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Infektionskrankheiten: "EHEC geht eine sehr intime Bindung ein"

Spanische Gurken scheinen eine potenzielle Infektionsquelle für den gefährlichen EHEC-Keim zu sein. Während die Suche nach weiteren Gefahrenherden weitergeht, kämpfen viele Patienten auf Intensivstationen ums Überleben. Petra Dersch, Leiterin der Abteilung Molekulare Infektionsbiologie am Helmholtzzentrums für Infektionsforschung in Braunschweig, erklärt im Interview mit spektrumdirekt, warum der Keim so gefährlich ist.
Ehec-Bakterien im Darm
spektrumdirekt: Frau Professor Dersch, spanische Gurken scheinen sich als eine der potenziellen Quellen für die derzeitigen EHEC-Infektionen zu entpuppen. Wie lange können eigentlich Keime wie Escherichia coli oder andere Bakterien auf offenen Flächen wie zum Beispiel Gurkenschalen überdauern?

Petra Dersch: Das lässt sich in Zahlen nur schwer sagen. Keime wie EHEC weisen jedoch eine sehr große Umweltstabilität auf und besitzen ausgezeichnete Strategien, um etwa in saurer Umgebung oder bei Nährstoffknappheit zu überleben. Sie vermehren sich dann zwar kaum, doch immerhin überdauern sie diese Phasen längere Zeit, bis sich die Bedingungen wieder verbessern. Rinder können sich beispielsweise immer wieder neu infizieren, wenn sie entsprechend mit Darmbakterien belastetes Gras fressen.

Schadet den Bakterien UV-Strahlung?

Petra Dersch | Die habilitierte Biologin ist Leiterin der Abteilung Molekulare Infektionsbiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung.
Es wirkt schädigend, doch besitzen viele der Keime sehr gute Resistenz- und Reparaturmechanismen, mit denen sie gegen UV-Strahlung ankommen können. Diese Mechanismen zeigen ihnen unter anderem DNA-Schäden an, bei denen dann Reparatursysteme anspringen, die diese kaputten Stellen wieder ausbessern. Diese Funktionalität ist allerdings nicht nur auf Escherichia coli beschränkt.

Reicht es denn dann überhaupt aus, wenn man seine Gurken nur unter heißem Wasser abwäscht?

Wenn man das Gemüse nur kurz unter fließendes Wasser hält, kann es sein, dass man nicht alle Keime erwischt. Besser ist sie längere Zeit mit Hitze zu behandeln, denn E. coli ist nicht besonders hitzetolerant – bei zehn Minuten 70 Grad Celsius ist man auf der sicheren Seite.

Das erreicht man aber eher beim Kochen – nicht beim Abwasch der Gurke oder Tomaten.

Deshalb wird momentan auch vom Verzehr der Gurken abgeraten, wenn Risikopotenzial vorhanden ist. Allgemein gesprochen hängt die Infektionsgefahr auch davon ab, mit wie vielen Keimen die Lebensmittel belastet sind. Noch ist völlig unklar, wie stark die betroffenen Lebensmittel überhaupt mit Bakterien kontaminiert sind.

EHEC-Bakterien im Darm | Elektronenmikroskopische Aufnahme zeigt die aggressiven EHEC-Keime (rot) auf der Darmwand.
Schon 100 EHEC-Erreger sollen ausreichen, um eine Infektion auszulösen: Ist das Bakterium tatsächlich so aggressiv?

Mehrere Faktoren spielen hier eine Rolle. Anhand von Untersuchungen an bereits bekannten EHEC-Varianten weiß man, dass diese Bakterien sehr stark mit menschlichen Darmzellen interagieren und mehrere Mechanismen besitzen, mit denen der Keim dies bewerkstelligt. Zuerst binden die Bakterien nur sehr locker an die Darmoberfläche. Dann aktivieren sie verschiedene Prozesse, um die Verknüpfung zu festigen: Sie injizieren zum Beispiel einen Rezeptor in die Membran der Darmepithelzelle, an denen sie sich anschließend selbst spezifisch sehr fest binden. Produzieren die Bakterien anschließend ihre Toxine, so geraten diese sofort in Kontakt mit den Darmzellen.

Über ihr Injektionssystem überträgt E. coli zudem verschiedene Moleküle auf die Epithelzellen, die diese in ihrer Physiologie verformen und prägen. Dadurch schwächt sich die Absorptionskraft der Darmzellen: Es entwickelt sich die stark wässrige Diarrhoe, die zu den hohen Wasserverlusten der betroffenen Organismen führen kann. Und diesen Durchfall nutzen natürlich die Keime, um sich weiterzuverbreiten, da sie dadurch natürlich wieder leicht in die Umwelt gelangen.

Vermehrt sich der aktuelle, bedrohliche E.-coli-Stamm auch besonders schnell?

Das ist noch unklar, denn wir wissen noch nicht, ob er spezielle Stoffwechseleigenschaft von anderen Bakterienstämmen übernommen hat. DNA-Austausch von verwandten E.-coli-Stämmen ist jedenfalls potenziell möglich. So könnten sie zum Beispiel die Fähigkeit erworben haben, dass sie bestimmte im Darm vorhandene Stoffe stärker nutzen – und dann könnten sie sich auch schneller vermehren. Möglicherweise wurden sie resistenter gegen Säure und passieren den Magen leichter. Oder aber sie haben sich durch den Transfer genetischen Materials noch besser an die Darmoberfläche angepasst und binden dort nun stärker oder produzieren mehr Zellgifte. Hier sind sehr viele Szenarien denkbar.

Der frisch als Auslöser der Infektionswelle enttarnte E. coli-Stamm galt bislang als wenig auffällig. Warum wurde er plötzlich so aggressiv?

Das können erst weitere Analysen des gegenwärtig aktiven Stamms klären – was unter Umständen Monate bis Jahre dauert. Sein Erbgut dürfte jetzt allerdings sehr schnell sequenziert werden. Dann weiß man auch bald, was diesen Typ von anderen EHEC-Stämmen genetisch unterscheidet. Man weiß jetzt schon, dass er resistent gegen einige Antibiotika ist. Zusätzlich ließe sich unter anderem feststellen, ob er mehrere Toxine produziert.

Was macht die EHEC-Stämme im Vergleich zu normalen E.-coli-Bakterien so gefährlich?

Intime Bindung | Meist werden Ehec-Bakterien mit infizierter Nahrung aufgenommen. Der jüngste Ausbruch, der in Norddeutschland seinen Ausgang genommen hat, wurde durch einen ungewöhnlich aggressiven Ehec-Stamm verursacht und ist durch schwere und drastische Krankheitsverläufe gekennzeichnet. Im Gegensatz zu vorherigen Infektionswellen stammen die Erreger dieses Mal aber wohl nicht – wie üblich – aus Rohmilchprodukten, sondern von kontaminiertem Gemüse.
Die normalen E. coli besitzen Fimbrien und Pili, mit denen sich recht lose an menschliche Darmzellen binden. Die intime Bindung wie EHEC gehen sie jedoch nicht ein. Daneben existieren zudem noch so genannte EPEC-Stämme, die zwar ebenfalls sehr fest an die Darmoberfläche andocken und diese verändern. Sie erzeugen aber noch keine Shiga-Toxine, die die EHEC so gefährlich machen.

Die Fähigkeit zur Produktion von Shiga-Toxinen wurde von anderen Bakterienarten übernommen?

Ja, genau. Nahe Verwandte der E. coli, die Bakterien der Gattung Shigella, besitzen ebenfalls diese Toxine: Sie lösen ebenfalls eine Durchfallerkrankung aus, die Shigellen-Ruhr. Im Lauf der Evolution sind die dafür verantwortlichen Gene wahrscheinlich auf EPEC übertragen worden.

Wie wirkt das Toxin im Körper?

Diese Shiga-Toxine sind so genannte A-B-Toxine. Sie weisen eine B-Einheit auf, die mit speziellen Molekülen – so genannte Glycolipide Gb3 – auf der Wirtszelle interagiert. Dadurch wird es der A-Einheit ermöglicht, sich in die Zelle einzuschleusen, wo sie in zwei Teile zerschnitten wird. Ein Teil davon bindet sich nun ans Ribosom der Zelle und stoppt dadurch die Proteinsynthese, wodurch die Zelle geschädigt wird.

Die Toxine binden aber nicht nur an Darmzellen, sondern vor allem an Nierenzellen, wo die entsprechenden Rezeptoren in großer Dichte vorhanden sind. Deshalb trifft eine EHEC-Infektion vor allem die Nierenfunktion. Als Nebenwirkung verklumpen außerdem die Blutplättchen und die roten Blutkörperchen werden zerstört – es kommt zur Blutarmut und zum Nierenausfall, da Zelltrümmer die feinen Blutgefäße verstopfen.

Der verantwortliche Stamm weist bereits Resistenzen gegen Antibiotika auf. Gleichzeitig wird gemahnt, man solle nicht mit Antibiotika gegen die Bakterien vorgehen, weil sie dadurch erst recht ihr Gift freisetzen. Wie kann man dann gegen den Erreger vorgehen?

Gekaperte Darmzellen | Diese Aufnahme zeigt sehr schön, wie fest sich die EHEC-Bakterien (rot) an die Darmzellen binden und nach unten regelrechte "Säulenstrukturen" ausbilden, die so genannten Pedestals (grün). Darauf können sich die Bakterien dann auch auf der Oberfläche der Zelle bewegen. Das von den EHEC produzierte Gift gerät zudem sehr direkt und schnell mit den Darmzellen in Kontakt und schädigt diese, was zu den massiven Durchfällen bei Erkrankten führt.
Die Produktion des Shiga-Toxins wird forciert, wenn man bestimmte Antibiotika einsetzt – unter bestimmten Umständen wird also genau das Gegenteil erreicht und die Gifterzeugung verstärkt. Daher erfolgt die Behandlung symptomorientiert, z.B. der Durchfall wird unterdrückt und eine Nierenschädigung durch eine Blutwäsche verhindert. Zu den Details sollten Sie aber besser einen medizinischen Mikrobiologen oder Nephrologen fragen, der derartige Therapien auch in der Praxis einsetzt.

Das natürliche Reservoir der EHEC-Bakterien findet sich in Nutztieren wie Rindern, die den Erreger tragen können, aber nicht daran erkranken. Hängt das Aufkommen aggressiver, resistenter EHEC-Stämme auch mit der Massentierhaltung und intensiver Gabe von Antibiotika in den Ställen zusammen?

Das wäre zu einfach gesprochen. Wir setzen eben schließlich – und sinnvollerweise – auch Antibiotika in der Humanmedizin ein. Und wir können deshalb nicht ausschließen, dass der resistente Keim hier seinen Ursprung hat.

Es wird daher generell über Alternativen zu diesen Medikamenten nachgedacht – zum Beispiel antimikrobieller Wirkstoffe, die nicht die Bakterien einfach nur zerstören. Dadurch selektiert man nur diejenigen heraus, die überleben. Resistente Stämme werden dadurch schlicht gefördert. Neue Überlegungen gehen daher eher in die Richtung, die Bakterien funktionell zu stören, so dass zum Beispiel die Ausschüttung des Shiga-Toxins oder die Bindung der E. coli an die Darmzellen verhindert wird. Dadurch ließen sich die Antibiotikagaben vielleicht bald stark reduzieren.

Frau Dersch, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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