Mikrofossilien: Egelkokon als Zeitkapsel aus der Vergangenheit
Die Anatomie zahlreicher längst ausgestorbener Lebensformen kennen Forscher nur durch Fossilien: Die versteinert konservierten Reste harter Schalen oder Knochen verraten ihnen vieles über das Aussehen der alten Spezies, deren Lebensgewohnheiten und die Entwicklungsgeschichte der heute lebenden Nachkommen. Schwerer haben es da allerdings Paläobotaniker und -zoologen, die sich vor allem für größtenteils weichteilige Formen interessieren: Vom Körper fragiler Einzeller oder anderer einfach gebauter Organismen bleibt oft schon nach kurzer Zeit nichts übrig, was man später einmal analysieren könnte. In solchen Fällen muss der Zufall zu Hilfe kommen – etwa in Form außergewöhnlich gut erhaltender Bedingungen.
Für ein Forscherteam um Benjamin Bomfleur von der Universität Münster und Kollegen aus den USA und Dänemark kam dieser Zufall nun in Form einer 200 Millionen Jahre alten Zeitkapsel daher – der ehemaligen Schleimhülle eines Egelkokons, die in der Antarktis überdauert hatte und dabei auch ihren Inhalt erstaunlich gut konservierte: ein Wimpertierchen-Fossil aus der Trias [1]. Die einzelligen, in Wasser und feuchten Böden heimischen Wimpertierchen oder Ciliaten sind heute zwar eine weit verbreitete, vielfältige Gruppe; weil ihr hartschalenfreier Zellkörper kaum je als Fossil überdauert, sind derart alte Belegexemplare ihrer Evolutionsgeschichte allerdings Mangelware.
Bomfleur hatte die antarktischen Kokons schon vor einiger Zeit untersucht: Sie stammen von Egeln, die vor etwa 200 Millionen Jahren auf der damals lebensfreundlichen Landmasse gelebt haben, die heute unter dem Eis der Ostantarktis begraben ist. Wie ihre nahen Verwandten, die Regenwürmer, produzieren Egel mit einem besonderen Sekretionsorgan eine zähe Schleimhülle, in die sie ihre Eier ablegen. Dieser Kokon kann unter bestimmten äußeren Bedingungen zu einer extrem widerstandsfähigen Kapsel aushärten, in der der Inhalt dann vor Verwitterung und Zerfall über Millionen von Jahren geschützt ist – eine womöglich bedeutende Fundgrube für allerlei weitere seltene Mikrofossilien wie den nun entdeckten Ciliaten, meint der Forscher aus Münster.
Viele Wimpertierchen haben sich offenbar schon vor langer Zeit als Erfolgsmodell der Evolution etabliert und seitdem kaum noch verändert, wie eine Anekdote um die Auswertung des Fundes nahelegt: Bomfleur hatte die Aufnahme des besonders gut erhaltenen Trias-Lebewesens aus der Egelhülle an den dänischen Süßwassermikroorganismenexperten Ojvind Moestrup von der Universität Kopenhagen geschickt, ohne diesen zuvor über das Alter und die Umstände des Fundes zu informieren. Der reagierte prompt und identifizierte das Mikrofossil anhand seiner charakteristischen äußeren Merkmale "eindeutig als Vorticella" – die heute noch weit verbreitete, bekannte Art sieht dem Verwandten aus der Trias täuschend ähnlich.
Gut erhaltene Mikrofossilien von weichteiligen, einfach aufgebauten Pflanzen und Tieren aus dem Erdmittelalter kennt man vor allem aus Bernstein. Andere Arten verdanken ihren Erhalt als Fossil sogar noch größeren Zufällen: So sind auf Spitzbergen fossile Wimpertierchen gefunden worden, die einmal die Schalen von Muschelkrebsen besiedelt hatten; die Muschelkrebse hatten ihrerseits die Überreste eines Ammoniten verspeist und waren in dessen Schaleninneren verschüttet worden. Das dabei entstandene chemische Milieu hat dann eine Phosphatidisierung von Muschelkrebsen mitsamt Wimpertierchen verursacht und die Form der Tiere so erhalten. Als sehr ergiebige Fundstelle von Mikrofossilien gelten zudem so genannte Heißwasserquellen-Sinter – hier haben heiße, kieselsäuregesättigte Lösungen Organismen umflossen, um dann blitzartig auszuhärten.
Bomfleur und seine Kollegen hoffen, dass gerade auch die Ringelwurmkokons als besondere Fundgrube noch weitere Überraschungen bereithalten. Tatsächlich scheinen Mikrofossilien darin überraschend häufig zu sein: Neben dem jetzt beschriebenen Wimpertierchen sind auch einige andere Sporen und Einzeller entdeckt worden – und sogar der gut erhaltene Überrest eines größeren Vielzellers, des Fadenwurms Captivonema cretacea. Dieser spektakuläre Fund war schon in den 1990er Jahren in einer Egelkokon-Zeitkapsel aus der Kreidezeit aufgetaucht [2].
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