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Naturschutz: Auferstanden aus Mondlandschaften

Im Süden Brandenburgs entwickelt sich ein ehemaliger Braunkohletagebau zum wichtigen Rückzugsgebiet für zahlreiche geschützte Arten.
Braunkohle Bergbau-Landschaft in Brandenburg

Am 27. August 1883 flog die indonesische Vulkaninsel Krakatau in einer gewaltigen Explosion in die Luft. Kein Strauch, kein Tier, nichts überlebte die Katastrophe. Die Wucht der Detonation war tausende Male stärker als die der Hiroschima-Bombe. Aber als nur ein paar Jahre später Wissenschaftler zum ersten Mal die Überreste der Insel besuchten, entdeckten sie bereits wieder Algen, Moose, Farne, Fliegen, Spinnen, Schmetterlinge, sogar einen großen Waran. In kurzer Zeit hatte die Natur begonnen, die Ödnis zurückzuerobern. Ein paar Jahrzehnte später war die Insel wieder so artenreich wie vor dem Vulkanausbruch.

Einen ähnlichen Prozess kann man seit fast 30 Jahren in der Niederlausitz bei Luckau beobachten: Hier wurde das Land durch Kohlebergbau zerstört, auch hier blieb kein Stein auf dem anderen. Vom Garten des Naturerlebnis-Zentrums Wanninchen kann man die Verwüstung immer noch erkennen – und die verschiedenen Etappen, in denen die Natur das Gelände zurückerobert: Die Böschung fällt steil ab zum Schlabendorfer See. Auf dem gegenüberliegenden Ufer leuchten kahle Sandflächen und nackte Bodenrippen, wo Wind und Erosion eine Besiedlung durch Pflanzen unmöglich machen. Am Ufer breitet sich langsam das Schilf aus. Und auch Gräsern und kleinen Gehölzen ist es in einigen Bodenfurchen und auf Sandbergen gelungen, Wurzeln zu schlagen. Weiter hinten macht sich der Wald breit. Es ist die spektakuläre Rückkehr der Natur, der jahrzehntelang Gewalt angetan worden war.

Kraniche über dem Schlabendorfer See | Zur Zugzeit nutzen die Vögel die neu entstandenen Flachwasserbereiche als Schlafplatz.

Bis 1991 fraßen sich hier gewaltige Förderbrücken und Schaufelradbagger durch den Boden, nahmen die Kohle mit und spuckten den Abraum hinter sich wieder aus. Das heutige Natur-Erlebniszentrum ist das einzige Gebäude, das vom kleinen Ort Wanninchen noch steht. Der Rest kam 1985 unter den Bagger. 40 Einwohner mussten umgesiedelt werden. »In den 1980er Jahren war das hier die reinste Mondlandschaft. Aber schon damals haben wir festgestellt, dass sich bestimmte Tier- und Pflanzenarten genau davon angezogen fühlen«, erzählt Ralf Donat, der Leiter des Naturerlebnis-Zentrums. »Wir«, das waren die Naturfreunde im Biologischen Arbeitskreis Luckau, zu denen auch Donat gehört. Sie siedelten Edelkrebse, Schmerlen oder Bergmolche um, bevor die Bagger kamen. Und registrierten damals mit Erstaunen, dass Steinschmätzer, Brachpieper, Sturmmöwen, Kreiselwespen und Sandohrwürmer die baumlose Landschaft als Lebensraum für sich entdeckten.

»In den 1980er Jahren war das hier die reinste Mondlandschaft. Aber schon damals haben wir festgestellt, dass sich bestimmte Tier- und Pflanzenarten genau davon angezogen fühlen«
Ralf Donat

Mit der Wende kam das Aus für den Kohleabbau, und das junge Land Brandenburg hatte auf einmal ein großes Problem: »Plötzlich gab es diese riesigen unfertig sanierten Flächen, von denen keiner genau wusste, was aus ihnen werden sollte«, erinnert sich Donat. Der alte Sanierungsplan für die Gebiete war mit der Wende obsolet geworden. Und weil keine neuen Tagebaue mehr erschlossen wurden, fehlten auch die gigantischen Mengen an Erdreich, mit denen man den aufgegebenen Tagebau wieder hätte verfüllen können. »Wir haben das Umweltministerium dann davon überzeugt, dass auch die Tagebauflächen einen ökologischen Wert haben können«, sagt Donat. 1996 wurde die erste Fläche unter Naturschutz gestellt. 1999 folgte das Gebiet um den heutigen Schlabendorfer See. 1997 wurde der Naturpark Niederlausitzer Landrücken gegründet, zu dem große Teile des ehemaligen Tagebaus gehören. Im Jahr 2000 erwarb die Heinz-Sielmann-Stiftung 772 Hektar und sicherte sie dauerhaft für den Naturschutz. Bis heute ist die Fläche auf 3000 Hektar angewachsen. Es ist damit das größte Naturschutzprojekt in einem ehemaligen Tagebau in Deutschland.

Das Gebiet setzt sich etwa zu gleichen Teilen aus Wald, Gewässern und Offenlandbereichen zusammen. Bei dem Wald handelt es sich hauptsächlich um Flächen, die noch zu DDR-Zeiten aufgeforstet wurden. »Das sind oft reine Monokulturen von Kiefern, Roteichen oder Robinien. Ökologisch nicht besonders wertvoll«, so Donat. Nach und nach sollen sie in natürliche Mischwälder umgewandelt werden. Aber das ist eine Aufgabe für Jahrzehnte.

Stiebsdorfer See

Von größerer ökologischer Bedeutung sind die neu entstehenden Gewässer. Für den Kohleabbau war das Grundwasser jahrzehntelang massiv abgepumpt worden. Seit die Pumpen stillstehen, hat sich der Grundwasserspiegel wieder auf normales Maß eingepegelt. Das Wasser drängt in die ausgebaggerte Erde, so dass Seen entstehen und Flachwasserbereiche, in denen sich das Schilf ausbreitet. Im Herbst rasten rund 10 000 Kraniche und bis zu 50 000 nordische Gänse in dem Gebiet. Rohrdommeln, Blaukehlchen, Rohrweihen, Drossel- und Schilfrohrsänger fühlen sich in neu entstandenen Sumpfgebieten ebenso wohl wie Kreuz- und Wechselkröten.

Karge Offenlandbereiche als Heimat für Pionierarten

Das Spektakulärste in dem Gebiet sind die kargen Offenlandbereiche. »Wir haben Heideflächen, Sandtrockenrasen und ganz offene Sandflächen«, erklärt Donat. Die bieten Lebensraum für strikte Pionierarten wie den Sandohrwurm, die Sandschrecke oder Kreiselwespe ebenso wie für Brachpieper, Steinschmätzer, Wiedehopfe, Zauneidechsen, Blauflügelige Ödlandschrecken und Italienische Schönschrecken.

Eine der Herausforderungen des Projekts wird sein, diese besondere Landschaft langfristig zu erhalten: »Wir befinden uns immer noch mitten in der Bergbausanierung«, sagt Donat. Der aufgeworfene und durchgeschüttelte Boden muss wieder stabilisiert werden, damit es nicht zu unkontrollierten Erdrutschen kommen kann. Am Ufer des Schlabendorfer Sees sind alle 50 Meter Warnschilder am Wegesrand aufgestellt: Sperrgebiet. Betreten verboten. Lebensgefahr.

Karge Mondlandschaft | Dünen im Naturschutzgebiet Wanninchen: Die Bergbaufolgelandschaft ist zum Teil extrem karg.

Das wichtigste Mittel, um die Uferbereiche zu stabilisieren, sind so genannte Rütteldämme. Damit werden die lose gekippten Sande zusammengepresst und standsicher gemacht. Durch die Rütteldämme entstehen aber einheitliche Böschungen, die eher an Badewannenränder als an natürliche Ufer erinnern. Die wertvollen Schilf- und Sumpfgebiete würden so verloren gehen. »Wir wollen deshalb ein anderes Verfahren erproben«, verrät Donat. Um die Flachwasserbereiche in der Tornow-Niederung zu erhalten, soll dort nicht jeder kleine See einzeln mit einem Rütteldamm versehen werden. Stattdessen soll das rund 250 Hektar große Gebiet weiträumig von einem Damm umschlossen und später als Totalreservat ausgewiesen werden. Die Abstimmungen mit den Sanierern der LMBV (Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbauverwaltungs-Gesellschaft) laufen bereits. Kann der Rütteldamm wie geplant um das gesamte Gebiet gezogen werden, könnte das Vorgehen Modellcharakter für weitere Flachwasserbereiche im Sanierungsgebiet haben.

Sandohrwurm | Der Sandohrwurm ist ein typischer Bewohner offener, vegetationsfreier Sandflächen.

Betretungsverbot ist Fluch und Segen zugleich

Ohnehin sind viele Flächen in der Bergbaufolgelandschaft Sperrgebiet. Zurzeit gilt ein grundsätzliches Betretungsverbot für die gesamten 3000 Hektar der Sielmann-Stiftung und für weitere Flächen der Bergbaufolgelandschaften in der Region. Der Bund hat es 2010 verfügt, nachdem ein Erdrutsch in einem ehemaligen Tagebau in Sachsen-Anhalt drei Todesopfer gefordert hatte. »Auf absehbare Zeit werden wir unsere Flächen nicht betreten können«, sagt Ralf Donat.

Braunkehlchen | Das Braunkehlchen kommt als typische Art halboffener Trockenlandschaften häufig bei Wanninchen vor.

Einerseits wird das zum Problem, weil so mit der Umstrukturierung des Waldes nicht begonnen werden kann und ein Teil des Offenlandes ohne regelmäßige Pflege schnell zuwächst. Allerdings sind viele der Offenlandflächen als FFH-Gebiete bei der EU gemeldet – und wenn die Flächen de facto aber gar nicht mehr offen sind, drohen Strafverfahren. Andererseits ist das komplette Betretungsverbot ein Segen für die Natur. »Wir haben hier ein 3000 Hektar großes Gebiet, in dem sich Tiere und Pflanzen ohne menschlichen Einfluss entwickeln können«, erklärt Donat. Es wird weder gejagt noch werden im Wald Bäume geschlagen. Die landwirtschaftlichen Flächen, die sich im Sanierungsgebiet befinden, liegen ebenfalls brach. Schon jetzt ist zu beobachten, dass sich Grauammern und andere Feldvögel auf den Brachen gut entwickeln und von dort die angrenzende Kulturlandschaft wieder besiedeln. 2012 hat sich ein Wolfsrudel angesiedelt, das in dem ehemaligen Tagebaugebiet wegen der vielen Rothirsche und Wildschweine ideale Lebensbedingungen vorfand.

»Rückzugsgebiete, die dauerhaft für die Natur erhalten bleiben, werden immer wertvoller«
Ralf Donat

Selbst wenn das absolute Betretungsverbot wieder gelockert werden sollte, bleiben für die Natur große unzerschnittene Bereiche erhalten. »Derzeit nimmt der Nutzungsdruck auf alle Flächen extrem zu. Deshalb werden solche Rückzugsgebiete, die dauerhaft für die Natur erhalten bleiben, immer wertvoller«, weiß Donat. Auch im überregionalen Zusammenhang spielen die Flächen der Sielmann-Stiftung eine wichtige Rolle: Das ehemalige Tagebaugebiet ist Bestandteil des so genannten Wildniskorridors Südbrandenburg, den die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg südlich von Berlin zwischen Polen und Sachsen-Anhalt entwickelt. Ziel ist es, mehrere ehemalige Truppenübungsplätze, Bergbaufolgelandschaften und große Schutzgebiete so miteinander zu vernetzen, dass selbst große Säugetiere ungestört von einem Gebiet ins andere und wieder zurück wandern können.

Schellenten in Borcheltsbusch | In den großen Bergbaufolgeseen sind auch Schellenten anzutreffen – der Name kommt von dem Geräusch, den ihre Flügel beim Fliegen verursachen.

Die Dynamik in der Bergbaufolgelandschaft wird sich verändern, aber noch lange erhalten bleiben: Die extremen Spezialisten, die sich nur auf kargen Sandflächen wohl fühlen, werden weniger. Dafür rücken andere Arten nach. »In den letzten Jahren sind verstärkt Arten aus dem Süden eingewandert«, sagt Donat. Feuerlibellen, Gottesanbeterinnen und Segelfalter wurden schon nachgewiesen. Auch die Italienische Schönschrecke zählt zu diesen Einwanderern.

Anders als bei der Vulkaninsel Krakatau stellt sich im ehemaligen Tagebau nicht einfach wieder das gleiche Artenspektrum ein wie vor der Katastrophe. Vielmehr entsteht eine neue, strukturreiche Landschaft, in der deutlich mehr geschützte Arten ein Zuhause finden als früher. Das Ende des Braunkohletagebaus in Deutschland ist absehbar. Dadurch ergibt sich vielleicht die Chance, auch in anderen Revieren große Flächen für den Naturschutz zu sichern. Wie die Entwicklung rund um Wanninchen zeigt, wäre das ein mehr als lohnendes Investment für die Zukunft.

Zauneidechse in Profen | Zauneidechsen kommen relativ häufig in der Bergbaufolgelandschaft vor, weil sie dort genügend offene warme Flächen mit einem reichen Nahrungsangebot finden.

Naturschutzprojekte in Bergbaufolgelandschaften

Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen: Mit einer Fläche von 3000 Hektar ist das Naturschutzprojekt der Sielmann-Stiftung das größte in einem Bergbaufolgegebiet. Die Landschaft mit Seen, Wäldern, Sumpfgebieten und offenen Flächen ist für viele geschützte Arten ein notwendiger Rückzugsraum und für die Menschen der Region ein beliebtes Ausflugsziel. Allein zur Kranichrast im Herbst kommen mehrere tausend Besucher.

Goitzsche-Wildnis: Die Goitzsche liegt vor den Toren der Städte Bitterfeld und Delitzsch länderübergreifend in Sachsen und Sachsen-Anhalt. In dem ehemaligen Braunkohletagebau hat die BUND-Stiftung 1300 Hektar erworben, die sich als Wildnis entwickeln sollen. 2009 wurden rund 1000 Hektar Wald in dem Gebiet als Nationales Naturerbe an die Deutsche Bundesstiftung Umwelt übergeben. Die DBU-Flächen bilden eine Pufferzone um die Goitzsche-Wildnis.

Grüntal: Etwa 30 Kilometer südlich von Wanninchen entwickelt die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe ein ähnliches Projekt: Im ehemaligen Tagebau Lauchhammer hat die Stiftung zwischen 2003 und 2006 eine 1900 Hektar große Fläche erworben und für den Naturschutz gesichert. 700 Hektar davon sind Totalreservat.

Landschaft der Industriekultur Nord: Im Saarland entsteht derzeit ein großes Naturschutzprojekt in einem ehemaligen Tagebau in der Nähe der Stadt Neunkirchen. In der Landschaft der Industriekultur Nord (LIK.Nord) sollen auf vier Standorten mit einer Fläche von rund 2400 Hektar unterschiedliche Lebensräume für seltene Arten erhalten und ausgebaut werden. Das Projekt in der dicht besiedelten Landschaft soll ebenfalls touristisch erschlossen werden.

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