Röhrenwand wiederum besteht aus sich wiederholenden Einheiten, die sich selbstständig zu einer Schraube anordnen. Mit einem Durchmesser von nur 18 Nanometern und nahezu frei wählbarer Länge, wären sie ideal für den heiß ersehnten winzigen Transistorkanal, meinen Forscher um Joachim Bill von der Universität Stuttgart. Sie haben deshalb das Virus auf seine Einsatzmöglichkeiten in der Elektronik abgeklopft.
Der idealen Form steht ein gravierendes Minus gegenüber: Ein Tabakmosaikvirus ist kein Halbleiter, das heißt, die wichtige "Ampelregelung" des Stromflusses über eine Gateelektrode funktioniert bei ihm nicht. Bill und Kollegen suchten nach einem Ausweg und fanden ihn in Form von Zinkoxid.
Zinkoxid ist von Natur aus halbleitend und dank seiner relativ beweglichen Ladungsträger für den Transistorbau vergleichsweise gut geeignet. Die Idee der Forscher bestand nun darin, das Zinkoxid an der Oberfläche des Tabakmosaikvirus anzubinden: Im fertigen Transistor würde dann die eigentliche Schaltarbeit vom Oxid gestemmt; dem Virus selbst käme lediglich die Aufgabe zu, während der Herstellung ein sehr regelmäßiges, nanometerkleines Gerüst zur Verfügung zu stellen.
Um diesen Ansatz zu überprüfen, isolierten sie zunächst Viren und brachten sie dann in Kontakt mit einer zinkoxidhaltigen Lösung. Dabei sorgte die Virusoberfläche bemerkenswerterweise dafür, dass sich das Zinkoxid ohne Zutun der Forscher aus der Lösung zu hochgeordneten Kristallen formierte und sich – wie gewünscht – regelmäßig über die gesamte Virenhülle anlagerte. Damit hatten sie im Prinzip schon ihren Transistorkanal erzeugt. Um noch einen Schritt weiter zu gehen, wurden die Virusstäbchen testweise auf ein dotiertes Siliziumplättchen gelegt, das auch bei gewöhnlichen Chips als Gatematerial dient, und mit mehreren Schichten Zinkoxid belegt. Metallische Kontakten komplettierten den Aufbau. Und tatsächlich: Es funktionierte.
Wie Bills Mitarbeiter Jörg Schneider berichtet, waren die Forscher vor allem davon überrascht, dass das Virus offenbar weit mehr Auswirkungen hatte als geahnt: Es diente nicht nur als passives Gerüst, sondern verbesserte auch den Ladungstransfer. Die genauen Mechanismen bleiben noch ein Rätsel: "Klar ist, dass die Biomoleküle für die Mobilität der Ladungsträger sorgen, unklar ist derzeit jedoch, welchen Einfluss sie konkret haben", sagt Schneider. Wie Messungen ergaben, steht der neue Transistortyp trotz einer im Vergleich zu dotiertem Silizium um fünf Größenordnungen kleineren Mobilität der Ladungsträger nicht schlecht da: Das Verhältnis des Stroms im An- und Auszustand – der Wirkungsgrad des Transistor – liegt bei knapp 60 000. Wünschenswert wäre ein Verhältnis von bis zu einer Million; das wurde allerdings auch mit konventionellen Elektronikschaltern und alternativen Konzepten noch nicht erreicht. Eine weitere wichtige Kenngröße des neuen Transistors, die Schwellspannung, ist mit aktuellen Werten vergleichbar.
Bioschalter noch besser
Das ist ein ansehnliches Resultat, obgleich noch ausbaufähig: Für schnelleres Schalten müssen die Ladungsträger beweglicher, die Virusstäbchen kürzer und ausgerichtet werden. Überdies müssen die großtechnisch hergestellten Transistoren auch noch alle gleich gut funktionieren.
Die Forscher wollen sich zukünftig die Proteinhülle des Erregers vornehmen, um die Anordnung des Zinkoxids weiter zu verbessern. Veränderte Endgruppenmoleküle an den Proteinen dürften den Elektronen den Übergang an der Virus-Oxid-Grenze erleichtern. Überdies feilen die Forscher an der Anordnung der Stäbchen: Im ersten Prototyp lagen diese noch wie ein dichter Filz auf der Oberfläche, eine parallele Anordnung brächte jedoch einen weiteren Vorteil: "Damit könnten wir einen gerichteten Ladungstransfer im Kanal erreichen und dadurch wiederum zum Beispiel höhere Taktfrequenzen ", erklärt Schneider.
Auch das sei relativ einfach umsetzbar, da sich mehrere Röhrchen selbstständig in der gleichen Richtung anordnen, wenn sie mit speziellen Bindeproteinen ausgestattet werden. Auch die Abmessung des Kanals, also die Länge der Virusstäbchen, können die Forscher verringern: Dazu verwenden sie bei den künstlich hergestellten Erregern schlichtweg kürzere RNA-Spiralen.
"Klar ist, dass die Biomoleküle für die Mobilität der Ladungsträger sorgen, unklar ist derzeit jedoch, welchen Einfluss sie konkret haben."Jörg Schneider
Soll der Transistor en masse angewendet werden, muss er auch reichlich produziert werden. Aus den handgefertigten Unikaten könnten baugleiche Serien werden, wenn die Komponenten großflächig aus Lösungen druckbar sind, was im Fall des Biotransistors durchaus möglich sei, so die Forscher. Und schließlich ist sein Einsatz in flachen, transparenten und flexiblen Schaltkreisen denkbar – wie zum Beispiel in Displays. Er kann schon bei niedrigen Temperaturen (60 Grad Celsius) und damit auf Kunststofffolien erzeugt werden.
Bis zu seinem tatsächlichen Einsatz ist es aber noch ein weiter Weg. Zwar funktionierten alle im Labor hergestellten Prototypen, aber bisher unterschiedlich gut. Für zuverlässige Transistoren, Schaltkreise und Chips ist es wichtig, dass der Siliziumträger einheitlich dicht mit dem Virus belegt ist. "Die Erzeugung definierter Schichten muss noch optimiert werden", räumt Bill ein, "erst dann können mehrere Transistoren zu größeren elektronischen Einheiten kombiniert werden. Wir suchen derzeit nach Industriepartnern, um das verfahrenstechnisch umzusetzen".
Woher bezogen die am Projekt beteiligten Biologen nun das Virus? Es kann in seiner Wildform in Tabakpflanzen "angebaut" werden. Dafür trugen es die Virenforscher um Christina Wege auf ein Blatt auf, das sie vorher etwas angeritzt hatten. In der Tabakpflanze vermehrt sich der Erreger und wird dann in konzentrierterer Form aus den Teilen der Pflanze extrahiert. Die Gefahr des Virus für andere Nutzpflanzen – sollte es irgendwann im Freiland kultiviert werden – ist sehr gering: "Es gab in Deutschland nur sehr wenige Fälle, in denen das Virus Gemüse wie Paprika oder Kartoffeln befiel, einige Zierpflanzen aus der Gattung der Nachtschattengewächse sind schon häufiger betroffen", sagt Manfred Schröder, Referatsleiter für Diagnose von Pflanzenkrankheit und -gesundheit vom Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg.
Das Tabakmosaikvirus kann jedoch auch als nichtinfektiöse Variante über gentechnisch veränderte Bakterien und Hefen hergestellt werden. "Nach dem gleichen Prinzip werden auch Medikamente wie Insulin erzeugt", erklärt Wege. Die Bakterien oder Pilze stellen dabei nur die Hüllproteine her, die RNA wird anschließend dazugegeben. Die aus den Mikroben extrahierten Proteine für die Virushülle bilden zunächst eine Scheibe. Wie Perlen auf einer Schnur fädeln sich diese dann auf die RNA: Der Erreger baut sich von allein auf.
Und das ist schließlich das entscheidende Prinzip des gesamten Biotransistors – aus ausgeklügelten Bausteinen bekommt man auf einfache Weise ein großes elektronisches System. Für den Biochip, der die Miniaturisierung vorantreiben könnte, gilt es noch einige Herausforderungen zu meistern. Bis dahin stoßen die Forscher das altehrwürdige Silizium zwar nicht vom Sockel. Aber immerhin haben sie schon einmal kräftig an ihm gewackelt.
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